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STS im Interview: „Es fangt genauso an wie der Zweite Weltkrieg“

Vor zwei Jahrzehnten schrieben STS einen Song über ausländerfeindliche Gewalt. Was denken sie über die derzeitigen Anfeindungen gegen Flüchtlinge?
Foto: Ingo Pertramer | Universal Music

Foto: Ingo Pertramer/Universal Music

Die Bühnenshow von STS gehört zu den unspektakulärsten, die ich bisher gesehen habe. Es war vor ein einigen Jahren in der Grazer Stadthalle, Steinbäcker, Timischl und Schiffkowitz saßen auf drei Holzstühlen, ein paar gelbe Scheinwerfer im Hintergrund. Kein Bühnenbild, keine Effekte, keine Video-Wall—es war nur ein Sitzkonzert mit drei alten Männern, die auf eine Pause bestanden und Wasser tranken. „Show"–das ist nichts für STS. Mit einer „Überdosis G'fühl" geben sie sich echt und unverblümt: Ich war begeistert. Ich wollte schreien („Steiermark"), nach Hause („Fürstenfeld"), weg („Irgendwann bleib i dann dort") und mich bitterlich weinend verkriechen („Großvater, „Kalt und Kälter"). „Die Texte von STS zeigen Haltung und sind ein Spiegel der Gesellschaft", sagte die damalige Bildungsministerin Claudia Schmied, als sie der 2014 aufgelösten Band das Goldene Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik verlieh. Wenn Udo Jürgens ein Entertainer mit Haltung war, dann waren STS Volksmusiker mit Haltung.

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Das erkennt man auch am Album „Auf a Wort" (1992), das ich zuletzt in einem alten Wiener Plattenladen entdeckt habe. Die Lyrics der Songs sind eindringlich: „Es fangt genauso an, wie vor sechzig Jahr' / Und es war'n damals auch am Anfang nur a paar," singen die Drei über Gewalt gegen Flüchtlinge. Und im Lied „Das Meer" heißt es: „Was es einmal sich g'holt hat, gibt's nur selten mehr her." Am Ende des Albums fordert STS „Herz muß immer Trumpf bleib'n", weil „niemals vorher hat's so viele Gründe dafür geb'n." „Spinn i?", denkt der Steirer in mir, wie kann ein Lied, das so alt ist wie ich (23), so aktuell sein wie die Zeitung von morgen?

Was war damals los? Warum hat STS als Austropop-Band ein Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt? Wie sehen sie die aktuelle Flüchtlingskrise? Gert Steinbäcker, ein „S" von STS, hat es uns erklärt.

Foto: Eva Lugger

VICE: Herr Steinbäcker, als Sie 1992 für STS „Es fangt genauso an" geschrieben haben, geschah politisch viel. Aufgrund der Jugoslawien-Kriege flüchteten 115.000 Menschen nach Österreich, Jörg Haider wurde gerade politisch groß und Österreich diskutierte erstmals dank der Waldheim-Affäre seine NS-Vergangenheit. Was hat Sie bewogen, dieses Lied zu schreiben?
Gert Steinbäcker: Der ausschlaggebende Grund für uns waren die ersten Stürmungen von Flüchtlingsheimen in Deutschland. Da dachte ich mir: „Es fangt genauso an."

Damals attackierten in Rostock-Lichterhagen hunderte, teilweise rechtsextreme Randalier die Aufnahmestelle für Asylwerber, rund 3.000 Schaulustige applaudierten und behinderten die Sicherheitskräfte. Wie empfinden Sie im Vergleich die heutige Situation?
Das politische Klima war damals im Großen und Ganzen die Vorstufe von dem, was wir jetzt erleben. Im Vergleich zu heute war das Problem in den 90ern keines; es war nicht so dringlich. Der Song „Es fangt genauso an" trifft inhaltlich auch heute noch zu. Sogar mehr als zur Zeit, in der er entstanden ist.

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Warum ist es heute schlimmer?
Das ist einfach: Weil die Anzahl der Menschen, die kommen, größer ist als damals. Und jenen, die das stört, stößt die größere Menge mehr auf.

Was soll man in einer Krisensituation wie derzeit tun?
Es gibt Leute, die reagieren bei Problemen feindlich und es gibt Leute, die reagieren überlegt oder versuchen zu helfen. Jeder muss das selbst entscheiden. Die Lage ist sehr schwierig und offensichtlich kennt kaum jemand Lösungen—ich schon gar nicht. Ich kann als Textschreiber nur eine Situation beschreiben.

Welche Atmosphäre wollten Sie 1992 beschreiben?
„Es fangt genauso an" wie der Zweite Weltkrieg, als in unseren Ländern begonnen wurde, gegen Juden zu hetzen. Möglicherweise haben irgendwelche jüdischen Banker irgendwann irgendetwas falsch gemacht—möglicherweise! Aber der Schuster von nebenan hat wahrscheinlich eher wenig zum Niedergang der deutschen Rasse beigetragen. Warum aber hat dieser unter dem Gejohle der Menschen die Pflastersteine auf der Straße schrubben müssen? Das ist mein Bezug. Ich finde, es fangt genauso an, wenn die Stimmung kippt und immer mehr Leute sagen: „Na ja, so schlimm ist es ja nicht. Die kann man schon bissl anzünden, die Heime."

Haben Sie ein Beispiel für die derzeitige Stimmung?
Im Kurier habe ich letztens einen Text gelesen, der ausdrückt, was ich meine. Der Redakteur steht am Würstelstand und hört einen Typen hinter ihm, der in Richtung Ausländer sagt: „Do hilft nur Gift, Ratz bleibt Ratz". Worauf sich der Redakteur umdreht und der andere dann sagt: „Oje, ein Gutmensch." Diese Stimmung ist mit Sicherheit nichts, das zum Wohlfühlen in einem Land beiträgt.

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Das ist so wichtig, dass man den — Michel Reimon (@michelreimon)8. April 2016

Ist es nicht kontraproduktiv, wenn man sich als Austropop-Band gegen Rechtsextremismus engagiert? Haben Sie damals einige Fans vor den Kopf gestoßen?
Das glaube ich überhaupt nicht. Das sind ja nur Beobachtungen von uns, keine politischen Statements. Da kann sich jeder Zuhörer denken, was er will.

Na ja, ein bisschen Kritik ist aber schon auch dabei.
Nicht nur ein bissl, sondern sogar sehr viel Kritik. Aber ein politisches Statement ist für mich etwas anderes. Da müsste ich plakativ eine klare Aussage treffen. Wenn ich jedoch eine Zeichnung einer Situation anfertige, kann jeder damit anfangen, was er will. Wenn er hell genug ist, wird er schon drauf kommen, was gemeint ist.

Würden Sie inhaltlich etwas ändern, wenn Sie den Song heute noch einmal schreiben würden?
Ich arbeite gerade an einer neuen Produktion, da gibt es natürlich auch politische Themen. Aber wenn ich schon einmal über ein Thema ein Lied geschrieben habe, dann mache ich es kein zweites Mal. Das wäre lächerlich. Aber zeitlos gilt: Jede Form von Gewalt, mit der man versucht Probleme zu lösen, geht in die Hose.

Christoph auf Twitter: @Schattleitner