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So denken Ausländer darüber, dass sie in der Schweiz nicht wählen dürfen

Jeder vierte Bewohner der Schweiz hat keinen rot-weissen Pass und darf darum nicht wählen.
Titelbild: Wahlrecht für Alle

Den grundlegenden Unterschied zwischen einem Schweizer und einem Ausländer kann man nicht an seiner Hautfarbe oder seiner Herkunft ablesen, sondern daran, welche Rechte er hat. Schweizer dürfen etwa wählen, Ausländer nicht. Sie müssen sich dafür zuerst einbürgern lassen. Erst dann steht ihnen frei, ob sie zu den 49 Prozent der Schweizer gehören wollen, die tatsächlich wählen gehen—oder eben nicht.

In manchen Kantonen—wie etwa Jura oder Freiburg—können zwar auch Ausländer auf Gemeinde- und teilweise auch Kantonsebene mitbestimmen. Bei den Nationalratswahlen im kommenden Oktober aber darf jeder vierte Bewohner der Schweiz nicht wählen gehen, weil er keinen Schweizer Pass hat. Ich habe bei drei Ausländern nachgefragt, was sie davon halten.

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Roel, 25:

VICE: Stört es dich, dass du nicht wählen darfst?
Roel: Stören ist das falsche Wort, aber manchmal finde ich es schade. Mein politisches Interesse hält sich in Grenzen. Möglicherweise eben, weil ich ja keinen Einfluss darauf nehmen kann. Trotzdem gibt es Themen bei denen ich gerne mitbestimmen würde. Oft geht es ja auch um Pflichten, die mich ebenfalls betreffen.

Welche politischen Themen interessieren dich?
Besonders das Thema Ausländerpolitik interessiert mich, da mich das mehr betrifft, als die Menschen, die darüber entscheiden.

Foto: Wahlrecht für Alle | Flickr | CC BY-SA 2.0

Findest du, dass die Schweiz das Ausländerstimmrecht einführen sollte?
Ja, jedoch mit Einschränkungen. Ich bin nicht der Meinung dass jede/r in der Schweiz abstimmen dürfen sollte. Nur diejenigen, die schon seit fünf oder zehn Jahren dauerhaft hier leben—oder wie ich, ihre ganze Kindheit hier verbracht haben und das Land auch als ihre Heimat sehen. Obwohl ich meinen Geburtsort nur als Ferienort kenne, habe ich in der Schweiz keine Möglichkeit auf die politischen Fragen Einfluss zu nehmen, die mich genauso betreffen wie alle „richtigen" Schweizer. Das Beherrschen der Landessprache sollte jedoch Voraussetzung sein, um mitreden zu dürfen.

Wenn du könntest, was würdest du an der schweizerischen Ausländerpolitik ändern?
Die Ausschaffungsinitiative finde ich grundsätzlich keine schlechte Idee. Schlussendlich ist man als Ausländer immer noch Gast in diesem Land. Ob es aber sinnvoll ist, die Auszuschaffenden zuerst hier in ein Gefängnis zu stecken und dann erst auszuschaffen, darüber lässt sich streiten. Zudem sollte etwas klarer definiert werden, ab wann es zur Ausschaffung kommen soll.

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Loris, 26:

VICE: Stört es dich, dass du nicht wählen darfst?
Loris: Ja. Ich bin politisch sehr interessiert. Dementsprechend beschäftige ich mich auch mit der Schweizer Politik. Sich mit etwas zu beschäftigen, bei dem man nicht mitbestimmen kann, ist scheisse.

Welche politischen Themen interessieren dich?
Vor allem gesellschafts- und sozialpolitische Fragen. Wieso werden etwa Ausländer, Muslime oder Homosexuelle noch immer diskriminiert? Wieso flüchten sich so viele Menschen in die Angst-Propaganda der SVP

Foto: Wahlrecht für Alle | Flickr | CC BY-SA 2.0

Findest du, dass die Schweiz das Ausländerstimmrecht einführen sollte?
Da wäre ich dafür, ja. Wieso sollten Menschen, die einerseits auch Steuern zahlen und andererseits genauso von politischen Entscheiden betroffen sind wie jene, die wählen und abstimmen dürfen, nicht mitbestimmen? Das ist nicht nur undemokratisch, sondern auch alles andere als zeitgemäss.

Wenn du könntest, welcher Partei würdest du dich am ehesten anschliessen?
Ich tu mich mit Parteipolitik grundsätzlich schwer. Am ehesten aber der SP oder der AL.

Mathias, 39:

VICE: Stört es dich, dass du nicht wählen darfst?
Mathias: Natürlich stört mich, dass ich in dem Land, in dem ich seit 7 Jahren lebe und Steuern zahle, nicht wählen darf. Ich habe quasi die gleichen Pflichten wie jemand mit einem Schweizerpass, aber nicht die gleichen Rechte.

Foto: Wahlrecht für Alle | Flickr | CC BY-SA 2.0

Findest du, dass die Schweiz das Ausländerstimmrecht einführen sollte?
Auf jeden Fall! Und wenn, dann mindestens auf Gemeinde- und Kantonsebene. Wer Steuern zahlen muss und am gesellschaftlichen Leben in der Schweiz teilnimmt, sollte auch eine Stimme haben.

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Wenn du könntest, welcher Partei würdest du dich am ehesten anschliessen?
Ich glaube, ich würde mich der SP oder den Grünen anschliessen. Die Linke in der Schweiz hat sich in den letzten Jahren zu sehr das Agenda-Setting von den Rechten diktieren lassen. Das würde ich ändern.

Wenn du könntest, was würdest du an der schweizerischen Ausländerpolitik ändern?
Ich würde mehr Ausländer in der Schweiz aufnehmen, für eine bessere Integration und ein damit verbundenes Bleiberecht sorgen. Und für die erleichterte Einbürgerung für alle, die dies wollen.

Die Antworten, die die Befragte mir gegeben haben, sind also klar: Sie wollen, dass Ausländer mitbestimmen dürfen. Mal mit mehr, mal mit weniger Einschränkungen. Ich verstehe das. Ich bin selbst eingebürgerte Ex-Ausländerin und weiss, wie es sich anfühlt, in der Politik ausgegrenzt zu werden. Und ich finde es auch nicht fair, die Stimme von jemandem nur nach seinem Pass zu bewerten. Jeder, der möchte, sollte sich politisch engagieren dürfen, egal ob er oder sie aus Syrien, Italien oder Deutschland kommt. Wer in der Schweiz lebt, sich hier zu Hause fühlt und Steuern zahlt, hat auch das Recht, beim öffentlichen Leben mitzureden.

Auch die Ängste der bürgerlichen Parteien sind unbegründet. Von den eingebürgerten Schweizern—also den Ex-Ausländern—wählen 22 Prozent die SVP. Ausländer sind auch nicht zu dumm oder zu faul, um sich einbürgern zu lassen. Viele können es sich schlichtweg nicht leisten: Ein Schweizer Pass kostet mehr als 2000 Franken. Wir leben in einem demokratischen Land. Seit wann haben nur jene das Recht auf Demokratie, die sie sich auch leisten können?

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Sascha auf Twitter: @saschulius

Vice Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland


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Wahlrecht für Alle

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