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Popkultur

'Cloud Atlas' aus drei Perspektiven

3 Meinungen von 3 großen Geistern, die nicht eingeschlafen sind beim Marathonkinobesuch. Und bisschen was zu 'Anna Karenina'.

Nurse Weaving ist so creepy, dass ich den heutigen Bunker nicht ganz alleine machen möchte. Und weil es bei dem aktuellen Wachowski-Filmepos gerade Mode ist, machen wir auch mehrere  Geschichten im mehr oder weniger gleichbleibenden narrativen Kreislauf des Erbrechens. 3 Meinungen, 3 Perspektiven von 3 großen Geistern, die nicht eingeschlafen sind beim Marathonkinobesuch.

Gefängnisseife für die Augen

Als Film, der die Grenzen des Films an sich aufbricht, hat uns der Marketing-Moloch Cloud Atlas im Vorfeld versprochen. Weil hier Geschichten, die inhaltlich auf den ersten — und zweiten — Blick nichts miteinander zu tun haben, mit rein filmischen Mitteln zusammengeführt werden. Und weil Tom Hanks und Hale Berry in so vielen Rollen zu sehen sind, dass man vor der Premiere befürchten musste, die Leinwand könnte sich vor lauter Überbeanspruchung spontan selbstentzünden.

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Am Ende ist leider beides nicht passiert — was aber nicht heißen soll, dass Cloud Atlas mit seinen drei Stunden Laufzeit nicht trotzdem stellenweise auf dieselbe Art unterhaltsam ist, auf die auch die 22-stündige Faust-Inszenierung von Peter Stein unterhaltsam war. Was so viel heißen soll, wie: Vielleicht muss man vorher wissen, worauf man sich einlässt, um nicht in Gedanken zu den Hämorrhoiden abzudriften, die sich einem während dem Schauerlebnis am Hintern aufblasen — aber wenn man erst mal im richtigen Mindset ist, flutscht eigentlich alles und man kann entspannt dabei zusehen, wie sich der Kitsch die Klinke in die Hand gibt.

Cloud Atlas

Das mag aus dem gleichen Grund geschehen, aus dem auch alle Rollen von denselben Darstellern verkörpert werden — nämlich, um das doch recht schwierige Prinzip des Films nach Hollywood-Maßstäben der dümmsten Fokusgruppe verständlich zu machen —, aber selbst dann ist es noch ärgerlich und ruiniert jede Mystik, die davor in der akausalen, logikfreien Synchronizität der Ereignisse mitgeschwungen haben mag.

Auch das Zeiten-Überspannende und Welten-Überlagernde hat Cloud Atlas natürlich nicht erfunden: Wer dieses Thema filmgeschichtlich zur Wurzel zurückverfolgen will, sollte sich Intolerance von D. W. Griffith anschauen, der bereits im Jahr 1916 vier Geschichten von Ungerechtigkeit aus vier unabhängigen Zeitebenen durch Parallelmontage zu einem Monsterfilm verschmolz, der über die ganze Menschheit urteilt, als wäre damals schon 2012 gewesen. Cloud Atlas ist aber auch kein Remake und hat dem Mythos doch einiges hinzugefügt. Zum Beispiel eine Asiatin, die als Britin der Kolonialzeit geschminkt ist (Euroface statt Blackface) oder einen Tom Hanks, der als räudiger Brooklyner Autor zur Rettung seiner Zunft einen Kritiker paniert.

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Auch sehr schön ist der dramaturgische Aufbau der einzelnen Erzählwelten — während die Geschichten aus der Vergangenheit mit vielen Schauplätzen und großem Detailreichtum beginnen und sich über die Zeit auf einen Schiffsbauch zusammenspitzen, beginnen die Storys der Zukunft reduziert und werden im Lauf des Films immer vielschichtiger, bunter, gigantischer.

Ich schätze, in der Gegenwart läuft alles auf einen Punkt zusammen, in dem sich die gesamte Welt konzentriert. Wenn eure Gegenwart dieser Film ist, hoffe ich nur, der eine Punkt ist nicht euer Hämorrhoiden-Arsch. Also: genießt es besser und fokussiert euch auf das Wesentliche. Die Schwäche des Films ist, dass dieses Wesentliche am Ende zur reinen Show verkommt: Das Highlight im Kinosaal war nämlich der Nachspann, in dem noch mal mit Ausschnitten gezeigt wurde, wer denn nun eigentlich in wie viele Rollen brilliert und sich in welcher Episode wo genau im Hintergrund unter einem Damenkostüm versteckt hat. Ein Waldo-Suchspiel im Disney-Stil. Die Stärke von Cloud Atlas läge im Ungefähren, aber anstatt über das, worüber man nicht reden kann, zu schweigen, schreien Tom Tykwer und die Matrix-Wachowskis es mit Präzision durch ein Megaphon.

MARKUS LUST

Ein Makeup-Oscar sollte sich ausgehen, mehr aber auch nicht

Schön zu sehen, dass Hugh Grant sich endlich mal getraut hat, nicht Hugh Grant zu spielen. Halle Berry hat das nicht geschafft. Auch schön fand ich Tom Hanks mit Glatze. Gar nicht schön war der riesen Holzhammer mit dem die Wachowskis und Tom Tykwer versucht haben uns mit Clous Atlas eine Message nach der anderen reinzuhämmern.

Sklavarei ist böse. Diskriminiert Homosexuelle nicht. Ölkonzerne: bäh; Atomreaktoren: noch mehr bäh. Ihr solltet Oma mal im Altersheim besuchen. McDonalds ist der Teufel*. Mixed-raced Babys werden alle super schön. Ich war den ganzen Film lang begeistert, aber als dann die Timelines, eine nach der anderen zu einem Schluss kamen und diese (oder so ähnliche) Messages nochmal unterstrichen, dick eingeringelt und mit Herzchen statt i-Punkten versehen wurden, war's mir irgendwie zu viel. Ja, sie haben in allen Fällen recht, aber muss man das Publikum dabei so anschrein.

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Da wo Cloud Atlas subtil gearbeitet hat, war er nämlich am besten, die Übergänge zwischen den Timelines, die wiederkehrenden Sets und Szenenaufbauten und Halle Berry als koreanischer Hinterhofarzt.

*und dass der Holocaust echt scheiße war. Wobei der Neo-Seoul Vergleich viel zu sehr verharmlost. Allein die Arbeit der Kellnerinnen, Tische abräumen und angegrabscht werden, ist kein Spaß, aber doch überhaupt nicht mit der Zwangsarbeit der KZ-Häftlinge vergleichbar.

DALIA AHMED

Was ist die Message?

Cloud Atlas = Anfang des giftigen 19.Jahrhundert, dann 1970 Spy Kids, Komödien-Gegenwart, eine Matrix-Zukunft und dann noch zukünftiger mit Post-Apokalypse, Earth Two Style und dafuq-hugh-grant-is-a-painted-war-cannibal. 5 Filme in einem, das klingt machbar, ist mir aber einfach zu viel geworden - emotional, nicht inhaltlich. Ich kann nicht eine Stunde lang Gänsehaut haben und einige der Storylines waren meiner Meinung nach einfach NICHT nötig (Halle Berry's Spionenfades). Die Geschichte mit dem alten Verleger ist die beste, der von seinem Bruder einfach ins Altenheim eingewiesen wird nachdem sein Proleten-Autor einen Kritiker vom Balkon wirft.

Auch die Tatsache, dass Soylent Green verarschend zitiert und dann tatsächlich in eine der anderen Drama-Zeitebenen als ernst gemeinter Plotpoint eingewoben wird, fasziniert mich irgendwie. Nicht unbedingt positiv, aber Fühlen ist wichtig bei diesem Film, der einem wie ein schlechter Handjob immer kurz vorm cineastischen Eintauchen in Mensch und Action-Sequenz rausreißt und mich röchelnd, halbfeucht am Boden liegend zurückließ. Ich check übrigens weder Zusammenhang noch Moral der 5 Storylines. Vielleicht ist das Ganze so trivial, dass es mir wie ein tieffrequenter Ton entgeht und mehr die Verdauung als zum Denken anregt.

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JOSEF ZORN

Tolstoi reift gut, schmeckt aber scheiße wegen Keira

Mach doch bitte deinen Mund zu! Tausende Schauspielerinnen werden darauf getrimmt ständig verspielt sexy zu sein - bis sie dann mal eine ernste Rolle in den Ausschnitt geschoben bekommen. Keira Knightley nervt mich im neuen Anna Karenina schwerstens, parallel dazu ein schleimig-lockiger Gesichtsraupenrusse machen einem das Kotzen leicht. Wer echt brilliert und mich im Kinositz zum aufrecht sitzen brachte war Jude Law als Karenin. G-U-T-E-R Mann und makellos gespielt.

Tolstois Anna Karenina ist somit wieder mal aufgewärmt, zum tausendsten Mal, aber ganz gut verträglich, da der Film in so einer theatralen, Plansequenz-artigen Manier gedreht ist, dass wenigstens die Idee einer kreativen Inszenierung gewahrt wird. Anschauen wenn ihr hübsche Mädels verzweifeln sehen wollt und prächtig eingekleidete, imperiale Russland samt Hofstaats-Ausdrucksgetanze geil findet.

Josef auf Twitter: @theZeffo