Lewis Carroll, ,Alice hinter den Spiegeln'In einer Sache sind sich fast alle Beobachter der aktuellen politischen Situation in Österreich einig: Das meiste, was bei uns gerade passiert, sind nur Worte. Das trifft auf den Wahlkampf im Allgemeinen genauso zu, wie auf die Flüchtlingssituation im Speziellen, bei der die Regierung gegenüber den privaten Helfern bei den Bahnhöfen, Grenzen und Konvois eher hilflos und planlos aussieht.„Wenn ich ein Wort verwende, […] dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes."
„Die Frage ist doch", sagte Alice, „ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst".
„Die Frage ist", sagte Humpty Dumpty, „wer die Macht hat—und das ist alles."
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Aber auch, wenn die Innenministerin es mit den konkreten Taten genauso wenig hat wie mit dem grammatikalischen Aktiv oder einer verantwortungstragenden Rolle, zeichnet sie damit ein sehr deutliches Bild, das Strache bis zum Wahlsonntag sicherlich gerne ausmalt: Die anderen bedrohen uns und die anderen anderen müssen eine Lösung herbeiführen, während wir Eigenen in Angst vor dem „Gewalteinsatz" erstarren, bis uns die FPÖ von der Regierungsohnmacht und den Fliehenden und der Bedrohung unseres Lebensstandards erlöst.Da spielt es keine Rolle, ob in Wien der Bürgermeister oder die Mauer zum Osten gewählt wird; das Territorium ist mit den Begriffen abgesteckt, die wir für die Dinge um uns herum benutzen und zwischen denen der Kampf ausgetragen wird.Wenn Mikl-Leitner von „Gewalteinsatz" redet, ist das eben nicht nur ein beliebiges Wort unter Wörtern. Es ist populistische Kampfrhetorik, auf die keine Vorschläge oder Handlungen, sondern nur weiterdelegierte, ausgelagerte Schuldzuweisungen folgen.Der Schwarze Block in der Regierung droht also mit Gewalt.
— Michel Reimon (@michelreimon)September 29, 2015
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Dasselbe gilt auch im Fall von Mikl-Leitners „Gewalteinsatz"-Sager, nur mit geänderten Vorzeichen. Hier bezieht das Argument seine Legitimation aus der Ohnmacht der Regierung—und hebelt damit auf dieselbe Art jede Form von Logik oder echten Argumenten aus.Es ist eben nicht egal, welche Worte wir verwenden. Das beginnt mit den „christlichen Werten", die die „besorgten Bürger" so gerne bewahren wollen—obwohl der größte Wert unserer westlichen Gesellschaft, wenn überhaupt, nicht im Christentum, sondern in der Säkularisierung liegt.Das geht weiter mit den fliehenden Menschen, die als „Asylanten" auf einen Dauerzustand festgelegt werden. Und das führt bis zu Heinz-Christian Strache selbst, dessen geschickte Eigen-PR es selbst in halbwegs seriösen Medien geschafft hat, ihn als Kunstfigur „HC Strache" (mit dem coolen Zwei-Buchstaben-Vornamen) zu positionieren.Wir müssen aufpassen, wie sehr Aussagen—gerade im Wahlkampf—wirklich „nur Worte" sind. Sonst behält Lewis Carroll Recht und sie bedeuten am Ende genau das, was die Mächtigen wollen—„und das ist alles".Markus auf Twitter: @wurstzombieWir müssen aufpassen, wie sehr Aussagen—gerade im Wahlkampf—wirklich „nur Worte" sind. Sonst bedeuten sie am Ende genau das, was die Mächtigen wollen.