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Sex

War Jesus schwul?

Ein Theologe ist der Überzeugung, dass Christus sowohl Top als auch Bottom war.

Foto: Waiting for the Word | Flickr.com | CC BY 2.0 (bearbeitet)

Nach dem historischen Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA zur Legalisierung der Homo-Ehe schien es, als würden alle stolz homophoben Christen aus dem Unterholz gekrochen kommen, um darüber zu reden, wie sehr sie homosexuelle Menschen immer noch hassen. Als heterosexueller Jude war mir die Homophobie von Jesu Anhängern schon immer ein bisschen ein Rätsel: Zu Füßen eines muskulösen, nackten Mannes zu beten, schien mir zumindest ein klein wenig homoerotisch. Doch es ist Jesus selbst, der den Gaydar ausschlagen lässt wie einen aufgeregten Esel. Er ist ein schlanker, otter-artiger junger Mann, umgeben von einem Schwarm Typen, der allen sagt, sie sollen einander lieben und umsorgen und dem später ein Haufen engstirniger Konservativer die Scheiße aus dem Leib prügelt, weil sie Angst vor Veränderung haben.

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Wie sich herausstellt, ist das nicht allein meine Theorie. Dr. Reverend Bob Shore-Goss, ein offen schwuler Pastor, hat mehrere Bücher über dieses Thema geschrieben, darunter Queering Christ und Jesus ACTED UP: A Gay and Lesbian Manifesto. Er hat seinen Doktor in vergleichender Religionswissenschaft an der Harvard University gemacht und sitzt im Vorstand des National Advisory Board of the Center for Lesbian and Gay Studies in Religion. Ach ja, und er glaubt, dass Jesus schwul war. Ich habe Reverend Goss kontaktiert und er hat mir die biblischen Beweise dargelegt und erklärt, was es mit seiner Theorie auf sich hat.

Foto: Disavian | Flickr.com | CC BY-SA 2.0

VICE: War Jesus schwul?
Bob Shore-Goss: Ich hoffe, dass er es ist. Ich würde annehmen, dass er es ist. Im Sinne meiner eigenen Spiritualität würde ich gerne dieses Bett mit Jesus teilen. Zumindest war Jesus queer. Will heißen: Er brach mit den Regeln seiner Kultur, mit der Heteronormativität. Er hat die Maskulinität und die Geschlechterregeln seiner Kultur untergraben. Queer muss nicht unbedingt die sexuelle Orientierung meinen, doch das kann darin enthalten sein. St. Paulus würde man heute als ungeouteten Schwulen bezeichnen, doch damals hatten sie diese Bezeichnung noch nicht.

Wie standen die Menschen zu Jesu Zeiten der Homosexualität gegenüber?
Es gab keine Vorstellung von einer sexuellen Orientierung, aber das Geschlecht war wichtig. In der Bibel steht also, wenn ein Mann mit einem Mann schläft wie mit einer Frau, dann ist das ein Greuel. Hier ist der Fokus darauf, dass der Mann seinen Status verraten hat: Er hat sich feminisiert. Es ist also eine geschlechtliche Regelverletzung und keine sexuelle. Der Kodex der Maskulinität war sehr stark in der Antike. Homoerotische Beziehung sind in der Antike häufig anzutreffen, vor allem in der griechischen und römischen.

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Hat Jesus das selbst jemals angesprochen?
Tatsächlich gehört zu den Wundern, die Jesus gewirkt hat, die Heilung des Jungen des Hauptmanns. Das steht im Matthäus- und im Lukasevangelium. Matthäus verwendet das Wort „pais"—von diesem Wort leitet sich auch das Wort „Päderast" ab, es bedeutet Kind/Knabe—, um diesen Jungen zu beschreiben, der im Grunde eine Konkubine des Centurio ist. Es ist eine erotische Beziehung. Er kommt zu Jesus und bittet darum, dass er geheilt wird. Jesus fragt, ob er ihn heilen soll, und er sagt: „Ich bin nicht würdig, dass du unter mein Dach trittst, aber sprich nur ein Wort und mein Junge wird geheilt sein." Jesus sagt über den Glauben des Centurio, der sich in einer homoerotischen Beziehung befindet, dass er in ganz Israel keinen größeren Glauben gesehen hat.

Das Tolle daran ist, dass Millionen von Katholiken jeden Sonntag bei der Kommunion sagen: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund." Sie sprechen diesen homoerotischen Satz, den ein Centurio in einer echten homosexuellen Beziehung mit einem Jüngling gesagt hat. Wir haben das einfach übertüncht und solche Dinge in der Zwischenzeit vergessen. Doch eine Kirche des zweiten Jahrhunderts würde verstehen, dass dies eine homosexuelle Beziehung ist, und es war keine große Sache.

Welche Beweise gibt es also in der Bibel für Jesus als Homosexuellen?
Es gibt Andeutungen und dann gibt es Interpretationen davon. Diese Andeutungen kommen aus dem Johannesevangelium, mit dem „geliebten Jünger". Er und Jesus haben eine intime Beziehung, auch wenn es Diskussionen gibt, wer eigentlich dieser Jünger ist. Jedenfalls liegt der geliebte Jünger beim letzten Abendmahl auf der Brust Jesu und soll angeblich in seiner „inneren Tunika" sein, wozu wir heute wohl Unterwäsche sagen würden. Es ist eine sehr intime Geste und eine spezielle Geste der Zuneigung zwischen den beiden.

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Ich würde mir vorstellen, dass Jesus all seine Jünger geliebt hat. Ich meine, er hat allen gesagt, sie sollen ihren Nächsten lieben. Es scheint also bedeutungsvoll, wenn eine bestimmte Person als „geliebt" hervorgehoben wird.
Ja. Jesus nennt nur eine weitere Person geliebt, und das ist Lazarus. Es gab auch einen Ausschnitt, der in den 1960ern von einem Professor für Geschichte und Altertumswissenschaft, Morton Smith, einem sehr guten Gelehrten, entdeckt wurde. Er fand eine Inschrift, die auf ein geheimes Evangelium anspielt, das von vielen auf das späte erste Jahrhundert datiert wird. Es gibt ein Fragment, das einen nackten Jungen beschreibt, der sehr spät zu Jesus kommt und die Nacht über zur „Initiation" bleibt. Das Fragment wird natürlich in Frage gestellt. Aber was das aussagt, ist, dass es eine Art von homoerotischer Beziehung gab, eine Liebesbeziehung.

Es scheint, als könnte man, wie bei allem in der Bibel, immer seine eigenen Schlüsse ziehen, unter anderem, dass Jesus schwul war. Ich meine, er ist diese ungewöhnliche Figur, nie verheiratet—
Das ist tatsächlich ein wichtiger Punkt. Jesus war ein Rabbi, ein Lehrer, und so ziemlich jeder Rabbi war damals verheiratet. Doch es gibt keine Aussagen, die Jesus in einer Ehe zeigen. Es gibt einige interessante Theorien, Jesus könnte bisexuell gewesen sein und sowohl eine Beziehung mit Maria Magdalena als auch mit dem geliebten Jünger gehabt haben. Vielleicht war er intersex oder trans, weil er ohne einen Vater geboren wurde und daher bei der Geburt weiblich war, bevor er den Phänotyp eines Mannes angenommen hat. Virginia Mollenkott argumentiert dafür in ihrem Buch Omnigender. Es ist eine unterhaltsame Theorie. Was ich damit sagen will, ist, die Menschen sehen das hier als sehr wichtig an. Einmal sagte eine lesbische Studentin zu mir: „Jesus war nicht schwul, er war perfekt." Was sagt das darüber aus, wie sie ihre eigene Sexualität sieht? Die katholische Haltung ist, dass Jesus perfekt war, deswegen ist er automatisch gut und richtig. Und über Schwule sagen sie, wir seien automatisch böse und falsch. Selbst die Evangelikalen sagen, dass Jesus perfekt war, sodass sich aus ihrer Sicht ebenfalls die Notwendigkeit ergibt, hetero zu sein, damit man von Jesus gerettet werden kann.

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Aber wenn Jesus schwul war, und wenn er perfekt war, dann kommen doch eigentlich nur die Homosexuellen in den Himmel, oder? Ganz schön ironisch.
Weißt du, ich denke, dass es einen größeren Zusammenhang gibt, nämlich das universelle Wesen von Jesus. Jesus hatte eine Sexualität. Ich dachte früher, dass alles an Jesus perfekt ist. Dann las ich in meinem ersten Semester ein Buch von John A.T. Robinson, einem anglikanischen Bischof und Forscher für das neue Testament, The Human Face of God, und es gab eine Fußnote, die mich wirklich verstörte. Da stand, dass Jesus gefurzt hat. Und ich sagte: „Oh mein Gott!" Und dann dachte ich mir: „OK. Also gut. Er war menschlich." Und das führte mich zu: „Wenn er auch ein Mensch war, hatte er dann nachts Erektionen? Hatte er nächtliche Ergüsse? Alle Männer haben das." Das trug also gewissermaßen für mich die katholischen Grundannahmen über Jesus ab. Und dann nahm ich den nächsten Schritt, indem ich fragte: „War Jesus sexuell?", und dann: „Mit wem?", und dann dachte ich: „Ist das wirklich wichtig?" Und ich glaube, das ist es.

Wenn Jesus vollständig menschlich war, dann muss er vollständig erotisch gewesen sein. Das würde bedeuten, dass Sexualität eine positive Sache ist, und wir müssen die Tatsache wieder für uns beanspruchen, dass Sexualität, ganz egal welche Orientierung, eine gute und großartige Sache ist. Verstehst du also, was ich sagen will? Ich will damit sagen, dass alle Sexualitäten ein Erbsegen sind, denn wir sind in Gottes Bild erschaffen.

Was sich mir hier am meisten erschließt, ist, dass Jesus, als ein queeres menschliches Individuum, sich zumindest in den Kampf schwuler Männer hineinversetzen konnte—sich wie Ausgestoßene fühlen und aufgrund ihrer Orientierung, wie auch immer diese geartet sein mag, Opfer von Gewalt werden.
Ja, ich würde sagen, damit liegst du absolut richtig.

NOISEY: Christlicher Dubstep ist eine große Nummer. Und Jesus weiß immer, wann der Drop kommt.

Selbst wenn Jesus nicht schwul war, ich kann mir vorstellen, dass er sich der Minderheit der Homosexuellen mehr verbunden fühlen würde als den heteronormativen Christen, die Hass predigen.
Es ist schon witzig, Fundamentalisten lesen diese Sachen falsch und werden hysterisch, weil sie den historischen Kontext nicht verstehen. Sie missbrauchen und verdrehen ihre eigene Ideologie. Und oft machen sie das mit so viel Nachdruck, weil sie so viel Homophobie verinnerlicht haben, was für mich darauf hindeutet, dass sie sich selbst so zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlen, dass sie das anderen Leuten austreiben wollen. Jesus war kein Fundamentalist. Er meinte auch nicht alles wörtlich. Er sprach in Parabeln und Metaphern und Geschichten.

War Jesus ein Top oder Bottom?
Versatil.