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The Syria Issue

Ein Interview mit dem Befehlshaber der größten FSA-Brigade in Aleppo

Der ehemalige Händler Abdul al-Kader, besser bekannt als Hadschi Mara, kommandiert die größte Brigade der FSA-Kämpfer in Aleppo.

VICE hat sich an den Foto- und Videojournalisten Robert King gewandt, um angesichts der verwickelten Situation in Syrien endlich zum Kern der Sache vorzudringen. Robert besitzt ein Herz aus Gold, ein außergewöhnliches Bauchgefühl und Eier aus reinem Lonsdaleit (einem höchst seltenen Mineral, 58 Prozent härter als ein Diamant). Seit mehr als zwei Jahrzehnten berichtet er über die unbeständigsten Orte dieser Welt, darunter den Irak, Albanien, Afghanistan, den Kosovo und viele andere. Wir wollen hier nicht darauf eingehen, was er schon alles gemacht und wo er gewesen ist, denn die nächsten 20 Seiten Reportage, die er uns geschickt hat, sprechen für sich.

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28. August 2012: Der ehemalige Händler Abdul al-Kader, besser bekannt als Hadschi Mara, kommandiert die größte Brigade der FSA-Kämpfer in Aleppo.

Interview mit Hadschi Mara, Befehlshaber der größten FSA-Brigade in Aleppo

VICE: Wie geht es deinen Leuten?
Hadschi Mara: Um ehrlich zu sein, können wir mit der Armee absolut nicht mithalten. Die Armee verfügt über gut ausgerüstete Soldaten, Flugzeuge und Waffen. Wir haben nur Kalaschnikows. Ein Schuss trifft, der nächste geht daneben. Doch trotz alledem halten wir mittlerweile 60 bis 70 Prozent von Aleppo. Und dieses Opfer hat die höchste Priorität. Natürlich ist unser Hauptanliegen vor allem Gott und dann kommen die Nöte der jungen Menschen. Was kannst du den Menschen in Amerika und Europa und auf der ganzen Welt über eure Bewegung erzählen?
Zunächst einmal möchte ich eine Botschaft an alle politischen Führer in der Welt schicken. Sie alle sollten sich schämen. Die Schande steht ihnen auf die Stirn geschrieben, denn jeden Tag werden unsere Frauen und Kinder getötet und sie rühren sich nicht. Wir kümmern uns nicht länger um die Führer dieser Welt. Wir senden unsere Botschaft an die normalen Menschen, Menschen mit einem Gewissen. Wir wollen jetzt Stellung beziehen. Wir Menschen sind Brüder. Also lasst uns Stellung beziehen, klare Stellung für die Menschen, die jeden Tag ermordet und niedergemetzelt werden. Stellt euch einen Bürger vor, der Brot kaufen will, und dann wird die Bäckerei bombardiert. Ist das Ordnung? Wenn du jetzt nachschauen würdest, würdest du die Menschen auf den Straßen schlafen sehen. Und nach alledem bleiben die Leute still? Warum? Wo bleibt die Seele? Wo bleiben die Moslems? Meine Botschaft ist eine Aufforderung, wirklich Stellung für diese Leute zu beziehen, damit ihre Stimmen die Ohren der unterdrückerischen Herrscher erreichen. Was bedeutet Freiheit in deinem Land für dich?
Wir haben die Revolution natürlich begonnen, weil wir Freiheit wollten. Diese Freiheit soll für uns alle gelten. Freiheit, meine Religion ausüben zu dürfen und meinen Pflichten nach Gottes Willen nachzukommen, ohne dass jemand etwas dagegen hat. Meine Freiheit besteht darin, überall mitzumachen. Wir sind nicht klein. Von klein auf wurde uns gesagt: „Sei still, mein Sohn, die Wände haben Ohren.“ Von klein auf wussten wir über dieses Grauen Bescheid. Wir sind mit diesem Grauen aufgewachsen. Das müssen wir durchbrechen. Wir möchten leben wie alle anderen Menschen. Was kann die Weltbevölkerung tun, um Syrien zu helfen?
Sie kann eine Menge tun. Sie kann herauskommen und protes­tieren und die weltweiten Organisationen missbilligen, die sich nicht bereiterklärt haben, dem syrischen Volk zu helfen; sie kann ihre Regierungen zwingen, etwas zu tun. Es gibt zahlreiche Gerüchte, dass hier in Aleppo Ausländer an eurer Seite kämpfen. Was sagst du zu den Berichten, die FSA bestünde aus Extremisten?
Mein Bruder, die Freie Syrische Armee und die Revolutionäre stammen alle aus Syrien. Aber natürlich wirst du hier auch andere finden, Leute, die sich entschlossen haben, hierherzukommen, um ihre Brüder zu unterstützen. Sie stammen aus Tunesien, Libyen und anderen Ländern. Aber von ihnen gibt es nur wenige. Möge Gott mit ihnen sein, das sagen wir ihnen. Was die Revolutionäre angeht, so sind es syrische Revolutionäre, verstehst du? Sie sind Revolutionäre, die von diesem Boden stammen. Und du bist mit der Kamera hier und siehst, was vor sich geht. Es gibt unter den vielen Hunderten vielleicht ein paar Ausländer. Das heißt aber nicht, dass die gesamte Freie Syrische Armee aus ausländischen Kämpfern besteht. Wann hast du beschlossen, dich der Revolution anzuschließen?
Ich habe zunächst friedlich demonstriert. Die jungen Leute hatten Olivenzweige in der Hand. Dann begann man, die Jugend unter Beschuss zu nehmen und anzugreifen. Danach konnten wir keine Engel mehr bleiben. Sechs oder sieben Monate lang haben wir nicht einmal daran gedacht, zu den Waffen zu greifen. Wir dachten, „unseren Baschar“ würde das gleiche Schicksal ereilen wie Husni Mubarak und Ali Abdullah Salih. Wir dachten, die Revolution sei in einigen Monaten vorbei. Aber wie sich herausstellte, hatten wir keinen Präsidenten, sondern einen Mörder. Und dieser Mörder griff zu den Waffen und die einzige Option, die wir haben, ist zu den Waffen zu greifen und ihn aus dem Amt zu jagen. Wie wurdest du Befehlshaber?
Ich halte mich nicht für einen Offizier. Ich bin ein Diener und Bruder. Wir sind nicht wie andere Organisationen, wo ich nur im Vorbeigehen winke. Nein, ich stehe Seite an Seite mit meinen Männern und töte mit ihnen, um dieses Regime zum Schweigen zu bringen. Auch hier befinden wir uns in nur 200 Metern Entfernung vom Schlachtfeld. Was meine Ernennung anbetrifft, so waren es die Brüder, die mir den Titel großzügigerweise verliehen haben. Sie waren es, die mir diese Position zugedacht haben. Was hast du vor, wenn ihr die Revolution gewinnen solltet?
Ich werde mich etwas ausruhen. Ich werde langsam müde. Seit etwa einem Monat stehe ich unter dieser Anspannung. So Gott will, kümmern wir uns um die Lage des Landes. So Gott will, wird die Lage stabil sein, denn die Menschen und ihre Sicherheit liegen mir am Herzen. Wie du siehst, herrscht immer noch Unterdrückung. Es gibt Opportunisten, die sich auf den Namen der Revolution berufen. Aber diese Leute sind Lügner und Kriminelle. Wir kämpfen und sie kommen hinterdrein und stehlen. Wir werden sie der Gerechtigkeit zuführen. Wir werden erst ruhen, bis wir sie der Gerechtigkeit zugeführt haben und die Lage sich stabilisiert hat. Dann werde ich versuchen, meine alte Arbeit wieder aufzunehmen.

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30. September 2012: Ein FSA-Kämpfer zielt im Al-Arkoub-Viertel von Aleppo auf Soldaten der syrischen Armee.

Interview mit Abu Turab, FSA-Rebell und ehemaliger Zimmermann aus Homs

VICE: Wo warst du im März 2011, als die 13 Jungen in Dar’a wegen Sprühens Assad-feindlicher Graffiti festgenommen wurden?
Abu Turab: Ich war bei der Arbeit. Hast du an Protesten teilgenommen? Falls ja, was hast du bei diesen Protesten erlebt?
Ich habe an Protesten teilgenommen und wurde von einer Kugel getroffen. Aber ich wurde nicht festgenommen. Gab es einen bestimmten Moment, in dem du beschlossen hast, dass du militärisch gegen Assad vorgehen musst?
Ich habe erstmals darüber nachgedacht, mich der FSA anzuschließen, während meine Stadt belagert wurde und unter der Schabiha litt. Wann hast du das erste Mal von der FSA gehört?
Das erste Mal habe ich im Fernsehen von der FSA gehört. Kämpft noch jemand aus deiner Familie?
Meine gesamte Familie kämpft. Wie bist du dazugestoßen? Wie heißt dein Bataillon und wie wurde es gebildet?
Ich darf den Namen meines Bataillons nicht verraten, aber es wurde aus Leuten in der Nachbarschaft gebildet. Welche Qualifikationen braucht man, um für die FSA zu kämpfen?
Jeder kann der FSA beitreten. Wie ist sie organisiert? Wie werden Entscheidungen in deinem Bataillon getroffen?
Wir treffen Entscheidungen zusammen. Wer entscheidet, wann und wo gekämpft wird?
Das entscheiden wir alle zusammen. Was war dein erstes Gefecht bei der FSA?
Mein erstes Gefecht mit der FSA war bei der Befreiung des Az-Zahrawi-Palastes [einer historischen Stätte in Homs]. Gegen wen genau hast du gekämpft?
Ich habe gegen die Schabiha gekämpft. Mit wem hast du gekämpft?
Ich habe mit Leuten aus Homs gekämpft. Hast du gesehen, wie jemand getötet wurde? Und wenn ja, in welcher Situation?
Ich sehe täglich, wie Menschen durch Panzer und Fassbomben sterben. Die aus Helikoptern abgeworfenen Fässer, al-Baramil genannt, werden mit einer Mischung aus TNT, Öl und anderen Substanzen gefüllt, die explodiert und alles verbrennt und vernichtet. Die Menschen werden in kleine Stücke zerfetzt. Was war für dich persönlich bisher der absolut schlimmste Moment seit Ausbruch des Bürgerkrieges?
Seit die alten Viertel von Homs belagert sind, erhalten viele Verletzte keine medizinische Hilfe mehr. Wir sind gezwungen, Gliedmaßen mit primitiven Hilfsmitteln zu amputieren, wenn sich Wunden infiziert haben. Ich werde bald wieder kämpfen. Hast du dich verändert, seit du angefangen hast zu kämpfen?
Ja, ich bin ein besserer Mensch geworden. Haben sich deine Ansichten geändert, seit du bei der FSA kämpfst?
Ich habe jetzt mehr Vertrauen in Gott. Während des Konflikts wurde klar, dass die internationale Gemeinschaft gelogen hat. Was wirst du nach dem Krieg tun?
Ich werde danach wieder in meinen Job zurückkehren.

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26. September 2012: Ein verwundeter Kämpfer der Tauhid-Brigade in Aleppo

Interview mit Abu Ahmad, Bauingenieur und Überläufer der syrischen Armee

VICE: Wo bist du aufgewachsen?
Abu Ahmad: Salaheddin, Aleppo. Welche Arbeit haben deine Eltern?
Meine Mutter arbeitet nicht und mein Vater ist Immobilienmakler. Was hast du vor dem Krieg getan?
Ich war Bauingenieur und Leutnant bei der Armee. Wo warst du im Juli 2000, als Baschar al-Assad Präsident Syriens wurde?
Damals war ich noch an der Universität. Welche Erfahrungen hast du vor 2011 mit Assads Soldaten bzw. der Polizei gemacht?
Ich persönlich keine, aber ich war nicht sehr glücklich über ihr Verhalten. Wo warst du im März 2011, als die 13 Jungen in Dar’a wegen Sprühens Assad-feindlicher Graffiti festgenommen wurden?
Ich habe meinen Militärdienst bei Damaskus abgeleistet. Gab es einen bestimmten Moment, in dem du beschlossen hast, dass du militärisch gegen Assad vorgehen musst?
Es gab viele Dinge, die mich dazu gebracht haben, mich der Freien Syrischen Armee anzuschließen. Ich sah, wie die Sicherheitskräfte eine Frau hinter sich herzogen, nachdem sie sie nackt ausgezogen hatten. Sie wurde verflucht und beschuldigt, al-Dschasira herbeigerufen zu haben. Bevor du aus der syrischen Armee desertiert bist, hast du da eigentlich auch an Aktionen gegen die Demonstranten teilgenommen?
Ich war nicht an den Tötungen beteiligt, aber ich war Zeuge der Tötung von Demonstranten in Dar’a, Sakba, Samalka und Kefer Batna. Hast du auch gesehen, wie bei diesen Gefechten Zivilisten ums Leben kamen? Falls ja, kannst du erzählen, was genau da passiert ist?
Ich sah, wie viele junge und ältere Männer getötet wurden, als sie nach dem Freitagsgebet die Moschee verließen. Hast du jemanden getötet?
Nein. Wie ist die FSA organisiert?
Die Organisation ist nicht hierarchisch. Was war für dich persönlich bisher der absolut schrecklichste Moment seit Ausbruch des Bürgerkrieges?
Als einem Jungen in Dar’a von einem Scharfschützen der Unterkiefer zertrümmert wurde, zu Beginn der Revolution. Wirst du bald wieder kämpfen?
Ja. Was machst du nach Beenden des Konflikts?
Wenn Assad gefallen ist, werde ich wieder in meinen Job zurückkehren.

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2. Oktober 2012: Die Leiche eines FSA-Kämpfers, der im Kampf gegen die syrische Armee ums Leben kam, wird in ein Krankenhaus in Aleppo gebracht.

Interview mit Akhi Muhammad, einem übergelaufenen Offizier in der Freien Syrischen Armee aus Damaskus

VICE: Was haben deine Eltern beruflich gemacht?
Akhi Muhammad: Mein Vater war ein Büroangestellter im Ruhestand und meine Mutter Hausfrau. Was hast du vor dem Krieg getan?
Ich war freiwilliger Offizier in der syrischen Armee, aber ich hatte ein Diplom in Geografie, das ich während meines Dienstes in der Armee erworben habe. Wo warst du, als Baschar al-Assad an die Macht kam?
Ich war in Damaskus. Welche Erfahrungen hast du vor 2011 mit Assads Armee bzw. der Polizei gemacht?
Ich habe viele Erfahrungen gemacht. Am wenigsten schlimm an der Unterdrückung und Erniedrigung, die ich während meines Militärdienstes erlebt habe, war noch, dass zwischen den Reihen der Moslems und den Alawiten eine klare Trennung herrschte. Und dann gab es noch die Bestechung. Die Verkehrspolizei stoppte alle und forderte offen Bestechungsgeld ein, unter irgendeinem Vorwand, um an Geld zu kommen, meist so 25 syrische Pfund [etwa 36 US-Cent]. Wie hast du über die Meldung des Sturzes von Führern wie Ben Ali, Husni Mubarak und Muammar al-Gaddafi seit letztem Jahr gedacht?
Ich war glücklich, dass Tyrannen überall auf der Welt gestürzt wurden. Ich habe mir gewünscht, dass Gaddafi vor Gericht gestellt wird, damit all seine Geheimnisse ans Licht kommen. Für mich ist es natürlich einfach, das zu sagen, aber ich verstehe, dass das libysche Volk, dessen Familien und Kinder über Jahrzehnte wegen Gaddafis Dummheit sterben mussten, anderer Meinung war als ich. Vielleicht machen wir mit Baschar das Gleiche, wenn wir ihn kriegen, vielleicht sogar mehr. Wo warst du im März 2011, als die 13 Jungen in Dar’a wegen Sprühens Assad-feindlicher Graffiti festgenommen wurden?
Ich war auf meinem Armeestützpunkt in Damaskus. Warst du an Protesten beteiligt?
Nein, wir waren in Alarmbereitschaft, als die Revolution begann. Uns wurde kaum erlaubt, unsere Familien zu besuchen. Gab es einen bestimmten Moment, in dem du beschlossen hast, mit der Waffe gegen Assad vorzugehen?
Mein Bruder wurde festgenommen. Er erzählte mir, eine Verhaftung sei, als würde die ganze Welt zusammenbrechen, und dass du dich bei der Folter im Gefängnis nicht mehr als Mensch fühlen würdest. Physische Folter ist nicht so schlimm wie das Gefühl, dass alles, woran du glaubst, gedemütigt wird. Du fühlst dich wie ein Insekt, das zertreten wird. Sie sind ihm auf den Kopf gestiegen und haben ihn dazu gezwungen zu sagen, dass unsere Schwestern und unsere Mutter Huren seien, und sie sagten, sie würden mit ihnen Sex haben. Sie verfluchten Gott und zwangen ihn zu sagen, dass Baschar al-Assad der wahre Gott sei. Mein Bruder kam erst aus dem Gefängnis, als wir einem alawitischen Beamten 300.000 syrische Pfund [etwa 4.300 US-Dollar] gezahlt haben. Er war völlig am Boden zerstört. Als mein Bruder mir erzählte, was im Gefängnis mit den Leuten passiert, wusste ich, dass friedliche Proteste gegen dieses Regime nichts ausrichten können. Wann hast du das erste Mal von der Freien Syrischen Armee gehört? Und von wem?
Das erste Mal habe ich über das Staatsradio und -fernsehen von der FSA gehört. Die staatlichen Medien sprachen von den großen Erfolgen der Armee Assads gegen „terroristische Banden“. Wie kamst du von der syrischen Armee zur FSA?
Im Laufe der Zeit bemerkte ich, dass meine Kameraden in der Armee immer weniger Angst hatten, darüber zu sprechen, was im Land passiert. Nach und nach fiel die Mauer der Angst. Einer meiner Kameraden schlug vor überzulaufen, und drei anderen und mir gefiel die Idee. Wir begannen einige Wochen lang, unsere Desertierung zu planen. Wir hatten Gelegenheit, mit einem der FSA-Bataillone im Umland von Damaskus zu kommunizieren. Als wir uns an einem der Kontrollpunkte befanden, gelang es uns, in eine nahegelegene Stadt zu flüchten, und dort halfen uns die Bewohner zu dem Bataillon zu kommen, mit dem wir kommuniziert hatten. Warst du als Soldat der syrischen Armee an irgendwelchen Einsätzen gegen Demonstranten beteiligt?
Ich habe niemanden getötet, ich habe meist auf dem Stützpunkt gearbeitet. Später dann, als das syrische Regime mehr Soldaten für den Kampf benötigte, wurden wir an die Kontrollpunkte verlegt. Wo warst du und was hast du im April 2012 gemacht, als der „Waffenstillstand“ der UN diskutiert wurde?
Ich war in meinem Bataillon; wir hofften, dass der Waffenstillstand eingehalten werden würde, aber das Regime setzte seine Angriffe auf Zivilisten fort und das hat all unsere Hoffnungen zunichtegemacht. Welche Qualifikationen braucht ein Kämpfer bei der FSA?
Er muss an das glauben, was er tut. Und er muss wissen, dass der Tod kommt, egal ob er jetzt getötet wird oder auf natürliche Weise stirbt. Kannst du die Gefechte beschreiben, in denen du gekämpft hast?
Wie soll ich das beschreiben? Jedes hat ein anderes Ziel, aber letztendlich besteht das Ziel darin, diese Verbrecher daran zu hindern, die zivilen Gebiete zu erreichen. Wenn wir gehen, sprechen wir ein Todesgelöbnis, um zum Ausdruck zu bringen, dass wir notfalls bis zum Tode kämpfen, und wir beten. Ich merke, wie mein Puls sich beschleunigt und mir kalter Schweiß den Rücken runterrinnt. Wenn wir das Kampffeld erreichen, erhalte ich das Startsignal von unserem Anführer, und dann höre ich nur noch das Geräusch der Kugeln und vergesse alles andere. Alle Gefühle sind erstarrt und alles andere verschwindet. Gegen wen hast du gekämpft? Welche Waffen hatten sie und wie ist der Kampf ausgegangen?
Wir kämpfen gegen jeden, der Zivilisten beschießt, das heißt die Armee und die Schabiha, vor allem die Schabiha, denn sie kennen keine Moral oder religiösen Schranken—keine Grenzen bei dem, was sie tun. Es sind Banden, die nur daran interessiert sind, zu stehlen und zu töten. Ich kann nicht behaupten, dass wir immer siegen. Manchmal ziehen wir uns zurück, weil die Intensität des feindlichen Feuers oder seiner mittelschweren oder schweren Waffen zu hoch ist oder wenn der Feind zahlenmäßig stärker ist als erwartet. Bei diesen Gefechten greifen wir an und ziehen uns dann zurück. Hast du gesehen, wie jemand getötet wurde? Und wenn ja, in welcher Situation?
Ich habe gesehen, wie Zivilisten durch die Hand der Schabiha ums Leben kamen. Drei Soldaten trieben eine Frau aus ihrem Haus. Sie sprachen mit ihr und haben sie dann getötet. Hast du jemanden getötet? Falls ja, in welcher Situation?
Glaubst du, ich habe aus Vergnügen geschossen? Was war für dich persönlich bisher der absolut schlimmste Moment seit Ausbruch des Bürgerkrieges?
Der schwierigste Moment, den ich durchmachen musste, war die Entscheidung, zu desertieren. Ich hatte gemischte Gefühle, war glücklich, weil ich mich von der Sklaverei des Assad-Regimes befreite, und hatte zugleich Angst um meine Familie und wegen dem, was das Regime mit ihnen machen würde, vor allem, weil ich in der Armee war und bei meiner Rückkehr als Verräter behandelt werden würde. Auf mich wartet nur die Exekution. Wie sehen deine Pläne für die Zeit nach dem Krieg aus?
Ich habe keine klaren Vorstellungen, was die Zukunft angeht. Im Moment tue ich etwas für mich und mein Volk. Vielleicht arbeite ich wieder in der Armee oder ich suche mir einen anderen Job. Keine Ahnung. Dies ist nicht die Art von Leben, das ich mir erhofft habe. Aber meine Freunde und ich wurden dazu gezwungen. Ich werde nie aufgeben. Wir machen weiter bis zum Schluss. 30. September 2012: Verwundete Zivilisten, Kinder und FSA-Kämpfer werden in einem Krankenhaus in Aleppo behandelt.

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Interview mit Ahmed al-Hadschi, Koordinator des FSA-Pressezentrums in Aleppo VICE: Welche Rolle hast du bei der Revolution?
Ahmed al-Hadschi: Ich bin verantwortlich für das Pressezentrum. Wir drehen Videos über das Geschehen: Bombardierungen, Kampfjets und gelegentlich Gefechte. Was hast du vor dem Krieg gemacht?
Vor dem Krieg habe ich Maschinenbau studiert. Jetzt bin ich offiziell Maschinenbauingenieur. Hattest du zu Beginn der Revolution die Hoffnung, dass Amerika und Europa helfen würden, Assad zu stürzen?
Zu Beginn ja. Zu Beginn der Revolution habe ich gehofft und geglaubt, dass Amerika und Europa uns unterstützen und helfen würden. Aber nach einigen Monaten habe ich gesehen, dass uns kein Land helfen kann. Gibt es islamische Gruppen, die euch beim Kampf für die Revolution unterstützen?
Es gibt Syrer, die uns helfen. Sie leben außerhalb des Landes. Sie helfen uns mit Ausrüstung. Sie bringen uns bei, was wir tun sollen. Sie geben uns wichtige Informationen. Die US-Außenministerin Hillary Clinton und Barack Obama haben gesagt, sie würden der Freien Syrischen Armee und den Mitarbeitern im Pressezentrum Kommunikationstechnik zur Verfügung stellen. Haben sie dieses Versprechen an das syrische Volk erfüllt?
Bisher noch nicht. Aber wir erwarten nicht wirklich, dass sie uns etwas geben. Es wäre eine große Hilfe, wenn sie es täten. Aber wir wissen, dass sie es nicht tun werden. Gab es zu Beginn der Revolution Leute, die die amerikanische Flagge geschwungen haben, in der Hoffnung, Amerika würde helfen, das unterdrückte syrische Volk zu befreien?
Nein, zu Beginn dachten wir, Amerika und Europa würden uns helfen. Nicht, weil wir ihre Flaggen hissen, sondern weil wir dachten, dass sie an Demokratie und Menschenrechte glauben. Jetzt wissen wir, dass sie nicht daran glauben. Alles, woran sie glauben, ist: „Was bringt mir das?“ Warum, glaubst du, haben Amerika und der übrige Westen keine militärische oder logistische Unterstützung angeboten?
Weil Syrien ein sehr wichtiges Land ist und wir eine Grenze zu Israel, dem Irak, dem Libanon und der Türkei haben. Das ist ein wichtiger Ort für die Welt. Deshalb wollen sie nicht, dass wir stark sind. Sie wollen nicht, dass die FSA stark ist. Sie wollen nicht, dass wir schwere oder mittelschwere Waffen haben. Was bedeutet Freiheit für dich?
Eine große Frage. Freiheit bedeutet nicht allein zu sagen: „Wir wollen Freiheit, wir wollen Freiheit.“ Es bedeutet eine Menge. Freiheit bedeutet, menschlich zu sein. Wenn du keine Freiheit hast, bist du wie ein Tier. Du bist wie ein Sklave. Und das Leben eines Sklaven? Das ist schwer zu ertragen. Hast du dich unter dem Assad-Regime wie ein Sklave gefühlt?
Nein, denn mein Vater und meine Mutter haben mir beigebracht, was Freiheit ist. Ich bin jung, nicht alt. Deswegen habe ich den Druck dieser Gesellschaft noch nicht erlebt. Ich habe meine Freiheit vorher gehabt. Aber die meisten Leute waren Sklaven, weil sie morgens zur Arbeit gehen mussten und erst spätabends heimkehrten. Sie hatten keine Zeit für irgendetwas anderes. Sie konnten nichts sagen. Sie haben alles nur gemacht, ohne zu wissen, warum. Sie haben nicht mal Zeit zum Denken. Wie war das Leben unter Assad?
Es ist, als sei man im Irak. Du hast alles, aber nicht für dich. Um dich herum ist alles vorhanden, aber nicht für dich. Für wen ist es dann?
Für Assads Familie. Seine Leute, seine Mafia. Du gehst morgens raus, filmst die Leichen und dann lädst du alles ins Internet hoch—das ist deine Arbeit. Warum riskierst du dein Leben, um diese Dinge zu dokumentieren?
Ich mache das, weil ich glaube, dass das Leben so nicht sein sollte. Wenn ich meine Freiheit nicht hätte, wäre der Tod besser. Und unsere Kinder verdienen es, dass wir unser Leben für dieses Land, für die Freiheit geben. Für die Freiheit musst du einen Preis zahlen. Es ist ein hoher Preis, aber wir sollten ihn bezahlen. Selbst wenn der Preis sehr, sehr hoch ist. Vor unserem Interview hast du mir erzählt, dass du bereits zweimal als tot gemeldet wurdest. Kannst du mir das erklären?
Ich kann es mir nicht einmal selbst erklären. Vor fünf Tagen befanden wir uns in einer äußerst schwierigen Lage und waren von Assads Armee eingeschlossen. Einige Leute dachten, ich wäre tot, weil es keinen Ausweg gab. Und wir hatten uns ergeben. Doch Gott sei Dank haben wir überlebt. Als ich dann zurückkam, waren also alle überrascht. Sie dachten, ich sei tot. Es war veröffentlicht worden. Gibt es ausländische Kämpfer, die an eurer Seite in Syrien kämpfen?
Ja. Welche Gruppen kennst du?
Es gibt ein paar Kämpfergruppen hier in Aleppo. Außerhalb, keine Ahnung. Aber in Aleppo haben wir sie gesehen, alle haben sie gesehen. Ein paar Männer— höchstens 100 oder 200. Wir danken ihnen. Wir danken ihnen, weil sie hergekommen sind, um dem syrischen Volk zu helfen. Wir sind ihnen sehr dankbar, dass sie ihr Leben für unsere Freiheit opfern. Das bedeutet uns wirklich sehr viel. Es hält sich ja hartnäckig die Theorie, dass Syrien von al-Qaida infiltriert wurde? Glaubst du das auch?
Offiziell? Nein. Doch es gibt ein paar Männer, die wie al-Qaida denken, aber sie haben sich nicht offiziell mit al-Qaida zusammengetan. Kommen wir zurück zu der Frage, warum Amerika und Europa uns nicht helfen wollen. Warum? Sie wollen es so. Sie wollen, dass al-Qaida hierherkommt. Und wenn al-Qaida kommt, wollen sie, dass al-Qaida hier getötet wird. Auf einer Demonstration, bei der ich am Freitag war, waren eine Menge islamischer Flaggen zu sehen, dieselbe, die al-Qaida verwendet. Ist das Phänomen neu hier und falls ja, was ist deiner Ansicht nach der Grund dafür?
Zwei Sachen: Erstens ist Aleppo nicht wie die meisten anderen Städte in Syrien. Hier gibt es eine Menge religiöser Leute. Dafür ist die Stadt bekannt. Die Leute tragen Hidschabs und gehen zur Moschee. Es ist nicht wie in Homs, nicht wie in Damaskus. Zweitens würde sich jeder, wenn das Leben so schwierig wird, wenn schnell getötet wird und der Feind immer mehr Leben von kleinen Kindern, Mädchen und Frauen nimmt Gott zuwenden. Muslime, Christen, Juden, Hindus, Buddhisten. Viele Intellektuelle behaupten, die Religion sei allein für gefährliche Situationen entstanden. Denn in Gefahr sollte der Mensch jemand Mächtiges über sich haben, jemanden, den er um Hilfe anflehen kann. Selbst in Amerika würden die Amerikaner sich an ihren Gott wenden, wenn Obama auf einmal auf sein Volk schießen würde. Ich weiß, dass viele Amerikaner nicht an Gott glauben, an keinen Gott. Doch in so einer Lage würden sie zu Gott zurückfinden und zur Kirche gehen und überall Bibeln verteilen. Das würde sie aus dem Dunkel in den Himmel bringen und ihnen einen Ort der Hoffnung geben, wie ihn jeder in so einer Situation braucht. Arbeitest du gern mit ausländischen Medien zusammen?
Mir gefällt das, weil ich will, dass die Menschen auf der Welt sehen, was hier passiert. Wir in den Pressezentren müssen gegen die Propaganda der Medien Assads kämpfen. Seine Medien sind nicht für die Menschen in Syrien bestimmt, denn er weiß, dass sie wissen, dass er lügt. Wir müssen mit den ausländischen Journalisten zusammenarbeiten, sie dahin bringen, wo die Gefechte und die toten Menschen sind, wo die Zerstörung herrscht. So wie ich dich gestern in die Altstadt mitgenommen habe, um das Feuer zu sehen; Assads Armee hat unsere historische Altstadt in Brand gesetzt.

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30. September 2012: Verwundete Zivilisten, Kinder und FSA-Kämpfer werden in einem Krankenhaus in Aleppo behandelt.

Interview mit Dr. Osman, Arzt an einem Krankenhaus in Aleppo

VICE: Wie lange bist du schon Arzt?
Dr. Osman: Seit 2005.

Dein Krankenhaus wurde bereits mehrmals von Assads Truppen getroffen, stimmt das?
Ja. Es wurde fünf Mal getroffen und es gab mehr als 15 Treffer im Umkreis des Krankenhauses.

Betrachtest du diese Aktionen als Kriegsverbrechen?
Ja, natürlich, aber das syrische Regime betrachtet Krankenhausmitarbeiter und Ärzte als militärische Ziele.

Was ist deiner Ansicht nach der Grund dafür?
Wenn man einen Arzt tötet, ist das viel besser, als 1.000 Kämpfer zu töten.

Ist dein Leben in Gefahr?
Mein Leben ist schon seit Langem in Gefahr, aber meine Sorge gilt meiner Familie und meinem Vater und meiner Mutter, weil das syrische Regime mich gefangen nehmen und allen Schwierigkeiten bereiten wird, die ich hier kenne. Aber du bist bereit, dieses Risiko einzugehen. Warum?
Ich bin kein Mann, der sich vor seiner Pflicht drückt; dies ist meine Pflicht, dies ist mein Leben, dies ist meine Botschaft. Wir retten Leben.

Hast du bei deinem Abschluss an der Universität den Hippokratischen Eid geleistet und geschworen, du würdest Leben retten und in Ausübung deines Dienstes niemandem Schaden zufügen?
Ja, das machen alle Ärzte.

Assad ist Arzt, also muss auch er den Eid geleistet haben.
Assad ist vom Gesetz her Arzt, aber vom Blut her Diktator.

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Du sagst also, dass er seinem Eid nicht Folge leistet?
Nein, und er hat viele Ärzte töten lassen. Drei meiner Freunde wurden vom Nachrichtendienst gefangen genommen. Sie nahmen Medizinstudenten gefangen und töteten sie.

Ihr Ärzte werdet bei dieser Revolution als Helden betrachtet. Würdest du dich selbst als Held betrachten?
Nein, ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch, ich tue nur meine Pflicht. Wir haben bereits zu Anfang der Demonstrationen und der Revolution gearbeitet. Ich wurde zweimal festgenommen und habe fünf Monate im Gefängnis verbracht. Aber viele Menschen, die festgenommen werden, stecken in ernsten Schwierigkeiten.

Warum wurdest du festgenommen?
Ich wurde festgenommen, weil ich jemanden behandelt habe, der bei einer Demonstration verletzt wurde.

Wie lange könnt ihr Patienten hier bei euch im Krankenhaus behalten?
Hier ist es nicht sicher—die Krankenhäuser sind nicht sicher. Wir können Patienten nicht lange hierbehalten, also schicken wir sie nötigenfalls dahin, wo es sicher ist.

Wie sieht es mit der Versorgung aus? Fehlt es eurem Krankenhaus an medizinischem Material?
Ja. Die Versorgung ist gut, aber nicht gut genug. Wir haben Material und Vorräte. Das größte Problem ist das Operationsmaterial. Viele meiner Patienten sind gestorben, weil nicht genügend geeignete OP-Materialien und Betäubungsmittel vorhanden sind. Wie viele Patienten behandelst du im Durchschnitt?
Zwischen 100 und 150 in der Woche. Die meisten sind Zivilisten, einige sind von der Freien Syrischen Armee. Bekommt ihr irgendeine externe Unterstützung aus dem Westen?
Ja, bei uns arbeiten britische Ärzte und es gibt viele weitere, die uns unterstützen. Die größte Hilfe stammt jedoch von unseren Brüdern aus Ägypten.

Kannst du nachts schlafen?
Ich habe jede Nacht schlimme Träume, in denen Kindern die Beine amputiert werden, und jeden Tag denke ich darüber nach, Syrien zu verlassen und mein normales Leben fortzuführen. Aber wenn ich gehe, wer kümmert sich dann um die Patienten? Ich hoffe, dass dieser Krieg bald vorüber ist und wir das Problem ändern können und meine bösen Träume nie wiederkehren.