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Wenn 'Tattoo-Fixer' alles nur noch schlimmer machen

Von geklauten Designs bis hin zu großflächigen Cover-ups, die nichts verdecken: Die britische Tätowierer-Szene ist wegen einer TV-Show angepisst.
Hannah Ewens
London, GB

Bei der Manchester Tattoo Tea Party diesen März flanierten unzählige tätowierte Menschen über das Gelände und begutachten die neusten Arbeiten ihrer Lieblingskünstler. Manche komplett in Schwarz, andere aufgebrezelt und wieder andere—gar nicht mal so wenige, eigentlich—tragen T-Shirts, auf denen fett in Großbuchstaben „FUCK TATTOO FIXERS" geschrieben steht. Diese drei Worte sind die Antwort von einigen Teilen der Tätowierer-Szene auf die britische TV-Show, die bereits in der zweiten Staffel ausgestrahlt wird.

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Falls du die Serie noch nicht gesehen hast, eine Folge Tattoo Fixers geht in etwa so: Eine Person betritt ein provisorisches Tattoo-Studio. Besagte Person hat ein beschissenes Tattoo—einen Pimmel mit Flügeln, den stümperhaft gestochenen Umriss von Jim Carreys Gesicht oder irgendetwas in der Art. Die Art von Tattoo eben, die du dir besoffen in irgendeinem Hinterhofstudio auf Mallorca oder in bester DIY-Manier von deinen Punkerfreunden stechen lässt. Das einzige, was dir dabei in der Regel deine Würde bewahrt, ist die Tatsache, dass diese ästhetischen Ausrutscher normalerweise ziemlich klein sind und dementsprechend ganz einfach von einem T-Shirt oder einer Socke verdeckt werden können. Die besagte Person möchte aber, dass es für immer verschwindet. Sie will ein kostenloses Cover-up.

Hier sind jetzt die Tattoo Fixers gefragt. Sketch, Jay und Alice kommen mit Block und Stift bewaffnet rein und hören sich die reuevolle Geschichte darüber an, wie die Nadel damals die Haut durchstach, und versuchen sich dann jeweils an einer Skizze für ein mögliches Cover-up. Der regelmäßige Zuschauer weiß, dass jetzt der aufregende Moment gekommen ist. Man weiß schon, was gleich kommt—es kommt immer, auch wenn man sich denkt: ‚Nein, bestimmt nicht schon wieder. Nicht dieses Mal!' Und Voilà: drei Entwürfe monströsen Ausmaßes. Ein gigantischer Hirschkopf, der sich über den kompletten Brustkorb erstreckt, nur um ein wenig Schrift zu überdecken. Ein Zombiegesicht, das sich durch das Fleisch frisst, nur um ein verblasstes Strichmännchen zu überdecken. Der Protagonist entscheidet sich für ein Design. Der Künstler, der das gewählte Design entworfen hat, gewinnt. Der Künstler und der Rezipient gehen in das Hinterzimmer, wo dann die Arbeit an dem Cover-up beginnt.

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Wenn du Tattoo Fixers noch nie gesehen hast, dann—du merkst es schon—verpasst du was. Es ist eine Serie, die schwindelerregenden Höhen und angenehm vorhersehbaren Tiefs erreicht. Keine Frage, es ist eine der besten Serien, die das britische Fernsehen zu bieten hat.

Für alle, die sich auch nur ein wenig mit Tätowieren auskennt, ist die Sendung aber noch viel mehr. In den letzten paar Wochen waren diverse Mitglieder der britischen Tattoo-Branche sichtlich von der Sendung angepisst—aus mehreren Gründen—und jetzt scheinen sich diese Animositäten auf einen Showdown zuzuspitzen.

„Die Tätowierer-Szene hat immer schon sehr auf Tattoo-Sendungen reagiert", erklärt Paul Taylor, der Tätowierer hinter den „Fuck Tattoo Fixers"-T-Shirts. „Aber dieses Mal ist es anders, weil die Sendung ein direkter Angriff auf die britische Tätowierer-Branche ist. So kommt es jedenfalls bei uns an. Ich habe die T-Shirts eigentlich aus Spaß gemacht—und bevor ich mich versah, wollten alle eins haben. Wir haben auf der Stelle 100 Stück verkauft und mittlerweile schon ein paar weitere Designs inspiriert. Ich habe schon alle möglichen Versionen an diversen Menschen gesehen."

Auch auf Instagram erfreut sich #fucktattoofixers äußerster Beliebtheit.

Paul ist aus den gleichen Gründen sauer wie alle anderen Tätowierer. Zuerst einmal sind die Tattoos „unnötig riesig", sagt Hannah Calavera, eine Künstlerin, die einen Blog über die Sendung geschrieben hat—dieser wurde vom Netz genommen, nachdem ihr die Produktionsfirma Studio Lambert mit rechtlichen Mitteln gedroht hatte. „Sie wiederholen einfach genau die gleichen Tätowierfehler—nur schlimmer—, weil die Designs, die sie darüber machen, so verdammt dunkel und unnötig groß sind", sagt sei. „Vor allem, wenn das Original-Tattoo wirklich klein und verblasst ist."

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Hannah erklärt, dass es einige grundlegende Verhaltensmaßregeln gibt, die von der Sendung aber missachtet werden. „Die Checkliste, die ich vor einem Cover-up durchgehe, lautet: Werde ich damit das Originaltattoo verbessern können? Wird es am Ende wie ein Original oder wie ein Cover-up aussehen? Wenn ich denke, dass es wie ein Cover-Up endet, dann mache ich es nicht. Wird die Person damit auf lange Zeit glücklich sein? Wer kann schon sagen, dass es nach ein paar Wochen nicht heißt: ‚Jetzt habe ich dieses riesige Tattoo an einer Stelle, die ich mir wahrscheinlich nie tätowieren lassen hätte, hätte ich eine Wahl gehabt', und das neue Werk dann so bereut wird wie das Original?"

Das, so findet sie, wird in der Show überhaupt nicht bedacht. Statt eines überdimensionalen Cover-ups sollte lieber eine Laser-Entfernung in Betracht gezogen werden. Weil die Sendung aber nun mal so ist, wie sie ist, steht diese Möglichkeit nicht zur Wahl. „Ich finde, es steht in unserer Verantwortung, sicherzustellen, dass wir etwas nicht nur aus Selbstzweck machen. Damit vergrößert man nur die Zahl der Menschen, die mit ihren Tattoos unglücklich sind", erklärt sie.

Ein Sprecher von Tattoo Fixers reagierte auf diese Bedenken mit, „Cover-ups sind oftmals um ein Drittel größer. Egal, ob groß oder nicht, die Beteiligten segnen das Design ab."

Ein Tattoo von Sketch (links), das Originaldesign von Emily Rose Murray (rechts) | Quelle: Instagram

Ein weiteres Thema, das im Internet kursiert, ist die Vermutung, dass Sketch die Arbeiten anderer Künstler kopiert (auf die Anfrage zu einer Stellungnahme zu diesen Vorwürfen haben weder die Produzenten noch Sketch reagiert). Sneaky Mitch und Emily Rose Murray sind zwei Namen, die in diesem Zusammenhang oft erwähnt werden, aber auch Antony Flemming sagt, dass Sketch sich bei seinen Tattoo-Designs bedient hat. Er habe davon erfahren, nachdem ihm mehrere Leute unter einem Rosen-Tattoo auf seiner Instagram-Seite Links zu einer sehr ähnlichen Arbeit von Sketch gepostet hatten. „Das ist ein richtig großer Schlag in die Fresse, vor allem weil Sketch so groß ist und eine Fernsehshow hat."

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Wie Paul Taylor es beschreibt, ist Tattoo Fixers eins der wenigen Male, wo sich Großbritanniens Tattoo-Szene vereint als Branche zusammengefunden hat. „Selbst wenn das kein Freund von dir ist, aber wenn du siehst, dass die Arbeit von jemand anderem kopiert wird, besteht die Gefahr, dass dir das auch passiert. Dann denkst du dir: ‚Soll ich meine Arbeiten überhaupt ins Netz stellen—nicht, dass die geklaut wird'", sagt er. „Ich tätowiere seit 15 Jahren und es fühlt sich wie ein Affront gegen jeden an, der sich irgendwann mal in diesem Bereich versucht hat."

Und natürlich ist da noch der Mensch, der eine Menge Geld für ein individualisiertes Tattoo bezahlt hat und abgezogen wird.

Die Kontroversen um die Sendung spielen sich aber nicht nur in der Tätowierer-Szene ab. Menschen, die sich in der Sendung Cover-ups stechen lassen haben, melden sich nun mit ernsthaften Beschwerden zu Wort. Der Mirror berichtete, dass jemand, der in der ersten Staffel von Sketch tätowiert worden war, nun „am Boden zerstört" ist und mit schlechter Narbenbildung zu kämpfen hat. Die Macher der Sendung antworteten, dass alle Teilnehmer „erstklassig" umsorgt werden würden und dass Beratungen mit einem Dermatologen arrangiert worden seien.

In einem Facebook-Post warf eine andere Person, Daniel Head, der Show Fehlverhalten vor: so wurde er anscheinend tätowiert, als er schwer krank war, und außerdem dazu überredet, lange Tätowier-Sessions durchzustehen. Der Fernsehsender E4 antwortete darauf, dass Head sich während der Dreharbeiten überaus enthusiastisch gezeigt hätte und dass die Serie „strenge Sicherheitsregeln" befolgen würde.

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Es gibt sogar Menschen, die sich in der Sendung tätowieren lassen haben und nun melden, dass die alten Tattoos durch die Cover-ups noch zu sehen sind. „Es gibt gewisse Tätowier-Regeln, die uns durch die Beschaffenheit der Haut auferlegt werden", erklärt Paul. „Unsere Kollegen haben diverse E-Mails mit Bildern bekommen, wo die Schrift durch Flügel hindurch zu sehen ist—und solche Sachen."

Hannah sagt, dass ihr Menschen freiwillig Fotos von ausgeheilten Cover-ups zugeschickt hätten, die in der Sendung gemacht worden waren, nachdem ihr Blog viral gegangen war. „Man kann die alten Tattoos in jedem Einzelnen davon sehen", sagt sie. „In der Sendung werden nie ausgeheilte Tattoos gezeigt. Wie sollen die Menschen in der Sendung und die TV-Zuschauer die Arbeiten überhaupt im richtigen Kontext sehen können?"

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In gewisser Weise hat sich allerdings eine Lösung aufgetan. Ben Doran, ein Tätowierer in Bath, hat auf Facebook in einer Statusmitteilung gepostet, dass er jedes Tattoo aus der Sendung korrigieren würde, wenn die Person nicht mit dem Resultat zufrieden sei. Laut eigener Aussage hätten ihn bereits zehn bis zwölf Menschen kontaktiert, die die verpfuschte Arbeit gerne repariert hätten. „Ich würde nicht sagen, dass mein Post zu einer Explosion geführt hat, aber er hat Tausende Likes bekommen und wurde Hunderte Male geteilt—in nur einer Nacht. Wenn irgendjemand sein Tattoo verdeckt oder korrigiert haben möchte, dann machen wir das umsonst. Bei manchen, die uns angeschrieben haben, kann man das Originaltattoo noch unter dem neuen sehen. Andere sind einfach nur am Boden zerstört", sagt Ben.

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„Wenn man ein Tattoo unter einem Cover-up sehen kann, dann ist das kein Cover-up. Ich hatte ein Mädchen mit einer Pfauenfeder auf dem Steiß, die mich um Hilfe gebeten hat. Das Tattoo ist nicht furchtbar, aber es sieht richtig gealtert aus und man kann das andere Tattoo darunter durchkommen sehen. Dann war da dieses Mädchen, die diesen Gypsy-Kopf hatte, um einen Clown zu verdecken. Ein Typ hatte einen Oktopus auf seiner Hand, um einen Schwanz zu verdecken, den er sich auf der Innenseite seines Fingers hatte stechen lassen. Dann gab es noch einen, der zwei Wölfe auf seinem Arm hatte, um einen Fußballfan zu verdecken, der auf ein Shirt pisst. All diese Menschen haben mich angeschrieben."

Jetzt hat sich auch noch ein Experte für Laser-Entfernung mit Ben zusammengetan. Alle, denen Ben erst mal nicht weiterhelfen kann, haben die Möglichkeit eine kostenlose Laser-Entfernung zu bekommen, bis die entsprechende Stelle besser für ein Cover-up von Ben geeignet ist. „Ich persönlich habe nichts gegen Sketch, die Produzenten oder die Sendung an sich. Am Ende ist das halt einfach Fernsehen. Als Branche wirft sie uns allerdings schon zurück."

Natürlich hasst nicht jeder, der an der Sendung teilgenommen hat, sein neues Tattoo. Natalie, die in einer kürzlich ausgestrahlten Episode zu sehen war, hat uns erzählt, dass sie die Erfahrung am Set so gut fand, dass sie noch eins möchte. „Ich hatte eine tolle Zeit dort—ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum sich alle beschweren", sagte sie. „Ich habe mir von Jay einen Wolf auf den Unterarm stechen lassen, der eine schlecht gemachte Katze überdeckt. Ich habe mich schon für die nächste Staffel beworben. Wahrscheinlich komme ich nicht rein, aber ich habe ein Tattoo auf meiner Schulter, das ich gerne überdeckt haben würde, und ich will, dass Sketch das macht."

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Wir haben den Sender E4 und Tattoo Fixers um eine Stellungnahme gebeten und ein Sprecher sagte uns: „Über eine Million Menschen schauen die Sendung regelmäßig. Uns könnte nichts ferner liegen, als die Tattoo-Branche negativ darzustellen. Wir sind stolz auf das Team, ihr künstlerisches Können, ihre Professionalität und die Qualität ihrer Arbeit. Natürlich werden Menschen unterschiedliche Meinungen zu unterschiedlichen Designs haben; nichtsdestotrotz bekommen wir eine Menge positives Feedback von unseren Zuschauern und, natürlich, auch von den Teilnehmern selbst."

Screenshot von Sketch's Instagram @sketchreppinink

Jetzt hat sich Sketch zum ersten Mal selber zu der Sache gemeldet. Nachdem er seine Social-Media-Accounts erst auf privat und dann wieder öffentlich [und dann wieder privat] gestellt hatte, teilte er den unterstützenden Post eines anderen Tätowierers auf Instagram. Leigh Coombs hatte die Leute dazu aufgerufen, nicht bei dem ganzen Drama mitzumischen und damit aufzuhören, Sketch im Internet so fertig zu machen—allerdings nicht, ohne zu erwähnen, dass die Arbeit nicht immer einem angemessenen Standard entspricht. „Ja, ich gebe zu, dass ein gewisser Anteil der Arbeiten darin unterdurchschnittlich ist und dass sich die Zustände im Studio mit jeder neuen Kameraperspektive ändern, aber die Art, wie mit Sketch umgegangen wird, ist gelinde gesagt verstörend", schrieb Leigh.

Versucht Sketch auf diese Art, Buße zu tun, oder hat er hier versehentlich zugegeben, dass einige der Tattoo Fixers-Arbeiten „unterdurchschnittlich" sind? Wie geht es jetzt weiter? Wird er am Ende die Sendung verlassen müssen? Werden an der Sendung ein paar Anpassungen vorgenommen werden müssen? Wird es vielleicht sogar zu einer öffentlichen Entschuldigung in der Sendung kommen? Wann ist Schluss mit den schlechten Tattoos?

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Die Tattoo-Branche sieht das Hauptproblem allerdings eher darin, in welches Licht Tattoo Fixers sie rückt—als Individuen, als Künstler und als Community. „Der durchschnittliche Fernsehzuschauer weiß nicht, welchen Standards Tätowierungen entsprechen können", sagt Antony. „Wenn schon das Intro der Sendung behauptet, dass das die besten Tätowierer des Landes sind, werden sie glauben, dass Tattoos nicht besser gehen als das hier. Und es sind noch nicht mal durchschnittliche Tattoos, es sind schlechte Tattoos—vor allem die von Sketch. Wir wollen nicht, dass britische Tätowierer wie verdammte Idioten dargestellt werden."