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So ist es, wenn man wie einer der größten Nazis der NS-Zeit heißt

Seit mich eine Holocaust-Überlebende darauf angesprochen hat, frage ich mich: Soll ich meinen Namen ändern?
Adolf Hitler mit seinem Minister und „Paladin" Hermann Göring | Foto: imago | Arkivi

Adolf Hitler mit seinem Minister und „Paladin" Hermann Göring | Foto: imago | Arkivi

„Do people ask about your name?", fragte mich vor zwei Wochen eine ältere Dame in Israel. Rena hatte ein paar Kollegen und mich abends zu sich nach Hause eingeladen, war perfekt frisiert, sprach breites Amerikanisch, und war die fitteste 80-Jährige, die ich je gesehen hatte. Sie hat den Holocaust überlebt. Ich heiße Göring.

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An diesem Abend erzählte sie uns ihre Geschichte. Aber weil wir Deutsche sind und sie Jüdin, ging es dabei auch um unsere. Umso mehr wegen meines Namens. Göring. Wie Hermann Göring. Zweiter Mann im Reich, Chef der Luftwaffe, Gestapo-Gründer-Göring. Hitlers „Paladin", wie der ihn merkwürdig zärtlich nannte. Übler-Nazi-Göring.

Nein, nicht verwandt. Das sage ich immer, wenn ich mich jemandem vorstelle und das Zögern meines Gegenübers eine Millisekunde zu lange anhält, die Augen etwas zu sehr in meinem Gesicht forschen. In Thüringen, wo ich herkomme, ist das kein ungewöhnlicher Name. Da gibt es eine ganze Reihe Görings und Göhrings, Gerings und Dörings. Meinen Großeltern väterlicherseits habe ich problemlos abgekauft, dass ihre tief bäuerliche Sippe nichts mit der Juristen- und Politikerfamilie zu tun hat, aus der Hermann Göring stammte.

Trotzdem fühlte ich mich schlecht, als Rena sagte: „I wasn't sure if I should invite someone with that name into my house."

Heute ist es zum Glück nicht mehr so wie im Geschichtsunterricht. Ab Klasse 7 gab es einmal im Jahr diesen Moment, wenn vorn an der Tafel die Lehrerin mit den Namen Hitler, Goebbels, Himmler und Göring jonglierte—und sich 29 Köpfe in meine Richtung drehten.

Danach hatte ich lange Zeit Ruhe. Im Studium reden sich die Leute mit Vornamen an und im Ausland kennt man Hermann Göring nicht. Erst seit ein paar Jahren wird mir mein Nachname wieder bewusster, was natürlich mit meinem Job als Journalistin zu tun hat. Dabei treffe ich die unterschiedlichsten Menschen, viele davon haben mit Politik zu tun. Ihre Reaktionen sind subtiler als die im Klassenzimmer damals. „Ich pack' den Namen nicht", habe ich genau einmal gehört. Meistens ist es ein kleines Stutzen oder die Frage: „Mit oder ohne H?" Die Mutigeren hängen dann noch dran: „Achso, wie …" Genau, wie der.

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Als Rena mich dann fragte, wieso ich meinen Namen nicht ändern lasse, hatte ich keine Antwort.

In Wahrheit fände ich es sogar ganz schön, anders zu heißen. Besonders hübsch ist Göring wirklich nicht. Es würde vieles einfacher machen. Und damit meine ich nicht, dass manche Dienste und Provider goering nicht als zulässigen Benutzernamen anerkennen, so wie GMX und Web.de.

Es wäre nicht einmal kompliziert. Mit einem Nazi-Namen und dem Berufsstand Journalist könnte ich die deutschen Behörden wahrscheinlich schnell überzeugen. Oft habe ich darüber nachgedacht und die Namen meiner liebsten Schriftsteller und Philosophen anprobiert. Ich könnte auch den meines Freundes annehmen. Marlene Kruse, das klingt doch. Aber heiraten finden wir beide eher so semi-toll. Und unverheiratet mit demselben Nachnamen? Das würfe Fragen auf, die auf eine ganz andere Art unangenehm sind.

Es spricht nichts dagegen, dass ich mir einen Perso mit neuem Namen zulege. Gut, da ist meine Familie. Es wäre schon komisch, ihnen zu erklären: Also Leute, wenn ihr ab jetzt Postkarten schreibt, dann bitte an Marlene Enzensberger, denn Göring ist voll Nazi. Nur habe ich mich bisher wenig darum gekümmert, was die Mischpoke davon hält, wie ich mein Leben lebe. Also kein Grund hier.

Während die Hitlers und die Goebbelse Deutschlands ihre Namen geändert haben, blieben die sturen Thüringer Görings (im Spreewald soll es auch welche geben). Allerdings habe ich keinerlei Heimat- oder sonstige Gefühle, die mich besonders an meine Abstammung binden. Noch dazu bin ich eine Mogelpackung—hinter Marlene Göring, dem deutschesten aller Namen, steckt eine Halbrussin.

Wieso heiße ich bloß immer noch so?

So richtig weiß ich das selbst nicht. Nach all den Jahren habe ich mich an das Stutzen und Nachfragen gewöhnt. Und auf eine verquere Art hat es auch etwas Gutes, dass der Name an seinen Träger erinnert. So bleibt nichts anderes übrig, als sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.

Also bleibe ich weiter Marlene Göring. Außer, mir fällt doch noch ein guter Grund dagegen ein.