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Ein ungarischer EU-Parlamentarier warnt vor der Verhängung des Ausnahmezustands

Wenn mehr als 500 MigrantInnen im täglich die ungarische Grenze passieren, oder wenn es irgendwelche gewalttägigen Akte rund um migrantische Einrichtungen gibt, soll der Ausnahmezustand in Kraft treten können.
Foto von Christopher Glanzl

Die Situation in Ungarn wird von Tag zu Tag angespannter. Nachdem in der Nacht von Sonntag auf Montag hunderte Flüchtlinge ihre Weiterreise nach Deutschland und Österreich erreichen konnten, wurden nun die Grenzen wieder dicht gemacht. Vorangegangen waren dem unter anderem Beschwerden von Österreichs sozialdemokratischen Bundeskanzler Faymann, der im ORF beklagt hatte, dass Flüchtlinge „in Budapest einfach [in den Zug] einsteigen" würden. Nun warten tausende Menschen vor dem Budapester Ostbahnhof auf die Weiterreise nach Westeuropa.

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Wie aus einem gemeinsamen Statement der ungarischen sozialdemokratischen Jugendorganisation Societas und des ungarischen EU-Abgeordneten Tibor Szanyi hervorgeht, soll die rechte Regierung unter Premier Viktor Orbán nun den Ausnahmezustand verhängen und mit drastischen Gesetzen gegen Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen vorgehen. Diese Gesetze betreffen nicht nur Ungarn, sondern die gesamte EU.

Stellungnahme von Roland Gúr und Tibor Szanyi zur möglichen Verhängung des Ausnahmezustands.

Im sogenannten Dublin-Abkommen geregelt, dass Menschen auf der Flucht im ersten EU-Staat, in dem sie eintreffen, den Asylantrag stellen müssen. Mit dem neuen Gesetz soll offenbar sichergestellt werden, dass der Antrag tatsächlich in Ungarn gestellt wird. In Ungarn werden allerdings 91 Prozent aller Asylanträge abgelehnt. Somit dürften auch andere EU-Staaten an einem solchen Gesetz in Ungarn interessiert sein, weil Flüchtlinge, die bereits in Ungarn abgelehnt wurden, nirgends anders mehr Asyl beantragen dürfen.

Ich sprach über die neuen Gesetzesvorschläge mit Roland Gúr, dem internationalen Sekretär von Societas.

VICE: Roland Gúr, Sie warnen vor der Verhängung des Ausnahmezustands in Ungarn. Was können Sie dazu erzählen?
Roland Gúr: Die ungarische Regierung will in den nächsten Tagen eine Liste von drastischen Maßnahmen gegen Flüchtlinge und ganz allgemein die BürgerInnenrechte umsetzen. Konkret soll das Militär künftig ohne Einschränkungen im Inland mit denselben Einsatzregeln wie die Polizei vorgehen können, inklusive des Rechts auf Schusswaffengebrauch. Weiters sollen die Sicherheitskräfte die Erlaubnis erhalten, ohne Durchsuchungsbefehl jede Privatwohnung zu betreten, wenn sie denken, dass dort Flüchtlinge seien. Eigentum der Kommunen soll per Deklaration enteignet werden können. Außerdem will die Regierung das Recht, eine Reihe von Gesetzen künftig per einfachem Dekret aufheben zu können. Eintreten soll diese Spezialgesetzgebung „im Fall einer Krisensituation, die durch Massenimmigration bedingt ist".

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Wer sagt, wann eine solche Krisensituation eintritt?
Wenn mehr als 500 MigrantInnen im täglichen Schnitt die ungarische Grenze passieren, oder wenn es irgendwelche gewalttägigen Akte rund um Einrichtungen gibt, die mit Migration zu tun haben, soll der Ausnahmezustand in Kraft treten können.

Was bedeutet die neue Gesetzgebung für Flüchtlinge?
Flüchtlinge sollen exklusiv an einigen Checkpoints das Land betreten dürfen und von dort direkt in sogenannte Transitzone gebracht werden. Wenn irgendjemand das Land anders betritt, soll das als kriminelle Handlung bestraft werden, entweder mit Ausweisung oder mit bis zu drei Jahren Gefängnis. Binnen acht Tagen sollen dann die Immigrations-Behörden entscheiden, ob jemand das Recht bekommt, überhaupt formell um Asyl anzusuchen. Juristischer Einspruch dagegen wird limitiert, nicht einmal ein Gericht soll eine ablehnende Entscheidung widerrufen können. Die Entscheidung über dieses Schnellverfahren soll per Aushang in den Lagern verkündet werden, rechtliche Unterstützung oder Übersetzung werden nicht angeboten.

Es soll auch neue Gesetze gegen Fluchthilfe geben. Was können Sie dazu berichten?
Es soll künftig jede Hilfe für Flüchtlinge verboten werden, egal ob bezahlt oder unbezahlt. Kein Schutz, kein Transport, kein Essen, kein Wasser. Wer dagegen verstößt, wird als UnterstützerIn von illegalen Aktivitäten betrachtet und kann dafür zu zwei bis acht Jahren Gefängnis verurteilt werden.

Was wird nun passieren?
Der Ausnahmezustand soll weder eine zeitliche noch eine geographische Limitierung haben. Er kann also unbeschränkt und über ganz Ungarn verhängt werden. Hier handelt es sich real um einen beispiellosen administrativen und legalen Staats-Putsch. Wir werden natürlich Widerstand gegen diese Gesetze organisieren und brauchen dabei dringend internationale Unterstützung!

Folgt Michael auf Facebook und Twitter @michaelbonvalot.