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Popkultur

So bringst du rassistische Online-Kommentare in der Schweiz zur Anzeige

Auch du kannst das Internet zu einem schöneren Ort machen. Wir zeigen dir, was du bei einer Anzeige von rassistischen Kommentaren beachten musst.
Screenshot von Facebook

Vor kurzem verbreitete sich ein Kommentar der Journalistin Anja Reschke im ganzen deutschsprachigen Internet. Darin nahm sie deutlich Stellung zu den abertausenden fremdenfeindlichen und rassistischen Kommentaren, die das Internet täglich gebärt:

„Wenn man also nicht der Meinung ist, dass alle Flüchtlinge Schmarotzer sind, die verjagt, verbrannt oder vergast werden sollten, dann sollte man das ganz deutlich kund tun. Dagegen halten. Mund aufmachen. Haltung zeigen."

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Doch nicht immer sind die fremdenfeindlichen Kommentare einfach nur eklig—manchmal sind sie auch strafbar. Gestern wurde am Bezirksgericht Aarau ein 67-jähriger Mann für einen rassistischen Facebook-Kommentar zu einer Busse von 900 Franken verurteilt.

Der Mann sagte laut Tages-Anzeiger vor Gericht, er habe nur geschrieben, was viele andere denken—es werde langsam Zeit, sich gegen Asylbewerber zu wehren. Geschrieben, was alle denken, hat er im April in der Facebook-Gruppe „Jetzt erst recht SVP wählen", von der SVP-Nationalrätin Yvette Estermann kurzzeitig Administratorin war und deshalb womöglich auch rechtlich belangt werden kann. In dieser Gruppe entschied er sich dafür, sich gegen Flüchtlinge zu wehren, indem er Afrikaner als Halbaffen, Taugenichtse und Abschaum bezeichnete und ihre Erschiessung befürwortete.

Auch David Langhard aus Winterthur, der bis vor einem Jahr als Admiral James T. durch die Musikschweiz tourte, bewegt sich von Zeit zu Zeit in derselben Facebook-Gruppe. Nicht um der SVP Beifall zu klatschen und mitzuhetzen, sondern um Screenshots von rassistischen Kommentaren zu schiessen, diese auf seinem Facebook-Profil zu veröffentlichen und bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen.

Er erklärt mir, dass er mit der Veröffentlichung dem überbordenden Rassismus und der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit entgegentreten will. Schliesslich sei auch er Schweizer und als solcher wolle er nicht, dass solche Menschen den Ruf des Landes in den Dreck ziehen. Viele aus seinem Umfeld würden dazu raten, rassistische Kommentare einfach zu ignorieren. Aber David ist da anderer Ansicht: „Man MUSS seine Meinung sagen und darf solche Äusserungen nicht durchgehen lassen."

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Die meisten Reaktionen—die üblichen Nazibrief-Belohnungen für antifaschistisches Engagement mal ausgenommen—waren bislang positiv. Nur einige kritisieren, dass David die Postings samt Profilbild und Vor- und Nachnamen veröffentlicht. Doch David macht explizit klar: „Ich will keine Hetzjagd, keinen Rachefeldzug anzetteln, sondern einfach die Menschen dazu bringen, den Mund aufzumachen." Mit der Veröffentlichung in dieser Form möchte er bloss klarmachen, dass diese Menschen durchschnittliche Mitbürger sind.

Gut 1.000 Menschen haben das Posting mittlerweile geteilt und damit ihre Zustimmung gezeigt. Immer mehr nehmen sich ein Vorbild an Davids Engagement und schalten sich in diese Debatte ein, weil sie Rassismus und Hetze nicht länger einfach so hinnehmen wollen. Die sich häufenden fremdenfeindlichen Kommentare gehen nicht nur nahe, sie machen auch wütend und traurig—und das nicht erst seit gestern.

Wenn du selbst derartige Aussagen in Postings zur Anzeige bringen möchtest, machst du am besten einen Screenshot des Kommentars und speicherst dessen URL. Zur Anzeige bringen kannst du den Kommentar online über das simple Formular der Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität KOBIK. Die Anzeigen kannst du dort auf Wunsch auch anonym vornehmen—allerdings können dann keine zusätzlichen Infos wie etwa die Screenshots zugeschickt werden. Da die KOBIK aber jetzt schon fast an ihre Grenzen stösst, ist es meist effektiver, wenn du dich mit den rassistischen Kommentaren direkt an die Polizei wendest.

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Um vorher aber besser einschätzen zu können, welche Kommentare strafbar sind und welche nicht, habe ich bei Giulia Brogini, der Geschäftsführerin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus und Teil von deren Kampagne Bunte Schweiz, nachgefragt, wo die Grenzen der Rassismusstrafnorm verlaufen.

VICE: Frau Brogini, inwiefern sind fremdenfeindliche Online-Kommentare strafbar?
Giulia Brogini: Nicht jede Ausdrucksform von Fremdenfeindlichkeit ist strafbar. Die Strafnorm gegen Rassendiskriminierung schützt die Menschenwürde. Sie setzt Handlungen unter Strafe, mit denen Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder wegen ihres ethnisch-kulturellen Hintergrundes explizit oder implizit das gleichberechtigte Dasein abgesprochen oder ihnen gar das Existenzrecht verweigert wird. Auch Diskriminierungen und der Aufruf zu Hass können strafbar sein. Die Handlungen sind aber nur dann verboten, wenn sie in der Öffentlichkeit begangen werden, das heißt unter den anwesenden Personen keine persönliche Beziehung beziehungsweise kein Vertrauensverhältnis besteht. Im Internet kann dies somit auch der Fall sein.

Können Sie praktische Beispiele von strafbaren Online-Kommentaren nennen?
Zwei aktuelle Beispiele von Verurteilungen strafbarer Online-Kommentare aus dem Jahre 2014 habe ich. Sie werden nebst anderen anonymisierten Beispielen Ende August 2015 in unserer Urteilsstatistik über unsere Website der EKR abrufbar sein:
Ein Beispiel auf Facebook: Die beschuldigte Person postete auf einer öffentlich zugänglichen Facebook-Seite folgenden Kommentar: „Wart nur du drecks jude… früher odr spöter sind du und dis volk dra!!". Dadurch setzte die beschuldigte Person die Gesamtheit der Juden öffentlich wegen ihrer Religion und/oder Ethnie in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herab. Durch den Kommentar wird die jüdische Glaubensgemeinschaft als nicht gleichwertig und gleichberechtigt dargestellt.

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Haben Sie noch ein Beispiel?
Auf Twitter veröffentlichte eine beschuldigte Person einen Tweet mit dem Inhalt „Vielleicht brauchen wir wieder eine Kristallnacht…diesmal für Moscheen". Dadurch hat die beschuldigte Person den Mitgliedern der muslimischen Glaubensgemeinschaft deren Existenzberechtigung und Gleichwertigkeit per se abgesprochen und sich der Rassendiskriminierung schuldig gemacht. Zudem rechtfertigte er durch seine Äusserung die Notwendigkeit des Völkermordes an den Juden und machte sich daher wegen der Rechtfertigung eines Völkermordes strafbar.

Und wie sieht das mit der Grenze der Strafbarkeit in der Theorie aus?
Da die Rassismusstrafnorm verschiedene Tatbestände erfasst, muss die gemachte Aussage im Einzelfall mit Bezug auf den möglicherweise zutreffenden Tatbestand hin untersucht werden. Allgemein kann gesagt werden, dass kritische Äusserungen über eine Religion nicht strafbar sind, solange dadurch nicht die Angehörigen der jeweiligen Religion herabgesetzt und diskriminiert werden.

Gibt es da besondere Anwendungen bei politischen Diskussionen?
Die Gerichte messen bei Aussagen oder Plakaten in einer politischen Debatte der Meinungsäusserungsfreiheit ein besonders hohes Gewicht bei. Verurteilungen aufgrund der Rassismusstrafnorm sind in diesem Zusammenhang deshalb selten. Gegen einen Angehörigen einer Minderheit gerichtete Schimpfwörter fallen nach der gegenwärtigen Rechtsprechung zum Beispiel nicht unter die Rassismusstrafnorm, wenn es sich um im Sprachgebrauch übliche Schimpfwörter handelt. Auch der Gebrauch von rassistischen Symbolen ist nur dann strafbar, wenn aus den damit verbundenen Texten und Handlungen hervorgeht, dass die Bedingungen der Rassismusstrafnorm erfüllt sind.

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Strafbar sind also nur besonders krasse Äusserungen?
Die Rassismusstrafnorm erfasst nur besonders verwerfliche Tatbestände. Daneben gibt es Bemerkungen, welche sich gegen gewisse Minderheiten richten, welche nicht strafbar sind, die aber dazu beitragen können diese Minderheit zu stigmatisieren. Zusammenfassend ist nicht alles, was nicht verboten ist, auch redlich—es gibt schliesslich auch eine moralische, ethische Verantwortung im gegenseitigen Umgang miteinander gerade in Bezug auf die Fremdenfeindlichkeit. Gerade in diesen Fällen gilt es, die Autoren und die Öffentlichkeit darauf zu sensibilisieren.

Angesichts der vielen fremdenfeindlichen Online-Kommentare. Können überhaupt alle Anzeigen behandelt werden?
Obwohl es sich bei der Rassismusstrafnorm um ein Offizialdelikt handelt—bei Kenntnis eines Sachverhaltes muss also die Polizei beziehungsweise die Staatsanwaltschaft eine genauere Prüfung vornehmen—gehen die Strafverfolgungsbehörden ohne Anzeige nur in den seltensten Fällen gegen rassistische Beiträge im Internet vor.
Wenn in einem konkreten Fall der Anzeige die relevanten Informationen und Beweise mitgeliefert werden, welche eine Beurteilung des Falles und die Identifikation der Täter erleichtern, kann erfahrungsgemäss besser und rascher darauf eingegangen werden. Neben den Anzeigen ist es deshalb auch wichtig, dass die Präventionsarbeit gestärkt wird und die Nutzer und auch allgemein die Öffentlichkeit auf die Folgen von rassistischen Beiträgen sensibilisiert werden.

Wenn ihr bei der Anzeige Hilfe braucht, meldet euch bei Sebastian.

Sebastian findet ihr auch auf Twitter: @nitesabes

Ebenso wie VICE Schweiz: @ViceSwitzerland