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The Fiction Issue 2013

Sohn & Ball

Die Geschichte einer Mutter, die langsam merkt, dass ihr Sohn ein tumber Fußballtrottel geworden ist. Eine Kurzgeschichte von Sibylle Berg.

Wie das ist, auf einmal jemanden, den man geboren hat, nicht mehr zu kennen. Sich klar zu werden, dass man niemanden kennen wird, jemals, auch wenn der jemand aus einem gekrochen ist. Einsamkeit ist ein Schicksal, das keiner vermeiden kann. Mag sein, das Unverständnis resultiert aus dem Älterwerden. Man will da nicht mehr jeden Quatsch verstehen müssen. Mir war nie klar, was daran so schrecklich sein soll, am Alter. Frustrierte Frau um die 50, Verfall, Körper, die nicht mehr begehrt werden, so ein Zeug liest man ja dauernd, und ich sage: Ich möchte bitte sehr von keinem mehr begehrt werden. Was habe ich in meiner Jugend darunter gelitten, unter all diesen Männern, die sich paaren wollten. Andauernd. Überall. Und zwar mit mir! Es hat sie nie interessiert, dass eine Frau nicht angesprochen werden will, zu jeder unpassenden Gelegenheit. Immer diese Anspannung, sich unsichtbar machen zu wollen. Mich hat Biologie und Evolution nie besonders interessiert. EVOLUTION GEHT MIR AM ARSCH VORBEI! Man kann sich dem biologischen Programm durchaus hingeben, mir erscheint das allerdings zu einfach. Die großartigen Freuden der Sexualität haben sich mir nie erschlossen, ich fand es immer ein wenig unwürdig, einen Mann in mir stecken zu fühlen, seine Grimassen zu beobachten, seinen Schweiß auf meiner Haut. Vielleicht bin ich nicht so unbedingt der sinnliche Typ. Mir war eine gute Freundschaft immer wichtiger als flüchtige, auf Vermehrung und Hormonen basierende Beziehungen. Dass ich ein Kind bekam, war eher meiner Unbedarftheit geschuldet. Ein ungeschützter Verkehr, weil ich nicht recht wusste, wie ich sagen sollte, dass mir jeder über bloßes Handhalten hinausführende Kontakt zu viel war. Ich war keine schlechte Mutter, denke ich, obwohl mir eigentlich alles Mütterliche abgeht. Zum Erziehen tauge ich nicht. Ich habe das Kind, das von einem Baby zu einem Jungen wurde, und alles an ihm zu lang und zu rot, sehr lieb. Gehabt. Wie man einen Menschen eben lieb hat, mit dem man familiär verkehrt. Er war lange Zeit still und freundlich, mein Sohn, er las viel und konnte normalen Jungenssachen nicht viel abgewinnen. Das war mir nicht unangenehm, denn falls das noch nicht deutlich genug geworden ist: Ich verachte Männer ein wenig. Nicht sehr, es ist kein Hass, ich habe Mitleid mit den meisten Menschen, mit Männern und ihrem Getriebensein fast noch mehr als mit Frauen oder Kindern. Es fällt mir einfach schwer, einen Mann, der sich seinem Geschlechtstrieb so unterwirft, wie die meisten Männer es tun, ernst zu nehmen, ihm gar Verantwortung zu übertragen. Es gibt durchaus Männer, die zu großen wissenschaftlichen oder künstlerischen Leistungen fähig sind, wahrscheinlich sind sie Produkte traumatischer Ereignisse in der Jugend, die ihnen einen Zugang zu beiden Gehirnhälften ermöglichen, doch in fast allen mir bekannten Fällen richten sie sich mit Drogen oder zu großer Eitelkeit zugrunde. Es war mir also ein Schock zu realisieren, dass mein Junge sich wie über Nacht veränderte. Das ist ein paar Jahre her. Mit 16 begann er Fußball zu trainieren, sein Zimmer mit hässlichen Pkws zu tapezieren, und er redete nur noch in Ein-Silben-Sätzen. Alle Bücher verschwanden aus seinem Zimmer, und mit ihnen unser Kontakt. Der Junge ist jetzt 20. Er ist zu dem Geworden, was ich am meisten hasse. Ich habe ihm nie etwas vorgeschrieben, nie etwas verboten. Das Umfeld, das ihn hätte prägen können, wäre ein Mensch von so etwas wie sozialer Umgebung prägbar, war leise, roch gut, bestand aus Büchern, Kunst, gemütlichen Sonntagen auf dem Bett mit Fernsehen und Sushi, bestand aus Reisen, Kontakten zu weltoffenen Menschen verschiedenster Religionen und Ethnien. Vielleicht ist sein derzeitiger Zustand eine Trotzphase, eine Art Rebellion, doch der Tiefe und Ernsthaftigkeit seines Gebarens nach, steht eher der traurige Schluss zu vermuten, dass er zu dem wird, was ein Mann in seiner Reinform ist, und was sich auch unter dem Kostüm der Geilheit nicht recht verbergen lässt. Ein Affe auf zwei Beinen. Seit der Veränderung meines Kindes, ich weiß nicht einmal mehr genau, wie ich ihn nennen soll, mein Kind zu sagen, erscheint mir falsch, es ist weder etwas Kindliches an ihm, noch etwas MEIN—ist mir in meiner Wohnung unwohl. Alles riecht nach Schweiß, soviel ich auch lüften mag, überall, so scheint es mir, liegen feuchte Socken und diese klumpenförmigen Turnschuhe, die nur eine Botschaft ausstrahlen: Ich, der Träger, bin ein Idiot. Wenn ich früher von der Arbeit nach Hause kam, hatte meine Wohnung diese Atmosphäre, die man aus amerikanischen Kitschfilmen kennt. Es war golden und es schien immer Kuchen frisch gebacken und ein Kaminfeuer zu brennen. Dergestalt behaglich war es, dass ich meistens unbewusst tief durchatmete. Mein Kind roch nach Vanille und Backpulver. Öffne ich jetzt meine Wohnungstür, ziehe ich die Schultern automatisch nach oben, meine Verspannung ist so körperlich, dass ich seit Jahren keinen Tag ohne Kopfschmerzen erlebt habe. Entweder kommt aus dem übelriechenden Knabenzimmer dummer, deutscher Hip Hop, oder Musik aus den Charts. Ich hätte auch gehofft, dass mein Kind einen etwas eigenständigeren Musikgeschmack entwickeln würde. Als ich ihm vor einem Jahr Piere Ubu und eine finnische Experimentalband vorspielte, schaute er mich mit derart dumpfem Blick an, dass ich mir gewünscht hatte, ich würde dieses picklige unförmige Wesen weder kennen, geschweige denn mit ihm verwandt sein.

Also, manchmal ist er auch nicht da, wenn ich heimkomme. Ich finde in der Küche dann nur halbangefressene Pizzen, Coladosen auf dem Fußboden und Kippen in Joghurts, mich zu entspannen ist mir auch dann nur bedingt möglich. Denn ich weiß, irgendwann wird er heimkommen, mit stechend riechenden Trikotagen, die er in der Flur wirft, mit gelb riechenden Schuhen, die vermutlich in der Badewanne landen. Ich hasse mein Leben. Ich hasse Fußball. Am Anfang hatte ich ihn ein paar Mal begleitet, zu Spielen. Ich hasse jede Art von sportlicher Ertüchtigung, all diese mittelmäßigen Menschen, die ihre mittelmäßigen Körper schinden, um dem Leben ein Jahr mehr abzutrotzen, doch soweit denken sie nicht. Sie glauben unsterblich werden zu können, wozu, wozu. Wozu sollten gerade die Menschen, die Sport treiben, die fadeste Sorte, überleben, für immer, und wer möchte in so einer Welt dann noch zu Hause sein. Ich verachte Mannschaftssport, Wettkämpfe, Vater Jahn, Olympiaden, diese Ersatzschlachten des Neuzeitmenschen, diese Zurschaustellung von Fleiß, Disziplin, gesunder Ernährung und grenzenloser Dummheit. Nicht umsonst werden viele Sportler Berufssoldaten, oder umgekehrt. Wo war ich stehen geblieben? Das Fußballspiel, das ich mit meinem eigenen Kind zu beobachten das Vergnügen hatte, war ein dumpfes Rennen pubertierender Jungmänner, die Gesichter zornrot, schreiend, schwitzend, fallend, sich prügelnd. Sicher kann man einwenden, Frauen fehle der Sinn für dieses hochartifizielle Spiel. Drauf geschissen sage ich. Geht doch Panzer fahren ihr Idioten, geht euch erschießen und vergewaltigt ein wenig, geht am besten alle nach Afghanistan und trainiert mit Bin Laden. Sprengt euch in die Luft im Anschluss. Von ein paar unterbelichteten Frauen abgesehen, geht der Großteil des Leides, das auf dieser Welt anderen zugefügt wird, von pubertierenden Männern aus. Tickende Testosteronbomben. Fußball ist natürlich ein hervorragender Sport, um Männer möglichst lange in diesem Zustand zu halten. Ich bin mir nicht ganz sicher, was da biochemisch abläuft, aber es hat mit Hormonen zu tun, die vermehrt bei der Ausübung bestimmter Sportarten ausgeschüttet werden. Kurz: bei diesem ersten Spiel oder Training oder weiß der Geier, das ich sah, bei dem ich mein ehemaliges Kind sah, passierte es. Ich sah dieses zornige Tier über den Rasen toben, und fühlte nichts mit ihm gemein. Ich bin schlau genug, die Entwicklung, die Fehlentwicklung meines Jungen nicht ausschließlich dem Fußball zuzuschreiben, doch hat der Sport sicher einen größeren Einfluss, als ich es 16 Jahre gehabt habe. Das gesteht sich keine Mutter, selbst eine, die nie Mutter sein wollte, gerne ein. Manchmal kommen seine Sportsfreunde zu Besuch. Mehrere, ich glaube es sind mehrere, ich kann sie nicht auseinanderhalten. 2 Meter lang und mit leeren dummen Augen starren sie durch mich durch, lagern in meinem Zimmer, lagern in der Küche, pissen auf den Klodeckel, kleben Kaugummis an meine Barcelona Chairs, schauen Pornofilme und betrachten mich, wie man eine Putzfrau ansieht, oder ein Haustier, das sich besser in einem Stall befände. Mein Kind ist 20. Es wohnt bei mir, es hat keine Interessen, außer, Fußball zu spielen, Fußball zu sehen und vermutlich zu onanieren, den zerknüllten Tempotaschentüchern unter seinem Bett zufolge. Er studiert nichts, lernt nichts, arbeitet nichts, er redet nicht mit mir, ich nicht mit ihm, ich wasche seine Wäsche, damit der stinkenden Haufen nicht irgendwann die Wohnung erfüllt, mich erstickt, so träume ich von ihm, in der Nacht. Ich wünschte, er wäre weg. Ich wünschte, ich wäre weg. Ich sitze in meinem Zimmer, angstvoll lauschend, ob er und seine Freunde kommen, mich in Beschlag nehmen, meine Finger spielen mit alten angeklebten Kaugummis, meine Pflanzen, mein Bambus, den ich liebe, geht ein, weil alkoholische Getränke in ihn geleert wurden, manchmal finde ich Erbrochenes an aberwitzigen Orten in der Wohnung. Neben seinen Teamkameraden sind nun auch immer öfter Fußballfans zu Besuch bei, ich wollte mir sagen, stimmt aber nicht. Hooligans mit Springerstiefeln und Bomberjacken drängen in, ich wollte meine sagen, Wohnung, sie bringen Fahnen mit und Bier, sie singen und schauen Fußball, sie singen Fußballlieder—siegreich woll’n wir Frankreich schlagen. Ich möchte den Eingang, ich wollte meiner Wohnung sagen, zumauern, mich einmauern darin, wegziehen. Vielleicht wäre wegziehen eine interessante Alternative, ohne Nachsendeantrag. Mein Sohn ist 20, er spielt Fußball, er lebt Fußball, warum lebt er bei mir? Seit vier Jahren vergiftet er mein Leben, dieser fremde Mann in, nicht mehr meiner Wohnung, dem Ort, wo ich schlafe. Er hatte noch nie eine Freundin, das rieche ich, das sehe ich, wer sollte auch mit ihm zusammen sein wollen, warum? Um Fußball mit ihm zu sehen? Das Training hat er aufgegeben, vor ein paar Monaten, seitdem bekommt er einen Bauch. Mit 20! Er sitzt in seinem Zimmer und sieht Fußball. Irgendein Spiel läuft immer irgendwo, ich schleiche in Bad oder Küche, wenn ich ihn in seinem Zimmer glaube. Ich schließe mich in meinem Schlafzimmer ein, wenn seine Hooliganfreunde zu Besuch sind, jeden zweiten Abend, mithin öfter. Ich uriniere in einen Eimer, weil ich mich nicht ins Bad traue, weil sie betrunken sind, die zwei Meter großen Glatzköpfe, vielleicht sind sie auch drei Meter groß, die durch meine, habe ich meine, Wohnung gedacht?, torkeln, und brüllen, die sich zu schlagen beginnen, die Geschirr zerschlagen. In der Wohnung. Ich habe einen Koffer gepackt. Mit dem Nötigsten. Ich bin leise die Treppen hinuntergestiegen. Das Gas habe ich angelassen. In meiner Wohnung.