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Von wegen soziale Hängematte

Exakt sechs Jahre nachdem Rumänien und Bulgarien in die EU eingegliedert wurden, schlägt der deutsche Städtetag Alarm. Die Armutszuwanderung wird Deutschland auf eine harte Probe stellen. Wir besuchten deshalb die Harzer Straße in Berlin, in die ein...

Meine Freundin Cristina

In der österreichen Gesellschaft haben Zuwanderer aus den sogenannten "neuen EU-Ländern" oft nicht gerade den besten Ruf. Da nun auch bei unseren Nachbarn in Deutschland der Städterat Alarm wegen der hohen Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien schlägt, habe ich mit meiner Freundin Christina eine Straße in Berlin besucht, in die ein komplettes, rumänisches Dorf gezogen ist.

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Cristina ist in einem kleinen Dorf bei Bukarest geboren und kam vor einigen Jahren nach Deutschland, um in München zu studieren. Sie gehört also zu den „qualifizierten“ Zuwanderern, mit denen der Staat kein Problem hat. Mittlerweile ist sie nach Berlin gezogen, um hier unter anderem für den Bundestag zu arbeiten.

Wir gingen in die Harzer Straße, eben jene Straße, in die ein komplettes Dorf bei Bukarest umgesiedelt ist. Wir sprachen mit einigen Menschen auf der Straße, doch sobald ich erwähnte, dass ich einen Bericht schreiben wollte, winkten sie schnell ab.

Ein etwa 20-jähriger Rom (Cristina erkennt das an der Sprache) mit hellem Haar spielte vor einer Hofeinfahrt mit seinen zwei jüngeren Geschwistern Fußball. In gebrochenem Deutsch sagte er sofort, dass sie alle nicht mit der Presse reden. Dann verschwanden die drei schnell in einem Haus.

Als wir bereits resigniert unseren Rückweg antreten wollten, schickte uns ein freundlicher alter Rumäne zu Alexandru, „der redet vielleicht mit euch“, sagte der alte Mann.

Alexandru hatte schütteres Haar, das er mit Gel auf die Stirn gekämmt hatte, er trug eine abgewetzte Lederjacke und war sehr höflich und zuvorkommend, was vielleicht auch an Cristinas kurzem Rock lag. Als ich ihm sagte, dass ich gerne mit ihm über sein Leben in Deutschland reden möchte, winkte auch er schnell ab und gab mir zu verstehen, dass er eh kein Deutsch könne. Ich verwies ihn auf Cristina, die daraufhin gekonnt ihren Charme einsetzte und ihm so ein wenig die Angst nahm.

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Während seine Augen die ganze Zeit umherwanderten, erzählte er uns, dass er vor einigen Jahren mit seiner Familie hier in die Harzer Straße gezogen war und dass seine Kinder hier in die Kita und in die Schule gehen. Die können auch perfekt Deutsch, erzählte er stolz. „Ich habe große Hoffnung in meine Kinder. Da sie noch so jung sind, können sie sich gut hier einleben. Sie sind fast schon mehr deutsch als rumänisch“, sagte er lachend, während er gestenreich erzählte. Er mag das Leben, das er hier in Deutschland führt, es sei besser als damals in seinem südrumänischen Heimatdorf. Ich wollte von ihm wissen, woher er sein Geld bezieht. „Ich arbeite für einen anderen Osteuropäer, hauptsächlich auf dem Bau, wobei ich körperlich oft an meine Grenzen stoße.“ Er arbeitet schwarz, kann sich dementsprechend auch nicht auf Arbeitnehmerrechte berufen. In die Hofeinfahrt, in der wir standen, kamen ein Mann und eine Frau, die einen Kinderwagen schoben. Er müssten jetzt gehen, sagte er, und seine blutunterlaufenen, braunen Augen verengten sich, als er zum Abschied noch ein letztes Mal lächelte.

Ende Januar wurde vom deutschen Städtetag Alarm geschlagen, die Armutszuwanderung stelle die Kommunen auf eine harte Probe. In dem Positionspapier ist die Rede von einer „gravierende[n] Fehlentwicklung“. „Dabei ist die Zuwanderung der qualifizierten EU-Bürgerinnen und Bürger, […] in der Regel nicht mit Schwierigkeiten verbunden. Problemlagen entstehen aber durch den Zuzug der Menschen aus Bulgarien und Rumänien, die in den neuen Beitrittsstaaten teilweise unter prekärsten Bedingungen leben und als EU-Bürgerinnen und Bürger aus nachvollziehbaren Gründen die Chance zu einer Verbesserung der eigenen Lebenssituation im übrigen Europa suchen.“

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Diese Wanderungsbewegung kann doch eigentlich niemanden überraschen, wenn man Länder in die EU aufnimmt, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit weit hinter der anderer EU-Staaten zurückliegt.

Der Vorwurf wird in letzter Zeit immer lauter: Sozialbetrüger melden zum Schein ein Gewerbe an, bekommen Kinder- und Wohngeld, woraufhin nach drei Monaten im Jobcenter Harz IV beantragt wird, weil das Gewerbe nichts abwirft. Solche Betrüger würde Innenminister Friedrich am liebsten sofort aus Deutschland werfen lassen. Rabiat forderte er in einem Interview: „Wir müssen es erreichen, dass diejenigen, die heimgeschickt werden, weil sie hier betrogen haben und hier Dokumente gefälscht haben, eine Einreisesperre bekommen.“ Denn das Problem, das Innenminister Friedrich hier anspricht, ist, dass EU- Bürger, die aus Deutschland ausgewiesen wurden, jederzeit wieder einreisen können. Polemisch meinte er: „Wenn jemand in ein anderes Land kommt, um sich dort in die soziale Hängematte zu legen, dann hört der Spaß auf.“

Ich frage mich, ob viele Rumänen und Bulgaren tatsächlich auf einer deutschen Hängematte liegen und sich die momentan nicht vorhandene Sonne auf den Bauch scheinen lassen.

Cristina und ich waren ein bisschen enttäuscht darüber, dass kaum jemand mit uns reden wollte. Doch wie es der Zufall so wollte, begegnete ich in dieser Nacht, auf dem Weg zu einer Freundin in Neukölln, Gheorghe, der mich im Vorbeigehen fragte, ob ich mit ihm eine Tüte rauchen möchte. Ich war nicht mehr ganz nüchtern und hatte eh noch ein Bier in der Hand, das ich austrinken musste, also dachte ich mir, wieso nicht?

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Er stieß eine große vollgekritzelte schwarze Holztür auf, die schon fast aus den Angeln fiel. Da wurde mir dann doch ein wenig mulmig, weil schon die Straße recht dunkel und leer war, und wir verständigten uns darauf, in der offenen Tür, unter der mickrigen Straßenbeleuchtung stehen zu bleiben. Mit seinem freundlichen Lächeln sagte er, ich müsse keine Angst haben, zündete sich sein Tütchen an und reichte es mich weiter. Ich fragte ihn, woher er komme, und er antwortete mir, dass er aus Rumänien stammt.

Er erzählte mir, dass er hier in einem der Hinterhäuser mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebt. „Wie lange bist du schon in Deutschland“, wollte ich wissen. „Ich bin schon seit fünf Jahren hier und meine Familie erst seit drei Jahren. Ich bin damals mit dem Bus in Süddeutschland angekommen.“

Sein Deutsch war einwandfrei. „Ich habe schon immer schnell Sprachen gelernt. Vieles habe ich auf der Straße aufgeschnappt und von Bekannten gelernt“, dann gab er seine Französisch-, Spanisch- und Russischkenntnisse zum Besten, wovon ich nichts verstand. Obwohl ihm die meisten Zähne fehlten, hatte er dennoch ein unglaublich nettes Lächeln, und ich fing an, ihn echt sympathisch zu finden. Trotzdem sah er irgendwie ungesund aus und sein Äußeres war ziemlich verwahrlost. Seine löchrige, abgenutzte und geflickte Jacke hingt ihm von den Schultern. Ich vermutete, dass er darunter spindeldürr war, denn seine Wangenknochen waren eingefallen und seine langen, knöchrigen Finger kamen mir skelettartig vor. Er hatte aber sehr schöne braun-grüne Augen.

„Egal wie man hier lebt, es ist um einiges besser als in meiner alten Heimat“, erzählte er. „Ich hatte am Anfang keine Wohnung und musste immer sehen, wo ich übernachtete. Erst als ich eine Wohnung sicher hatte, habe ich meine Familie nachgeholt“, sagte er. „Wie hast du denn gelebt, bevor du die Wohnung hier hattest?“, wollte ich von ihm wissen. „Auf der Straße, bei Leuten aus meinem Dorf oder manchmal in Heimen.“ „Wie hast du da Geld verdient“, fragte ich ihn, während ich die Furchen auf seiner wettergegerbten Haut betrachtete. „Manchmal Betteln, manchmal dies, manchmal das. Heute muss ich zum Glück nicht mehr betteln, heute erledige ich Sachen, die eben so anfallen.“ Leichter ist das Leben in Deutschland aber trotzdem nicht unbedingt: „Du kannst hier immer was zu essen finden, aber einfach ist das Leben hier absolut nicht. Ich bin dankbar, dass ich jetzt eine Wohnung habe, ich habe schließlich lange genug bei solchen Temperatuten im Freien geschlafen.“

Mittlerweile waren wir doch in die Hofeinfahrt gegangen. Im Innenhof lagen viel Müll und Sperrmüll rum, auf das wir uns setzen konnten. Frierend erzählte ich ihm, dass ich tagsüber vergeblich versucht habe, Menschen wie ihn zu finden, weil ich darüber schreiben möchte. „Ja, die meisten von uns wollen nur unter sich bleiben und mit Behörden und Presse wollen die nichts zu tun haben. Ich bin da anders“, sagte er und lächelte. „Ich freue mich, dass ich dich kennengelernt habe“, sagte ich ihm. Er lachte. Wir unterhielten uns noch eine Weile weiter, bis es für uns beide endgültig zu kalt wurde, ich mich verabschiedete, die große Holztür aufzog und wieder auf die Straße ging.