FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Die ESA erklärt uns Baumgartners Stratosphärensprung

Frühestens Sonntag soll der Österreicher Felix Baumgartner endlich durch die Stratosphäre springen. Wir fragten einen Experten der Europäischen Weltraumorganisation, was passieren würde, wenn er auf seinem Weg nach unten Vögeln oder Flugzeugen begegnet.

Caption: Davide (links) bei der Arbeit. Foto: Val Space Consortium

Gestern ist der Österreicher Felix Baumgartner nach zwei abgebrochenen Versuchen endlich durch die Stratosphäre gesprungen. Er hat es riskiert, als gut durchgebratenes Schnitzel mit Schallgeschwindigkeit in der Erdatmosphäre zu verglühen und hat die Schallmauer durchbrochen. Jeder, der halbwegs alle Tassen im Schrank hat, hat sich da im Vorfeld gefragt: Kann das überhaupt gut gehen? Baumgartners halsbrecherisches Vorhaben warf auch in meinem Kopf einige Sicherheitsfragen auf und die Verschiebung des Sprunges war am Ende doch noch zu etwas gut: Ich konnte Davide Smacchia interviewen, der für die ESA, die Europäischen Wetltraumorganisation, im VSC-ESA High Power RF Lab in Valencia schwer verständliche Effekte im Orbit wie Multipactor Corona and Passive Inter Modulation (PIM) erforscht. Nebenbei bemerkt ist er selbst schon aus 4.200 Metern Höhe gesprungen, was ihn zum perfekten Gesprächspartner macht.

Anzeige

VICE: Baumgartner wurde wegen Problemen mit dem Gehorsam aus der Armee ausgeschlossen. 1992 hat er einen Boxkampf gegen Profiboxer Dinko Porobija durch K.O. gewonnen. Jahre später hat er sich als Geschäftsmann verkleidet und ist vom Petronas Tower gesprungen, dann vom Taipeh 101. Durch die Stratosphäre zu springen und dabei mal nebenbei fünf Weltrekorde zu brechen, scheint wie der logische nächste Schritt. Ist Felix Baumgartner der echte Chuck Norris?
Davide Smacchia: Nicht wirklich. Chuck Norris ist für mich ein Held. Findest du das, was Baumgartner macht, nicht irgendwie heldenhaft?
Chuck Norris geht noch einen Schritt weiter. Wenn es ein Problem gibt, ist Chuck da und löst es. Stimmt, Baumgartner macht sich eher selbst Probleme.
Der hat doch Hilfe und es sind ja auch nur ein paar Minuten freier Fall. Er wird auch gut geschützt, weil es da oben verdammt kalt ist. So um die -60°C. Klingt trotzdem verdammt gefährlich. Was denkst du, sind da oben die größten Gefahren?
Bist du mal aus einem Flugzeug gesprungen? Nein, das Höchste, von dem ich gesprungen bin, war der 3-Meter-Turm im Schwimmbad.
Versuch mal, aus einer Höhe von 4.200 Metern zu springen. Das kann man natürlich nicht vergleichen, aber es kann dir einen Eindruck vermitteln. Also kennst du dich ja aus. Was sind die Probleme bei einem Sprung aus über 36.000 m Höhe?
Der Druck ist ein großes Problem, bei über 20.000 Metern werden Körperflüssigkeiten zu Gas umgewandelt. Ohne Anzug würde Baumgartner kollabieren. Auch gibt es kaum Sauerstoff. Er wird zuvor puren Sauerstoff atmen, um sich an die Verhältnisse da oben anzupassen. Die Geschwindigkeit ist auch ein Problem. Baumgartner wird mit 1.110 km/h fallen—das entspricht einer Geschwindigkeit von Mach 1, so schnell fliegen Jets. Es ist sehr wichtig, dass er besonders zu Anfang pfeilgerade runterkommt, um sich zu stabilisieren. Stell dir vor, er hebt einen Arm an, er würde anfangen, mit 120 Umdrehungen pro Minute zu rotieren. Das ist lebensgefährlich. Wenn das passieren sollte, wird automatisch ein Spezialfallschirm geöffnet.

Anzeige

Baumgartner wird sich am Anfang des Absprungs auf einer Höhe weit über der Flugbahn gewöhnlicher Flugzeuge befinden. Zeichnung: Davide Smacchia Ist es nicht gefährlich, so schnell zu sein? Ich habe gelesen, er könnte erblinden, sich das Genick brechen oder ein Blutgerinsel bekommen.
Ich bin kein Mediziner, aber der Druck ist sehr hoch. Das wird die kontrollierte Bewegung der Arme behindern. Das Bremsen wird unvorstellbar schwer. Ich habe es bei 200 km/h versucht und es war schwer. Könnte er verbrennen, wenn er in die Erdatmosphäre eintritt?
Nein, er erzeugt nicht genug Reibung. Es ist etwas Anderes, wenn ein Shuttle mit 28.000 km/h aus dem Orbit zurückkommt und auf die Atmosphäre knallt und großen aerodynamischen Widerstand erzeugt, der in Hitze umgewandelt wird. Das können schon 1540°C werden. Könnte er auch aus der Mesosphäre springen?
Nein, momentan ist es nicht möglich. Man würde noch schneller fallen. Aber in der Geschichte haben die Menschen immer versucht, die Grenzen zu überschreiten. Vielleicht in der Zukunft. Denkst du, dass der Sprung eine verrückte Sache ist?
Er muss sehr mutig sein, nicht? Ich meine, es ist auch ein langer Sprung, über 5 Minuten. Aber sein Mentor Kittinger ist bereits 1960 aus 31.000 m gesprungen und hat es auch überlebt. Was passiert, wenn er auf ein Flugzeug oder einen Vogel fällt. Könnte das passieren?
Theoretisch ja. Ich denke, die Flugzeuge werden sicherlich angewiesen worden sein, die Zone zu meiden. Aber die Vögel könnten vielleicht ein Problem werden. Das wäre unglücklich. Du kannst auf die Straße gehen und ein Blumentopf fällt dir auf den Kopf, unwahrscheinlich, aber möglich. Könnte ein Vogel das Vorhaben zunichte machen?
Ja.

So sähe es aus, wenn Baumgartner mit einem Vogelschwarm kollidiert. Zeichnung: Davide Smacchia

Können die mehr oder weniger berechnen, wo er runterkommt?
Er wird in einem Umkreis von zehn Kilometern vom Startpunkt in New Mexiko aufkommen. Angenommen, sein Fallschirm öffnet nicht. Bleibt irgendwas von ihm übrig?
Kennst du den Vorfall, der sich in den 60ern in der Formel 1 ereignet hat? Ein Security-Typ hatte einen Unfall. Er näherte sich einem Wagen und ein anderer Wagen ist mit 300 km/h in ihn gerast. Er ist wie ein Kaugummi auseinandergerissen worden. Stell dir jetzt mal vor, wie das aussieht, wenn es über dreimal so schnell ist. Der Fallschirm sollte in diesem Fall allerdings automatisch öffnen. Denkst du, Baumgartner überlebt den Sprung?
Wenn alles gut geht, dann ja. Bereits im Juli ist Baumgartner aus einer Höhe von 29 km gesprungen.Wenn es Probleme gibt, eher nicht.