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The Holding Court Issue

Stefanie Sargnagel und das VICE

Die Beziehung zwischen VICE und Stefanie Sargnagel läuft nicht immer ganz, wie soll man sagen, reibungslos ab. Also haben wir beschlossen, einfach einmal beide Seiten zu Wort kommen zu lassen.

David Bogner über die wahrscheinlich beste Autorin der Welt

Meine Beziehung zu Steffi Sargnagel als schwierig und konfliktbelastet zu beschreiben, ist eine ordentliche Untertreibung. Vielleicht ist es auch eine Übertreibung, denn eigentlich versteh ich mich mit Steffi ziemlich gut. Das liegt unter anderem daran, dass ich auch gerne Bier trinke, Zigaretten rauche und eine sehr lange Zeit komische Mützen getragen habe. Oder einfach an der Tatsache, dass Steffi eine sehr liebenswerte Person ist, die einfach jeder mögen muss, der nicht Hitler ist.

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Das Problem, das wir miteinander haben, ist rein beruflicher Natur. Begonnen hat alles mit einem Konzertbericht von den Hinichen im Dezember 2011. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie wir damals auf die Idee gekommen sind, Steffi für uns über das Konzert schreiben zu lassen, aber es war einer der besten, dreckigsten und gleichzeitig treffendsten Texte, die ich in meinem Leben gelesen habe.

Seither habe ich Steffi unzählige Male angeboten, sich einer anderen Veranstaltung irgendwo zwischen den Harley-Days und der Cultiva in der Pyramide Vösendorf anzunehmen, was sie mit der Aussicht auf marktunüblich gute Bezahlung auch immer dankend angenommen hat. Dass diese, alles andere in den Schatten stellenden Reportagen nie erschienen sind, liegt an Steffis Integrität, die manche auch Antriebslosigkeit nennen würden. Statt einen halblustigen Text zusammenzubasteln bekomme ich meistens eine Woche nach der Deadline eine Absage wie diese:

die harley days waren ziemlich fad eigentlich…..haben leider nix hergegeben…aber ich werd schaun, dass ich wieder was schreib…neben dem hinichen konzert verblasst leider irgendwie alles..aber ich probiers.

Ich behaupte, es liegt auch an Steffis größtem Hobby, dem Biertrinken, das sie mit einer Passion verfolgt, die man sonst nur von Nonnen und deren Liebe zu Gott kennt. Aber anstatt wie ich in irgendwelchen Clubs zu überteuerten Preisen und oft auch irgendwie nerviger Musik zu trinken, fühlt sich Stefanie Sargnagel an anderen Orten zu Hause. Dass man Steffi öfter im Einhorn als sonstwo trifft, hat wohl auch etwas mit dem Vogerl namens Liebe zu tun, aber in Wahrheit kehrt sie überall gerne ein, solange es in dem jeweiligen Beisl Bier und eine Bank zum sitzen gibt, wie ich unlängst am eigenen Leibe feststellen musste. Und eigentlich ist das auch recht gemütlich.

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Wenn es dann aber doch manchmal mit Texten klappt, würde ich am liebsten mit meinem Computer ein Baby machen, weil ich so verliebt in ihre Reportagen bin. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man glauben, es handle sich um ironische Texte, weil unsere Generation alles aus Angst, tatsächlich Stellung zu beziehen, ironisiert. Das ist ein bisschen so wie die Kategorie „heimliches Lieblingslied“.
Aber was ein paar Leser mit Ironie verwechseln, ist in Wahrheit Steffis außergewöhnliche Fähigkeit, die Dinge beim Namen zu nennen und auf Konventionen, die besagen, was cool ist, einfach zu scheißen. Außerdem ist sie einfach sehr, sehr witzig und nimmt sich selbst nicht so furchtbar ernst.

Das ist vermutlich auch der Grund, warum ich es mir zu Herzen nehme, wenn Steffi das VICE kritisiert, was zum Glück nicht allzu oft passiert, aber wenn, dann poschts ordentlich. Das ist dann auch für mich nicht immer leicht, denn wer wird schon gerne nach neunten Bier, wenn man alle Kräfte bündeln muss um den Körper auch weiterhin mit wohltuendem Alkohol versorgen zu können, wieder wegen eines Dos & Dont's als Faschist beschimpft werden?

Wie dem auch sei, Steffi hat irgendwann angefangen für uns zu schreiben und sie ist eigentlich recht nett zu mir, aber nicht nur deshalb werd ich mich selbstverständlich niemals negativ zu dieser tadellosen Autorin äußern. Im Gegenteil. Stefanie Sargnagel ist die wichtigste österreichische Autorin des 21. Jahrhunderts und wir sind sehr Stolz darauf, ab und zu ihre Texte veröffentlichen zu dürfen und auch von ihr angeschrien zu werden. Gerade erscheint auch ihr erstes eigenes Buch und wir sind aus tiefstem Herzen der Meinung, dass ihr es lesen solltet. Wofür ihr es aber vorher kaufen müsst. Hier zum Beispiel.

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Und jetzt zum eigentlich spannenden Teil: Was Stefanie Sargnagel über das wahrscheinlich beste Magazin der Welt denkt.

Stefanie Sargnagel über das wahrscheinlich beste Magazin der Welt

Ich kannte die sogenannte „VICE“ Zeitschrift lange Zeit überhaupt nicht. Die Entwicklungen am modernen Zeitschriftenmarkt habe ich nie sonderlich verfolgt. Als mein Körper obszöner und mein Gehirn eigenständiger wurden, entdeckte ich, dass es Dinge wie Indiemusik und leiwanden Hip Hop und so was gibt, und kaufte mir dann manchmal die Spex, was sich damals super anfühlte. Also allein das Kaufen. In den darauffolgenden Jahren bin ich dann aber mehr in Kreise geraten, die den ganzen Tag in Parks herumgammelten und Hacky Sack spielten, und hab das Konsumieren ausgesuchter Medien zum großen Teil aufgegeben, weil ich eigentlich jede Minute meiner Schulfreizeit irgendwo im Freien verbrachte. Der grobe Konsens in meinem damaligen Bekanntenkreis bewegte sich im Rahmen von Reggae, Dancehall und Gute-Laune-Hip-Hop. Ich rutschte also von Hamburger Schule auf afrikanische Buschtrommeln ab, die Entdeckung kleiner Designshops und Vintageläden ersetzte ich durch das plötzliche Bedürfnis nach wallenden Ethnoröcken, ungepflegten Haaren und indigenem Fruchtbarkeitsschmuck. Hin und wieder besuchte ich ein Konzert, aber das Geld, das uns unsere Eltern manchmal für einen Kinobesuch zusteckten, haben wir dann doch in die Anlegung angemessener Grasvorräte investiert und ab und zu in einen cremigen McSundae mit köstlicher, warmer Schokosoße oder einen flaumigen, saftigen Donut oder in Bommes.

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Hätte ich damals schon Musiknerds kennengelernt, wäre meine Interessensentwicklung vielleicht anders verlaufen. So vergingen dann die Jahre mehr erlebnis- als konsum-, mehr natur- als kulturorientiert, mehr abenteuerlich als sophisticated. Mein enger Freundeskreis formte sich zu einer Clique halbintellektueller Wachbirnen mit unterschiedlichen Interessen, die man keiner gängigen Subkultur zuordnen konnte, und das Besuchen von Partys beschränkte sich auf Freetekknofestln, die wir halt wie Apotheken benutzten, um sie danach wieder zu verlassen (Musik zu laut zum Reden, 30-jährige Typen, die damit angaben, wie viele „Zuckis“ sie gegessen hätten, viel zu deprimierend) und uns wieder in den Park, eine Wohnung oder ein versifftes Beisl zu setzen. Manchmal gingen wir zu linksradikalen Veranstaltungen, weil’s da immer billig war, und besonders um diese Szene machen Dinge wie modische Innovationen oder aktuelle künstlerische Strömungen einen besonders großen Bogen (Seit gefühlten 50 Jahren dieselbe Musik, dieselben Stilmittel, zum Abschluss gibt’s eine Feuershow, die scheinbar jedes Mal alle wie beim ersten Mal begeistert).

Leute, die unter Ausgehen mehr verstanden als rumzusandeln und Leute kennenzulernen, denen dabei Musik und Style irgendwie wichtig waren, lernte ich erst so mit 17 kennen und kam da immer häufiger mit Szenekids in Kontakt, auch wenn ich mich damit genauso wenig identifizieren konnte wie mit allen anderen Klischees. Das ganze Hipsterding vertiefte sich naturgemäß durchs Kunststudium, aber ich fühlte immer eine innere Zerrissenheit zwischen den schlecht angezogenen, vergrübelten Intellektuellen, die wenigstens nicht cool sein wollen, und den Leuten, die ein Gefühl für ästhetische und musikalische Innovation haben, irgendwie aber zu genau wissen, wie sie für Fotos posen. Wenn ich zur Abwechslung mal wieder zufällig auf einer saufaden Studenten-WG-Party strandete, ohne verrückte Artkids und Selbstdarsteller, fand ich das ganz erfrischend, fing aber auch schnell an, sie zu vermissen.

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Irgendwann landete ich halt auf der ersten VICE Party im Volksgarten, und ich kann mich erinnern, dass alle so eine Stimmung verbreiteten, als würde plötzlich etwas total Superes nach Wien kommen. Ich hatte keine Ahnung davon und es war mir auch recht egal, wichtig war vor allem das Gratis-Bier, weil ich mittlerweile das Kiffen aufgrund paranoider Angstfantasien aufgegeben und durch ein anständig grindiges Binge-Drinking- Verhalten ersetzt hatte. Eine richtige Partymaus war ich eh nie. Wenn alle wieder auf eine sogenannte „VICE Party“ wollten, nahm ich das zum Anlass, mir so viele Gratisgetränke wie möglich in die Speiseröhre zu schütten und danach frustriert herumzuschimpfen, weil ich keinen Spaß hatte.

Na ja, mittlerweile weiß ich sogar, dass VICE (zu Deutsch: Laster) ursprünglich so ein oarges, undergroundiges Fanzine war und jetzt irgendwas zwischen dieser ursprünglichen Haltung und einem Subkultur infiltrierenden, Male Gaze fixierten Marketingmonster ist.

Bei einem Freund am Klo hab ich’s dann zum ersten Mal gelesen und manchmal auch den Blog angeschaut, aber was ich im Gegensatz zu den lustigen Beiträgen und interessanten Reportagen nicht ertrug, war, dass oft sogar die von deutschsprachigen Schreibern verfassten Artikel so klangen, als wären sie aus dem Amerikanischen übersetzt. Dadurch entstand ein Stil, der auf aufgesetzte Art versuchte, besonders umgangssprachlich und authentisch zu sein.

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Als Zynikerin taugte mir aber auch der abfällige, arrogante Humor und ich konnte einmal für Monate über nichts anderes reden als über die Videoreportage, in der es um ein südamerikanisches Dorf ging, in dem alle ganz selbstverständlich ihre Esel ficken. Besonders der alte Mann, der auf ein Tier deutete und aufgegeilt sagte, das sei eine besonders schöne Eselin mit einem besonders schönen, runden Eselarsch und einer ganz engen Eselmuschi, war eines der beeindruckendsten Dinge, die ich je in meinem Leben gesehen habe.

Das Problem ist, dass diese Arschloch-Attitüde nicht automatisch jeder pseudocoole, deutsche Publizistikstudent draufhat und es ein gewisses Fingerspitzengefühl erfordert, um ein lustiges, ehrliches Arschloch und kein dummes, gemeines Arschloch zu sein. Dadurch, dass da immer wieder Leute scheitern, generiert sich halt verständlicherweise dieser Hass aufs VICE, denn nichts ist peinlicher als jemand, der sich über Trottel lustig macht, aber dabei selber wie ein Trottel wirkt.

Das VICE, das manche mögen, wäre als Person wahrscheinlich eine Art Punkfigur, die sich Drogen reinhaut, witzig, intelligent und wagemutig ist, auf Konventionen scheißt, sich mit provokanten Themen beschäftigt und politische Inkorrektheit als Stilmittel einsetzt, um Leute auf subversive Art vor den Kopf zu stoßen. Das VICE, das viele hassen, ist halt dann eher ein pubertärer Skateboarder mit Bullytendenzen, der sich viele Drogen reinhaut, die ganze Zeit mit einem Halbsteifen herumrennt und besoffen Frauen auf die Titten greift, sich dabei kontrovers fühlt und glaubt, er sei cool, obwohl ihn jeder für einen geistig armen Wappler hält.

Worauf ich hinauswill: Irgendwann hat das VICE angefangen, mir Geld zu geben, wenn ich manchmal was für sie schreibe, und sie sind total nett zu mir, deshalb werde ich mich selbstverständlich niemals negativ zu diesem tadellosen Magazin äußern.