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Popkultur

Twitter hat ein Werbeanzeigen-Problem

Twitter-User bekommen regelmäßig fragwürdige Werbungen ausgespielt. Wir haben mit einem Experten darüber gesprochen und bei Twitter nachgefragt.

Wtf? Did Twitter just PROMOTE a pro-Hitler, swastika-ordained site??? — Christo Grozev (@christogrozev)17. Mai 2016

Manchmal überrascht es mich selbst, wie gut die Werbeanzeigen, die ich in meine Facebook-Timeline gespült bekomme, auf meine Interessen abgestimmt sind. Sie passen meistens zu meinen Likes, es werden mir viel zu gute aber viel zu teure Online-Shops vorgeschlagen und nur gelegentlich bekomme ich eine Anzeige für Pages wie "Kaffee" oder Norbert Hofer angezeigt. Auf Twitter hingegen sieht das Ganze ein bisschen anders aus.

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Hier bekomme ich gesponserte Tweets, die mir Pfefferspray, Esoterik-Seminare oder das Leben der Habsburger näher bringen wollen. Auch andere Nutzer teilen immer wieder Screenshots von Werbeanzeigen, auf denen halbnackte Frauenkörper mit einem Text angezeigt werden, der wirkt, als wäre jemand kurz auf der Tastatur eingeschlafen oder die zu einer Webseite über Hitlers alternative Biografie führen.

Liest man die Richtlinien für Werbeanzeigen auf Facebook und auf Twitter im Vergleich durch, wirken die Guidelines von Facebook schon auf den ersten Blick viel konkreter als auf Twitter. Jeder, der selbst schon mal eine Anzeige auf Facebook geschalten hat, weiß, dass die Richtlinien hier streng sind und jede einzelne Anzeige darauf überprüft wird. Die Richtlinien regeln ganz genau, wie viel nackte Haut auf einem Bild zu sehen, welche Wörter im Text (und wie viel Text in der Anzeige) enthalten sein und welche Produkte, Dienstleistungen und Postings beworben werden dürfen. Beispielsweise dürfen Waffen aller Art (inklusive Pfefferspray) auf Facebook nicht beworben werden—auf Twitter ist Werbung für Pfefferspray und Taser jedoch explizit OK, da sie zur Selbstverteidigung dienen.

Was explizit sexuelle Inhalte angeht, zeigt sich Twitter in den Richtlinien ebenso wie Facebook relativ streng—die Praxis sieht dann jedoch oftmals so aus:

Twitter hat ein Problem mit der gesponserten Werbung. Ich krieg noch Pfefferspray-Ads und ganz weirde Eso-News. — fabian schmid (@fabian_schmid)16. Mai 2016

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.— Le Radiophare (@leradiophare)15. Mai 2016

Nachdem wir nicht nur ein Medium, sondern auch eine Agentur, nämlich Virtue, in unserem Büro haben, sind wir ein paar Treppen hoch in den nächsten Stock gegangen und haben bei Markus Widmer,der als Senior Digital Strategy Manager arbeitet,nachgefragt.

Auch er stellt fest, dass sich die Werberichtlinien von Facebook und Twitter durchaus in ihrer Härte unterscheiden: "Twitter hat gewissermaßen eine Anything-goes-Policy. Alles, was mit Sex zu tun hat, lassen sie meiner Erfahrung nach sowieso zu—sie sind nicht so familienfreundlich wie Facebook oder Instagram. Twitter wollte nie so recht festlegen, wofür ihr Dienst genutzt werden soll. Das war anfangs ein Vorteil, aber mit der Zeit und dem Auftauchen von rechten Seiten oder IS-Pages wurde das immer mehr zum Problem."

Außerdem führt er die Tatsache, dass Twitter-Nutzern völlig willkürlich wirkende Werbeanzeigen in ihre Newsfeeds gespült werden, darauf zurück, dass Twitter im Targeting der Inhalte noch weit schlechter aufgestellt ist als Facebook: "Twitter hat einfach sehr wenige User-Daten, weil man ihnen nichts geben muss. Eine Bekannte von mir wurde von Twitter zum Beispiel mal als Mann eingestuft, weil sie viel über Gaming getwittert hat." Der Algorithmus versucht also, die Daten der hierzulande ohnehin schon sehr kleinen Grundgesamtheit zu erraten.

"Die Ads werden im Prinzip recht wahllos ausgespielt, weil sie sonst einfach keine Reichweite zusammenbekommen. Auf Facebook ist das natürlich ganz was anderes, weil die einfach viel höhere Nutzerzahlen haben." Ein weiterer Faktor ist laut Widmer die Tatsache, dass seiner Erfahrung nach Ads auf Twitter sehr schnell freigeschalten werden: "Ich habe ja die Vermutung, dass Twitter bei Werbungen erst dann einschreitet, wenn etwas gemeldet wird."

Als wir bei Twitter zu diesem Thema und dem letzten Punkt im speziellen nachfragen, werden wir lediglich auf die Richtlinien für Werbeanzeigen verwiesen und mit einem "We've nothing further to add" abgespeist. Twitter hat offensichtlich noch viel nachzuholen. Die Werbeanzeige zur alternativen Hitler-Biografie soll aber mittlerweile gelöscht worden sein.

Verena auf Twitter: @verenabgnr