Titelbilder von Antifa Bern | TwitterÜber 5000 Neonazis aus ganz Europa trafen sich am Samstagabend in der Tennishalle des 685-Seelendorfs Unterwasser, um am Rocktoberfest die volksverhetzenden und menschenverachtenden Texte von rechtsextremen Bands wie Amok, Stahlgewitter, Confident of Victory und Frontalkraft zu feiern. Es war das grösste Nazikonzert der letzten 20 Jahre. Obwohl der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) im Vorfeld über die Veranstaltung Bescheid wusste und die Kantonspolizei St. Gallen informiert war, wurden die Neonazis weder an der Einreise in die Schweiz gehindert, noch wurde ihre Veranstaltung von der Polizei unterbunden. Das wirft einige dringende Fragen zum Umgang der Schweizer Behörden mit der internationalen rechtsextremen Szene auf: Wie konnte das passieren? Und will die Schweiz tatsächlich als Plattform für Neonazi-Bands dienen, die andernorts Auftrittsverbote haben?
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Besorgniserregender Organisierungsgrad
Verfolgung strafbarer Handlungen hatte keine Priorität
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Wie der NDB gegenüber der NZZ erklärte, habe er für die deutschen Musiker keine Einreiseverbote beantragen können, da die "aktuellen Gewaltbezüge der Bands" nicht vorlagen. Um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht einzuschränken, unterscheidet das Schweizer Gesetz nämlich zwischen politischem Extremismus und gewalttätig-extremistischen Tätigkeiten. Nur Personen, die ein direktes Gewaltpotential aufweisen, können an der Einreise in die Schweiz gehindert werden. Gewaltaufrufe scheinen nicht unter dieses Gesetz zu fallen, denn obwohl Bands wie Stahlgewitter für Texte wie "Haut sie von der Straße, steckt sie in den Knast oder in den Steinbruch—so einfach ist das," bekannt wurden, konnten die Bandmitglieder problemlos in der Schweiz auftreten.Angezeigt wurden der Veranstalter und die Musiker erst am Mittwoch von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. Wann und wie sich die Staatsanwaltschaft St. Gallen mit dem Fall beschäftigt, ist aber noch unklar.Die Veranstaltung wurde öffentlich erst bekannt, als die Antifa Bern den Flyer auf Twitter postete:
Antifa Bern machte den Neonazi-Auflauf publik
Rechtlich verantwortlich für die Veranstaltung ist der Deutsche Matthias Melchner, der in Rüti (ZH) als Koch arbeitet und Mitbesitzer eines einschlägig bekannten Tattoo Studios in Rapperswil ist, das auf seiner Facebook-Seite unter anderem Fotos von Tattoos veröffentlicht, die Nazi-Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg abbilden.+++ Zur Zeit findet in Unterwasser, St. Gallen ein Neonazikonzert mit weit über tausend Nazis aus ganz Europa statt. +++ pic.twitter.com/JbFm3XMGXr
— Antifa Bern (@antifa_bern) October 15, 2016
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Melchner schloss mit der Halle den Mietvertrag für die Konzerte ab, wie Gemeindepräsident Züllig gegenüber Zeit online bestätigte. Der Recherche-Blog Thüringen Rechts Aussen schätzt den Umsatz der Veranstaltung auf 150.000 Euro, die Eintrittskarten wurden im Vorverkauf für 30 Euro angeboten. Das Geld landete auf auf dem Konto des Saalfelder Neonazis David Heinlein, der seine Kontonummer bereits bei früheren Konzertveranstaltungen in Thüringen zur Verfügung gestellt hatte. Über den Verwendungszweck des Gewinns aus der Veranstaltung kann nur spekuliert werden. Man darf allerdings davon ausgehen, dass er nicht dem Weltfrieden zugutekommen wird.Die Veranstalter des rechtsextremen Konzertabends stammen aus dem Umfeld des Blood-and-Honour-Netzwerks, das in der Vergangenheit immer wieder durch Gewalttaten gegenüber Minderheiten aufgefallen ist. Musik hat innerhalb der Szene einen wichtigen Stellenwert, da sie identitätsstiftende, politische Botschaften verbreitet und besonders junge, orientierungslose Leute anspricht. Die Neonazis nutzen solche Veranstaltungen als Plattform, um sich international weiter zu vernetzen und um Nachwuchs zu rekrutieren. Zudem stärken solche Veranstaltungen den Gruppenzusammenhalt und dienen als Finanzierungsquelle. Gemäss dem antifaschistischen Magazin Lautstark fand unter dem Titel "Rock fürs Vaterland" zuletzt am 1. August 2015 im Zürcher Schönenberg ein von Blood and Honour organisiertes Konzert statt. Dabei trat die Schweizer Neonazi-Band Amok zusammen mit drei weiteren rechtsextremen Bands aus dem Ausland auf, jedoch nur vor wenigen hundert Leuten. Wie Szenekenner Fabian Eberhard gegenüber watson erklärte, gab es in der Vergangenheit regelmässig kleinere solche Konzerte. Dass jedoch über 5000 Neonazis aus dem In- und Ausland anreisen, stelle eine neue Dimension dar.
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Nächstes Neonazi-Konzert bereits in Planung
Neonazi-Attacken in der Schweiz
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Der selbsternannte "Nationalsozialistische Untergrund" ermordete zwischen 2000 und 2007 mindestens neun Menschen, übte Bombenanschläge und Raubüberfälle aus. Die Tatwaffe für die Morde sei über einen Mittelsmann in der Schweiz nach Deutschland gekommen. MDR Thüringen berichtete weiter, dass die Rechtsterroristen bei ihrem Urlaub auf Fehmarn mit einem Auto mit Schweizer Nummernschild unterwegs waren. Dass die NSU-Terroristen auch für den Mord an Grünbaum verantwortlich waren, konnte allerdings nie bewiesen werden.Es kommt in der Schweiz immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Neonazis. Wie die Rundschau in einem TV-Beitrag berichtet, gingen beispielsweise im Juni 2007 ca. 20 Rechtsextreme auf Mitglieder der JUSO los. Auch Mitglieder der Band Amok waren—wie auf dem Fahndungsvideo der Polizei zu sehen ist—bei dem Angriff auf die JUSO-Aktivisten in Glarus mit von der Partie.Zuletzt wurde im Sommer 2015 im Zürcher Stadtteil Wiedikon, das als jüdisches Viertel bekannt ist, ein orthodoxer Jude von einem 20-köpfigen Neonazi-Mob verfolgt, bespuckt und bedroht. Angeführt wurden die Neonazis vom Amok-Sänger Kevin Gutmann, der in einem seiner Songtexte den Journalisten Hans Stutz mit dem Tod bedrohte. Der Journalist zeigte die Band an, was zum Verbot des Tonträgers führte. Dennoch trat die Band auf Konzerten des rechten Milieus immer wieder auf.Wie die Vorfälle in der Neonazi-Szene der Schweiz zeigen, lassen sich Musik, Hetze und tätliche Angriffe nicht voneinander trennen. Rechtsrock-Konzerte als friedliche Musikevents abzutun, zu tolerieren oder eine einzelne Gemeinde dafür verantwortlich zu machen, ist nicht nur scheinheilig, sondern auch gefährlich. Denn dadurch sendet die Schweiz das falsche Signal ans Ausland: Sie positioniert sich als Event-Paradies für Neonazis.Philippe auf Twitter.
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Die Schweiz darf Neonazis keine Plattform geben
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