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Wir haben uns mit TraumVabrik über 15 Jahre Freepartys und Warehouse-Raves in Wien unterhalten

Zwei Warehouse-Veteranen über Freepartys Anfang der Nuller Jahre, Polizeieinsätze und das heutige Verhältnis zwischen Freeparty-Szene und Clubkultur.
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Benny und Danny warten neben ihrem grünen VW-Bus auf mich, auf einem Parkplatz irgendwo in der Wiener Peripherie. Wir haben ausgemacht, uns hier zu treffen, damit sie mich für ein Interview zu ihrem Hauptquartier mitnehmen können. Wir fahren also auf ein Industrie-Grundstück, auf dem ein gewaltiges, leerstehend wirkendes Backsteingebäude steht.

Die beiden sind Köpfe hinter der TraumVabrik, einem Soundsystem und Kollektiv, das seit Jahren Warehouse-Partys und Raves in Wien veranstaltet—seit beinahe 15 Jahren sind sie sind Freeparty-Szene unterwegs, zunächst nur als Besucher, etwas später auch als Veranstalter unter dem Namen Dorsek Soundystem, seit einigen Jahren eben unter ihrem neuen Namen—das Fabriksgebäude, vor dem wir stehen, nennen sie genau so.

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Der leerstehende Innenraum des alten Gebäudes schreit förmlich danach, einige hundert Leute zusammenzutrommeln und hier einen Rave zu schmeißen. Die Leute von TraumVabrik nutzen diesen Raum aber hauptsächlich, um zu proben. Denn auch wenn es ungewöhnlich klingt, sie spielen auf ihren Partys, auf denen man eher ziemlich straighten Tekkno erwarten würde, live. Durch ein Gentlemen's Agreement mit dem Besitzer habe man die Möglichkeit bekommen, das unter Denkmalschutz stehende Fabriksgebäude zum überdimensionalen TraumVabrik-Proberaum zu machen.

Dass semilegale bis illegale Freepartys und Warehouse-Raves in Wien meilenweit davon entfernt sind, auszusterben, ist kein Geheimnis. Im Gegenteil: Ihr Anziehungs- und Beliebtheitsgrad scheint trotz einer einigermaßen florierenden Wiener Clubkultur komplett ungebrochen. Die Reihe an Raves in den mittlerweile abgerissenen Perfekta-Hallen sind dafür nur ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit. Benny und Danny wissen aber auch, wie die Soundsystem- und Freeparty-Szene Anfang der Nuller Jahre noch ausgesehen hat.

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VICE: Könnt ihr euch an die erste Freeparty erinnern, auf der ihr jemals wart?
Benny: Ja Mann, aber dunkel. Damals hat es die sozialen Medien in dieser Form noch nicht gegeben, auch Rund-SMS nicht. Ich habe damals durch Flugzettel und richtig klassische, alte Flyer davon erfahren. Auf denen waren Telefonnummern drauf—dort hat man dann anrufen müssen, um eine Wegbeschreibung zum Gelände zu bekommen. Wo die Party genau war, kann ich leider gar nicht mehr sagen, aber es war in einem Waldstück. Ich habe das alles sehr magisch und mystisch in Erinnerung. Teilweise war das ein Gemeinschaftserlebnis, fast wie bei einem Indianerstamm. Das hat mich damals absolut fasziniert. Es war komplett konträr zu allen anderen Sachen, die man zur damaligen Zeit irgendwo erleben hat können. Vor 10 oder 15 Jahren war ich noch zu jung, um wirklich mitbekommen, was im Nachtleben passiert. Wie war das Angebot in Wien damals?
Benny: Heute bieten Clubs in Wien ein sehr qualitatives und gutes Nachtleben. Vor 10 oder 15 Jahren war das nicht so. Alles war sehr kommerziell und es wurde auch sehr kommerzieller Techno gespielt. Vor allem hat man nie so stark dieses Freiheitsgefühl gehabt. Und da waren die Freepartys ein gutes Gegenprogramm, eben wegen ihrem Freiheitsgefühl und den Locations—verlassene Lagerhallen, Waldstücke, Schottergruben. Man musste so gut wie immer in die Peripherie, um überhaupt zu diesen Partys zu gelangen.

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Kann man sagen, dass die Clubkultur die Rolle von den damaligen Freepartys heute teilweise ersetzt hat?
Benny: Sehr stark sogar. Ich war erst letzten Freitag in der Pratersauna, und da hat es teilweise die Platten zu hören gegeben, die wir vor 10 Jahren noch auf illegalen Partys gespielt haben. Speziell der Acid-Sound, der auf den Soundsystem-Partys damals gespielt wurde, hat gerade wieder eine ziemliche Renaissance in der Clubkultur.
Auf den jetzigen Freepartys ist Acid mittlerweile aber total vom Hardtekk abgelöst worden. Dadurch, dass Acid in den Clubs angekommen ist und vieles dort immer stärker nachgeahmt wurde, hat die Szene auf einen noch härteren, noch schnelleren Sound gesetzt und so vermutlich auch ein Stück weit probiert, sich wieder abzugrenzen. Hardtekk ist in so einem hohen BPM-Bereich, dass er vermutlich nie clubtauglich werden wird—Ich muss ehrlich sagen, wir selbst hören ihn eigentlich so gut wie gar nicht.
Aber auch jetzt noch gleicht sich vieles zwischen Clubs und Freepartys an. Wenn man zu späterer Stunde in die Grelle Forelle oder in Berlin ins Berghain geht, merkt man, dass der Sound auch dort wieder schneller wird in letzter Zeit. Außerdem legt man in Wiener Clubs mittlerweile auf sehr starke Anlegen Wert—das gab es früher fast nicht. Eine Freeparty macht ja zu einem großen Teil auch die starke PA-Anlage aus, und Clubs waren da oft wirklich schwach ausgestattet. Mittlerweile ist eine gute Anlage das Markenzeichen eines Clubs, mit dem sogar geworben und Publikum angezogen wird.

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Foto zur Verfügung gestellt von TraumVabrik

Welche war die beste Warehouse Party in Wien, an die ihr euch erinnern könnt?
Danny: Also ich hab da meinen Favoriten: Eine Party in der Forstinger-Halle am Handelskai, Heiligenstadt, gleich beim Kronenzeitungs-Gebäude. Das war wahrscheinlich 2003. Das war eine gute Party. Und eine lange. Drei Tage hat die damals gedauert. Drei Tage, und niemand hat die Polizei gerufen, um die Party aufzulösen?
Danny: Sie haben es eh probiert, aber die Leute sind einfach nicht gegangen.
Benny: Und ich denke, zur damaligen Zeit war die Exekutive noch nicht auf so etwas vorbereitet. Mittlerweile ist das anders. Wenn sie heute einen Anruf bekommen, wissen sie nach der Schilderung wahrscheinlich schon ganz genau, was da los ist. Aber damals war das in Wien noch so Out of Space, dass sie nicht wirklich wussten, wie sie mit so einer Situation umgehen sollten.
Bei unseren eigenen Partys haben wir dann immer probiert, mit der Polizei auf ein Gentlemen's Agreement zu kommen. Das hat fast immer gut funktioniert, weil es in beiderseitigem Interesse war. In der Hinsicht habe ich—nicht nur, aber hauptsächlich—positive Erfahrungen gemacht. Und man muss auch wirklich sagen: Die österreichische Polizei ist da verglichen mit der in anderen Ländern sehr kulant und human. Im Ausland habe ich da ganz andere Sachen erlebt, speziell in osteuropäischen Ländern. Am Czech Tek Festival beispielsweise, wo die Polizei extrem hart vorgegangen ist. Polizei versus Freeparty-Szene ist also gar kein so starkes Spannungsverhältnis?
Benny: Würde ich nicht sagen. Im Gegenteil, man hat ja in den letzten Jahren sogar sehr viele Sachen überhaupt erst ermöglicht, vor allem im öffentlichen Raum—die PeaceParade zum Beispiel, die ja auch sehr stark technoiden Charakter hat, oder andere Veranstaltungen, wo tagsüber bis 22:00 gefeiert werden konnte. All diese Dinge sind in Absprache mit der Stadt und der Exekutive sehr gut und ohne Probleme über die Bühne gegangen. Da sollte man sich nicht zu stark beschweren, vor allem im Hinblick auf andere Länder. Und das ist etwas, das man ja auch in andere, politischen Sachen sieht: Die österreichische Exekutive da viel kulanter als die in Nachbarländern, etwa Ungarn. In Ungarn möchte ich keine illegale Party veranstalten müssen heutzutage.

Wenn wir schon von anderen Ländern sprechen: Was zeichnet die Warehouse-Szene in Österreich oder speziell in Wien aus, verglichen mit der in anderen europäischen Ländern?
Benny: Ich glaube, vor allem im Tekkno-Bereich gibt es da gar nicht so starke Unterschiede. Dadurch, dass die Leute dort überall so openminded sind, ist da vieles auch international gesehen gleich. Es gibt schon Sound-Unterschiede, die sich manifestiert haben. Frankreich etwa hat mit dem Frechcore einen viel härteren Sound als andere Länder. Dadurch, dass die Soundsystem-Szene auch sehr stark mit der Traveller-Szene verbunden ist und da ein reger Austausch herrscht, hat sich aber sehr viel in den unterschiedlichen Ländern angeglichen. Man hat auch in Österreich oft Leute aus unterschiedlichsten Ländern auf den Partys.

Hat sich der Stellenwert von Drogen im Laufe der Jahre eigentlich im Laufe der Jahre geändert?
Benny: Ich denke die Wahl der Substanzen hat sich auf im Laufe der Zeit verändert.
Danny: Vermutlich auch die Qualität.
Benny: Aber wir sind da jetzt auch keine Experten. Ich kann jetzt maximal Falco zitieren und sagen: Wer sich daran erinnert, war wahrscheinlich nicht dabei. Wann hatten Freepartys rücklbickend den größten Hype?
Benny: Ich würde eigentlich sagen, dass der Hype jetzt am stärksten zu spüren ist. Von den Besucherzahlen ist der Andrang jetzt wahrscheinlich am höchsten. Man muss nur an die Location in der Perfektastraße letztes Jahr denken, wo sich die Soundsysteme jedes Wochenende die Klinke in die Hand gegeben haben, und die Besucheranzahl wirklich massiv war. Der Sprung vom Underground an die Oberfläche und das Interesse vieler Leute waren nie größer als jetzt—und zwar europaweit, denke ich. Da tut sich momentan wirklich extrem was. In Österreich hat man mittlerweile fast jedes Wochenende eine Freeparty—meistens in Wien, aber immer wieder auch in den Bundesländern. Die Steiermark ist genau so ein Hotspot, oder Linz.

Ich höre Leute ziemlich oft nostalgisch von den Freepartys früher schwärmen. Gibt es irgendwelche Aspekte, in denen die Partys von damals jene von heute komplett in den Schatten stellen?
Benny: Ich glaube, dass das zu einem großen Teil persönliche Perspektive ist. Wenn du mich fragst, sind die Partys von heute genau so gut sind wie die damals. Viel von dem nostalgischen Gequatsche der Leute ist einfach auch subjektive Sicht. Klar, man wird älter, entwickelt sich weiter und hat beim Feiern nicht mehr den selben Spaß, beziehungsweise anders Spaß als damals. Aber ich glaube, wenn man heute in dem Alter ist, in dem wir bei den Partys damals waren, ist es genau so geil.

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