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Nein, Stefan Wolter: Wir sind nicht eure Sklaven!

Schweizer Studenten, die nach ihrem Abschluss Teilzeit jobben, sollen dafür bezahlen. Das ist falsch.
Titelfoto: Universität Salzburg (PR)

Die Uni kann ganz schön mühsam sein. Stundenlang auf unbequemen Holzstühlen sitzen, um einem Typen zuzuhören, wie er gelangweilt über Theorien, Zahlen und Statistiken referiert. Dutzende Sommertage in viel zu heissen Bibliotheken schwitzen. Und gleichzeitig zu wenig Geld haben, um sich mal eine richtige Auszeit davon zu gönnen. Trotzdem wissen wir alle: Bildung ist wichtig. An der Uni lernen wir nicht nur das, was uns später—hoffentlich—einen Platz in einer Firma beschert, sondern auch andere Lebensweisen zu verstehen. Wir erweitern unseren Horizont.

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Doch nicht alle Menschen haben das verstanden. Stefan Wolter ist einer davon. Der Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung schlägt in einem NZZ-Artikel vor, Studenten eine zusätzliche Steuer aufzudrücken—wenn diese nicht brav das tun, was die Wirtschaft von ihnen verlangt. Darum hat er dem „Wohlstandsproblem" Teilzeitarbeit den Kampf angesagt. Wer nach der Uni einen Teilzeit-Job hat, soll dafür büssen. Wer nach der Uni einen „niedereren" Job als vorgesehen hat, soll dafür büssen. Er wünscht sich, eine finanzielle Strafe, um die finanziellen Verluste im Vergleich zu einem Vollzeit-Job oder einem statusgleichen Job für den Staat auszugleichen. Dieses Denken ist aus mehreren Gründen falsch:

Stop The Glorification Of Busy

Wolter will: Arbeitet mehr Vollzeit.

Irgendwo in den Untiefen des Internets lebt ein Bild mit der Aufschrift „Stop the glorification of busy!". Das Bild hat sich an meinen Gehirnwindungen festgekrallt, weil ich vier, drei oder zwei Tage pro Woche zu arbeiten alles andere als schlimm finde—ich finde das schön! Ich wünsche jedem, dass er sich nur so viel durch den Stress eines Brotjobs quälen muss, wie er das auch verkraftet. Obwohl wir uns zur Generation der Faulen erkoren haben, sind wir das nämlich nicht. Wir arbeiten uns immer mehr krank. Jeder vierte fühlt sich wegen seinem Job stark erschöpft. Burn-Outs und Depressionen gehören heute zu unserem Alltag wie nie zuvor. Muss das sein?

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Wirtschaft ist nicht alles

Wolter will: Alles in Geld messen.

Ein Studium ist nicht nur so viel Wert, wie wir nach dem Abschluss monatlich auf unsere Konten überwiesen bekommen. Wolter sieht ein Studium aber als reine Investition. Ex-Studenten sind da, um von der Wirtschaft und dem Staat gemolken zu werden. Das passt fast schon zu schön in die Denkweise eines Ökonomen—wie Wolter einer ist. Und von einem bequemen Sessel an der Spitze einer staatlichen Stelle aus hat man natürlich leicht reden. Von der Realität ist das aber weit entfernt.

Wer wie Wolter denkt, raubt uns Freiheit. Wenn ein Arzt keinen Bock mehr auf Überstunden, im OP durchgemachte Nächte und sterbende Menschen hat und darum ein hübsches Quartier-Café eröffnet, muss er nach der Logik von Wolter bezahlen. Das ist dumm. Wer sagt denn, dass ein unmotivierter Arzt mehr Wert ist als ein übermotivierter Café-Eröffner? Müssen wir die ganze Welt in einen wirtschaftlichen Rahmen pressen?

Foto: Thomas8047 | Flickr | CC BY 2.0

Wir studieren nicht für die Schweiz, sondern für uns

Wolter will: Studenten, die die Schweiz stärken.

Ich habe mich vor ein paar Wochen zum 17. Mal für ein Soziologie-Semester eingeschrieben. Das mache ich in erster Linie nicht, um die Schweiz zu retten, sobald ich meinen Namen mit einem Master of Arts schmücken kann–„Hi, ich bin Sebastian, Master of Arts in Social Sciences, ich bin hier um gegen die Arbeitslosigkeit zu boxen"—sondern weil mich interessiert, wie wir so ticken und weil ich mein Studium als gute Abwechslung zum Alltag empfinde. Das geht nicht nur Sozis wie mir so. Meine ehemalige Mitbewohnerin ist Zahnärztin. Wenn man sie fragt, warum sie sich tagtäglich mit den weissen Auswüchsen der Mundhölle rumschlägt, antwortet sie nicht mit glänzenden Augen: „Weil ich etwas zur Schweiz beitragen will!". Sie sagt, weil sie diese Kaudinger schon immer fasziniert haben. Wir studieren, weil uns etwas interessiert oder weil wir uns davon einen Tausender pro Monat mehr erhoffen—und nicht um einem rot-weissen Konstrukt namens Schweiz den letzten Schliff zu verpassen.

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Wir brauchen mehr Philosophen

Wolter will: Geisteswissenschaftler indirekt bestrafen.

Die Germanisten, Philosophen und Historiker sind neben Asylsuchenden und Ausländern momentan eines der Ziele der SVP. In Basel möchte die Köppel-Partei zum Beispiel einen Numerus Clausus für Geisteswissenschaftler einführen, weil die Wirtschaft die nicht brauchen könne.

Auch die Idee der Studien-Steuer tuckert auf der gleichen Schiene wie dieses populistische Geplänkel—nur subtiler. Mehr als die Hälfte der Geisteswissenschaftler arbeitet fünf Jahre nach dem Studium nämlich nicht voll-, sondern teilzeit. Bei den Medizinern und Wirtschaftlern sind es gerade mal 15 Prozent. Geisteswissenschaftler arbeiten nicht Teilzeit, weil sie ein faules Pack sind. Sie arbeiten Teilzeit, weil der Markt in diesen Bereichen eben solche Jobs hergibt.

Trotzdem wären es die Germanisten, Philosophen und Historiker, die am stärksten von Wolters Idee betroffen wären. Aber mit denen kann man's ja machen. Sie sind schliesslich die einzige Studienrichtung, die schweizweit weniger Studenten verzeichnet als vor zehn Jahren.

Foto: Mitmensch0812 | Flickr | CC BY 2.0

Zuckerbrot und Peitsche

Wolter will: Ein Studium riskanter machen.

Warum sollen Menschen dafür bestraft werden, dass sie sich ein Studium angetan haben? Mein Bruder arbeitet seit gut zehn Jahren. Lehre, Festanstellung, Aufstieg, Auslandsreisen. Er hat in dieser Zeit einiges an Geld verdient. So viel, dass er beschliessen kann, für die nächsten Monate einfach mal reisen zu gehen. Währenddessen habe ich studiert und mich mit Nebenjobs und einem Darlehen über Wasser gehalten. Ich will nicht darum nicht rumjammern, aber Geld pflückt man als Student nun mal nicht von Bäumen. Und ein Studium wird durch die angedrohte finanzielle Peitsche bestimmt einiges—aber nicht attraktiver.

Selbst, wenn man sich Wolters Gehirnwindungen fügt: Warum sollte ein BWL-Student dafür bestraft werden, dass er nach seinem Studium in einem Teilzeit-Job genug Geld verdient, um sich sein Leben zu finanzieren? Wer möchte, dass dieser Student möglichst viel arbeitet, soll schauen, dass er nach dem Studium seinen Traumjob findet. Ihn aber nicht dafür bestrafen, dass er—vielleicht mangels Alternativen—bei einem Teilzeit-Job einstempelt.


Titelfoto: Universität Salzburg (PR) | Flickr | CC BY 2.0