Von DIY-Tattoos und der Kunst des Drauf-Scheißens

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Von DIY-Tattoos und der Kunst des Drauf-Scheißens

Für viele sind Tattoos die einfachste Art, den Eltern „fuck you" zu sagen. Aber handgestochene Tätowierungen sagen so viel mehr aus.

Im Japan des 20. Jahrhunderts galten bei den Mitgliedern der Yakuza Tätowierungen oft als Symbol der Stärke. Bei den Maori in Neuseeland zeigen sie die gesellschaftliche Stellung an. Für viele Jugendliche sind sie die einfachste Art, ihren Eltern „fuck you" zu sagen. Aber wenn es eine Art von Tattoo gibt, die all diese Einflüsse verkörpert, dann ist es die ursprüngliche, handgemachte Körperkunst: das sogenannte Stick 'n' Poke oder handgestochene Tattoo.

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Als ich hörte, dass es ein Stick 'n' Poke-Studio in Toronto gibt, stellte ich mir ein paar Kumpels vor, die breit auf Magic Mushrooms unter einem Baum sitzen und sich gegenseitig Spongebob-Tattoos verpassen. Der Kontrast zwischen dieser Vorstellung und dem gemütlichen, gardinenverhangenen Keller, in dem sich der Künstler Homepoke eingerichtet hat, könnte nicht größer sein. Nachdem er auf Instagram eine treue Fangemeinde gewann und eine überwältigende Anzahl von Anfragen von Leuten bekam, die wollten, dass er sie permanent bekritzelt, wurde Homepoke klar, dass seine Kunst zu mehr als einem Hobby geworden war. Im Dezember eröffnete er sein Studio.

Seine Anhängerschar wächst, und in der Zwischenzeit bricht die klare, elegante Ästhetik seiner schwarzen Linien weiterhin mit den althergebrachten Assoziationen von Knastis, russischen Gulags und den Anfängerfails von Teenagern, die hinterher formlose Kleckse zieren, die aussehen, als seien sie mit fast leeren Bic-Kulis gemalt worden. Wir haben Homepokes Studio besucht, wo wir dem Künstler dabei zusahen, wie er sich ein neues Motiv stach, während wir über die Beliebtheit von Pokes, Menschen ohne Tattoos und die Kultur der Gleichgültigkeit sprachen.

Fotos von Aaron Wynia sofern nichts anderes vermerkt

VICE: Was stichst du dir gerade?
Homepoke: Das ist ein Motiv von einem Flash [Vorlagenblatt], das ich „Scheiß' auf alles oder scheiß' auf gar nichts" nenne. Das ist ein Thema, an dem ich sehr viel gearbeitet habe. Es ist der Begriff der Dualität in der sozialen Landschaft. Dieser kleine Kerl war einfach nur ein Selbstporträt, das ich basierend auf meinem Gemütszustand zu dem Zeitpunkt gezeichnet habe.

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Sieht aus wie das Koopa Clown Car aus Mario Kart . Wo ist für dich der Hauptunterschied zwischen Stick 'n' Pokes und normalem Tätowieren?
Für mich und andere Leute hat es hauptsächlich damit zu tun, wie invasiv es ist. Die Handstechmethode ist viel weniger invasiv für die Haut, und die Linie ist oft anders.

Was ist mit den Instrumenten?
Ich benutze die gleichen Instrumente, die gleichen Nadeln und die gleiche Tinte. Was das Material angeht, ist es das Gleiche. Ich schätze, der große Unterschied sind wohl das Endprodukt und die Motive, die die Leute mit handgestochenen Tattoos verbinden. Die Leute wollen meist etwas, das ein wenig vereinfacht oder abstrakt ist, nicht so viel Schattierung, und meist sind sie auf der Suche nach einem handarbeitlichen Stil und weniger nach einem maschinellen.

Du verwendest keine Maschinen, oder?
Richtig. Es gibt einen großen Trend, die Handschrift des Künstlers sichtbar zu machen, und das ist etwas, das ich sehr schätze und das mich wirklich anspricht. Es basiert auf dem Knaststil.

Sehen die Leute es aufgrund der relativen Einfachheit als „amateurhaft" an?
Das hängt davon ab, mit wem man redet, und wie informiert die Person übers Tätowieren und die Geschichte des Tätowierens ist. Handstechen ist an vielen Orten außerhalb Nordamerikas eine Tradition: in Asien ist es riesig, genau wie in Osteuropa—Moskau, zum Beispiel. Es war ein bisschen ein nordamerikanischer Irrglaube, als Tattoos hier drüben mit dem Sailor Jerry-Stil wirklich beliebt wurden, dass das alles maschinell gemacht wird. Das ist der Grund, wieso die Leute glaubten, es sei die klassische Tätowiermethode, obwohl es schon immer verschiedene traditionelle Stile gibt.

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Wie kommst du zu handgestochenen Tattoos?
Ich fing damit aus buchstäblicher Not an. Mein ganzes Leben schon bin ich Teil einer Familie und einer Gemeinschaft mit geringem Einkommen und interessiere mich außerdem fürs Tätowieren. Ich hatte keinen Zugang zu Studios, und so musste ich, je mehr ich mich der Nutzung meines Körpers als Selbstausdruck verschrieb, eine Möglichkeit finden, es für weniger Geld zu tun. Ich fing vor etwa fünf oder sechs Jahren an, Tätowieren zu lernen, total rudimentär alles: Nähnadel, Faden, Tinte. Und das führte natürlich zu vielen unbefriedigenden Ergebnissen.

Du bist nur als Homepoke bekannt; warum die Anonymität?
Ich schütze mich gern. Ich glaube an regionale Märkte und DIY, und nicht so sehr daran, dass die Regierung sich in alles einmischt.

Und es ist ein bisschen illegal, was du tust, oder?
Aus Regierungssicht wäre niemand erfreut darüber, dass ich Leute in meinem Keller tätowiere; sie würden es als gefährliches Geschäft ohne feste Niederlassung einschätzen. Das liegt daran, dass man die Haut durchsticht, dabei benutze ich genau die gleichen Materialen und Methoden [wie andere Tätowierer]. Ich habe viel von anderen Künstlern gelernt; sie sind es, an denen ich mich orientiere. Ich habe erst ein Mal ein Hygieneproblem gehabt: Das war bei mir selbst, vor vier Jahren, und ich war zu dem Zeitpunkt betrunken. Da war ich nicht wirklich vorsichtig.

Denkst du, die Beliebtheit geht Hand in Hand mit dem Trend, Technologie abzulehnen und Dinge auf eine gründlichere und traditionellere Art zu machen?
Ja. Ich denke, Tätowieren ist eine Kultur der Rebellion und eine Kultur des Drauf-Scheißens, und daher ist es unausweichlich, dass es gegen alles Beliebte eine Revolte gibt. Als Maschinentattoos so kommerziell und beliebt wurden, haben die Leute Tattoos für die Klarheit der Linie, die Leuchtkraft der Farben, der Intensität des Endprodukts bewundert. Das ist also der Aspekt des Prozesses, der zu dem Zeitpunkt als der wichtigste galt. Es ist nur natürlich, dass die Kunden dann irgendwann sagen: „Scheiß auf das hier. Ich mach genau das Gegenteil." Es ist ein natürlicher Kreislauf der Rebellion.

Apropos, hast du das Gefühl, Tattoos haben mit ihrer Allgegenwärtigkeit ihren rebellischen Charakter verloren? Es ist heutzutage fast überraschender, wenn jemand keine Tattoos hat.
Es ist fast subversiver, wenn jemand keine Form von Körpermodifikation mitgemacht hat, aber hier kommt es auch wieder auf die Art des Tattoos und die Absicht dahinter an. Es gibt Leute, die benutzten Tattoos als Accessoires. Für mich ist es alles, das ich nutze, um mich selbst auszudrücken. Und ich weiß nicht, ob das bei allen so ist.

Wenn du auf alles scheißt, warum glaubst du dann an handgestochene Tattoos?
Es ist genau das: Wir arbeiten mit dem, was wir haben, um interessiert und engagiert zu bleiben. Es ist das Tätowieren, das mich am Leben interessiert bleiben lässt—man benutzt es also, um sein Leben erträglicher zu machen und anderen Leuten auch Zugang dazu zu geben. Mein Studio ist mein kleiner Treffpunkt für Leute, die allgemein nicht so hundertprozentig mit dem übereinstimmen, was außerhalb des Treffpunkts vor sich geht.