Von Abtreibungen, Fundamentalisten und Selbstbestimmung

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VICE wird 10

Von Abtreibungen, Fundamentalisten und Selbstbestimmung

Wie DDr. Christian Fiala sich für die Gesundheit von Frauen einsetzt und dafür auch gehasst wird.

 Fotos von Katarina Šoskic

Wenn man am Wiener Westbahnhof vorbei in Richtung Gumpendorfer Straße spaziert und sich über vereinzelte Demonstranten mit christlichen Parolen und Embryo-Bildern um den Hals am begrünten Mittelstreifen des Gürtels wundert, ist man beim weltweit einzigen Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch angekommen. Eine Einrichtung, in der DDr. Christian Fiala und seine Kollegen seit 2007 versuchen, mit Schaukästen und Objekt-Sammlungen die Geschichte von Abtreibung und Schwangerschaftsprävention in Europa und auf der ganzen Welt zu dokumentieren. Dr. Christian Fiala ist ein überzeugter Vertreter und Wortführer vieler progressiver sexualwissenschaftlicher Initiativen in Österreich—wo es übrigens noch einiges an Aufklärungsarbeit in Bezug auf Verhütung und Schwangerschaftsabbruch zu leisten gibt, wie ich seit meinem Besuch gelernt habe.

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Das Museum zeichnet die Etappen menschlicher Verzweiflung nach, die uns unsere verfluchte Fruchtbarkeit seit jeher bereitet hat: von Schläuchen und Zweigen aus Afrika, mit denen illegale Abtreibungen vorgenommen wurden, bis hin zu den absurdesten Verhütungsmitteln wie Harnröhrenkorken und Baumwoll-Diaphragmen. Im selben Gebäude, gleich gegenüber dem Museumseingang, ist das Gynmed Ambulatorium einquartiert, in dem DDr. Fiala seit 2003 Schwangerschaftsabbrüche vornimmt—was auch den Hauptgrund für die Präsenz der erwähnten Demonstranten darstellt. Seit 2005 hat er ebenfalls die Leitung der Abtreibungsklinik am Landeskrankenhaus Salzburg inne.

Fiala wirkt sympathisch und ruhig, genau wie sein gemütlicher Blick durch die rahmenlose Brille. Er erinnert an den Onkel mit lichtem Haar, den man als Kind immer Professor genannt hat. Man würde nicht gleich erwarten, dass er sich eines so kontroversen Themas annimmt. Die Räumlichkeiten des Gynmed erinnern ironischerweise an die eines Kinderarztes. Bunte Sitzgelegenheiten, ein Spielzeug im Wartezimmer, das sich bei näherer Betrachtung als Vagina-Querschnitt samt Gummispirale herausstellt, angenehm viel Platz und eine warme Atmosphäre beruhigen sogar mein normalerweise gestresstes Gehirn. Bei der Sprechstundenhilfe gibt es Tampon-Schatüllchen aus Plastik—für den Notfall. Und auch die Deckenbilder von Blumen und Fischen im OP sind direkt auf das Wohlbefinden der Klientinnen ausgerichtet. In einem Raum hinter der Kaffeeküche holt Fiala ein veraltetes chirurgisches Instrument aus der Lade. Er zeigt mir eine Kürette, eine Art metallenen Schaber, und meint, dass sie früher bei Schwangerschaftsabbrüchen benutzt worden sei, um Reste des Fötus zu entfernen.

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Diese Kürette sollte heutzutage nicht mehr bei Abbrüchen verwendet werden, da sie grobe Schäden anrichten und schmerzhafte Folgen haben kann. Gynmed verwendet eine dünne Plastikkanüle bei der Absaugung verbliebenen Gewebes. In manchen Krankenhäusern findet aber diese rückständige Kürette immer noch Anwendung—und zwar nicht am anderen Ende der Welt, sondern auch hier in Österreich. Das Werkzeug repräsentiert dadurch in gewisser Weise die Auswirkungen von Tabuisierung, die bis in die medizinische Profession hineinreicht. In Bereichen, über die nicht gerne gesprochen oder in denen Verantwortung schnell weitergegeben wird, passiert in Folge wenig Fortschritt. Seit den 70ern gibt es auch den Hegarstift, der zur Öffnung des Muttermunds und meist bei Abbrüchen verwendet wird. Obwohl dieser suboptimal geformte Stift schon vor 40 Jahren als unpraktisch identifiziert wurde, kommt er immer noch als Standardwerkzeug in der Gynäkologie vor. Als ich dann vor dem Operationsstuhl stehe, bekomme ich ein mulmiges Gefühl im Magen.

Foto von Katarina Šoskic

Nicht, weil mich mein katholisches Schuldbewusstsein plagt, sondern eher eine Art männliches. Beim Gedanken daran, dass nach schlechter Verhütung, One Night Stands, anderer blöder sexueller Spontanaktionen oder nach Missbrauch die ganze Verantwortung an der Frau hängenbleibt und sie die Folgen tragen muss, merkt man, wie unausgewogen und selbstverständlich die sexuellen Freiheiten für Männer immer noch sind. Fiala ist deswegen davon überzeugt, dass man sich gerade auch als Mann für die Erhaltung der reproduktiven Gesundheit von Frauen einsetzen muss. Wenn die Verhütung nicht geklappt hat, gibt es verschiedene Formen der Abtreibung. Es gibt den medikamentösen Abbruch, der sich über mehrere Tage zieht, sowie den chirurgischen Eingriff unter örtlicher Betäubung oder Vollnarkose.

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Der Eingriff im OP dauert nicht länger als zwei Minuten und der Embryo—bei vielen Grund für psychische Belastung und Existenzängste—ist weg. Dieser Vorgang ist in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch ein Opfer gesellschaftlicher Massenverdrängung mit einer ganzen Reihe von Moralverstrickungen. In New Jersey hat sich Emily Letts, eine Beraterin bei Schwangerschaftsabbrüchen, Anfang Mai 2014 selbst einer Abtreibung unterzogen und entschieden, während des Eingriffs ihr Gesicht filmen zu lassen und das Video im Internet zu veröffentlichen. Ein Versuch, die Stigmata und den Horror in der allgemeinen Vorstellung zu bekämpfen. Auf meine Frage hin, was er von Emilys Video halte, lobt Fiala den Mut der jungen Frau und den wichtigen, detaillierten Beitrag zur öffentlichen Diskussion. Gleichzeitig versteht er die große internationale Aufregung darüber nicht, da der Schwangerschaftsabbruch einer der häufigsten chirurgischen Eingriffe in der Gynäkologie und Geburtenhilfe ist. Allein in Österreich finden pro Jahr knapp 30.000 Schwangerschaftsabbrüche statt, was im öffentlichen Diskurs aber völlig ignoriert wird.

Die Zahlen machen deutlich, dass der Schwangerschaftsabbruch kein seltener Ausnahmezustand ist, den man unter den Tisch der politischen Debatte fallen lassen kann, sondern das Thema Abtreibung sollte—gerade in Anbetracht des heimischen Umgangs damit—auf hohem Niveau medizinisch und sozio-politisch durchgearbeitet werden. Wenn man sich nur ein Stück weit für österreichische Sexualpolitik interessiert oder sich aus privaten Gründen mit Abtreibung und Verhütung befassen muss, führt an Fiala beziehungsweise an seiner Bibliografie voller Fachartikel und -publikationen kein Weg vorbei. Lange Zeit war er Vorsitzender der Internationalen Vereinigung von Fachkräften zu Schwangerschaftsabbruch und Kontrazeption (FIAPAC), außerdem Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung (ÖGF) sowie der European Society of Contraception (ESC) und ist Mitarbeiter an spezialisierten Programmen der World Health Organization (WHO).

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Ein Dauergast bei nationalen und internationalen Kongressen zu Notfallverhütung und Schwangerschaftsabbruch, hat er solche—mitunter 2004 in Wien und 2006 in Rom—auch persönlich organisiert. Im Januar 1999 hat Fiala am Krankenhaus Korneuburg den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch in Österreich eingeführt, wobei es sich um eine über mehrere Tage anzuwendende Methode handelt, die bis zur 9. Woche zulässig ist und auf deren Anwendung er wenige Jahre zuvor in Frankreich gestoßen war.

Sein Engagement zur Senkung der Müttersterblichkeit sollte man genauso wenig außer Acht lassen wie seine Unterstützung der Forschung an Kurznarkosetechniken, um bei Schwangerschaftsabbrüchen optimale Behandlungsmöglichkeiten zu erzielen. Kondomautomaten an Schulen und eine rezeptfreie „Pille danach" sind ebenfalls essentielle Punkte auf seiner Liste der verbesserungswürdigen Zustände in Österreich. Einen heimischen Erfolg kann Fiala bereits verbuchen. 2001 war er maßgeblich an der Einführung der anonymen Geburt beteiligt. Zuvor musste jede Frau dem Krankenhaus einen Ausweis vorlegen, wenn sie dort entbinden wollte—und zwar auch, wenn sie das Kind sofort zur Adoption freigeben wollte.

Foto von Katarina Šoskic

Unnötig zu sagen, dass es für diese Ausweispflicht keine medizinische Grundlage gibt. Es sind zwar nur wenige Frauen durch besonders schwere Umstände zur anonymen Geburt gezwungen, aber trotzdem hat das schlichte Angebot dieser Initiative Leben gerettet. In wissenschaftlichen Studien der letzten 10 Jahre wurde in Zusammenarbeit mit Finnland und Schweden ein nachweislicher Rückgang der Zahlen der von tödlicher Gewalt betroffenen Neugeborenen in Österreich dokumentiert. Mitten in Westeuropa solche Mängel zu entdecken, ist für Fiala ein rotes Tuch, da er in seiner Laufbahn auch schon selbst mit illegaler Abtreibung konfrontiert war. In Asien ist der Schwangerschaftsabbruch verboten und im Zuge von Fialas einjähriger medizinischer Arbeit dort—speziell in Thailand—sah er sich täglich mit Todesfällen von Frauen konfrontiert, die an den Folgen illegaler Abtreibungen erbärmlich zu Grunde gingen.

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Natürlich kann man die Abtreibungspolitik Österreichs nicht mit solchen extremen Zuständen vergleichen. Der Schwangerschaftsabbruch ist seit 1975 durch die Fristenlösung Bruno Kreiskys gesetzlich erlaubt. Der Abbruch ist straffrei und bietet eine entsprechend liberale Situation für ungewollt schwangere Frauen, aber dass es hierbei keine Durchführungsbestimmungen gibt, bleibt ein Problem. In Vorarlberg gibt es keine Kliniken, die den Abbruch vornehmen. Nur die Praxis eines Schweizers bietet entsprechende Behandlungen. Das Burgenland verfügt über keine einzige medizinische Einrichtung, an die sich ungewollt Schwangere wenden können, Oberösterreich und Tirol jeweils über gerade einmal eine. In allen österreichischen Bundesländern gibt es mehrere Krankenhäuser unter katholischer Leitung, die ihren Ärzten arbeitsvertraglich untersagen, entgegen der religiösen Doktrin zu handeln.

Somit dürfen dort Ärzte keine Abtreibungen durchführen und—selbst bei Vergewaltigungsopfern—die „Pille danach" nicht verabreichen, weil sie sonst ihre Entlassung fürchten müssten. Keine Durchführungsbestimmungen, das bedeutet auch, dass in Österreich jeder Arzt aus moralischen oder anderen Gründen ablehnen kann, einen Abbruch vorzunehmen. Somit werden Frauen in der unangenehmen Lage einer ungewollten Schwangerschaft oft durch das ganze Land—oder darüber hinaus, nach Holland und Großbritannien—weitergeschickt. Fiala verweist hier auf die französische Regelung, die vorgibt, dass in jedem Krankenhaus Frankreichs der verantwortliche Abteilungsarzt dafür sorgen muss, eine Fachkraft zu stellen, die bereit ist, Abbrüche vorzunehmen.

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Ich habe mich mit einem oberösterreichischen Krankenhausarzt aus einem anderen Fachgebiet unterhalten, um zu erfahren, wie die allgemeine Wahrnehmung dieser Debatte in der Medizin ist. Wenn man in einem anderen Feld arbeitet, wird die heimische Situation etwas harmloser eingeschätzt, und man ist sich sicher, dass jede Frau, die entsprechende Hilfe benötigt, diese auch bekommt. Auch das Recht eines jeden Arztes, den Abbruch—wenn keine gesundheitlichen Bedenken vorliegen—abzulehnen, findet dieser Facharzt völlig legitim und spricht sich mit Nachdruck gegen eine ärztliche Verpflichtung zu diesem Eingriff aus. Demnach hätte die Selbstbestimmung der Ärzte eine höhere Priorität als die ihrer Klientinnen.

Foto von Katarina Šoskic

Das Recht auf Selbstbestimmung, das Fiala allgemein als die wichtigste treibende Kraft des 20. Jahrhunderts sieht, für das Frauen hart kämpfen mussten und dessen Krönung die Pille darstellt, wird hier ironischerweise auch als moralisches Argument der Mediziner für ihr Handeln beansprucht. Auch Fialas Engagement dafür, dass die österreichischen Krankenkassen die Initialkosten teurer Langzeitverhütung und Schwangerschaftsabbrüche (partiell) zahlen sollten—zumindest im Fall junger oder sozial benachteiligter Frauen—, trifft oft auf Unverständnis. Obwohl im restlichen Westeuropa in diesem Punkt finanzielle Unterstützungen gewährleistet werden, vertreten die meisten, mit denen ich gesprochen habe, darunter auch Klientinnen und erwähnte Ärzteschaften, die Meinung: „Der Staat zahlt eh schon für so viele Sachen und so teuer ist die Pille oder eine Abtreibung auch wieder nicht."

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Im Durchschnitt kostet der Schwangerschaftsabbruch in Fialas Kliniken 400 bis 500 Euro, doch heimische Kliniken—darunter einige in Niederösterreich—verlangen bis zu 1.000 Euro, auch um aktiv abzuschrecken. Diese Kosten samt anfallenden Anfahrten haben dann Frauen selbst zu tragen—und das unter Umständen, die man nicht verharmlosen sollte. Etwas stutzig macht auch die Tatsache, dass bis zu 3 IVF-Behandlungen (In-vitro-Fertilisation), also künstliche Befruchtungen, von den Krankenkassen gedeckt sind. Aber in der umgekehrten Situation, bei einer medizinisch ebenso „notwendigen" Behandlung, werden Frauen, die Steuern und in diese Kassen einzahlen, mit ihrer sicher nicht leichtfertig getroffenen Entscheidung alleingelassen. Der Kinderwunsch gefällt dem Staat natürlich besser, gerade mit der zukünftigen Pensionsversicherung im Nacken. Keine Kinder zu kriegen, wird hingegen zur Privatsache erklärt. Offensichtlich stört die Aussicht auf potenzielle Sozialfälle und eine schlechte gesellschaftliche Gesundheit da wenig.

Das klingt doch alles sehr vertraut. Wir sind ein Land, das bevorzugt nicht schuld ist, Verantwortung nicht leiden kann und in dem—auch was diese Debatte anbelangt—das geliebte „Wurscht" regiert. Obwohl man sich schnell hinter eine sexuell liberale Galionsfigur wie Conchita stellt, passiert das immer erst, wenn das Voting vorbei ist und man sich gefahrlos auf den Lorbeeren anderer ausruhen kann. Es gibt aber auch richtige Spinner unter den Kritikern Fialas. Seinerseits wird der Diskurs objektiv gehalten und Fakten sind das einzige verwendete Kanonenfutter. Gleichzeitig verleumden ihn extrem fanatische Organisationen wie Human Life International und die Christlich Soziale Arbeitsgemeinschaft Österreichs online auf reißerischen Seiten als „Henker von Wien und Salzburg", „Tötungsspezialist No. 1" und mittels Fotomontagen von blutigen Händen. Fiala hat inzwischen rechtliche Schritte dagegen eingeleitet.

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Diesen rechtskonservativen Irrsinn kannte ich bis jetzt auch nur von Fox News oder als überzeichnete Persiflage in den Simpsons. Fiala besteht hier auf klare Definitionen und meint: „Alleine der Begriff ‚Abtreibungsgegner' ist irreführend. Das impliziert ja, dass es zwei Seiten oder Unentschiedene gäbe, aber letztlich sind ausschließlich religiöse Fundamentalisten gegen einen legalen Schwangerschaftsabbruch." Diese Positionierung suggeriert zudem, dass es eine lächerlich unverantwortliche Meinungsfront gäbe, die sich für Abtreibung als Lifestyle Choice und Verhütungsersatz einsetzen würde. Diejenigen, die den legalen Abbruch befürworten, stehen aber primär für die wirksame Verhütung und Prävention ungewollter Schwangerschaften—sodass es im besten Fall gar nicht erst zu dieser schwierigen Entscheidung kommen muss.

Mit irrwitzigen Behauptungen, dass Fiala „Gewalt gegen Frauen" beginge und das „Blut unschuldiger Kinder zum Himmel schreie", werden Tatsachen ins genaue Gegenteil verdreht. Diesen Frauen wird in belastenden Lebenslagen mit Beratung und adäquater medizinischer Behandlung geholfen. Faktische Information ohne Ideologie ist hier lebenswichtig. Wo die religiösen Fanatiker nur Gewissenskeulen, Vorwürfe und uninformierte Angriffe übrig haben, macht ärztlicher Professionalismus einen immensen Unterschied. Zwei Frauen, die mir unabhängig voneinander die persönliche Geschichte ihrer Schwangerschaftsabbrüche erzählt haben, meinten beide, dass Fiala eine sehr angenehme Mischung aus Strenge und Fürsorglichkeit ausstrahle. Einerseits sei klar kommuniziert worden, dass die Entscheidung zu diesem Eingriff nicht leichtfertig gemacht werden darf, die letzte Instanz darstellt, und gleichzeitig bekommt man eine verständnisvolle, entgegenkommende und beruhigende Behandlung. „Eine ungewollte Schwangerschaft kann wirklich jeder Frau passieren", fasst Fiala zusammen. „Ein medizinisch korrekt durchgeführter Abbruch hinterlässt keine körperlichen Spuren.

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Foto von Katarina Šoskic

Leider geht es religiösen Fanatikern aber nicht um das Wohlbefinden von ungewollt schwangeren Frauen, sondern darum, deren schlechtes Gewissen zu schüren und schwammige Ideologien zu erhalten. Wenn man die Problematik durchdenkt, müssten sich die schärfsten Kritiker von Abtreibungen erst recht für den verstärkten Einsatz wirksamer Verhütung sowie deren kostenlose Bereitstellung stark machen. Aber stattdessen erhält Fiala Morddrohungen und bis vor wenigen Jahren—hätte das Gynmed nicht oftmals die Polizei eingeschaltet—wurden Hilfe suchende Frauen vor dem Ambulatorium terrorisiert und persönlich angegriffen. „Solche Fundamentalisten wollen sich nicht sachlich mit den Umständen befassen, aber trotzdem mitreden. Der Diskurs sollte bei den Menschen bleiben, die tatsächlich wissen, wovon sie reden", betont Fiala.

Menschen mit gefährlich uninformierter Pauschalmeinung zum Thema Abtreibung sind hierzulande aber keine belanglose Dunkelziffer und auch nicht nur eine kleine Traube an Leuten mit „Was, wenn Jesus abgetrieben worden wäre?"-Schildern. Bei der Bundespräsidentschaftswahl 2010 stimmten über 15 % der österreichischen Bevölkerung für Barbara Rosenkranz, die damit warb, sich für das Verbot der Abtreibung einzusetzen. Die FPÖ solidarisiert sich—nicht nur auf ihrer Online-Plattform unzensuriert—mit den konservativen Ansichten, dass Fialas „zweifelhaftes Handwerk makaber" sei, und mit Behauptungen, dass er Klientinnen schlecht beraten würde. Auch der Wiener Akademikerbund hat Mitte Mai 2014 eine schriftliche Stellungnahme zur Abschaffung der Fristenlösung und des Gleichbehandlungsgesetzes vorgelegt—und wünscht sich nur so nebenbei die Auflösung des Verbotsgesetzes zur Wiederbetätigung.

Vor seinen kontroversen Kreuzzügen studierte Fiala an der Universität Innsbruck Medizin. „Gerade im Tiroler Land ist der christliche Konservativismus stark spürbar gewesen." Bei der Wohnungssuche mit seiner Partnerin hatte er, da unverheiratet, wenig Glück bei den Vermietern. Dass selbst junge Studienkolleginnen der Medizin damals ungewollt schwanger wurden, irritierte Fiala, und dieser Umstand brachte ihn dazu, noch auf der Uni selbstverlegte Verhütungsbroschüren zusammenzustellen. Auf diesem Level landesweiter Ignoranz steht Österreich noch immer zu großen Teilen. Das hat schließlich Geschichte. Der lange Arm der Kaiserin, eine Doku, die die österreichische Einstellung zum alten Rein-Raus-Spiel seit den 50ern aufrollt, unterstreicht den vorherrschenden Umstand, dass die primäre Sexualaufklärung von Eltern und Schulen mehr als verkappt ist.

Katholische und daher bei uns kulturell tief verwurzelte Moralvorstellungen von damals, wie zum Beispiel „kein Sex vor der Ehe" oder „Sex nur zur Fortpflanzung", hatten vor 100 Jahren ja sogar noch einen sehr realen, sozio-psychologischen Hintergrund: Es war die Manifestation des verzweifelten Versuchs, die unaufhaltsame Fruchtbarkeit der Leute und die wild wuchernde Kinderzahl unter Kontrolle zu kriegen. Nachwuchs sollte klarerweise überlebensfähig und im weiteren Sinne wirtschaftlich tragbar sein. Repressive Sexualmoral war quasi eine vorsintflutliche Massen-Verhütung, obwohl Abstinenz und Freiheit von Sünde bekanntermaßen nie und nirgends große familienlogistische Erfolge erzielt haben. Mit der Möglichkeit, sich wirksam vor ungewollten Schwangerschaften zu schützen—also durch die Pille—, verlor sich dieser wackelige Nutzen der Sexualmoral. „Dieser Umbruch war nicht nur eine medizinische Revolution, sondern auch eine soziale", sagt Fiala.

Der Frauenarzt erinnert an Sigmund Freud, der bereits Jahrzehnte vor den Swinging Sixties von einer befreiten Sexualität träumte: „Theoretisch wäre es einer der größten Triumphe der Menschheit, eine der fühlbarsten Befreiungen vom Naturzwange, dem unser Geschlecht unterworfen ist, wenn es gelänge, den verantwortlichen Akt der Kinderzeugung zu einer willkürlichen und beabsichtigten Handlung zu erheben und ihn von der Verquickung mit der notwendigen Befriedigung eines natürlichen Bedürfnisses loszulösen." Und doch reden wir heute noch immer nicht darüber. Wenn ich mich zurückerinnere, bin auch ich nie „richtig" aufgeklärt worden—und das, obwohl ich als Kind der Neunziger vom prallsten Vranitzky-Liberalismus umgeben gewesen wäre. Frühreife Typen, deren Fickprahlereien im Turnunterricht und Vaterschaften im Alter von 16 waren meine ersten konkreten Auseinandersetzungen mit Sex und sorgten für eine entsprechend verzerrte Aufklärung.

Ein weiterer Grund, warum mir das Thema Verhütung seit meinem VICE-Artikel vom Februar 2014, in dem ich DDr. Christan Fiala erstmals interviewte, nicht mehr aus dem Kopf geht, ist die aggressive Reaktion auf sein Herausstreichen der weiblichen Selbstbestimmung durch die Pille. Es folgten wütende Kommentare, dass Fiala „alle Frauen mit Hormone vollstopfen" wolle, gegen Kondome sei und „natürliche Verhütung" genauso wirkungsvoll sei wie die Pille. Aus diesen Gründen gehöre „ihm die Lizenz entzogen". Ich weiß, im Internet wird schnell und ohne Filter geschimpft, aber diese Sicht deutet auch auf ein weiteres, komplett anderes Meinungslager hin, das sich trotz liberaler—vielleicht sogar feministischer—Einstellung ein bisschen mit den religiösen Abtreibungs-Hatern solidarisiert. Es ist eigenartig, einen Arzt, der Frauen in Notlagen hilft, unter dem Gesichtspunkt zu kritisieren, dass er Frauen das Leben erschweren wolle. Fiala kennt die „Sorte" und reagiert auch hier überlegt: „Der Wunsch nach ‚Natürlichkeit' ist ein sehr moderner Widerspruch. Nach 50 Jahren, sprich zwei Generationen später, können sich die jungen Menschen nicht mehr an die schlimmen Zustände vor der Pille erinnern.

Da gab es keine sexuelle Selbstbestimmung der Frau und wenn man heutzutage das moderne Familienbild sieht, denkt man, dass es normal, eben ‚natürlich', sei keine oder nur zwei Kinder zu haben. ‚Natürlich' bedeutet aber eine durchschnittliche Fruchtbarkeitsdauer von 35 Jahren, was bei einer gesunden Frau um die 15 Schwangerschaften im Leben gleichkommt." Schon der Begriff „natürliche Verhütung" ist an sich paradox. Wenn eine Frau durch akribische Beobachtung ihrer Körpertemperatur und des Vaginalschleims erstaunlich genau den Zeitraum voraussagen kann, in dem sie Gefahr läuft, schwanger zu werden, kann sie ohne wirksame Verhütung in diesem Zeitraum trotzdem keinen Sex haben. Dabei ist meiner Meinung nach das Grundprinzip von Verhütung und Selbstbestimmung: Sex, wann ICH will. Hormone, die letztlich genauso im Körper vorkommen, werden schnell polemisch als böse verteufelt, weil sie unnatürlich seien. Eigentlich unterwerfen sich gerade Verteidigerinnen der natürlichen Verhütung damit wieder einer Fremdbestimmung, die sie mit einer verklärten New Age-Ideologie rechtfertigen.

Fiala rät Frauen, sich klare Fragen zu stellen: „Was brauche ich in der Verhütung, was tut mir gut, was tut mir nicht gut beziehungsweise welche Methode stört am wenigsten in unserer Beziehung? Was ist die wirksamste Verhütung, die am wenigsten stört? Das sind zurzeit einfach noch Hormone." Aber letztlich könnte dieses Land, anstatt ein Bollwerk aus verschiedensten Kräften zu bilden, in einem objektiven Diskurs mit der Regierung und unserer Bevölkerung eine offenere Sexualpolitik aushandeln. Dabei muss nicht schrittweise aufeinander zugegangen werden, sondern es müssen Gesetze geschaffen werden, die die Selbstbestimmung der Frau garantieren.

Und gerade in solchen existenziellen Ernstfällen, wenn man vor der Entscheidung steht, eine Schwangerschaft abzubrechen, wünscht man sich eine entta- buisierte Wahrnehmung und vorurteilsfreie Hilfestellung. Und im Vorfeld Klartext in Sachen Prävention und Aufklärung—gerade für ehemalige Verhütungsamateure wie mich. Sicher, da waren vielleicht auch meine zwei, drei Schreckmomente, in denen ich glaubte, jemanden ungewollt geschwängert zu haben, aber ich habe als Mann wohl letzt- lich herzlich wenig Ahnung. Ohne persönliche Erfahrung mit Menstruation—und dem Gefühl, wenn sie ausbleibt—kann ich mich nur mit selbstbestimmten Frauen solidarisieren und auf eine gesündere, sexuell liberale Gesellschaft hoffen. Weder der Sündenfall oder eine vernichtende Inflation noch explodierende Kirchen wären die Folge.

Josef auf Twitter: @theZeffo