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Ich habe meinem Boss eine reingehaut

Ich habe meinem Boss eine reingehauen. Es fühlte sich gut an und hat sich positiv auf mein Einkommen ausgewirkt.

Nicht der Autor. Screenshot via

Ich habe meinem Boss eine reingehauen. Er teilte mir mit, dass er mein Gehalt kürzen würde. Darauf entgegnete ich, er solle mir den Schwanz lutschen, und ging einfach. Er stellte sich also auf der Straße vor mich und wollte wissen, weshalb. Weniger Geld wäre für mich definitiv nicht OK, denn dafür sei er ein zu großes Arschloch, das war meine Antwort. Da war er erstmal sprachlos und machte mir das Angebot, mich mit ihm prügeln. Also hielten wir uns an Muhammed Ali: „Wir kamen nicht miteinander aus, also schlugen wir aufeinander ein."

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Wir gingen direkt auf dem Bürgersteig aufeinander los. Ein paar Typen heizten uns auf Spanisch weiter ein. Später fand ich heraus, dass er sich gar nicht mit mir prügeln wollte, er redete einfach nur so daher. Ich aber legte sofort los und verpasste ihm ein paar. Mit der einen Hand hielt ich ihn an den Haaren fest, mit der anderen gab ich ihm immer und immer wieder aufs Maul. Plötzlich hatte ich ein Büschel Haare von ihm in meiner Hand. Trotzdem hielt er ganz gut durch; erst nachdem sein Auge schon angeschwollen war, wollte er aufhören.

Auch ich hatte irgendwann genug. Zum Abschied sagte ich noch: „War schön, mit dir zu arbeiten!" Ich wollte schon weitergehen. Doch dann rief er mir etwas hinterher. Plötzlich hatte er seine Meinung geändert—er war bereit, mich für meinen ursprünglichen Lohn zu behalten. Ich hatte wohl verhandelt wie ein echtes Arschloch aus der Gosse.

Schon am Anfang hätte mir dieser Typ verdächtig vorkommen müssen. Bei meinem Bewerbungsgespräch zog er über seine Angestellten her; allesamt faul und inkompetent. Aber das war ich schon so gewohnt, egal bei welchem Job. Die Interessen jedes Vorgesetzten und seiner Angestellten stehen sich nun mal entgegen. Die Vorgesetzten wissen das sehr gut, und die Angestellten müssen schon ernsthaft am Stockholm-Syndrom leiden, um das nicht zu erkennen. Wie auch immer, ich habe schon für viele Riesenärsche gearbeitet und keiner bezahlte so gut wie dieser Typ. Das sprach für ihn. Außerdem ist es echt scheiße, arbeitslos zu sein. Wir gaben uns die Hand, und er begrüßte mich an Bord.

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An meinem ersten Tag redete ein Kollege Klartext mit mir. Die Vorgesetzten erstellen Lieferpläne, die unmöglich einzuhalten sind. Die Schuld dafür geben sie den Angestellten, obwohl das eigentliche Problem der Verkehr ist. Doch die Angestellten akzeptieren das einfach stillschweigend, weil die Bezahlung gut ist. Aber natürlich hassen sie ihre Vorgesetzten, und umgekehrt. Auch bei mir ging das gleich so los. Der, der die Routen verteilt, warf mir vor, gar nicht zu wissen, wie man einen LKW fährt. Und auch, dass ich mit den anderen Fahrern abgesprochen hätte, wegen der Lieferzeiten zu lügen. Danach wurde alles noch schlimmer. Schon bald musste ich mir anhören, ich hätte in meinem Lebenslauf falsche Angaben gemacht, und darum würden sie mir das Gehalt kürzen. Der Rest ist Geschichte.

Wir hielten uns an Muhammed Ali: „Wir kamen nicht miteinander aus, also schlugen wir aufeinander ein."

Zuerst fühlte ich mich euphorisch. Jahrelang hatte ich mir von solchen Losern alles gefallen lassen und nun sah ich keinen Ausweg mehr. Ich dachte, nun hätte ich wirklich mal Rückgrat gezeigt—und das im entscheidenden Moment. Aber noch bevor mir meine Finger nicht mehr wehtaten, änderte sich meine Meinung.

Im späten 20. Jahrhundert haben gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer in den Vereinigten Staaten eine Niederlage nach der anderen einstecken müssen. Als Ronald Reagan 1981 die streikenden Fluglotsen entließ, war das nur das sichtbarste Beispiel eines rigorosen Anti-Gewerkschafts-Kurses, der bis heute anhält. Als Folge ist Leistung in vielen Branchen entwertet worden, Arbeitsplätze und Festanstellungen gingen vielerorts verloren. All das hat den Lebensstandard der Arbeiterklasse in Amerika verschlechtert. Gleichzeitig ist es schwer, diesen Trend umzukehren, weil eine gewerkschaftsfeindliche Gesetzgebung Neugründungen erschwert und diese auch sonst ständigen Angriffen ausgesetzt sind.

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Die meisten Arbeitnehmer stehen heute komplett alleine da. Ihre Arbeitsplätze sind nicht mehr sicher, von ihren Kollegen haben sie sich entfremdet. Selbst wenn sie sich zusammenschließen wollten, trotz der Gefahr, dafür entlassen zu werden; dafür fehlt die Zeit, weil jeder mehrere Jobs hat und sich auch noch um Familie und Freunde kümmern muss. Ein Freund von mir fing bei Wal-Mart an; als erstes teilte man ihm in der Einführung mit, dass Gewerkschaften vielleicht vor 100 Jahren notwendig gewesen wären. Heute aber hätte der Abteilungsleiter immer ein offenes Ohr für die Probleme seiner Mitarbeiter, und so sollte man die Dinge auch klären.

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Habe ich nicht genau das auch gemacht?

Ich habe meinem Boss eine reingehauen. Ganz egal, wie toll sich das angefühlt hat; eigentlich habe ich damit nur die Ohnmacht des Arbeiters im 21. Jahrhundert verbildlicht. Also, anstatt mit meinen Kollegen eine Gewerkschaft zu gründen und für ein besseres Gehalt zu kämpfen, indem wir weniger arbeiten und auch streiken, wenn wir nicht bekommen, was wir wollen, habe ich es alleine durchgezogen.

Es ist egal, dass ich bekommen habe, was ich wollte; in 99,99 Prozent der Fälle wird es nicht funktionieren. Ganz abgesehen davon, dass es eine Million gute Gründe gibt, warum Angestellte nicht in der Lage oder gewillt wären, ihrem Arbeitgeber so gegenüberzutreten. Ich bin kein religiöser Mensch und lehne Gewalt auch nicht generell ab; etwa aus moralischen Gründen oder weil es unklug wäre. Ich finde es auch nicht falsch, was ich getan habe. Nur: Deinem Boss eine reinzuhauen, ist keine Alternative dazu, gemeinsam für eine Sache zu kämpfen.