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Über das Universum und unseren Platz darin—ein Interview mit Professor Brian Cox

„Mit ziemlicher Sicherheit gibt es keinen höheren Sinn." Na toll, Professor! Was sollen wir jetzt mit unserem Leben machen?

Professor Brian Cox. Fotos mit freundlicher Genehmigung von Brian Cox

Eine ganze Menge von dem, was vor nicht allzu langer Zeit noch als Science Fiction galt, ist von der Menschheit mittlerweile in die Tat umgesetzt worden. Wir fahren Elektro-Autos, schicken Raumsonden jenseits unseres Sonnensystems und verwenden Silikon und Elektrizität, um schneller mit anderen im Bett zu landen. Dinge, die vor 20 Jahren noch wie aus einer fernen Zukunft klangen (wie zum Beispiel auch, diesen Artikel auf deinem Telefon zu lesen), sind mittlerweile ganz normale—und schnell vergessene—Bestandteile unseres Alltags.

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Professor Brian Cox ist einer der wenigen, die es verstehen, uns immer wieder darauf hinzuweisen. Der Physiker ist in Großbritannien zu einer Art Wissenschaftspromi avanciert und moderiert eine Reihe von Wissenschaftssendungen der BBC. Er will uns unseren Platz im Universum verstehen lassen—warum sind wir überhaupt hier, was haben wir bislang erreicht und wie können wir mit unseren Errungenschaften unser Dasein verbessern?

Und genau darüber wollte ich mit ihm sprechen.

VICE: Eine der Folgen Ihrer neuen Sendung trägt den Titel „Warum sind wir hier?“ Wie lautet eine knappe Antwort auf diese Frage?
Brian Cox: Es gibt eine Theorie namens „unendliche Inflation“, die momentan an Universitäten gelehrt wird. Diese besagt unter anderem, dass wir vielleicht nur in einem von unendlich vielen Universen leben—auch Multiversum genannt. Jede irgendwie mögliche Kombination der Naturgesetze kann dann in ihrem eigenen, separaten Universum auftreten. Alles, was irgendwie geschehen kann, geschieht also auch. Demzufolge ist es unausweichlich, dass auch unser Universum existiert. Warum sind wir hier? Weil es so sein muss.

Das ist aber eher eine Erklärung dafür, wie wir hier gelandet sind—ich hatte jetzt eher auf eine Antwort darüber gehofft, warum wir hier sind.
Der Punkt ist doch: Mit ziemlicher Sicherheit gibt es keinen höheren Sinn. Es gibt keinen Endzweck. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage fällt in den Bereich der Teleologie und übersteigt die Grenzen der Naturwissenschaft.

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Dann stellt sich die Frage: „Was machen wir jetzt?“
In dem von uns beobachtbaren Universum befinden sich um die 350 Milliarden Galaxien und dieses Universum ist wiederum nur eins von unendlich vielen. Wir sind also komplett unbedeutend. Dann gibt es aber auch diese andere Lesart, dass Leben, aus einer biologischen Perspektive betrachtet, an sich sehr selten und intelligentes Leben noch viel seltener ist. Diese beiden Aspekte zerren aneinander. Vielleicht liegt eine Antwort auf dieses Problem in dem Zitat von Carl Sagan, das ich in einer Folge erwähne: „Für kleine Kreaturen wie uns, ist diese unermessliche Weite einzig durch die Liebe zu ertragen.“ Für mich bedeutet das, dass wir unsere Existenz mehr schätzen sollten. Unser Leben ist endlich und dient wahrscheinlich keinem höheren Zweck. Und genau das ist es auch, was uns die Kosmologie langsam aber sicher beibringt: Der Sinn des Lebens besteht darin, es zu genießen, so lange man kann—und es mehr wertzuschätzen.

Das ist eine schöne Message. Sie könnte auch von John Lennon stammen.
Ja, es hört sich wie Lennon an, aber es ist tatsächlich ein sehr rationales Argument! Durch reine Vernunft kannst du zu dem Schluss kommen, dass wir etwas Besonderes sind, dass wir es genießen und dass wir gut auf uns achtgeben sollten.

Sie stellen die These auf, dass wir in unserer Galaxie allein sind—dass wir die einzige intelligente, den Weltraum bereisende Zivilisation sind, die momentan existiert.
Als ich jung war, wollte ich immer Außerirdische treffen. Wenn du dir aber die heutige Beweislage anschaust, dann scheint es so zu sein, dass Zivilisationen extrem selten sind, und, dass wir die einzige sind, die momentan in unserer Galaxie existiert. Ich finde den Gedanken daran furchterregend.

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Ich finde das auch ziemlich deprimierend. Was bedeutet das denn für uns als Gesellschaft?
Wenn wir davon ausgehen, dass wir unglaublich selten sind, dann haben wir folglich auch unglaubliches Glück. Wir sollten also anfangen, uns anders zu verhalten. Wir sollten besser auf uns achtgeben, als wir es momentan tun. Wir als Spezies haben keine wirklich universelle Vorstellung von unserer eigenen Existenz. Ich würde sagen, dass wir in der Regel ziemlich kurzsichtig sind.

Was ist, wenn wir einfache Lebensformen—wie zum Beispiel Mikroben—in unserem Sonnensystem entdecken?
Das wäre eine großartige Entdeckung, wenn sich unabhängig voneinander Leben auf zwei verschiedenen Planeten in unserem Sonnensystem entwickelt hätte. Das würde einem wahrscheinlich schon die Hoffnung geben, dass es da draußen doch noch mehr gibt. Und tatsächlich befinden sich nach neusten Berechnungen bis zu 20 Milliarden erdähnliche Planeten in unserer Galaxie—20 Milliarden! Wenn du dir aber die Geschichte des Lebens auf unserer Erde anschaust, dann merkst du schnell, dass es die meiste Zeit einfach nur da war und nicht viel zustande gebracht hat. Es gibt in den nächsten Jahren europäische und russische Missionen, die versuchen werden, eine Antwort auf diese Frage zu finden.

‚Wonders of the Stoner System’

Mal was ganz anderes: Viele Menschen denken anscheinend, dass Sie high sind, wenn Sie die Sendungen moderieren. Es gibt sogar eine Kollage aus einer Ihrer früheren Sendungen namens „Wonders of the Stoner System“.
[Lacht] Nun ja, ich hatte damals einfach eine etwas lethargischere Art gehabt, Dinge zu präsentieren. Wonders of the Solar System ist mittlerweile auch sechs Jahre alt. Dieses Mal wollten wir es anders angehen.

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Haben Sie jemals Psychedelika genommen und sich ihre eigene Sendung angeschaut?
Die Antwort darauf lautet nein. Es ist schwer, wissenschaftlich zu arbeiten, wenn du nicht in vollem Besitz deiner geistigen Fähigkeiten bist. In England gibt es dieses berühmte Sprichwort: Wenn dein Geist zu offen ist, dann fällt alles raus.

Was denken Sie über Verschwörungstheorien wie zum Beispiel die, dass die Mondlandung nur gestellt war?
Wenn du blöd genug bist, zu glauben, dass wir nie auf dem Mond gelandet sind, dann bist du auch zu blöd, um eine Straße zu überqueren. Wir haben hier also durchaus ein darwinistisches Element. Das Ganze wird aber zu einem großen Problem, wenn solche Verschwörungstheorien anfangen, der Wissenschaft an sich zu misstrauen—wenn sie zum Beispiel Impf-Empfehlungen, die Ernährung oder den Klimawandel in Frage stellen. Das sind Themen, die ernsthaft behandelt werden müssen.

Was denken Sie über Impfgegner?
Nimm einfach Ebola: Ziemlich sicher gäbe es nicht mehr besonders viele Impfgegner, wenn Ebola in London ausbrechen würde und es einen funktionierenden Impfstoff dagegen gäbe. Die wenigsten Menschen würde dann sagen, „Nein, wir lassen uns kein komisches Zeug spritzen.“ Wenn man vorhat, eine Viruskrankheit für immer auszulöschen, dann erfüllen Impfstoffe diesen Zweck perfekt. Das beste Beispiel sind die Pocken. Im 20. Jahrhundert tötete diese Krankheit 500 Millionen Menschen, bis ein großangelegtes Impfprogramm dem 1979 ein Ende bereitete—die Krankheit gibt es heute nicht mehr. Sie ist verschwunden. Es ist also alles eine Frage der Bildung. Sitz nicht einfach zuhause und sag, „Oh, der kleine Johnny brauch keine Impfungen.“ Denk einfach nur an die Pocken.

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Brian mit Autotune in ‚Symphony of Science’

Es gibt immer noch Skeptiker, in deren Augen Wissenschaftler herablassend und arrogant sind.
Bei Wissenschaft handelt es sich nicht um eine unumstößliche Weisheit, die von der Kanzel gepredigt wird. Es ist das einzige menschliche Streben, das durch Ungewissheit angetrieben wird. Die Wissenschaft ist sich selber unsicher, sie stellt sich immer wieder in Frage. In der Wissenschaft gibt es keine absoluten Wahrheiten. Das ist der Schlüssel zu ihrem Erfolg. Sie ist das Gerüst, mit dem wir momentan unsere Welt erklären. Sie ist eine Methode, um die Natur nach unseren besten Möglichkeiten auszufragen, damit wir sie besser verstehen können. Und schau nur, was wir bislang alles rausgefunden haben.

David Attenborough weihte Sie zu seinem Nachfolger und Sie werden oft mit Carl Sagan verglichen. Worin sehen Sie ihre persönliche Aufgabe?
Es ist großartig, Menschen die Wissenschaft nahezubringen und sie vielleicht auch dazu zu ermutigen, wissenschaftliche Forschung etwas mehr zu unterstützen. Ich finde das toll, aber ich kann mich auch sehr, sehr glücklich schätzen. Carl Sagan musste damals von seinen Wissenschaftskollegen viel einstecken, als er versuchte, das Feld einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen. Heutzutage ist es wesentlich einfacher, als Wissenschaftler in der Öffentlichkeit zu stehen. Die Wissenschaft ist zu einem Teil der Popkultur geworden und das muss sie auch sein. Überleg mal, was einem sonst noch bleibt. Fußball und Castingshows? Wir wollen nicht, dass die Popkultur allein davon dominiert wird. Wir wollen, dass sie von großen Ideen dominiert wird, und genau das ist es auch, was ich versuche zu tun.

Mir gefallen Wissenschaftsdokumentationen, die auch eine Aussage haben. Carl Sagans Unser Kosmos und James Burkes Connections sind gute Beispiele dafür—beide haben Diskussionen angestoßen. Wir brauchen mehr Sendungen, die sich was trauen. Du musst deutlich machen, dass deine Interpretation der Fakten zur Diskussion steht, aber die meisten Dokumentationen sind einfach nur davon besessen, möglichst leichte Kost zu sein.