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Vea Kaiser und der "sexy Polizeiboy" – eine kritische Edition

Ist das schon Empowerment oder kann das weg?

Atze Schröder schreibt jetzt unter dem Pseudonym 'Vea Kaiser' Kurier-Kolumnenhttps://t.co/zpdA1Wi64p

— Sebastian Huber (@SebastianHbr)24. Juli 2016

Die Autorin Vea Kaiser ist angeblich eines der neuen österreichischen It-Girls—zumindest wenn man dem Falter (und hier konkret Klaus Nüchtern) glaubt. Dort wurde sie neben Stefanie Sargnagel und Valerie Fritsch als eben solches bezeichnet, was in weiterer Folge zum inzwischen ikonischen "Rollmops"-Beef zwischen Thomas Glavinic und Stefanie Sargnagel führte, weil dieser Stefanie Sargnagel in einem Posting als "talentfreie Krawallnudel" bezeichnet hatte.

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Dass Vea Kaiser unter besagtem Status einen kurzen Cameo-Auftritt hatte, im Zuge dessen sie Thomas Glavinic mit "Du hast es auf den Punkt gebracht" beipflichtete, interessiert zum Zeitpunkt des Streits niemanden.

Seit Erscheinen ihres für dösende Menschen auf der Freibad-Liegewiese verfassten Debüt-Romans Blasmusikpop im Jahr 2012 wird Kaiser als Austro-Ausnahmetalent der heimat-affinen Heimatkritiker bezeichnet—und zumindest der Teil mit dem "Ausnahmetalent" hat es sogar in den kurzen Beschreibungstext ihrer wöchentlichen Kolumne beim Kurier geschafft, wo sie die Leser jede Woche mit erfrischend ereignisbefreiten Anekdoten aus ihrem Leben beglückt. Am 16. Juli ging es zum Beispiel um ihre Begegnung mit einem Polizisten, den sie nur den "Polizeiboy" nennt.

Tage-, wenn nicht sogar ziemlich genau eine Woche lang ist die Kolumne niemandem außerhalb der Leserschaft des Freizeit-Kurier aufgefallen, was nach der Anzahl der Kommentaren zu urteilen mindestens zwei Personen gewesen sein müssen. Seit vergangenem Wochenende geistert der Text jedoch wie eine Boje durch unsere Timelines und niemand weiß so recht, was uns Vea Kaiser (oder die Leute, die den Beitrag mit Begleittexten wie "…" oder "???" teilen) eigentlich damit sagen will.

Wir haben natürlich auch bei Vea Kaiser selbst nachgefragt; laut der Autorin ist der Vorfall tatsächlich genauso passiert und hat überhaupt keine symbolische Bedeutung. Aber weil es das für uns fast noch kryptischer macht und wir uns auch nach mehrfachem Lesen noch ziemlich schwer mit der Einordnung dieses Textstücks tun, folgt nun der Versuch einer kritischen Edition von Tuten und Blasen—und hoffentlich die Beantwortung der großen Frage, die dem sozialen Netz unter den Nägeln brennt: Was ist das für 1 Text?

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Man muss nicht immer Augen-Rollen. (1) Man kann es auch schmeichelnd finden, von einem jungen schnittigen Mann angesprochen zu werden. Besonders, wenn er eine eng am Apfelpopsch anliegende Uniform trägt. (2) Und, um die Kontaktaufnahme zu ermöglichen, sogar das eigene Auto aus dem Verkehr winkt.

1 Bereits der erste Satz der Kolumne wirft einige wichtige Fragen auf. Zum Beispiel: Hat Vea Kaiser gerade zum ersten Mal eine radikale Position vertreten? Und beinhaltet diese radikale Position, dass Frauen sich gefälligst auch mal geschmeichelt fühlen und nicht immer so anstellen sollen, wenn sie angebaggert werden? Ist die Eröffnung einer zweiten Option für jene, die vielleicht gerade noch dachten, sie müssten eben doch, ein Befreiungsschlag? Wird sich nach diesem Text eine ganze Generation von weiblichen Augen-Rollern endlich wieder geradeaus schauen trauen und inspirierende Texte mit Überschriften wie "Ich dachte, die längste Zeit, ich müsste, LOL!?" schreiben? Festzustehen scheint nur: Vea findet Augen-Rollen von Frauen zum Augen-Rollen. Was an sich natürlich genauso legitim ist wie, sagen wir zum Beispiel, Augen-Rollen.

2 Mit diesem Satz will Vea noch einmal die Sexyness des sexy Polizeiboys mit dem sexy Hintern und der sexy Hose betonen, von dessen sexy Verkehrskontrolle sie sich offensichtlich sehr geschmeichelt fühlt (auf die sexy Art). Zu diesem Zeitpunkt ist den geneigten Lesenden bestimmt schon die Ambivalenz dieses Textes aufgefallen: Irgendwo zwischen Sexismus-Kritik durch Rollenumkehrung à la Burschenschaft Hysteria und dem Tagebucheintrag einer Probeführerschein-Trägerin, die gerade ihre erste Runde im Auto der Mutter gedreht hat.

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"Griaß Goooood, Vakeaskontroje, Fiahraschein und Zuilassung biiiiittschee!" (3)

3 Die Liebe am Einfachen durchzieht die Literatur ja wie einen roten Faden. Akademische Schreibende haben schon immer mit dem Bierbeisl kokettiert und arrivierte Autoren sich seit jeher mit dem Verständnis für Arbeiter, Bauern und das simple Leben abseits des Hofes gebrüstet. Was früher die "Schäferromantik" war, ist heute die Anbiederung an den Dialekt. Offenbar hat auch Vea Kaiser Gefallen an dieser Ausdrucksweise gefunden und transkribiert hier die Umgangssprache ihres Polizeiboys, um vermutlich etwas Schlaues über sein Wesen und seine ländliche Geradlinigkeit auszusagen. Eine zusätzliche Verständnishürde (aber auch: ein weiteres Erzähl-Enigma) liefert der schwer lokalisierbare Dialekt. Wo außer in Spanien spricht man ein Doppel-L als J aus ("Kontroje")? Wo sagt man auf Wienerisch "Fiahraschein" und zwei Worte später in Para-Vorarlbergerisch "Zuilassung"? Soll uns das alles nur ein Lächeln in die schmerzverzerrte Visage zaubern? Oder ist es ein Hinweis auf den Fabel-Aspekt der Polizeiboy-Figur?

Die Tragödie von Mann und Frau ist ja oftmals, dass es dem einen schlichtweg nicht passt, wenn der andere Aufmerksamkeit sucht. (4) Er will flirten, sie muss zu einem Termin. Sie hat Lust auf Schmusen, er Kopfweh. (5)

4 Sagen wir so: Vielleicht war Vea Kaiser auch schon müde, als sie diesen Satz geschrieben hat. Müdigkeit kommt von Melatonin—einer körpereigenen Droge, die einen Großteil unserer kognitiven Fähigkeiten massiv beeinträchtigt. Versucht ihr mal, mit einer ordentlichen Dosis Melatonin im Blut auf die Funktionsweise von sexistischen Mechanismen aufmerksam zu machen, ohne dabei in pauschalisierende Frauenzeitschrift-Weisheiten über das Wesen von Mann und Frau zu verfallen! Na eben.

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5 Ein Mann, der nicht schmusen will und Kopfweh hat? Eine Frau, die zu einem Termin muss? We see what you did there! Aber was kommt als nächstes? Ein Mann, der Emotionen zeigt und eine Frau, die Fußball mag? Irgendwann reicht's aber auch wieder mit dem symbolischen Feminismus. Mit dieser Hommage an bisher längst vergessen gehoffte Geschlechterklischees schafft es der Text, noch mehr Fragen in unseren ohnehin schon ratlosen Köpfen zu platzieren: Sind wir jetzt alle Sexisten? Und wenn nicht, hilft dann dieser Text dabei? Ist Sexismus nicht eher blöd? Ist das schon Empowerment oder kann das weg?

Natürlich war auch ich viel zu spät dran, als sich Polizeiboy an mein Auto lehnte. "Sie ham net de Spur eingh'oiten, täten S' ma oiso blosn, biiiiittschee." Natürlich hatte ich die Spur eingehalten, aber gut, das ist ja auch so eine männliche Eigenschaft, nicht klar zu kommunizieren, was man eigentlich wünscht, sondern mit diversen Vorwänden das eigentliche Begehren zu verdecken. (6)

6 Auch hier erteilt uns Vea Kaiser eine wichtige Lektion über das männliche Geschlecht. Ganz hin und weg vom Polizeiboy-Apfelpopsch beginnt sie, über die heimlichen (sexyen oder doch sexistischen?) Kommunikationsabsichten von Männern zu sinnieren. Indem sie dem Polizeiboy versteckte und vor allem unsittliche Hintergedanken vorwirft, wärmt sie gleich noch ein anderes Gender-Klischee auf; das vom männlichen Dominanzverhalten und den Machtspielchen mit Sexabsicht, erst recht bei Männern mit Uniform. Weil alle gleich sind, versteht ihr? So wie man das sonst Frauen gerne vorwirft! Aber natürlich hat der Polizistenboy die Rechnung mit dem falschen "It-Girl" gemacht und ein bisschen zu viel Britney Spears in Vea Kaiser gesehen. Biografie-Sud-Lesende Kritiker, die aufgrund des Textes annehmen, dass sich hier ein Britney-Spears-Moment vorankündigt, haben Unrecht.

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"Gonz long und sonft". Ich blase also, lang und sanft. "Na, des geht so net, Sie miaßen long und sonft blosn!" Ich blase weiter, lang und sanft. (7) "Frau Kaiser, hom Sie was trunkn? Long und sonft!" Die Zeit vergeht, ich blase sanft, ich blase lang, ihm ist es nicht sanft und lang genug, und das kennt man ja auch, dass manche Männer einfach ewig brauchen, doch meine Geduld ist endlich. (8)

7 Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs hatte die meisten Tode. Swearnet: The Movie hatte die meisten "Fuck"-Erwähnungen. Vea Kaisers Tuten und Blasen hat ziemlich sicher die höchste Dichte an "Blasen"-Nennungen (zumindest relativ an der Textlänge gemessen). Wenn das nichts ist, was ist dann noch was?

8 Hier rekurriert Vea Kaiser auf einen Stil, der Afficionados von Softsexfilm-Drehbüchern mehr als geläufig ist. Ob besagte Schulmädchenreport-Schauer und Emanuelle: Das Buch zum Film-Leser aber wirklich die Zielgruppe des Textes sind—und falls ja, ob für diese Leute ihre Standhaftigkeit wirklich abschreckend wirkt—, bleibt offen.

"Soll ich versuchen, etwas kräftiger und kürzer zu blasen?" Wie vom Blitz getroffen starrt er mich an. "Jo des sog i do de gonze Zeijt, kräftig und hort!" "Nein, Sie wollten es lang und sanft!" "Na, sicha nit!" "Na sicher doch!" "I weiß do, was i wü! Und jetzt blosns weita!" (9)

9 Es gibt Schriftstellende, die arbeiten an Dialogen wie Michelangelo an einem Fresco. Gleich nach ihnen kommt Vea Kaiser, die schreibt wie nach einem Jahr Schweigekloster bei konstanter Beschallung mit Dinner for One und deren verschriftlichtem Schlagabtausch man förmlich anliest, wie schwierig es sein muss, einen guten "Blase"-Joke auch mal loszulassen. Wir verstehen das. Alleine, wenn man "Hihi, Blasen" sagt, ist das so lustig, dass man es am liebsten jede Minute wiederholen würde. Diese inneren Kämpfe auf dem Bildschirm mitverfolgen zu dürfen ist das Privileg, das uns Lesenden vermittels der Werke der ganz Großen zuteil wird.

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Er trägt die Uniform, also blase ich weiter. (10) Nun aber kräftig, mit Einsatz der Zähne, und voila: 0,0. (11) Ach Ihr schönen Männer (12), Ihr wärt verloren, wenn nicht wir Frauen wüssten, wie und was Ihr wirklich braucht. (13)

10 Ist das schon dieser Anti- oder doch noch dieser Postfeminismus? Wenn Kaiser sonst an jeder zweiten Stelle, wo Geschlechter-Pronomen verwendet werden, Klischees exakt auf den Kopf stellt, was tut sie dann hier? Gibt es ein weit verbreitetes Vorurteil dazu, dass Frauen in gewissen Outfits Männer zu anhaltendem, aber widerwilligem Lecken nötigen? Und wenn ja, was weiß Vea Kaiser darüber, das wir nicht wissen?

11 Fast wäre diese drei Zeichen fassende Raffinesse an unserem Gaumen ungeschmeckt vorbei gegangen, aber dann haben wir sie doch noch entdeckt: die feine Klinge der Autorin, in diesem kleinen, aber fulminanten "0,0". Ihr dachtet sicher alle, ihr lest hier das eindeutige Ergebnis des Alkotests, richtig? Aber das macht alles nur euer Kopf; genau so, wie man in Hitchcocks Psycho niemals wirklich sieht, wie unter der Dusche jemand zusticht, sondern nur ein Messer mit einem schreienden Mund zusammengeschnitten wird und euer Gehirn den Rest erledigt. Obwohl—für so viel Denkleistung an einer so weit fortgeschrittenen Textstelle hat eigentlich euer Gehirn den Applaus verdient und nicht Vea Kaiser. Aber wir wollen mal nicht so sein. Ihr habt den Text vielleicht zu Ende gelesen, aber sie musste ihn schreiben. Also: Chapeau an uns alle.

12 Die wahrscheinlich am wenigsten beachtete Frage in der Auseinandersetzung mit diesem Kolumnenbeitrag ist, seit wann man Personalpronomen wieder groß schreibt. Allerdings: was macht ein antiquierter Wassertropfen in einem Meer aus Antiquiertheit noch für einen Unterschied.

13 Das andere, fast genauso große Problem ist eines (wie moderne Netzphilosophen sagen würden) "vong Logik her": Da versucht Vea Kaiser einen ganzen Text lang, Geschlechterklischees durch freches Auf-den-Kopf-stellen auffliegen zu lassen; und am Ende liefert sie ein "Ihr wärt verloren, wenn wir nicht wüssten, was ihr braucht", das bezeichnenderweise innerhalb ihres Textes nicht ironisch, sondern sehr ernst gemeint ist. Was ist also die Botschaft ihrer Geschichte? Dass Geschlechterklischees komplett zutreffen, wenn sie von der anderen Seite kommen? Oder vielleicht doch, dass jede Geschlechterklischee-Galore auch mit umgekehrten Vorzeichen zum Scheitern verurteilt ist?

Eines bringt uns der Text auf jeden Fall bei: Es ist sehr kompliziert und in Geschlechterfragen gibt es noch viel Unaufgearbeitetes. Und alleine wegen der freudianischen Komponente ist Vea Kaiser natürlich kein It-, sondern mindestens ein Id-Girl.