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Reisen

Zerstörerischer Goldrausch

Jedes Körnchen Dreck wurde in Suriname bereits umgegraben und durch eine Goldwaschwanne gespült.

Das Goldgräberlager Krikie Nigi in Suriname steht für das platonische Ideal der Umweltzerstörung. Aus dem Fenster unseres Autos sehen wir Schlammberge, mit schäumendem, von Quecksilber verseuchtem Wasser gefüllte Krater und gelegentlich einen angesengten Baum. Kleinbergbautruppen bewegen sich in Schwärmen und arbeiten sich auf der Suche nach Goldstaub durch die Trümmer hindurch. Jedes Körnchen Dreck im Bruch wurde bereits ausgegraben und durch eine Goldwaschwanne gespült. Gruppen von Teenagern kratzen, mit verrosteten Ausgräbern ausgerüstet, an der Erde im Umkreis des Lagers herum, als wären sie geisteskranke Landschaftsgärtner, die gerade ein Abbild der Hölle erschaffen.

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All das war einst unberührter Regenwald. Mittlerweile ist es das neueste Opfer des Goldrausches, der Suriname in einen Magneten für Goldgräber aus aller Welt verwandelt hat. Schätzungsweise 20.000 Minenarbeiter arbeiten innerhalb der surinamischen Grenzen, unterstützt werden diese selbsternannten Goldgräber zusätzlich von einer Legion aus Ladenbesitzern, Köchen und Fahrern. Die Goldindustrie des Landes produziert ungefähr 16,5 Metertonnen Gold pro Jahr, wobei sie die örtlichen Wasserstellen vergiftet und ihren Müll auf unzähligen Morgen Regenwald deponiert. Wir sind nach Suriname gereist, um das Ausmaß der Verwüstung mit eigenen Augen zu sehen und um herauszufinden, ob irgendwer durch den Boom eigentlich auch reich wird.

Als unser Auto in das Lager rollt, kommen wir an einer Frau mit sonnengegerbter Haut vorbei, die gerade den Schotterweg hinunterschlendert. In der einen Hand hält sie einen blauen Sonnenschirm und in der anderen einen Zigarillo. Gilbert, der Ortskundige, der uns führt und auch selbst ein Minenarbeiter ist, lehnt sich aus dem Fenster und grüßt sie auf Portugiesisch.

Willkommen im neuen Suriname. Sie mögen keine Natur mehr zu bieten haben, aber wenigstens haben sie brasilianische Prostituierte.

Suriname liegt zwischen Guyana und Französisch-Guayana in der nordöstlichen Ecke Südamerikas. In vergangenen Zeiten war die Region bekannt als „Die wilde Küste“ und die Holländer und die Briten verbrachten die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts damit, darum zu kämpfen. Die Holländer erlangten schließlich die Kontrolle über Suriname und machten es zu einem Plantagenstaat für den Anbau von Kaffee, Kakao und anderen Gütern, denen die Europäer einen größeren Wert beimaßen als menschlichem Leben oder Würde. Für beinahe zweieinhalb Jahrhunderte besetzten die holländischen Plantagenbesitzer ihre Kolonie mit Zwangsarbeitern aus den entlegensten Winkeln ihres Reiches. Das erklärt, warum Surinames Bevölkerung von 560.000 Einwohnern auch heute noch eine so große Diversität aufweist: Die meisten Leute hier sind Nachkommen von einer Mischung aus westafrikanischen Sklaven, nordindianischen Zwangs-Tagelöhnern und javanesischen und chinesischen „Kulis“.

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Außer einem Mini-Rausch um die Wende des 20. Jahrhunderts blieb das Goldschürfen in der holländischen Ära ein kleiner Industriezweig in Suriname. Als es in den 1960ern und 70ern um seine Unabhängigkeit kämpfte, bis es schließlich 1975 gewann, erlebte der Sektor einen Einbruch. In den 80er und 90er Jahren erwachte dann der Goldmarkt zum Leben. Es war eine Reaktion auf die Kombination aus weit verbreiteter ländlicher Armut, die Ergebnis eines achtjährigen Bürgerkriegs war, und einem Zustrom aus brasilianischen Goldgräbern, die wenig Rücksicht auf Staatsgrenzen nahmen. Die Lage wurde in den frühen 00er Jahren noch mehr angeheizt, als der 11. September dafür sorgte, dass wir kollektiv durchdrehten und die globale Nachfrage nach Gold durch die Decke ging. Die Preise stiegen und eine neue Generation Kleinbergwerksarbeiter—Typen, die kaum mehr als eine Goldwaschwanne hatten—machten sich auf in den Busch, um sich dort in eine bessere Zukunft zu buddeln.

Wir steigen aus dem Auto, als wir einen Affen sehen, der sein Dasein an einen Miniatur-Schuppen gekettet fristet. Die Affenhütte ist im Vergleich zu den Verschlägen, in denen die Minenarbeiter leben, gut gebaut. Das beweist, dass wohl irgendjemand im Lager diesen kleinen Kerl wirklich lieb hat. Als wir näher kommen, macht er eine Umarm-Geste.

„Streichelt ihn“, sagt ein vorbeilaufender Arbeiter. „Er mag das!“

Wir lehnen ab.

Krikie Nigis „Chinaladen“, der alles von Cornflakes bis Quecksilber verkauft, ist noch gründlicher zusammengezimmert als der Affenkäfig. Die Wände sind aus rotem Aluminium gefertigt. In den Fenstern sind Gitterstäbe und an der vergitterten Tür hängt ein Industrieschloss.

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So ziemlich jedes Goldgräber-Lager in Suriname hat so einen Chinaladen und alle sind ähnliche Festungen wie dieser. Wenn die Scheiße über sie hereinbricht, verriegeln sie alles. Die Läden werden von neueren Immigranten betrieben, die umgangssprachlich „echte Chinezen“ genannt, was holländisch ist und, na ja, „echte Chinesen“ bedeutet. Das unterscheidet sie von den Chinesisch-Surinamern, deren Vorfahren im 19. Jahrhundert ins Land gekommen sind.

Echte Chinezen ziehen eine Menge Feindseligkeit auf sich, weil sie die Unternehmer sind, die hinter der sehr profitablen Versorgungskette stehen, die die surinamischen Minenarbeiter versorgt und am Arbeiten hält. Wir haben die Chinesen überall gesehen, selbst in den abgelegensten Goldgräberlagern.

Eines Nachts, als wir gerade in dem Fluss badeten, der den Minenarbeitern die einzige Zugangsmöglichkeit zum Gunsi-Lager bietet, haben wir beobachtet, wie ein knatterndes Flussschiff wie aus den 50ern anlegte. Wortlos überreichte der chinesische Kapitän des Bootes einem indianischen Konzessionsmanager, der am Flussufer wartete, drei Fässer Treibstoff. Dann kehrte er zu seinem Gefährt zurück und fuhr den Fluss wieder runter, wohl um seine nächste Lieferung zu machen.

Krikie Nigis Chinaladen unterscheidet sich von vielen anderen, weil er eine richtige Währung akzeptiert, Läden in den isolierteren Gegenden nehmen nur Gold und das Wucherausmaß ist obszön. Eine Cola kann alles zwischen einem und fünf Dezigramm kosten ($5 bis $25), je nachdem, wie weit du von der Zivilisation entfernt bist—und in einem Land, in dem es nur ein paar asphaltierte Wege gibt, kann man schon ziemlich weit entfernt sein. Aber Krikie Nigi ist eine entspannte zweistündige Autofahrt von der Hauptstadt Paramaribo entfernt, was es zu einem attraktiven Ort für Teilzeit-Truppen macht, die es bevorzugen, ihre Soft-Drinks mit surinamischen Dollar zu bezahlen. Jos, Mitte vierzig, und sein 15-jähriger Stiefsohn Cedric, bilden ein solches Team und wir treffen sie, als sie gerade in einer Grube am Rand des Lagers arbeiten.

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Cedric und Jos sind Nachkommen von Maroons, was bedeutet, dass ihre Vorfahren entlaufene Sklaven waren, die im Regenwald eine neue Gemeinschaft aus der Erde gestampft haben. Ein Großteil des Bergbaus in Suriname geschieht auf Land, das informell Maroons gehört, (ob diese Ansprüche wirklich rechtens sind, darüber kann man sich streiten) und von den Minenarbeitern wird erwartet, dass sie 10 Prozent ihrer Goldausbeute an die Maroon-Familien zahlen, um weiter auf dem Maroon-Gebiet ihrem Geschäft nachgehen zu können. Cedric und Jos müssen nichts abgeben, da ein Teil von Krikie Nigi in den Händen von Jos‘ Sippe liegt.

Cedric und Jos sind Wochenendkrieger. Sie leben in Paramaribo und verbringen Cedrics Sommerferien damit, eine kleine Mine zu betreiben. Es ist fast niedlich, wie sie miteinander arbeiten: Während Jos mit seinen bloßen Händen das Quecksilber auf die Goldwaschwanne schmiert, taucht Cedric in das kontaminierte Grubenwasser, um die Pumpe zu justieren. Keiner von beiden scheint überzeugt davon, dass sie als reiche Männer aus der Sache hervorgehen werden, aber beide sind optimistisch, dass sie genug Gold finden werden, um die Kosten für die Ausrüstung und das Benzin zu decken. Natürlich könnten sie Glück haben. Jos hat gehört, dass letzte Woche jemand 100 Gramm gefunden hat. Genau hier in Krikie Nigi.

Wir treffen in Krikie Nigi keine Minenarbeiter, die Millionäre sind, ebenso wenig in einem der anderen Goldgräberlager, die wir in Suriname besuchen. Wir hören allerdings Gerüchte über die Leute mit Erwerbserlaubnis, die angeblich wegen des ganzen Komforts ihrer Anwesen in Paramaribo schon ganz fett geworden sind. Und über Truppen, die auf einen Schlag Hunderttausende Dollar machen und dann alles innerhalb weniger Monate verprassen. Viele der Minenarbeiter, die wir treffen, nutzen das Goldschürfen als zusätzliche Einkommensquelle zu ihrem schlecht bezahlten Tagesjob in Paramaribo. Andere fangen das Graben an, weil es besser ist, als gar keinen Job zu haben. Ihr Geschäftsmodel (grab ein Loch, hoffe auf das Beste) mag nicht so ausgeklügelt sein wie das Äquivalent der echte Chinezen (finde heraus, was die Leute brauchen und verlange sehr viel dafür), aber es hat einen gewissen Alles-oder-Nichts-Reiz. In einem Land wie Suriname, wo geschätzte 60 Prozent der städtischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, ist jede Chance, Geld zu machen, egal wie gering sie sein mag, viel zu verlockend, um sie auszuschlagen.

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Die Straße, die aus Krikie Nigi hinausführt, ist übersät mit kaputten Baggern. Die zugewucherten Geräte wirken wie Monumente, nicht nur für die Einheit von ahnungslosen Arbeitern und schlechter Ausrüstung, die den Motor des Goldrausches bildet, sondern auch für die unerfüllten Träume so vieler Minenarbeiter. Wir fahren von dem Schotterweg runter und machen uns auf den Weg gen Zivilisation.

Auf unserem Weg zurück nach Paramaribo halten wir an einem chinesischen Laden/Restaurant. Während wir unseren überteuerten gebratenen Reis essen, beäugen uns die Besitzer angespannt von ihrem Metallkäfig aus. Zwei pummelige brasilianische Prostituierte setzen sich an den Tisch neben uns. Eine kuschelt mit einem riesigen rosa Teddybären, der ein Geschenk von einem Kunden war. Sie fragen jeden, der rein kommt, ob sie nicht eine Fahrt zum nächsten Goldgräberlager schnorren können. Wie sie hörten, kann man dort ordentlich Geld machen.

Text und Fotos von Kel O'Neill und Eline Jongsma.

Kel O'Neill und Eline Jongsma sind die Macher von Empire, einer Dokumentarfilmreihe über die unbeabsichtigten Folgen des holländischen Kolonialismus. Verfolgt ihre Reise um die Welt auf sinisterhumanists.tumblr.com und sehr euch hier den Trailer zu ihrem Film über Suriname an.