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So fühlt es sich an, Depressionen mit Magic Mushrooms zu behandeln

Wir haben uns mit einer Probandin und dem verantwortlichen Wissenschaftler über die sogenannte Mikrodosierungsmethode mit Psilocybin unterhalten.

Eine Handvoll Magic Mushrooms | Foto: semilanceata | Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Als Sue* mich begrüßt, strahlen ihre Augen vor Freude und sie lächelt freundlich. Sie schüttelt mir die Hand und redet beim Hinsetzen ganz angeregt von ihrem Weg zu unserem Treffen. „So viel Energie hatte ich schon seit Jahren nicht mehr", erzählt sie. „Eigentlich war es eher das genaue Gegenteil. Aber jetzt haben sich meine Stimmung, meine Energie und meine Lebensauffassung zum Besseren gewendet. Und das alles nur dank psychoaktiver Pilze? Irgendwie ist das Ganze schon fast zu schön, um wahr zu sein, aber es scheint nun mal zuzutreffen."

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Als die heute 35-jährige Sue 25 Jahre alt war, litt sie zum ersten Mal an schwerwiegenden Depressionen. Damals war sie total perplex, weil der „schwarze Hund" ganz plötzlich erschienen ist. „Ich kannte meine bedrückte Stimmung natürlich schon aus meiner Jugend", erzählt Sue. „Aber das war nichts im Vergleich zu diesen neuartigen und unerwarteten Schmerzen. Depressionen lassen sich nur schwer erklären, aber ich fühlte mich wie tot—nichts als Dunkelheit." Sue konnte nicht mehr schlafen und hatte bei ihrer Arbeit als Forschungs-Analytikerin schwer zu kämpfen. „Ich weinte immer auf der Toilette, war total hoffnungslos und innerlich zerbrochen", meint sie.

Sues erster ernsthafter Depressionsanfall hielt ein Jahr an und selbst als der Schub vorbei war, fühlte sie sich die meiste Zeit immer noch wie am Boden zerstört: „Ich konnte jedoch eine gute Miene aufsetzen und erzählte mit Ausnahme meines Arztes niemandem von meinem Zustand." Wie so vielen anderen wurden auch Sue Antidepressiva verschrieben: „Die Medikamente stoppten das Weinen und machten mich gefühllos. So konnte ich die Risse viel einfacher mit SSRIs [ein Medikamenten-Typ, der bei der Behandlung von schweren Depressionen und Angstzuständen oft zum Einsatz kommt] überdecken."

Anfang dieses Jahres haben sich Sues Depressionen trotz einer höheren SSRI-Dosis wieder verschlimmert. „Ich habe ständig angestrengt über negative Dinge nachgedacht", erzählt sie und fügt dann hinzu, dass sie es sowohl mit Achtsamkeitstraining als auch mit einer Therapie probiert hat. Beides half ihr ein bisschen, aber die Schmerzen „waren immer noch da."

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Dank eines glücklichen Funds im Internet kam Sue mit zwar noch in den Kinderschuhen steckenden, aber trotzdem bahnbrechenden Forschungen zum Thema „Mikrodosierung", also dem Einnehmen von kleinen Mengen an Psilocybin (das Halluzinogen von psychoaktiven Pilzen) zur Minderung von Depressionen, in Berührung. „Ich las einen Artikel über Forschungen, bei denen MDMA gegen Depressionen eingesetzt wurde. Ich habe zwar schon wilde Jahre durchlebt und dementsprechend auch Erfahrungen mit Partydrogen gemacht, aber Pilze hatte ich trotzdem schon seit Jahren nicht mehr in der Hand gehabt", erklärt Sue.

Dr. James Fadiman

Sue war in Internet-Foren aktiv, wo ständig über Mikrodosierung geredet wurde. Dort stieß sie auch auf den Wissenschaftler James Fadiman, der einen breitgefächerten Lebenslauf vorweisen kann: Er war schon Unternehmensberater, hat das Buch The Psychedelic Explorer's Guide geschrieben und ist Mitbegründer der kalifornischen Sofia University. Inzwischen ist Fadiman schon 76, aber in seinen jüngeren Jahren war er Teil von Menlo Park, einem im Kalifornien ansässig gewesenen Forscherteam, das sich in den 60er Jahren mit dem Konsum von Psychedelika auseinandergesetzt hat.

„Wir haben unseren Probanden zu therapeutischen Zwecken und zur kreativen Problemlösung hohe Dosen an LSD verabreicht. Damit waren wir vorher bei niedrigen Dosen schon sehr erfolgreich gewesen", erzählt er mir. „Die Leute hatten hohe Erwartungen an LSD—zum Teil auch, weil dessen Aufbau dem Serotonin-Molekül ähnelt, das für unsere Stimmung verantwortlich ist."

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Damals war LSD tatsächlich die am meisten erforschte psychiatrische Droge der Welt, denn man befasste sich in über tausend Studien mit dem Mittel. 1968 stufte die US-Regierung LSD jedoch als „Schedule 1"-Droge ein—also ohne medizinischen Nutzen und mit hohem Suchtpotenzial. Damit wurde LSD illegal und 60 unterschiedliche Projekte mussten auf Eis gelegt werden. Im Grunde waren so auch die Forschungen von Menlo Park gesetzeswidrig.

Aber Fadimans Interesse am therapeutischen Nutzen von Psychedelika ist vier Jahrzehnte später immer noch ungebrochen.

„Vor ungefähr fünf Jahren erzählte mir ein Freund davon, dass er die Mikrodosierung ausprobiert hätte", erzählt mir Fadiman und bezieht sich damit auf die Einnahme einer psychedelischen Substanz in kleinen Mengen. „Albert Hofmann, der [schweizer] Chemiker und LSD-Entdecker, war ein Befürworter und legte ihm nahe, es zu probieren. Ich hatte jedoch keine Ahnung, wovon er da eigentlich redete. Die psychedelischen Forschungen, in die ich involviert war, waren voll mit verrückten Wahnvorstellungen und spirituellen Erfahrungen. Aber dann gab es da plötzlich diese Mikrodosierung. Das machte mich neugierig. Heutzutage betreibe ich keine ‚Forschung' mehr, ich ‚suche' jetzt. Dabei geht es nicht um eine von meinen Kollegen beurteilte wissenschaftliche Abhandlung. Ich habe einfach meine Bekannten, die sich Zugang zu Psychedelika verschaffen können, gefragt, ob sie daran interessiert wären, diese kleinen Dosen zu sich zu nehmen. So bin ich zu meiner Methode gekommen."

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Fadimans Plan sieht Folgendes vor: Alle Teilnehmer, denen bereits psychedelische Mittel zur Verfügung stehen, nehmen einen Monat lang alle vier Tage eine Mikrodosierung zu sich und schreiben auf, wie sie sich fühlen. Eine Mikrodosierung liegt dabei zwischen einen Zehntel und einem Zwanzigstel einer normalen Dosis. „Wenn mir jemand berichtetet hat, dass er oder sie die psychedelischen Auswirkungen trotzdem spürte, dann wies ich diese Person an, die Dosis noch weiter zu senken. Halluzinationen sollen nämlich keine auftreten, nicht mal ganz schwache", meint Fadiman.

Das Ganze verbreitete sich wie ein Lauffeuer und die Leute fingen an, Fadiman um Informationen zum Thema Mikrodosierung zu bitten. „Viele Menschen schrieben mich an und meinten, dass sie großes Interesse hätten. Ein junger Mann wollte zum Beispiel wissen, ob ihm die Methode dabei helfen könnte, weniger zu stottern. Das hat sie dann auch", erzählt der Wissenschaftler. „Ein anderer hat mit dem Rauchen aufgehört."

Bis jetzt hat Fadiman ungefähr Hundert Erfahrungsberichte gesammelt und es werden täglich mehr. „Nach einem Monat erkundige ich mich dann immer erneut bei meinen Probanden", erklärt er. „Die Leute erzählen mir immer davon, dass die Mikrodosierung quasi alles ein bisschen verbessert, was man so macht. In einem Erfahrungsbericht wurde das Ganze auch als „Chakra-Verbesserer" bezeichnet. Mir wird immer wieder gesagt, dass die Methode wunderbar funktioniert—aufgrund der vergleichsweise kleinen Dosen wird zwar die Stimmung beeinflusst, das Verhalten jedoch nicht."

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Obwohl er sich nicht speziell mit Depressionen beschäftigt hat, haben mehrere Forschungsteilnehmer gegenüber Fadiman davon gesprochen, dass die Mikrodosierung ihre trübe Stimmung gehoben hätte. In den Foren findet man viele solche Erzählungen und genau so ist Sue auch auf Fadiman gestoßen. „Ich habe James kontaktiert und er hat mir daraufhin seinen Plan zukommen lassen. Meine Neugierde war geweckt und ich fragte einen Freund, der ein paar psychoaktive Pilze zu Hause hatte, ob ich davon etwas abhaben könnte", erzählt sie.

Eine von Sues Mikrodosen

Sue zerrieb die Pilze und fing an Tag Eins mit einem Viertel Teelöffel an. „Ich spürte einen minimalen Effekt, nur ein kleines Stimmungshoch. Mehr nicht", erinnert sie sich. „Ich hatte plötzlich wieder Energie und blieb den ganzen Nachmittag über wach. Das war bei meiner kaum vorhandenen Kraft schon ziemlich außergewöhnlich."

Der Effekt an Tag Zwei überraschte Sue dann aber doch sehr: „Ich war begeistert. Meine zwanghaft negative Denkweise hörte einfach so auf. Selbst als ich über etwas Negatives nachdenken wollte, ging das einfach nicht. Meine negativen Gedanken waren wie verschwunden."

Sue ist aber nicht die einzige Teilnehmerin, die enorme Auswirkungen verspürt. Ein Proband, der an Parkinsons leidet, berichtete zum Beispiel davon, dass sich zwar die Symptome seiner Krankheit nach einem Monat voller LSD-Mikrodosen nicht gebessert hätten, seine unterschwelligen Depressionen jedoch schon. „Mir lag auch ein Erfahrungsbericht eines Mannes vor, der an so schweren Depressionen litt, dass er komplett arbeitsunfähig war", sagt Fadiman. „Er fing mit der Mikrodosierung an und war mehrere Wochen lang laut eigener Aussage wieder funktionsfähig und brachte sein Leben auf die Reihe. Dann hatte er jedoch keine psychedelischen Substanzen mehr zur Verfügung und sein Zustand verschlechterte sich wieder. Wir wissen, dass das Ganze bei leichten Depressionen hilft, aber die Geschichte dieses Mannes zeigt uns dann auch noch ein paar andere Dinge auf."

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Zwar scheint die bisherige Forschung anzudeuten, dass die Mikrodosierung viele Vorteile hat, aber ein paar von Fadimans Probanden haben auch von unangenehmen Nebenwirkungen berichtet. Der Wissenschaftler warnt, dass seine Methode nicht für jedermann geeignet ist. Auch Sue hat schon eine Erfahrung gemacht, die sie laut eigener Aussage bei der Dosierung noch vorsichtiger werden ließ. „Ich habe eine neue Ladung probiert und dabei die gleiche Dosis wie immer konsumiert. Leider war das Ganze stärker und ich fühlte mich wie im Rausch—sehr unangenehm", erzählt sie. „Hier geht es nicht darum, Drogen zum Vergnügen zu nehmen."

Obwohl Psychedelika nicht dafür bekannt sind, abhängig zu machen, frage ich Fadiman trotzdem, ob in diese Richtung irgendeine Gefahr besteht, wenn man regelmäßig Mikrodosen zu sich nimmt. „Es ist unwahrscheinlich, dass irgendjemand von diesen Substanzen körperlich abhängig wird, denn sie machen grundsätzlich nicht süchtig", erklärt er mir daraufhin. „Wenn man jeden Tag das gleiche Psychedelikum nimmt, dann funktioniert das so nicht mehr."

Fadiman ist auch nicht der einzige Wissenschaftler, der an den therapeutischen Eigenschaften von Psilocybin interessiert ist. Da die kulturellen Beschränkungen so langsam gelockert werden, setzt man sich in einigen neuen Studien jetzt mit größeren Dosen und Depressionen auseinander. Eine Studie hat dabei gezeigt, dass Gehirne unter dem Einfluss von Psilocybin eine andere Verbindung zwischen einigen kortikalen Bereichen aufweisen—genau das könnte negative Denkmuster chemisch verhindern. Ein Forschungsteam des Imperial College London untersucht unter der Leitung von Professor David Nutt außerdem gerade die möglichen Auswirkungen von Psilocybin auf behandlungsresistente Depressionen.

Ist die Mikrodosierung als Depressions-Helfer langfristig gesehen allerdings genauso erfolgreich wie auf kurze Sicht? Das kann Fadiman mit den ihm derzeit vorliegenden Daten nicht sicher sagen. Es müssen erst noch weitere offizielle wissenschaftliche Studien zu diesem Thema durchgeführt werden, bevor man hierzu sichere Aussagen treffen kann. Aber man bekommt von Freunden im Bezug auf etwas greifbarere medizinische Probleme ja auch oft irgendwelche Hausmittelchen—die Mikrodosierung ist da gar nicht mal so unähnlich, sie bezieht sich eben bloß auf den geistigen Zustand.

Sue hat gerade ihren ersten Monat voller Mikrodosen hinter sich und meint, dass sie bereits ihren ebenfalls an Depressionen leidenden Freunden von ihren Erfahrungen erzählt hat. „Durch diese Methode wurde mir wirklich geholfen", meint sie. Sie will mit der Mikrodosierung auch so lange wie möglich weitermachen.

„Mikrodosierung und Antidepressiva kann man gar nicht miteinander vergleichen", erklärt Sue und fügt hinzu, dass sie ohne Absprache mit ihrem Arzt ihre SSRIs zwar nicht absetzen wird, aber dennoch von folgender Aussage fest überzeugt ist: „Antidepressiva haben bei mir noch nie gewirkt. Die Mikro-Dosierung jedoch schon. Ich kann mir das gar nicht richtig erklären. Es ist mir ehrlich gesagt aber auch ziemlich egal, denn ich fühle mich seit Jahren zum ersten Mal wieder vollkommen und zufrieden."

*Name wurde zur Wahrung der Anonymität geändert

Falls du dir um deine eigene psychische Gesundheit oder um die eines geliebten Menschen Sorgen machst, dann findest du hier Hilfe sowie weiterführende Informationen.