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The Syria Issue

The Vice Guide to Syria

Wir haben in diesem Führer die Fakten aus Tausenden von Buchseiten, Biografien, religiösen Texten, Augenzeugenberichten, Zeugnissen und anderen Informationen zusammengetragen. Wir hätten noch Dutzende mehr aufnehmen können, meinen aber, dass die unten...

Illustrationen von Mike Taylor

Wir haben in diesem Führer die Fakten aus Tausenden von Buchseiten, Biografien, religiösen Texten, Augenzeugenberichten, Zeugnissen und anderen Informationen zusammengetragen. Wir hätten noch Dutzende mehr aufnehmen können, meinen aber, dass die unten aufgeführten Themen die wichtigsten sind, um euch die Vielschichtigkeit des Konfliktes zu zeigen. Falls ihr es noch nicht getan habt, empfehlen wir euch, den illustrierten chronologischen Abriss von Syriens turbulenter Geschichte Der Weg in den Abgrund auf Seite 44 zu lesen, um euch einen Überblick über die wichtigsten Fakten zu verschaffen, bevor ihr euch auf den Guide stürzt.

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HAFEZ AL-ASSAD
Hafiz al-Assad, der Vater des aktuellen syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, ist die wichtigste Persönlichkeit in Syriens kurzer Geschichte als unabhängiger Staat. Beinahe jeder Aspekt des modernen syrischen Lebens wurde von Hafiz geprägt, was wenig überrascht, wenn man bedenkt, dass er das Land jahrzehntelang mit eiserner Faust regierte—von 1970 bis zu seinem Tod im Jahre 2000. Hafiz stammt aus einer Familie mächtiger Männer. Sein Großvater Sulayman wurde von den Bewohnern seines Dorfes als starker und mutiger Mann respektiert und war für seine Schießkünste bekannt. Sie gaben ihm den Spitznamen „al-Wahschi“ („Der wilde Mann“), der ihm scheinbar so gut gefiel, dass er ihn zu seinem Familiennamen machte. Sein Sohn Ali Sulayman erbte viel von der grimmigen Entschlossenheit seines Vaters und festigte den Ruf der Familie unter den alawitischen Bergstämmen. 1927 änderte er auf Anraten der Dorfältesten den Namen in das etwas vornehmere al-Assad, was „Der Löwe“ bedeutet. Laut Patrick Seales Biografie Asad: Struggle for the Middle East wurde Hafiz in Qardaha geboren, zu einer Zeit, als das im Nordwesten gelegene Dorf „nur aus etwa hundert Lehm- und groben Steinhäusern am Ende einer unbefestigten Straße bestand. Es gab weder eine Moschee noch eine Kirche, kein Geschäft, kein Café und keine gepflasterte Straße.“ Wenige Menschen in dieser Region konnten lesen, aber Hafiz hatte das Glück einen Platz in der nahegelegenen Grundschule aus der französischen Kolonialzeit zu bekommen. Mit 16 trat er der weltlichen Panarabischen Baath-Partei bei, für die er sich bald als wertvolles Mitglied erwies, indem er Baathistische Literatur verteilte, geheime Versammlungen in seinem Haus abhielt, gegnerische Gruppen bekämpfte und sich mit der Polizei anlegte. 1963 spielte Hafiz eine entscheidende Rolle bei einem Staatsstreich, der die Baathisten an die Macht brachte. Drei Jahre später half er bei einer noch blutigeren Übernahme, die seine Ernennung zum Verteidigungsminister zur Folge hatte. Vier Jahre später inszenierte er einen weiteren Putsch und bahnte sich gewaltsam seinen Weg ins Präsidentenamt, das er für den Rest seines Lebens innehaben sollte. Als gewandtes, aber kompromissloses Staatsoberhaupt gelang es Hafiz, dem Schicksal früherer syrischer Machthaber zu entgehen, indem er die Konkurrenz ausschaltete und mit brutaler Gewalt gegen die Opposition vorging. Er zentralisierte das politische System des Landes, änderte die Verfassung und verbündete sich mit der Sowjetunion. Er bediente sich der Propaganda, um sich als Mann des Volkes darzustellen, und modernisierte gewaltsam Syriens Infrastruktur, wobei er Regimekritik in jeglicher Form unterdrückte. Dafür erweiterte er den Einflussbereich der syrischen Sicherheitskräfte und schuf einen regelrechten Personenkult nach sowjetischem Vorbild um seine Person, indem er Tausende von Statuen, Porträts und Plakate in Auftrag gab, die überall im Land aufgestellt und aufgehängt wurden. 1982 befahl er das Massaker an mehreren Tausend Sunniten in Hama, der viertgrößten Stadt des Landes, und ein Jahr später schlug er einen Putschversuch seines jüngeren Bruders Rifaat nieder. In einer gerechten Welt wäre Hafiz lange vor seinem Tod für seine jahrzehntelange Tyrannei bestraft worden. Stattdessen verstarb er im Jahre 2000 einigermaßen friedlich an den Folgen eines Herzinfarkts.

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BASHAR AL-ASSAD
Baschar al-Assad wurde 1965 in Damaskus geboren, fünf Jahre, bevor sein Vater sich an die Spitze der Partei der Baathisten hocharbeiten konnte. Als drittes von fünf Kindern hatte Baschar eine relativ normale Kindheit, zu der häufige Fußball- und Tischtennisspiele mit seinem Vater gehörten. In Baschar wurden keine großen Erwartungen gesetzt, da es beschlossene Sache war, dass—zu gegebener Zeit—sein älterer Bruder Basil das Präsidentenamt von seinem Vater übernehmen würde. Basil war charismatisch, selbstbewusst und ein guter Sportler, und es verstand sich von selbst, dass er die Nachfolge antreten sollte. Baschar dagegen war schüchtern und zeigte gar keine Ambitionen, das Land zu regieren. 1982 schloss er die Oberschule ab und wurde zum Militärarzt ausgebildet, um danach in London Augenheilkunde zu studieren. 1994 veränderte sich Baschars Leben von Grund auf, als Basil bei einem Autounfall ums Leben kam. Unmittelbar nach dessen Beisetzung wurde Baschar zum künftigen Nachfolger bestimmt, und damit begann seine Vorbereitung auf das Präsidentenamt: Er ging auf die Militärakademie und richtete sich im Büro seines verstorbenen Bruders ein. Hafiz starb am 10. Juni 2000 und Baschar übernahm das Präsidentenamt im zarten Alter von 34 Jahren, wofür das Mindestalter herabgesetzt werden musste, damit Baschar für die Präsidentschaft „kandidieren“ konnte. Es wurde eine Scheinwahl abgehalten, was sich im Jahre 2007, bei seiner „Wiederwahl“, wiederholte. Die Geschichte des unbedeutenden Sohnes, der das Imperium übernimmt, klingt wie der Stoff des Mafia-Dreiteilers Der Pate. Auch wenn Baschar mehr Fredo als Michael ähnelt. Nahestehende der Regierung erzählten der Financial Times, dass Baschar eher gehemmt ist und zu Stimmungsschwankungen neigt. Sein Onkel Rifaat, der nach dem Putschversuch 1983 das Land verlassen hatte, berichtete CNN, dass Baschar „befolgt, was das Regime in seinem Namen beschließt“. Baschar wäre vielleicht ein ordentlicher Arzt geworden, aber als Diktator sei er brutal und wankelmütig, eine höchst gefährliche Kombination. „Morgens diskutiert man mit ihm ein Problem und einigt sich auf eine Lösung, und abends hat ihn jemand anders wieder umgestimmt“, sagte der ehemalige syrische Vizepräsident Abd al-Halim Khaddam. Ob es falsche Entscheidungen waren, Pech, oder eine Mischung aus beidem: Baschar hat sich mit brutaler Gewalt selbst in eine Sackgasse manövriert. Manche Beteiligten sagen, dass er sich weigert zurückzutreten, weil er fürchtet, dass in diesem Falle sein alawitischer Clan von den Rebellen niedergemetzelt werden würde. „Syriens Präsident Assad hat sich in eine Außenseiterposition drängen lassen“, hieß es im Sommer in einer Schlagzeile der Washington Post. Ein passender Nachruf auf einen Mann, der sowohl vom Präsidentenamt als auch von der Revolution überrumpelt wurde, den aber fehlender Wille oder Unvermögen daran hindern, den Konflikt endlich beizulegen. Wenn man auf seine Jugend zurückblickt, erscheint es völlig absurd, dass dieser verschrobene Sonderling, der den Hippokratischen Eid abgelegt hat, inzwischen in einem Atemzug mit Muammar al-Gaddafi, Saddam Hussein und Kim Jong-il genannt wird. Gelegentlich wird er sich bestimmt fragen: „Verdammt, was mach ich hier eigentlich? Ich wollte doch Augenarzt werden und englische Mädchen vögeln.“

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BÜRGERRECHTE UND DAS NOTSTANDSGESETZ
Wie ihr euch vorstellen könnt, war Syrien noch nie ein Paradies der Freiheit und der Menschenrechte. Während der Kolonialzeit exekutierte die französische Verwaltung regelmäßig Dorfbewohner ohne fairen Prozess und stellte die Leichen der „Räuber“ zur Abschreckung auf dem Marktplatz von Damaskus zur Schau. Nach dem Zweiten Weltkrieg löste Adib Schischakli, ein militärischer Oberbefehlshaber, der das Land regierte, alle Oppositionsparteien auf, verbot die Zeitungen und verfolgte ethnische Minderheiten. 1963 übernahm die Baath-Partei die Macht und erklärte den Notstand, wodurch die nationalen Sicherheitskräfte weitreichende Machtbefugnisse erhielten; das sogenannte Notstandsgesetz wurde erst im April 2011 aufgehoben, ironischerweise kurz bevor die echte Krise begann. Syriens Notstandsgesetz schrieb vor, dass Bürger verhaftet, eingesperrt und verurteilt werden konnten, ohne dass ihnen ein ordentlicher Prozess gemacht oder ihnen ein Anwalt gestellt werden musste. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Es werden zwar Wahlen abgehalten, aber die sind eine bloße Formalität. Das Versammlungsrecht ist zwar in der Verfassung verankert, aber Versammlungen mit mehr als fünf Teilnehmern müssen erst vom Innenministerium genehmigt werden. Vor der Revolution wurden Demonstrationen gegen Israel in der Regel gestattet, während pro-islamische, pro-kurdische und Proteste von Regierungsgegnern schnell aufgelöst wurden. Als die Demonstrationen im letzten Jahr häufiger wurden, bekamen die Sicherheitskräfte von der Regierung grünes Licht, Proteste zu zerstreuen, indem sie auf Zivilisten schossen und sie auf der Straße sterben ließen. DER DAMASZENER FRÜHLING
Eigentlich war es anders geplant. Als Baschar 2000 die Regierungsgeschäfte übernahm, hofften die Syrer, dass der im Westen ausgebildete neue Präsident nach und nach den Sicherheitsapparat abbauen würde. Stolze Bürger trafen sich in Privathäusern, um über Reformen zu diskutieren; sie bildeten die Bewegung des „Damaszener Frühling“. Intellektuelle unterzeichneten die „Stellungnahme der 99“, ein Manifest, in dem sie die Aufhebung des Kriegsrechts und die Befreiung von politischen Gefangenen forderten. Baschar gab ihnen sogar Grund zur Hoffnung, als er das Mezzeh-Gefängnis schließen ließ, das schon seit Langem wegen der brutalen Behandlung seiner Insassen in Verruf war. Aber diese Hoffnung sollte bald enttäuscht werden. Im August 2001 griff das Regime hart gegen die Reformer durch, inhaftierte die bekanntesten Köpfe der Diskussionsgruppen, die zuvor geduldet worden waren, und beschuldigte sie „die Verfassung mit illegalen Mitteln zu verändern“ und „ethnische und konfessionelle Konflikte“ zu schüren. Der Westen hofft natürlich, dass die Rebellen—sobald Assad gestürzt ist—eine freie und demokratische Gesellschaft einführen werden, … und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Doch seit die Freie Syrische Armee Unterstützung von Dschihadisten erhält, steht zu befürchten, dass das Land das weltliche, autoritäre Regierungssystem rasch gegen theokratische Unterdrückung eintauschen wird, wenn religiösem Extremismus kein Riegel vorgeschoben wird. RUSSLAND
Russland ist Syriens ältester und mächtigster Verbündeter und seine Regierung ist einer der letzten Freunde, die Assad außerhalb Syriens noch hat. Sie hat bisher alle UN-Resolutionen, die das Regime verurteilen sollten, verhindert und (gelegentlich begleitet von China) gegen jeden Versuch, Sanktionen gegen eine Regierung zu verhängen, die Zivilisten tötet, Veto eingelegt. Währenddessen verkauft Russland weiter Waffen an Assad. Eine der größten Transaktionen wurde im letzten Januar abgewickelt, als der Kreml einen Vertrag unterschrieb, um 36 Kampfjets für 550 Millionen Dollar nach Syrien zu schicken. Die Jets sollen erst in einigen Jahren ausgeliefert werden, was beweist, dass Russland davon ausgeht, dass die aktuelle Regierung—oder ein Abzug davon—noch eine Weile im Sattel bleibt. Die komfortable Beziehung zwischen Damaskus und Moskau reicht zurück bis in die Zeit des Kalten Krieges. In den 50er Jahren hat der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow mehr als 200 Millionen Dollar an Hilfszahlungen nach Syrien geschickt, was Teil des neokolonialistischen Schachspiels war, das zwischen den arabischen Staaten ausgetragen wurde. Das Bündnis zwischen der UDSSR und Syrien blieb auch nach dem erfolgreichen Staatsstreich von Hafiz im Jahre 1970 stark. Die Sowjets schickten ganze Schiffsladungen mit Waffen nach Syrien, um Israels Einfluss zu schwächen, und Syriens Begeisterung für russische Kanonen ist bis heute ungebrochen. 2011 verkaufte Russland Syrien Waffen im Wert von einer Milliarde Dollar, und zum derzeitigen Zeitpunkt gibt es keinen Anlass anzunehmen, dass diese Summe in diesem Jahr nicht noch übertroffen werden kann. Geopolitisch entscheidender als die Waffengeschäfte ist der russische Marinestützpunkt in Tartus. Hafiz hatte den Sowjets 1971 gestattet, die Basis zu errichten, und der Hafen hat sich seitdem zu verschiedenen Anlässen als strategisch wertvoll erwiesen. Außerdem ist es der einzige russische Militärhafen außerhalb des ehemaligen Sowjetgebiets, der noch in Betrieb ist. Realpolitisch betrachtet ist es durchaus nachzuvollziehen, dass Wladimir Putin und Konsorten wollen, dass Assad an der Macht bleibt. Auf der einen Seite ist er ein geschätzter Waffenkunde, aber was noch wichtiger ist: Im Hafen von Tartus können die Russen ihre atombetriebenen U-Boote mit frischem Uran versorgen.

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LIBANON
Syriens lange und verwickelte Geschichte mit dem Libanon reicht zurück bis zu dessen Abspaltung von Syrien im Jahre 1920, als die europäischen Großmächte noch den Großteil des Nahen Ostens beherrschten. Von 1976 bis 2005 waren syrische Truppen im Libanon ständig präsent, bis zur Zedernrevolution, bei der Syriens Sicherheitskräfte aus dem Land geworfen wurden. Aber syrische Geheimdienste halten noch immer die Stellung im Libanon und werden beschuldigt, für eine Reihe von Ermordungen hochrangiger libanesischer Amtsträger verantwortlich zu sein. Unter dem Druck des aktuellen Konflikts beginnen die engen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bande zwischen den beiden Ländern zu bröckeln.
Die libanesische Regierung ist im Großen und Ganzen in zwei Blocks geteilt: das regimefreundliche Bündnis des 8. März, das die Mehrheit innehat, und die Opposition, das rebellenfreundliche Bündnis des 14. März. Die schiitische Hisbollah beherrscht den 8. März und stellt mit Abstand die stärkste politische Kraft im Land dar. Assads Regime ist einer der größten Geldgeber der Hisbollah, versorgt sie mit Waffen und bietet ihnen politischen Schutz. Diese Beziehung hat den Ruf der Hisbollah in der arabischen Welt geschmälert, steht sie doch in dem Verdacht, Assads blutigen Feldzug gegen sein eigenes Volk mit Hisbollah-Kämpfern zu unterstützen. Einige regimefreundliche libanesische Politiker sind für die Bildung eines pan-arabischen „Großsyriens“, das auch den Libanon umfassen würde. Die syrische Regierung und viele ihrer Befürworter betrachten den Libanon immer noch eher als syrische Provinz denn als unabhängigen Nachbarn. Aber bei vielen Libanesen stellen sich die Nackenhaare hoch bei dem Gedanken an eine Wiedervereinigung mit Syrien, denn in ihren Augen sind die Syrer Unterklassemenschen. Die Befürchtung, dass der Konflikt auf den Libanon übergreifen könnte, gründet sich auf der engen Beziehung der beiden Staaten und ihrer Bürger. Dieser Tage spielt sich der syrische Bürgerkrieg manchmal in der im Norden gelegenen libanesischen Stadt Tripolis ab, wo dortige sunnitische Schützen, welche die syrischen Rebellen unterstützen, angeblich gegen libanesische Alawiten gekämpft haben. Beirut ist in letzter Zeit zum Schauplatz tödlicher Kämpfe und Bombenanschläge zwischen Regimebefürwortern und -gegnern geworden—eine erschreckende Aussicht für ein Land, das sich noch immer nicht von seinem eigenen blutigen Bürgerkrieg erholt hat, der erst vor wenigen Jahren zu Ende gegangen ist. „Seit ich erwachsen bin habe ich nichts anders kennengelernt“, sagte uns Abu Ibrahim, ein libanesischer Befehlshaber und Befürworter der Rebellen während der Zusammenstöße in Tripolis. Er meinte die Kämpfe mit den von Syrien unterstützten Milizionären im Libanon. Er zeigte uns Narben, die, wie er sagte, vom Kampf mit den syrischen Soldaten 1983 stammten, und fügte hinzu, dass er seine Söhne vorerst nicht kämpfen lassen würde. Der syrischen Armee und ihren Vertretern vor Ort wird auch vorgeworfen, während des Bürgerkriegs in Tripoli Sunniten ermordet zu haben, ein finsteres Kapitel, das die Libanesen aus Tripoli niemals vergessen werden. Der im Libanon tief sitzende Hass und das Misstrauen gegenüber den Syrern werden noch verschärft durch die fast täglichen syrischen Einfälle auf libanesisches Gebiets. Mit seinem relativ schwachen Militär und einem Sicherheitsapparat, der dem syrischen Regime größtenteils noch treu ergeben ist, hat der Libanon bis heute noch nicht wirkungsvoll auf diese Übergriffe reagieren können.

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DIE KURDEN
Die Kurden sind mit etwa zwei Millionen Menschen die größte ethnische Minderheit in Syrien. Sie sind größtenteils säkulare Sunniten und siedeln schon seit der Zeit der Kreuzzüge in den nördlichen Provinzen Syriens. Nachdem sie in den 1960er Jahren ihre Pässe abgeben mussten, versuchen die Kurden mehr schlecht als recht, als Staatenlose zu überleben. Die kurdische Sprache und Kultur wurden verboten und Tausende von kurdischen Bürgerrechtlern sind in Hafiz al-Assads Gefängnissen verschwunden oder wurden gefoltert. Diese anhaltende Unterdrückungspolitik löste 1986 einen Aufstand aus, nachdem sich Hunderte von Kurden in Damaskus zum Newroz, einem bedeutenden kurdischen Feiertag, versammelt hatten. In letzter Zeit versuchen die Kurden vermehrt, ihre innerparteilichen Streitigkeiten beizulegen und sich gegen das Assad-Regime zu organisieren. Im Juli bekamen sie ihre große Chance, als die Regierung das Militär aus den kurdischen Gebieten abzog, um gegen die Freie Syrische Armee in Aleppo und Damaskus zu kämpfen. Die kurdische Miliz—auch bekannt als YPG (Volksverteidigungseinheiten)—nutzte diese Gelegenheit und nahm eine kurdische Stadt nach der anderen ein; sie errichtete Straßensperren und setzte syrische Sicherheitskräfte unter Hausarrest. Die Kurden sind die dritte Partei in diesem Krieg, da sie sowohl Assad als auch die Opposition bekämpfen. Zwar hassen sie Assad, fürchten aber auch, dass die Freie Syrische Armee einen islamistischen Staat errichten wird. Die Tatsache, dass die Türkei den Anhängern der FSA Unterschlupf gewährt und sie mit Waffen versorgt, schürt das Misstrauen der Kurden noch, denn zwischen Türken und Kurden gibt es so viel böses Blut, dass man mit diesem Thema allein einen ganzen Guide füllen könnte. In diesem Herbst stellte der türkische Premierminister Assad ein Ultimatum: Wenn er der kurdischen Unabhängigkeitsbewegung oder Zellen der Guerilla-Organisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) erlauben würde, in seinem Land zu operieren, würde die Türkei ihn angreifen. Die kurdische Bewegung bereitet sich nun auf einen regelrechten Krieg mit der Türkei vor, auf weitere Angriffe durch Assads Militär und das Eindringen von Extremisten in ihre autonomen Gebiete. Wieder einmal sitzen die Kurden zwischen drei Stühlen, bei ihrem verzweifelten Kampf ums Überleben und um die Unabhängigkeit, und ihre Zukunft sieht—gelinde gesagt—düster aus.

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DIE JUDEN
Im Jahre 2005 schätzte das US-amerikanische Außenministerium, dass zurzeit nur noch 80 Juden in Syrien beheimatet sind. Juden leben bereits seit 2.000 Jahren in Syrien, trotz ungerechter Auflagen, wie z. B. der Religionssteuer, die außer ihnen keiner sonst zu zahlen brauchte. Ströme von sephardischen Juden flohen Ende des 15. Jahrhunderts vor der spanischen Inquisition nach Syrien, mussten aber feststellen, dass das Land wenig gastfreundlich war. Doch erst nachdem 1948 der Staat Israel gegründet worden war, wurde das Leben der Juden in Syrien unerträglich. Und als Israel Syrien im Arabisch-Israelischen Krieg einen empfindlichen Schlag versetzt hatte, erließ die wütende syrische Regierung ein Gesetz nach dem anderen gegen die Juden: Sie durften kein Land besitzen, keinen Führerschein machen und kein Telefon haben. Nach Israels Sieg 1967 im Sechs-Tage-Krieg wurden während eines Pogroms in der Stadt Qamischli angeblich 57 Juden ermordet. Als sie einen jüdischen Exodus kommen sah, machte es die syrische Regierung den Juden plötzlich unmöglich, das Land zu verlassen. Hafiz al-Assad gestattete nur denjenigen Juden ins Ausland zu reisen, die 300 bis 1.000 Dollar und ein Familienmitglied als Pfand zurückließen. 1972 begann die Menschenrechtsaktivistin Judy Feld Carr—ihren Schützlingen nur als geheimnisvolle „Mrs. Judy“ bekannt—heimlich mehr als 3.000 Juden aus dem Land zu schmuggeln, über ein System ähnlich dem der sogenannten Underground Railroad. Wem der Grenzübertritt misslang, drohten Verurteilung, Gefängnis und Folter. Erst nach Drängen von Jimmy Carter ließ Hafiz al-Assad schließlich zu, dass ein paar Juden das Land verließen. 1994 bekannte sich die israelische Regierung zu einer zweijährigen verdeckten Operation, in deren Zuge sie viele Juden aus Aleppo nach Israel geschleust hatte. Viele von ihnen „besuchten“ New York City, wo die größte Gemeinschaft von syrischen Juden lebt (2007 waren es 75.000), und reisten von dort weiter nach Israel, um niemals in ihre Heimat zurückzukehren. Insgesamt half Israel 4.000 Juden, aus Syrien zu fliehen, und nachdem die Operation abgeschlossen war, befanden sich nur noch 300 Juden im Land—hauptsächlich, weil sie zu alt waren, um zu fliehen. Viele dieser Zurückgebliebenen sind inzwischen verstorben. Die Kniesset Ilfranj-Synagoge in Damaskus ist das letzte jüdische Gotteshaus im Land. Mrs. Judy schätzt, dass heute nur noch ganze 16 Juden in Syrien leben.

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DIE DSCHIHADISTEN
Niemand weiß genau, wie groß der Anteil der Dschihadisten und ausländischen Kämpfer an den Rebellenstreitkräften ist. Zwar gibt es tatsächlich radikale junge Männer aus Libyen und den Golfstaaten, die sich an dem Kampf beteiligen, aber ihre Zahl wird von der westlichen Presse und den Verschwörungstheoretikern wohl hochgespielt. Die Dschihadisten—fromme, puritanisch lebende Märtyrer—sind bei der Opposition inzwischen für ihren erbitterten und knallharten Kampfstil bekannt. Neben ihnen wirken die weltlichen, pro Tag vier Packungen rauchenden FSA-Kämpfer regelrecht unseriös. Zwar ist es unbestritten, dass die Opposition in den letzten Monaten einen etwas religiöseren Ton angeschlagen hat, doch das ist nicht weiter verwunderlich, wenn in diesem Krieg, der das tiefreligiöse Land spaltet, die weltliche Mittelschicht aus den Städten und Orten flieht. In diesen Gebieten bleibt nur noch die arme Landbevölkerung übrig; und wenn ihre Familien getötet und ihre Dörfer dem Erdboden gleichgemacht werden, bleibt ihnen nur noch Allah. Um euch die Zwangslage vergegenwärtigen zu können, in der sich die Opposition befindet: Stellt euch doch mal vor, dass in den USA oder einem anderen westlichen Land Bürgerkrieg ausbrechen würde. Ihr kämpft zusammen mit vielen anderen säkularen, links­orientierten jungen Leuten, die dem mit den neuesten Waffen ausgerüsteten Militär hilflos ausgeliefert sind und zwangsläufig niedergemetzelt werden. Dann kommen ein paar bis an die Zähne bewaffnete bibeltreue Bauerntölpel daher und bieten euch ihre Hilfe an. Und auch wenn ihr genau wisst, dass diese extremen Elemente—im Falle, eure Seite siegt—versuchen werden, die Macht an sich zu reißen, das neue Regierungssystem mit ihrem Glauben zu infiltrieren und Abtreibung zu verbieten, bleibt euch in den Wirren des Krieges keine andere Wahl, als euch mit ihnen zu verbünden. Die westliche Angst, dass Dschihadisten die syrische Revolution für ihre Zwecke missbrauchen könnten, hat etwas von einer sich selbst bewahrheitenden Vorhersage. Wir haben der säkularen Opposition keine Waffen geschickt, weil wir fürchteten, sie könnten in die Hände der Extremisten fallen, was die Opposition dazu zwang, die Dschihadisten um Hilfe zu bitten. Die Salafisten bekommen Waffen und Geld aus Saudi-Arabien und Katar, und seit Mitte Juli hat sich auch die Beteiligung von al-Qaida intensiviert. VICE-Korrespondenten, die in der Gegend unterwegs sind, berichten, dass sie zwar manchmal ausländische Kämpfer—hier und da einen Libyer—sehen, aber von einer terroristischen Schlangengrube, von der die westlichen Politiker so gerne sprechen, sei weit und breit keine Spur. Die säkulare Opposition befürchtet offenbar, dass die Revolution den religiösen Fanatikern in die Hände fallen könnte. Doch im Augenblick brauchen die FSA und ihre Verbündeten diese geheimnisvollen, leicht unheimlich wirkenden bärtigen Männer, die auch an vorderster Front ruhig schlafen und keine Angst davor haben, für ihre Sache zu sterben.

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DIE MEDIEN
Das syrische Gesetz verbietet der Presse, Informationen zu veröffentlichen, die „öffentliche Unruhe hervorrufen, die internationalen Beziehungen stören, die Würde des Staates oder der nationalen Einheit antasten, die Moral der bewaffneten Streitkräfte untergraben oder der nationalen Wirtschaft schaden und die Sicherheit der Währung gefährden“. Seit den 60er Jahren werden die Medien in Syrien vollständig vom Staat kontrolliert. 2001 wurden private Pressekanäle zugelassen, aber die Regierung behält sich das Recht vor, alles zu entfernen oder zu zensieren, was ihr nicht passt. Die Internetfreiheit ist ebenfalls eingeschränkt. Die meisten Internetanbieter gehören der Regierung, die nicht lange zögert, Internetinhalte zu sperren, die sie als regimefeindlich einstuft. Soziale Netzwerke und Seiten, auf denen man Videos hochladen kann, waren bis zum Februar 2011 generell verboten. Aber selbst nachdem Facebook und Youtube freigegeben wurden, haben Menschenrechtsbeobachter festgestellt, dass das Regime regelmäßig Informationen zensierte—insbesondere versuchte es zu verhindern, dass Bilder von Demonstranten, die verprügelt oder erschossen wurden, in anderen Ländern angesehen werden konnten. Wer die Zensur erfolgreich umgehen kann und regierungskritische Inhalte postet, riskiert Gefängnisstrafen und Folter. Im Fernsehen findet eine Menge Schleimerei statt, ganz gleich, auf welchen Kanal man schaltet. Von zweien abgesehen werden alle Fernsehsender in Syrien über Satellit ausgestrahlt, und die meisten werden von dem regierungstreuen Syrischen Arabischen Fernsehen und der Radiosendeanstalt kontrolliert. Die Handvoll privater Sender, die im Land live arbeiten, leben in der ständigen Angst, ihre Aufseher von der Regierung zu verstimmen. Das bedeutet, dass sich fast alle syrischen „Journalisten“ eng an Assads Vorgaben halten müssen, um ihre Karriere zu schützen (und manchmal auch nur ihr blankes Überleben). Das hält sie aber nicht davon ab, alle, die ihre regierungsfreundlichen Ansichten nicht teilen, öffentlich anzugreifen oder zu unterminieren. In den letzten Monaten hat die Situation sogar noch gefährlichere Ausmaße angenommen. Im Juni wurde der Assad-nahe Sender al-Ikhbariya von FSA-Anhängern angegriffen, wobei sieben seiner Angestellten ums Leben kamen. Daraufhin wurde der iranische Fernsehreporter Maya Nasser im September von einem Scharfschützen erschossen. Wenn sich der Konflikt nicht beruhigt, werden solche Ereignisse immer häufiger auftreten. Die Außenminister der Arabischen Liga haben die Fernsehsatelliten-Anbieter in der Region aufgefordert, Übertragungen aus Syrien zu verhindern, um den Einfluss des Assad-Regimes einzuschränken, und syrische Fernsehanstalten stoppten daraufhin die Produktion zweier neuer Sendungen zu Beginn der Revolution. Das betraf auch den Dreh der beliebtesten Seifenopern in der arabischen Welt und von Propaganda-Sendungen wie der 29-teiligen Serie asch-Schatat (Die Diaspora), die im Wesentlichen auf den Protokollen der Weisen von Zion beruht—einer fingierten, antisemitischen Dokumentation, die die Versuche von Juden zeigt, die Weltherrschaft zu erlangen, und die vor dem Zweiten Weltkrieg von Hitler verbreitet wurde. Die Serie zeigt auch eine Szene, die andeutet, dass Juden Christenkinder ermordet und mit ihrem Blut Matze gebacken haben.

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UNTERGRUND-ZEITUNGEN
In Syriens Medienlandschaft, die vom Staat kontrolliert wird, kann es für die Menschen im Land schwierig sein, an Informationen zu gelangen, die nicht von der Baath-Partei aufbereitet und durch den Fleischwolf gedreht wurden. Das Nachrichtenmonopol der Regierung hat aber zur Entstehung mehrerer regierungsfeindlicher Untergrund-Zeitungen geführt, die mit Heimkopierern und -druckern arbeiten. Diese unerschrockenen Partisanen bieten eine Alternative zu den Fehlinformationen und verdrehten Fakten, welche die Mainstream-Presse in Syrien verbreitet, und verleihen der Opposition eine Stimme. Wir sind mit Karim Laila in Kontakt getreten, dem Chefredakteur der Zeitung Hurriyat, die, wie er sagt, die erste der Oppositionszeitungen war, und im letzten August gegründet wurde. Karim erzählte uns, dass Hurriyat von den Bürgerrechtlern persönlich ausgeliefert wird, den mutigsten Zeitungsjungen der Welt, die Gleichgesinnten in Damaskus, Homs und Aleppo ihre Botschaften direkt an die Haustür bringen. Die Standard­vorgehensweise sieht so aus: Man legt die Zeitung auf die Fußmatte, klingelt und sucht das Weite, bevor man gesehen wird. Das ist zwar meist sehr erfolgreich, aber: „Zwei unserer mutigen Journalisten wurden verhaftet. Einer wurde für ein paar Tage ins Gefängnis gesteckt, der andere für drei Monate.“ Den Großteil der Inhalte dieser in Handarbeit entstehenden Dokumente machen Zeugenberichte und Meinungskommentare aus, aber oft enthalten sie auch politische Karikaturen und Berichte über die hiesige Kultur. Zeina Bali, eine syrische Journalistin, die für Syria Today einen Artikel über diese Zeitungen geschrieben hat, sagte uns, dass die Zeitung Surytina sogar Buchrezensionen veröffentlicht, deren Inhalt mit der Entwicklung des Bürgerkriegs zu tun hat. Auf die Frage, wie diese Zeitungen aufgenommen werden, meinte Zeina lapidar: „Ich finde, sie stellen die regierungskritische Bewegung als sehr friedlich dar. Meiner Meinung nach ist das eine gute Sache, vor allem, da sie noch immer aktiv sind. Das wird den Menschen zeigen, dass der Aufstand eine wichtige bürgerliche Komponente beinhaltet. Und das ist wichtig, denn viele Menschen haben inzwischen den Glauben an die Sache verloren.“

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STADTLEBEN KONTRA LANDLEBEN
Wie viele der anderen Revolten des Arabischen Frühling entwickelte sich auch die syrische Revolution nach den Protesten in Dar’a in den ländlichen und vorstädtischen Gegenden. Das ist kein Zufall. Die Menschen sind wütend und verwirrt, und wie immer geben sie den Reichen aus den Städten die Schuld. Etwa 54 Prozent der syrischen Bevölkerung leben in den Städten, während ungefähr 44 Prozent in der tiefsten Provinz leben, einschließlich großer Beduinenvölker, die durch die riesige syrische Wüste ziehen. Wie ihr euch vorstellen könnt, hat der Zusammenbruch die Klassenunterschiede noch deutlicher gemacht. Aber die Migrationsbewegungen der Syrer wurden durch den Konflikt gewissermaßen umgekehrt. Viele Syrer fliehen vor der Gewalt in Damaskus und Aleppo und ziehen sich in die Dörfer ihrer Vorfahren zurück, während die arme Landbevölkerung in den überfüllten Vorstadtslums Schutz sucht. Das Internal Displacement Monitoring Centre (Internationales Überwachungszentrum für Vertreibung) gibt an, dass im Laufe des Konfliktes etwa 1,5 Millionen Menschen vertrieben wurden. Laut einem gemeinsamen Bericht der UNO und der syrischen Regierung benötigen mindestens drei Millionen Menschen dringend Hilfe, um im nächsten Jahr eine ausreichende Ernte einfahren und ihr Vieh versorgen zu können. Die Hälfte dieser Menschen wird innerhalb der nächsten sechs Monate von Hunger bedroht sein. Die Auswirkungen der Dürreperioden der vergangenen Jahre werden durch den Konflikt noch weiter verschärft, und der Landwirtschaftssektor hat dieses Jahr 1,8 Milliarden Dollar eingebüßt. Wirtschaftsexperten sagen voraus, dass die Wirtschaft wegen der Kämpfe um 14 Prozent oder mehr schrumpfen wird. Unternehmen im ganzen Land spüren diesen Druck, wenn sie nicht längst zerstört und zu einem rauchenden Schutthaufen zusammengefallen sind.

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BÜRGERRECHTE
Auf dem syrischen Personalausweis steht der Name der Vorfahren des Besitzers und sein „Herkunftsort“, das heißt, die Gegend oder Stadt, die am ehesten mit seinem Familiennamen in Verbindung steht. Vor dem Aufstand haben diese Ausweise auf Reisen kleinere, unangenehme Verzögerungen verursacht, wie wir sie im Westen auch kennen. Doch in den letzten 20 Monaten ist der Personalausweis für die Regierung zu einem wertvollen Instrument geworden, mit dessen Hilfe sie die Menschen kategorisiert und mutmaßliche Anhänger der Opposition ausfindig macht. Wird man an einem Kontrollpunkt angehalten und stammt aus einer Rebellenhochburg, kann einen das im schlimmsten Fall das Leben kosten. Obwohl die Religionszugehörigkeit nicht auf dem Ausweis verzeichnet ist, können die meisten Beamten aus den anderen Informationen leicht darauf schließen. Syrien schöpft die politischen Möglichkeiten, die die Vergabe oder Ablehnung von Staatsangehörigkeiten bieten, schon lange voll aus. 1962 hat der Staat willkürlich 120.000 Kurden die Staatsbürgerschaft abgenommen. Sie und ihre Nachkommen galten bis letzten Mai als Adschanib (staatenlos). Staatenlose dürfen nicht heiraten, Autos besitzen, Häuser mieten oder Personalausweise besitzen. Noch niedriger als die Staatenlosen stehen die Maktumin (die Versteckten), die sich in einer Art Schwebezustand befinden, weil sie Syrien weder verlassen noch eine Arbeit haben dürfen. Nachdem er und sein Vater die separatistischen Kurden jahrzehntelang verfolgt haben, erließ Baschar al-Assad drei Wochen nach dem Ausbruch der Unruhen eine Amnestie und gewährte ihnen die volle Staatsangehörigkeit. Dieser geschickt eingesetzte Schachzug war natürlich politisch motiviert und sollte verhindern, dass sich die bewaffneten Kurden mit der Opposition verbündeten. Und es hat funktioniert; die Kurden sind zu einer Art dritten Partei geworden, die im Stillen die Grundlage für ihre eigene kurdische Revolution schafft, während sich FSA und Regierung die Köpfe einschlagen. Selbst einem Regierungstreuen kann es passieren, dass er wegen seines Ausweises bestraft wird, wenn er nicht gut auf ihn aufpasst. In diesem Herbst hat das Assad-Regime 267 Gefängnisinsassen freigelassen, die mit zerbrochenen Ausweisen aufgegriffen worden waren. In den letzten Monaten hatte nämlich ein hitzköpfiger syrischer Scheich die Syrer aufgefordert, ihre Personalausweise zu zerbrechen, als symbolischen Protestakt gegen das Regime. Ein Mann erzählt der Agence-France-Presse, er wäre auf dem Nachhauseweg gewesen, als Sicherheitskräfte ihn anhielten und feststellten, dass sein Ausweis zerbrochen war. Ein anderer Pechvogel erzählte der französischen Nachrichtenagentur: „Sie verprügelten mich und zwangen mich zuzugeben, dass ich der Aufforderung des Scheichs gefolgt war, obwohl ich von ihm noch nie etwas gehört hatte.“ Als diese Syrer wieder freigelassen wurden, waren ihre Köpfe rasiert und sie trugen Zeichen der Folger. Also: Passt gut auf euren Führerschein auf, vor allem, wenn ihr in Kriegszeiten unter einem paranoid-schizophrenen Regime lebt.

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CHEMISCHE WAFFEN
Ende Juli hat sich die Regierung öffentlich dazu bekannt, chemische Waffen zu besitzen. Kurz danach hat sie diese Erklärung zum Teil wieder zurückgenommen. Tatsächlich wissen die Türkei und der Westen schon seit Jahrzehnten von dem syrischen Vorrat an chemischen Waffen: Sarin, VX und sogar Senfgas, das noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammt. Die Syrer haben eine ansehnliche Sammlung von heimtückischen Waffen, die von der zivilisierten Welt als unzulässig eingestuft werden. Früher hat Syrien die chemischen Wirkstoffe, die es zur Herstellung von Nervengas benötigte, aus dem Ausland importiert. Doch in den 70er Jahren fing man an, eine eigene mittelgroße Chemie-Industrie aufzubauen, und seitdem produziert man diese Stoffe selbst. Es ist nicht bekannt, ob Syrien auch biologische Waffen hat, denn deren Entwicklung kann durchaus im Rahmen legitimer Forschung zu Verteidigungszwecken durchgeführt werden. Ganz gleich, welche Waffen sie haben: Sie können mithilfe der russischen Scud-Raketen transportiert werden, die eine Reichweite von knapp 500 Kilometern haben, was bedeutet, dass sie Jerusalem leicht erreichen können. Zum Glück würde jeder Versuch Syriens, Massenver-nichtungswaffen einzusetzen, die komfortable Beziehung des Landes zu Russland und China stören. Die größte Sorge der internationalen Gemeinschaft bleibt jedoch: Wenn Assad fällt, würden die Massenvernichtungswaffen in die Hände von al-Qaida und ihren Verbündeten gelangen, und der Konflikt würde sich zu einem unkontrollierbaren Höllenspektakel ausweiten. Ganz gleich, was passiert: Die nächste syrische Regierung wird sehr wahrscheinlich ihr chemisches Waffenarsenal als geopolitisches Kontergewicht zu Israels Atomwaffen nutzen.

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LUFTHOHEIT
Die syrische Luftwaffe bedient sich fast ausschließlich in Russland hergestellter Flugzeuge, doch der Großteil ihrer Flotte aus den Tagen des Kalten Krieges ist entweder veraltet oder baufällig. Berichten zufolge ist die Hälfte ihrer Flieger nicht flugtauglich. Die meisten von ihnen wurden von der russischen Flugzeuggesellschaft Mikojan-Gurewitsch hergestellt, aber Videoaufnahmen belegen, dass das Regime auch in der Tschechoslowakei gebaute Übungsflugzeuge eingesetzt hat, um Rebellenstützpunkte anzugreifen, was ein weiterer Beweis für die Schwächen der syrischen Luftwaffe ist. Auch wenn Handyvideos zeigen, wie die Rebellen Assads Hubschrauber und Kampfjets abschießen, das Regime hält noch immer die Luftherrschaft und beschießt die Rebellengebiete durchgehend mit Flächenbombardements, mit Sprengstoff und Kampfhubschraubern. Ein Luftangriff auf Maarat an-Nu’man am 9. Oktober hat, Berichten zufolge, 40 Zivilisten das Leben gekostet. Die Rebellen haben wiederholt eine von internationalen Streitkräften geschützte Flugverbotszone gefordert, so wie sie auch 2011 in Libyen eingerichtet wurde, was Gaddafis Versuche, die bewaffnete Rebellion zu zerschlagen, schmälerte und ihn schließlich zu Fall brachte. Die USA und die NATO haben diese Forderung aber bisher abgelehnt.

GLÜCKSSPIEL
Der Koran verurteilt Glücksspiel vehement, es gilt, wie Alkoholgenuss, als große Sünde. Deshalb verwundert es nicht, dass sich in den Ländern des Nahen Ostens so gut wie keine Kasinos finden. Und obwohl das Assad-Regime säkular orientiert ist, hatten muslimische Geistliche genügend Einfluss, um dafür zu sorgen, dass das Glücksspiel in den 70er Jahren verboten und alle Kasinos geschlossen wurden. Seitdem mussten Syrer, die sich nach verbotenen Freuden sehnten, über die Grenze in den Libanon reisen oder geheime Spielhöllen aufsuchen. 2010 wurde das Glücksspielverbot von dem syrischen Unternehmer Khaled Hboubati öffentlich infrage gestellt, als er den Ocean Club eröffnete, ein Kasino in der Nähe des Flughafens von Damaskus. Obwohl der Ocean Club keine Glücksspiellizenz hatte—so etwas gibt es in Syrien nämlich gar nicht—zitierte der Guardian eine Quelle, laut derer die Regierung dem Club inoffiziell grünes Licht gegeben hatte. Diese Toleranz wurde von vielen als Zeichen der Modernisierung und Verwestlichung gesehen. Doch wie viele andere Anzeichen syrischer Liberalisierung ging auch das Ocean-Club-Projekt binnen kürzester Zeit vor die Hunde. Mitte Februar, kaum zwei Monate nach seiner Eröffnung, machte das lokale Verwaltungsministerium den Laden dicht, denn einige streng-muslimische Parlamentsmitglieder hatten seine Schließung gefordert. Zwei Monate später war der syrische Aufstand in Dar’a in vollem Gange und die Frage nach der Legalität von Glücksspiel wurde nebensächlich. Schwer zu sagen, ob andere Unternehmer nach dem Krieg unter einer neuen Regierung versuchen werden, Kasinos zu errichten; doch wenn die Extremisten an die Macht kommen, können wir sicher sein, dass es nicht dazu kommen wird.

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FRAUEN
Für viele junge syrische Frauen ist das Gras im Libanon grüner. Beirut lockt als schillernde Bastion des Liberalismus und der freien Meinungsäußerung, wo der erdrückende Einfluss der Familie fern und das Nachtleben aktiv ist. Wieder andere fliehen vor Syriens beklemmender Dating-Szene oder suchen einen Zufluchtsort für ein romantisches Wochenende. Syriens Verfassung gewährt allen Menschen religiöse Freiheit. Frauen dürfen sich kleiden, wie sie wollen; sie können selbst entscheiden, ob sie sich bedecken wollen, oder nicht, und wie viel sie von sich zeigen wollen, und meistens halten sich die Frauen an die Familientradition. Christen und Muslime kleiden sich je nach Gusto und sitzen zusammen in den Cafés. Der Hidschab ist gemeinhin formellen Anlässen vorbehalten und wird mehr aus kulturellen als aus religiösen Gründen getragen. Im ganzen Land kann man Mütter mit Niqab (einem Gesichtsschleier, der zusammen mit dem Hidschab getragen wird) sehen, die Seite an Seite mit ihren unverschleierten Töchtern mit Hello-Kitty-Rucksäcken auf dem Rücken die Straße entlanggehen. Gemäßigt verschleierte Frauen gehen—zusammen mit ihren unverschleierten Freundinnen—in den Suqs vor Ort einkaufen. All das wirkt ziemlich locker. Syrische Christinnen haben—ob begründet oder nicht—den Ruf, ihre von Gott gewährten Gaben allzu freizügig zur Schau zu stellen. Enge Jeans und knappe T-Shirts machen Männer jeglichen Glaubens verrückt. In Syrien sind sowohl Christen als auch Muslime für die Erfindung von engen Jeans dankbar. Einige konservative muslimische Männer finden es anstößig, wenn „christliche Mädchen enge Hosen tragen“, denn dies löse bei den Männern lüsterne und unreine Gedanken aus. Aber die anderen schweigen und genießen.

UNTERWÄSCHE
Syrien ist eines der modebewusstesten Länder des Nahen Ostens. Die Männer mögen schi­cke Anzüge, Ed-Hardy-T-Shirts und Nikes in limitierter Auflage. Doch die Mehrzahl der Kleidungshersteller im Land produziert Damenmode: farbenfrohe Kopftücher, strassbesetzte Abayat (lange Übergewänder) und massenhaft kitschige Unterwäsche. Syrische Frauen lieben Unterwäsche aus den gleichen Gründen, aus denen Frauen auf der Welt seit Menschengedenken Unterwäsche lieben—weil sie sich gut fühlen und ihre Männer davon abhalten wollen, fremdzugehen. Die meisten westlichen Frauen würden vor Scham im Boden versinken, wenn ihre künftigen Schwiegermütter ihnen flauschige Tangas mit LED-Leuchten und einer Klappe im Schritt schenken würden, die sich auf wundersame Weise von selbst öffnet, wenn man klatscht und ruft: „Sesam öffne dich!“; in Syrien ist das gang und gäbe. Geschenke auf Junggesellinnen-Partys können u. a. Unterhöschen mit Federn und BHs mit Schlangenmuster oder Pailletten sein, oder aber vibrierende Handys, welche den weiblichen Intimbereich bedecken. Kitschige Unterwäsche verletzt keinerlei Tabus; schließlich geht man davon aus, dass sie nur der Ehemann zu Gesicht bekommt.

DIE SAYYIDA RUQAYYA MOSCHEE
Im Jahr 632 zog der Tod des Propheten Mohammed eine Spaltung seiner Anhänger nach sich, die zu der Teilung in Sunniten und Schiiten führte. Während die Schiiten wollten, dass Mohammeds Vetter Ali dessen Nachfolge antreten sollte, waren die Sunniten der Meinung, dass Abu Bakr, Mohammeds bester Freund und Schwiegervater sein Andenken weitertragen sollte. Abu Bakr ging siegreich aus dem politischen Disput hervor und übernahm das Amt des Kalifen, worauf eine 1.500 Jahre lange Herrschaft der Sunniten und Verbitterung der Schiiten folgte. Doch was noch schlimmer war: Die Sunniten ermordeten Alis Sohn Husain und schlugen ihm den Kopf ab, und sperrten Mohammeds Urenkelin Sayyida Ruqayya ins Gefängnis, wo sie im zarten Alter von vier Jahren ebenfalls ermordet wurde. Heute reisen fromme Schiiten aus aller Herren Länder (vor allem aus dem Iran) an, um in Damaskus in der prächtigen Moschee zu beten, die an der Stelle errichtet wurde, wo Sayyida Ruqayyas über tausend Jahre alter Leichnam begraben liegt. Schwarz gekleidete Pilger kaufen Kinderspielzeug und legen es auf Sayyida Ruqayyas Grab, um an das schwere Unrecht ihrer Ermordung zu erinnern. Nach diesem Akt religiöser Frömmigkeit begeben sich die Pilger zur Sayyida Zaynab Moschee (benannt nach Husains Schwester), bevor sie die lange Busreise zurück in den Iran antreten. RAMI MAKHLOUF
Während Nichtsyrer mit diesem Namen vermutlich nicht viel anfangen können, ist Rami Makhlouf in Syrien der Innbegriff für Korruption und Vetternwirtschaft. Der Ruf des mächtigsten Geschäftsmannes Syriens ist so schlecht, dass ständig bekannte Sprichwörter umgedichtet werden, um ihn zu schmähen. Er ist ein Vetter mütterlicherseits von Baschar al-Assad. Dank der mafiösen Günstlingswirtschaft des Assad-Regimes haben Ramis Geschäftsunternehmen, Syriatel (einer der zwei syrischen Mobiltelefonhersteller), Immobiliengeschäfte, und Banken, einen Anteil von 60 Prozent an der syrischen Wirtschaft. Sein Eigenkapital beträgt um die sehcs Milliarden Dollar. Für viele Menschen in Syrien ist er ein Dieb und Repräsentant der Probleme Syriens, die dafür gesorgt haben, dass sich Syriens Reichtum in den Händen von einigen wenigen Auserwählten befindet. Im Juni 2011 beteuerte Rami in einem Interview mit Reuters, dass er sich aus dem syrischen Geschäftsleben zurückziehen und den Großteil seines Vermögens für wohltätige Zwecke spenden will. Teil dieses Gelöbnisses war der Plan, 40 Prozent seiner Anteile an Syriatel zu verkaufen. Oppositionsführer zweifeln seine plötzliche Kehrtwende zur Philanthropie aber an—vermutlich aus gutem Grund. Berichten in Al-Akhbar zufolge hat er 2012 Bankaktien in beträchtlicher Höhe erstanden.

SCHÖNHEITSWAHN
In Syrien wird der Preis für Schönheitsoperationen vom Gesundheitsministerium festgelegt. Eine Nasenkorrektur kostet hier nur zwischen 700 und 800 Dollar, ein Drittel des Preises in Europa. Und für eine Handvoll Dollar mehr bekommt man riesige künstliche Brüste. Aber für den Preis kann man nicht viel erwarten; Schönheitsoperationen in Syrien haben den Ruf, sehr schlampig ausgeführt zu werden. Wenn in Beirut eine Frau vorbeiläuft, deren Nase aussieht, als wäre sie in einen Fleischwolf geraten, heißt es: „Das hat sie sicher in Syrien machen lassen.“ Viele Schönheitschirurgen haben keine Lizenz und „praktizieren“ in unhygienischen Büros. In Syrien ist aber auch eine noch ungewöhnlichere Art der ästhetischen Veränderung im Angebot: Für 17.000 Dollar können Frauen aus dem Nahen Osten ihre braunen Augen grün oder blau machen lassen. Hierfür operieren die Ärzte direkt auf dem Auge, entfernen die natürliche Regenbogenhaut und ersetzen sie durch eine künstliche. Misslingt die Operation, erblindet die Patientin. Das syrische Gesundheitsministerium bemüht sich, den zweifelhaften Markt der Schönheitsprodukte in Schach zu halten; in dieser Phase des anhaltenden Krieges aber nimmt die Nachfrage nach billigen Schönheitsoperationen ohnehin immer mehr ab.

LEBENSMITTEL UND ERNÄHRUNG
Aleppo ist ein kulinarisches Zentrum sondergleichen, deren Stil man als Verschmelzung antiker Genüsse beschreiben könnte. Seit Jahrhunderten haben die Chefkochs der Region Zugang zu den besten Gewürzen, Körnern, Früchten und Gemüsesorten der osmanischen Welt. Bevor der Bürgerkrieg große Teile von Aleppo in Schutt und Asche legte, gab es, um die berühmte Küche der Stadt zu kosten, keinen besseren Ort als das armenische Jdeideh-Viertel. Beit as-Sissi, oder auch Sissi-Haus, galt weithin als bestes Restaurant im ganzen Land und servierte das beste Kebab Karaz (gehacktes Lammfleisch mit Kräutern in Kirschsoße) der ganzen Welt, bevor es Anfang Oktober abbrannte. Der offene Hof war umgeben von holzgetäfelten Separees. Der führende Aleppo-Historiker Abraham Marcus beschrieb es uns malerisch: „Das Sissi-Haus bot eine einmalige Atmosphäre und vereinte die besten Merkmale der traditionellen Architektur der Stadt: elegant, mit soliden Kalksteinmauern, deren gol­dene Patina und feine Verzierungen einen warm umschlossen. In den letzten Jahren wurde viel Geld in die Restaurierung dieses und vieler anderer historischer Gebäude in Aleppo gesteckt. Heute bietet die Stadt, die weltweit für ihren vorbildlichen Erhalt historischer Gebäude bekannt war, nur noch ein Bild der Zerstörung.“ SCHWULES LEBEN
Als Homosexueller, der sich in Syrien amüsieren will, braucht man bloß einen schwulen Hamam (arabisches Badehaus) aufzusuchen. Wie alle Wellness-Oasen bieten auch Hamams Zimmer an, die billiger und diskreter sind als Hotelzimmer. Seit 2010 aber sind die Besitzer bei neuen Gästen vorsichtiger, aus Angst, diese könnten eine Polizeieinheit im Schlepptau haben und eine Razzia planen. Viele Schwule halten sich seither auch lieber in den weitläufigen Parks von Damaskus auf. Schwule Männer konnten sich früher—trotz eines syrischen Gesetzes, das Homosexualität verbietet—unbehelligt in der Öffentlichkeit treffen. Irgendwann fing die Polizei aber an, ihre unterdrückte Schwulenfeindlichkeit rauszulassen, und stürzte sich auf die Hamams; ein leichtes Ziel, da es im Nahen Osten als ekelhaft gilt, homosexuell zu sein. Im April 2010 wurden—nach Angaben von Mahmoud Hassino, dem Verleger des Schwulenmagazins Malaweh—25 Schwule verhaftet, vergewaltigt und drei Monate lang gefoltert.

ANTIKES VERMÄCHTNIS
Die syrischen Großstädte, Kleinstädte, Wüsten und Dörfer sind übersät mit Überresten aus der Antike. Seit frühester Zeit wurden hier Königreiche über Königreichen errichtet. Die Hethiter, Griechen, Römer, Perser, Byzantiner, Araber, Kreuzritter, Osmanen und Franzosen haben alle zu verschiedenen Zeiten ihren Stützpunkt in der Region gehabt und Denkmäler ihres jeweiligen Vermächtnisses hinterlassen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die berühmte Umayyad Moschee in Damaskus. Als die Römer Damaskus im Jahre 64 n. Chr. eroberten, machten sie daraus einen Schrein für Jupiter, den König der Götter. Gegen Ende des vierten Jahrhunderts wurde der Tempel in eine Kirche umgewandelt und im Jahre 706 dann in eine Moschee. Monumentale archäologische Entdeckungen in der syrischen Steppe sind nichts Ungewöhnliches. In den 1970er Jahren wurde—nahe der türkischen Grenze—die 12.000 Jahre alte Siedlung Tell Qaramel ausgegraben. Archäologen legten fünf gewaltige runde Türme frei, die 2.000 Jahre vor dem Turm von Jericho gebaut wurden, der bis dahin als der älteste Turm in der Geschichte der Menschheit galt. Sechs historische Stätten in Syrien wurden von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt: die antiken Städte Aleppo, Bosra, Damaskus, Gebiete im Norden Syriens, die Burg der Kreuzritter Crac des Chevaliers mit der Zitadelle bei Qal’at Salah ad-Din und die antike Wüstenstadt Palmyra. Fünf dieser Stätten haben im Zuge des Konflikts schon schweren Schaden genommen. Die Generaldirektorin der UNESCO, Irina Bokova, sagte kürzlich: „Die Umayyad Moschee, eine der schönsten Moscheen der muslimischen Welt, wurde schwer beschädigt, wobei wir nicht genau wissen, wie groß der Schaden tatsächlich ist. Die antiken Dörfer, die 2011 zum Weltkulturerbe erklärt wurden, sind schwer getroffen worden, und offenbar ist auch die byzantinische Saint-Simeon-Anlage nicht verschont geblieben.“