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Ein wilder Abend im Fetischclub

Es scheint, als wäre SM gerade wieder richtig groß in Mode, doch es ist ein Unterschied, ob man 50 Shades Of Grey liest, oder selbst in einen Käfig gesperrt wird.

Es scheint so, als wäre SM gerade wieder richtig groß in Mode. Natürlich kann man die Schuld einem einzigen Werk zuschreiben, einem kleinen Buch mit dem Titel 50 Shades Of Grey. Soweit ich das jedoch einschätzen kann, ist das Buch nicht mehr als eine Erweiterung von My Fair Lady durch Schwanz- und Eier-Folterspiele, deshalb kann ich das nicht wirklich nachvollziehen. Ich entschloss, mich auf den Weg zu machen, um eine London-Fetish-Week-Afterparty zu besuchen, eine Veranstaltung, von der ich mir sicher war, Rückschlüsse auf die sexuellen Vorlieben einer ganzen Nation ziehen zu können. Als wir dort eintrafen, waren die Veranstalter begeistert, meinen Fotografen und mich dabeizuhaben. Es gab nur eine Bedingung. Ich sollte eine gewisse Zeit im „Käfig“ verbringen. Das beunruhigte mich etwas. Ich habe schon so einige schmutzige Dinge in meinem Leben mitansehen müssen. Doch ist da ein großer Unterschied, auf einer Party so zu tun, als würdest du das neben dir rammelnde Pärchen nicht sehen, oder dich einem Wall erigierter Penisse gegenüberstehen zu sehen, die durch die Metallstangen von etwas ragen, das günstig einem illegalen russischen Zirkus abgekauft wurde.

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Es war klar, dass es einen gewissen Dresscode geben würde. Deshalb hat mir eine Freundin die Lederhose geliehen, das Shirt habe ich bei mir im Kleiderschrank gefunden, das Hundehalsband allerdings hatte ich kaufen müssen. Der erste Schritt in die Welt des SM war also recht simpel.

Später sollte ich herausfinden, dass das Halsband mich als einen „Sub“ kennzeichnet, also als jemanden, der eher auf das M in SM steht.

Als ich durch den Club stolperte, tauchten langsam immer mehr seltsam glotzende Gestalten aus der Dunkelheit auf. Manche Bereiche waren komplett unbeleuchtet, andere wiederum waren verstörend grell, und das verwirrende Hin- und Herwechseln machte mir schwer zu schaffen. Wie eine Nachtwanderung im Wald, bei der du dir dauernd vorstellen musst, dass plötzlich ein Sexualstraftäter, eine unbemannte Drohne oder ein Bär aus dem Dunkel auftauchen. Irgendwann fand ich mich in einem riesigen Raum wieder, der aussah wie eine verlassene Kaufhaustiefgarage, die man mit allen möglichen archaischen Folterinstrumenten, von denen ich annahm, dass sie eigens für den Abend aus dem nahegelegenen Gruselkabinett ausgeliehen worden waren, ausgestattet hatte.

Letztendlich landete ich irgendwie beim Käfig und traf dort auf den Typen, der die Schicht vor mir hatte. Wir tauschten einige Höflichkeiten aus, wie zwei Busfahrer, die nebeneinander im Verkehr festhängen und ein bisschen Bundesliga-Smalltalk halten. Da er anscheinend Spaß daran hatte, überließ ich ihm den Käfig noch etwas länger.

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Auf meinem Rundgang zeigte sich, dass jeder eine ganz eigene Vorstellung davon hatte, was eine tolle Nacht ausmacht. Da gab's Devote, Dominante, Bondage-Sexsklaven und Goths. Und Typen wie den, der sich daran aufgeilte, stundenlang mit zusammengepressten Eiern auf dem kalten Boden zu verbringen und dabei eine Damenhandtasche zu umklammern.

Endlich war ich an der Reihe. Leider war es immer noch früh am Abend, weshalb mich niemand so richtig zu schätzen wusste. Ich fühlte mich weniger wie ein Sexsklave, sondern mehr wie ein aufmüpfiger Welpe, der in seine Transportbox gesperrt wurde, weil er in den Wäschekorb gepisst hat.

Ich hatte mich im Vorfeld gefragt, was für Musik in einem Fetisch-Club gespielt wird. Ich hatte wummernden Darkroom-Techno und/oder Rammstein erwartet. Tatsächlich war die Musik gar nicht so schlecht. Es erinnerte mich an mein Zuhause und ich entwickelte Gefühle, wie sie vielleicht ein Mann in der Todeszelle hat, wenn er auf dem Weg zum elektrischen Stuhl die Stimmen seiner Familienmitglieder hört.

Meine Performance geriet noch mehr zu einer Nebenveranstaltung, als die Bühne für die Fetish Fashion Awards freigeben wurde, dem einzigen Laufsteg, bei dem niemand in der ersten Reihe sitzen will.

Ich weiß nicht, ob man es auf dem Foto gut erkennt, aber diese Dame tauchte mit einem schwarzen Fake-Schwanz, der aus ihrem Kleid herausragte, auf der Bühne auf. Was mich, gemessen an der Anzahl echter Schwänze, die ich an diesem Abend zu Gesicht bekommen hatte, etwas enttäuschte.

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Eine Kollektion der Modenschau handelte von Batman & Robin. Als ich neun war, mochte ich diesen Film wirklich, Alicia Silverstone und Uma Thurman wurden Teil meiner ersten vor-pubertären Träume. Seitdem sind einige Jahre vergangen, in denen mir klar wurde, wie schrecklich dieser Film ist, und die Mädchen dort oben merzten mir jeglichen winzigen Funken Zuneigung, den ich noch für irgendeine der Figuren empfand, aus.

Wenn mich meine Erinnerung nicht im Stich lässt (was sollte ich denn machen, im Käfig mein Notizbuch rausholen?), war das die Kollektion des Gewinners.

Die Show war zu Ende, aber ich hing immer noch in meinem Verlies aus Stahl und Langeweile fest. Die Party war voll im Gange, trotzdem bekam ich nur so viel Aufmerksamkeit wie ein Smoothie auf einem Biker-Treffen. Ich versuchte, passend zu tanzen, ich versuchte sogar, mich am Gitter zu reiben und dabei Obszönitäten zu rufen wie einer von Hannibal Lecters Zellennachbarn. Leider Gottes blieb die Menge uninteressiert.

Vielleicht haben sie gespürt, dass ich nicht mit ganzem Herzen bei der Sache war. Vielleicht haben sie eine Art Radar, der sie davon abhält, jemandem den Arsch zu versohlen, der sich nur gebückt hat, um seine Schnürsenkel zu binden.

Ich nahm eine Pause von meinem Käfigaufenthalt, und das war eine gute Entscheidung, weil ich dann diesen alten Typen an der Bar traf. Das war eine interessante Sache, er hatte die Ausstrahlung eines erfahrenen Piloten, nicht unbedingt die eines Fickkönigs.

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Es gibt einfach uralte unzerstörbare Klischees über Buchhalter und Vorstadt-Dominas, aber das hier war kein schalldichtes Schlafzimmer, dies war eine Hardcore-Fetisch-Party in einem schmuddeligen Club. Wegen ihm fing ich an, darüber nachzudenken, ob all das möglicherweise Mainstream werden könnte.

Die Musik wurde immer industrieller, und das Flirten wurde immer mittelalterlicher. Als die Lederpeitsche im Takt zur Musik gegen frische, alabasterweiße Ärsche klatschte, fiel mir plötzlich etwas auf. Trotz all der ungezügelten Sittenlosigkeit fand nirgendwo echter Sex statt.

Gerade als ich allmählich begann, an der Veranstaltung zu zweifeln, schob sich dieses komplexe Gebilde finsterer Begierden in mein Blickfeld. In dieser Abbildung sehen wir Dominas, Sklaven, Fuß-Fetischisten und ein Typen, der aussieht wie ein professioneller Dartspieler. Sie wirkten eher, als hätten sie sich durch Zufall getroffen, wie zum Beispiel bei einer Selbsthilfegruppe, und nicht wie Leute, die irgendein echtes Verlagen danach hegten, miteinander Sex zu haben. Vielleicht hat die Fetisch-Szene mit Sex so viel zu tun wie mit Salsa. Vielleicht ist Penetration heutzutage nur noch was für Langweiler.

Ich flüchtete zurück in die relative Sicherheit des Käfigs, wo ich einen Freund fand. Er war etwas schüchtern (sein Penis ist nicht wirklich erigiert, er schwingt nur im Tanz herum) und wollte mir seinen Namen nicht sagen, aber er war ein echt netter Typ. Schon bald fühlten wir uns innig verbunden wie zwei Menschen aus völlig verschiednen Ecken der Erde, die nun auf derselben Baustelle Betonsäcke schleppen. Zwar sprachen wir nicht eine Sprache, teilten aber den Beruf. Und das reichte mir aus.

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Klar, mit der Schlinge um den Hals und seinem wippenden rosa Penis (der auf mich zeigte, als könnte es mich jede Sekunde treffen) war er schon etwas merkwürdig. Es war aber ein verdammt zivilisierter Anblick, verglichen mit dem links neben uns knienden Mann, den ich später wieder sah, wie er auf seine Flip-Flops masturbierte (Union-Jack-Desgin, falls du es wissen möchtest). Nachdem der Akt vollzogen war und sich der Saft auf seine Latschen ergossen hatte, lief er darin wieder durch den Club.

Als ich wieder mir selbst überlassen war, freundete ich mich mehr und mehr mit der Situation an und schaffte es sogar, etwas weibliche Aufmerksamkeit zu erhaschen. Ich bin mir sicher, sie war eher daran interessiert, meine Nippel anzuzünden, als mit mir auf der Tanzfläche rumzuknutschen und Nummern auszutauschen. Aber hey!

Als sie ging, beschloss ich, sie zu suchen. Vielleicht war sie genau die Richtige für mich und wir würden eines schönen Tages in 40 Jahren zurückkehren, um mit all den anderen Pärchen in Erinnerungen über unser erstes Treffen zu schwelgen.

Leider war alles, was ich fand Bondage-Sexsklaven. Ich wollte diesen Typen fragen, ob er meinen Traum in PVC gesehen hatte, aber er hielt sein Maul. Sie blieb so unauffindbar wie Tränen in einem Tsunami, eine Sirene, die an einem der dunklen Orte des Clubs verschwunden war, um die Eier eines anderen, glücklicheren Mannes mit ihren Stöckelschuhen aufzuspießen.

Unerwartet überkam mich plötzlich Melancholie. Vielleicht sollte es einfach nicht sein; vielleicht war ich dazu bestimmt, mein Leben wie dieser Typ hier zu verbringen. Ich fragte mich, ob auf diese Art Fesselsklaven geboren werden, ganz normale Männer, die von der konventionellen Liebe so tief verletzt wurden, dass sie es nicht länger ertragen konnten, Teil davon zu sein. So sehen sie zu uns Anderen rüber, wie wir uns lachend lieben, und ihre Tränen bleiben hinter ihren Plastikmasken des Schmerzes verborgen.

Ich flüchtete ein letztes Mal in meinen Käfig, um doch noch endlich eine Fetischbraut für mich zu finden. Aber ich hatte kein Glück. Als neben mir eng umschlungen ein Liebespaar tanzte, dort, wo ich mutterseelenallein in fremden Klamotten in einem Käfig stand, war mir klar, dass dies eigentlich ein Ort für Paare war.

Ich war müde, einsam und langweilte mich in meiner Zelle. Ich fühlte mich, als würde ich gerade bei einem komplizierten magischen Zaubertrick mitmachen, für den sich niemand interessiert. Es war klar, dass ich niemals Teil dieser Welt sein würde.