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Wie Tex Rubinowitz die Bachmann-Preis-Jury ausgetrickst hat

Wir haben uns angesehen, mit welchen typischen Textelementen Tex Rubinowitz die Bachmann-Preis-Jury um den Finger gewickelt hat.

Tex Rubinowitz im Kurier (Foto mit freundlicher Genehmigung)

Tex Rubinowitz hat es geschafft—er hat beim Wettlesen in Kärnten den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen und fesche 25.000 Euro zugesprochen bekommen. Das ist ihm vor allem deshalb gelungen, weil er einen typischen Tex Rubinowitz gemacht hat und—genau wie bei seinen Cartoons—mit der übergroßen Text-Bild-Schere am offenen Literaturleib ans Werk gegangen ist. Weniger literarisch formuliert heißt das: Er hat die Jury um den Finger gewickelt, eingelullt, ihnen ein X für ein U vorgemacht (oder ein E für ein U, wenn wir kurz an die beiden Musiksparten denken). Und das hat er so gut gemacht, dass zum ersten Mal seit Ewigkeiten, wenn nicht überhaupt, ein eigentlich grundlustiger, beschwingter Text gewonnen hat, in dem es nicht um „das Schreiben Schreibender“ oder die „locker, leicht gewebte“ Aufarbeitung eines Völkermords geht.

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Nicht, dass Selbstreflexion und ernste Kriegsthemen keinen Platz in der schriftlichen Kunst haben dürften—besonders in Österreich sind das sogar seit jeher die Säulen, auf denen wir unsere Kulturtempel aus dem Kot der Mächtigen bauen. Aber manchmal bekommt man als literarisches Nackerbatzl wie ich das Gefühl, dass es in erster Linie vielleicht doch gar nicht nur um die Qualität der Texte geht, sondern man mit der Verwendung solcher typischer Tropen den Festivalliteratur-Betrieb ziemlich leicht austricksen kann. Manche reden da gleich vom Verfall unserer „Kulturnation (haha)“ und von einer literarischen Bankrotterklärung, aber nicht ich.

Ich glaube, dass Tex Rubinowitz etwas ganz Großes geschafft hat: nämlich den Humor über ein trojanisches Text-Pferd in die Literatur einzuschleusen—und zwar, indem er ein paar klassische Elemente berücksichtigt hat, mit denen man Jurys immer auf seine Seite bekommt, solange man sie in kleinen Dosen in seinen Beitrag einstreut:

Zusammengezogene Sätze

Foto: Schockwellenreiter via photopin cc

Seit Literatur so tut, als wäre sie etwas anderes als Belletristik für Menschen, die ein bisschen langsam sind und Spaß nicht so gerne mögen, gibt es bei jedem Literatur-Wettbewerb einen ganzen Wust an Einreichungen, die versuchen, sich von der Alltagssprache des sprechenden Pöbels mit vertrackten, zusammengezogenen Sätzen abzugrenzen, die den Lesefluss so gut es geht ruinieren und stattdessen aus jeder Pore die Begriffe „assoziatives Schreiben“ und „Stream of Consciousness“ verströmen. Siehe Rubinowitz:

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„Ich habe mal ein Foto gesehen, von einem Mann, der sich selbst angezündet hat, 95 Prozent seines Körpers, oder besser: seiner Haut waren verbrannt, er hatte noch endlose 50 Minuten zu leben, ein langsamer Tod, er saß auf einem weißen Plastikstuhl, einem so genannten Monobloc, die gibt’s heute gar nicht mehr, sie hatten ihn da rauf gesetzt, keine Ahnung warum, dass er es 50 Minuten irgendwie bequem hat, oder sie wollten ihn demütigen, oder etwas dazwischen, eine leere Geste, eine Übersprungshandlung.“

Prätentiöse (Frauen-)Figuren

Foto: Bob Usher via photopin cc

Damit etwas Literatur ist, müssen die Figuren darin in eine der beiden nachfolgenden Kategorien fallen:

Entweder geht es um sehr normale Menschen, die von sehr unnormalen Menschen sehr lakonisch beschrieben werden—also Bauarbeiter und Trafikantinnen und Frühstückspensions-Mütterchen und Clubbesucher, die in der Werbewelt alle das Prädikat „herkömmlich“ verliehen bekommen hätten, und über die exaltierte Schriftsteller mit Mykita-Sonnenbrillen und Issey Miyake-Langhemden in den schillerndsten Farben schreiben.

Oder aber es geht um sehr, sehr unnormale Menschen, die von sehr durchschnittlich kostümierten Autoren auf sehr zurückhaltende Alltagsgeschichten-Art so authentisch wie möglich porträtiert werden—also um schwer psychotische Katzenladys, die aus Enzian Origiami-Miniaturen falten oder eben um Frauen, die an Batterien lecken und „die Bitterkeit von Bier zu arrogant“ finden, wie im Fall von Tex Rubinowitz. Dass das nicht selten prätentiös wirkt, wissen auch die Literatur-Jurys, aber es gefällt ihnen, weil sie sich darin irgendwie selbst erkennen (auch wenn sie vom Batterienlecken und Origami-Falten genauso weit entfernt sind wie Andreas Gabalier von einer echten Wertschätzung für Frauen).

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Ein guter Trick ist es übrigens auch immer, die schrulligsten Eigenschaften Frauen anzudichten, weil das die einen feministisch-emanzipatorisch und die anderen dreckig-geil finden.

Wes Anderson-artige Dialoge

Foto: Zellaby via photopin cc

Wes Anderson ist natürlich keine Referenz, die man im Literaturbetrieb verwenden kann, ohne geteert und gefedert zu werden (und damit meine ich: ohne dass einen jemand mit einem Georg Trakl-inspirierten Gedicht über das Teeren und Federn bedenkt). Wahrscheinlich würde man stattdessen so etwas sagen wie: „Dialogsequenzen mit der Getragenheit von Paul Auster, der Skurrilität von Franzobel und dem leicht entrückten, schmucklosen Pragmatismus von Marlene Streeruwitz“. Gemeint ist zirka dasselbe, nur mit einem „Fuck movies and fuck you, Hollywood!“ zwischen den Zeilen. Rubinowitz hat all das verstanden und (unter anderem) so umgesetzt:

„Du rauchst?“
„Nein, ich schaue einen Eulenfilm.“
„Aber du rauchst dabei.“
„Scheint so.“

Pop-Referenzen mit Hornbrille

Foto: zubrow via photopin cc

Es ist noch gar nicht so lange her, als Pop-Literatur nur „was für Berliner“ und Benjamin von Stuckrad-Barre war. Inzwischen gehört es aber zum guten Ton, in jedem Text etwas Schlaues zu einzelnen Clubs oder Songs stehen muss, das durch die Hornbrille betrachtet so klingt, als würde es etwas Allgemeingültiges über unsere Kultur und Zeit (oder eben die Zeit und Kultur, aus der der Text kommt) aussagen. Point in case:

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„Ich habe Irma in Wien kennengelernt, im U4, damals noch eine angesagte Disco, als Discos noch nicht Clubs hießen, und selbst zum U4 sagte noch nicht einmal irgendjemand Disco, sondern nur U4. Hier soll auch immer Falco rumgehangen sein, wir waren später noch öfter dort, Falco hab ich allerdings nie gesehen.“

Unnützes Wissen

Foto von Wikimedia (Public Domain)

Jeder mag unnützes und skurriles Wissen. Das hat sich seit dem Barock nicht geändert, als die Gelehrten in ihren Wunderkammern Klaviere ausstellten, mit denen man auf Katzen Töne spielen konnte. Heute stehen diese Wunderkammern im Internet und die Gelehrten sind zur Freude aller durch die breite sozialmediale Masse ersetzt worden, weil eine Million Augen einfach mehr Scheiß sehen als zwei. Der Unterschied zwischen dem Barock (oder dem Internet) und dem heutigen Literaturbetrieb ist, dass letzterer immer noch so tun muss, als würden sich seine Mitglieder nicht von billigen Anekdoten beeindrucken lassen. Deshalb ist es wichtig, der Jury genau jene Dosis an „Pardauz, wie köstlich!“ zu geben, die sie braucht, aber dabei immer auch genau die Portion „Huch, wie raffiniert!“ mitzuliefern. Rubinowitz macht beides mit zwei Schwänken über Charlie Chaplin:

„Als man den hochbetagten Charlie Chaplin mal fragte, was er denn jetzt noch vorhabe, ob er noch Träume oder Wünsche habe, meinte er nach einer langen kontemplativen Pause, er wolle noch einen Film über Spatzen drehen, sie sollten die Hauptdarsteller sein, die Menschen nur Nebenfiguren, die Spatzen sollten die Menschen spielen, die Menschen Spatzen, die sich um die Krümel rangeln. Daraus wurde nichts, leider, er starb 1977, wurde beerdigt, zwei Monate später klauten ein Pole und ein Bulgare seine Leiche, reisten damit durch die halbe Schweiz, vergruben sie woanders, um die Familie zu erpressen, sie wollten 600.000 Franken, ,Charlie hätte das lächerlich gefunden‘, meinte seine Witwe Oona und verhandelte gar nicht erst.“

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Der Vortrag selbst

Screenshot der Lesung, Video via SpiegelOnline

Mein persönliches Bachmann-Preis-Highlight war die Lesung von Stephan Alfare, dem Bregenzer Beisl-Poeten und (sorry) Austro-Bukowski, der im Jahr 2000 als einziger kein Glas Leitungswasser, sondern eine Halbe Bier neben sich stehen hatte. Die erste Viertelstunde des Vortrags ging mein Blick nur zwischen dem Gerstensaft und dem Gerstengesicht von Stephan Alfare hin und her—bis er nach ziemlich genau 15 Minuten die Zettel niederlegte und das ganze Bier in einem Zug austrank. Danach bekam er die zweite Halbe hingestellt (womit er auch die anschaulichste Erklärung des Ausdrucks „Halbe“ hinlegte, die ich je gesehen habe) und wartete wieder 15 Lese-Minuten, bevor er auch diese auf ex vernichtete. Der Text war zwar auch super, aber Alfare hatte es verstanden, die fade Literaturlesung in eine richtige Performance voller Suspense zu verwandeln. Stephan Alfare hat den Bachmann-Preis natürlich nicht gewonnen.

Was ich damit sagen will, ist: Wer gewinnen will, muss sich wie ein Literat gebärden. Dazu gehört (zumindest in Europa), dass man sich ein paar Mal verspricht, dass man seinen Text völlig emotionsbefreit wie eine Einkaufsliste vorträgt und immer ein bisschen unter der Situation leidet—ohne sich Erleichterung mit Bier oder sonstwas zu verschaffen.

Patrick Gage via photopin cc

Und soviel also dazu. Wenn ihr alle diese Elemente und Tropen berücksichtigt, werdet ihr natürlich trotzdem nicht die nächsten Bachmann-Preisträger—erstens, weil unmöglich jeder von euch gewinnen kann und zweitens, weil Tex Rubinowitzes Text abgesehen von diesen Kniffen einfach richtig gut ist und ihr euch damit nicht erspart, verdammt gute Schreiber zu sein.

Manche von euch werden jetzt vielleicht dagegenargumentieren, dass Tex Rubinowitz seinen Text womöglich aus völlig anderen Beweggründen so geschrieben hat—oder dass man ihn zumindest fragen könnte, ob man nicht völlig daneben liegt. Denjenigen kann ich eigentlich nur entgegnen: Ihr habt offenbar keine Ahnung vom Literaturbetrieb oder dem Bachmann-Preis—hier haben nämlich nach jeder Lesung die acht Experten das Sagen und die Autoren werden nie gefragt, was sie denken.

Markus auf Twitter: @wurstzombie

Mehr Literatur gibt es in unserer Literaturausgabe 2013 (mit Texten von Mary Gaitskill, Vea Kaiser, Elfriede Jelinek, Sibylle Berg und El Awadalla). Die VICE-Literaturausgabe 2014 erscheint nächste Woche.