Was passiert, wenn die Türkei in kurdischen Gemeinden die Ausgangssperre verhängt

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The Photo Issue 2016

Was passiert, wenn die Türkei in kurdischen Gemeinden die Ausgangssperre verhängt

Die deutsche Fotografin Miriam Stanke hat zwischen November 2015 und Januar 2016 osttürkische Städte besucht und das schwierige Leben der Kurden dokumentiert.

Sargträger, gefolgt von einer großen Grabprozession, tragen den Sarg von Ersin Aydın, Inhaber eines beliebten Cafés in Yüksekova. Türkische Soldaten erschossen Aydın in der Nacht zuvor während der Ausgangssperre.

_Aus der Photo Issue 2016_

Seit die Friedensverhandlungen zwischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der türkischen Regierung 2015 gescheitert sind, kommt es im Südosten der Türkei wieder zu Konflikten zwischen der Regierung und bewaffneten Kurden. Mehr als 350.000 Zivilisten sollen vertrieben und mindestens 250 getötet worden sein. Erst ein Jahr zuvor hatte es gewirkt, als sei nach Jahrzehnten Frieden in Sicht.

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Die Waffenruhe wurde wohl hauptsächlich ausgerufen, weil Recep Tayyip Erdoğan später in jenem Jahr Präsident der Türkei werden wollte. Um eine Verfassungsänderung zu erreichen, die ihm als Präsident weitreichende Macht verleihen würde, brauchte er kurdische Unterstützung. Seine Regierung verhandelte mit der gemäßigteren Demokratischen Partei der Völker und dem PKK-Anführer Abdullah Öcalan, der seit 1999 auf einer türkischen Gefängnisinsel inhaftiert ist.

Eine Zeit lang wirkte es, als würden die Verhandlungen glücken. Doch die IS-Belagerung von Kobanê, einer Stadt in der autonomen syrisch-kurdischen Region Rojava, brachte sie zum Scheitern. Erdoğan fühlte sich von der syrisch-kurdischen Machtkonzentration in Rojava bedroht und weigerte sich, kurdische Kämpfer nach Syrien zu lassen, um Kobanê zu verteidigen.

Viele glauben, er habe auf einen Sieg des IS in Kobanê gehofft, der die syrischen Kurden geschwächt hätte. Letztendlich gab er dem Druck der USA und der türkischen Kurden nach, und Kobanê konnte dem IS-Angriff trotzen. Der Kampf um die Stadt kostete Erdoğan nicht nur seinen Ruf als Verbündeter der Kurden, sondern stärkte auch das Verlangen nach kurdischer Emanzipation und Autonomie. Erdoğan reagierte, indem er sich von den Friedensverhandlungen distanzierte. Schließlich wurden sie vollständig abgebrochen.

Seither haben Kurden, oft mit PKK-Verbindungen, im osttürkischen Anatolien autonome Gebiete ausgerufen und Städte befestigt. Die türkische Regierung reagiert mit Schärfe: Sie hat harte Ausgangssperren verhängt, die Kurden in diesen Städten tage- oder wochenlang von Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung abschneiden. Militär-Checkpoints durchziehen die Region, und häufig kommt es zu Gefechten zwischen bewaffneten Kurden und türkischen Kräften. Die deutsche Fotografin Miriam Stanke hat zwischen November 2015 und Januar 2016 osttürkische Orte und Städte besucht, darunter Van, Yüksekova, Silvan, Şırnak und Nusaybin. Dort begegnete sie Kurden kurz vor und während der Ausgangssperren.

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In einem verbarrikadierten Viertel von Nusaybin spielen Kinder hinter einem Sichtschutz, der gegen Heckenschützenfeuer angebracht wurde.

Ein Baby im Wohnzimmer der Familie

Männer warten auf den Sarg Ersin Aydıns, während Jugendliche ein Plakat mit seinem sowie Öcalans Konterfei hochhalten.

Porträts gefallener kurdischer Kämpfer in einem Volks- und Versammlungshaus in Gever (Yüksekova)

Fast 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner von Yüksekova erscheinen zur Beisetzung von Ersin Aydın.