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Warum dürfen Identitäre immer noch Demonstrationen veranstalten?

In Graz wurden AntifaschistInnen von Rechtsextremen mit Gürteln und Totschlägern angegriffen. Die mutmaßlichen Angreifer sind bekannte Kader der „Identitären Bewegung". Diesmal haben die Attacken eine neue Qualität erreicht.

Angreifer mit Gürtel.

Am vergangenen Samstag hat die Gruppe Identitäre in Graz ein Treffen abgehalten, wo sie über „Österreichs Zukunft" diskutieren wollte. Am Sonntag folgte dann ein Aufmarsch vor der Kirchner Kaserne, wo künftig geflüchtete Menschen untergebracht werden sollen. Die „Offensive gegen Rechts" organisierte eine Gegenkundgebung.

Bereits während des Aufmarschs sollen die ersten „Identitären" handgreiflich geworden sein. Der Grazer Photograph Peter Palme schreibt auf Facebook, dass er während der Kundgebung von einem Identitären von hinten geschlagen worden sei. Im Gespräch mit mir erzählt Palme, dass das nicht der erste Angriff auf ihn gewesen sei. Bereits bei den Aufmärschen in Spielfeld sei ihm die Kamera heruntergerissen worden und er bedroht worden.

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Nach dem Abschluss der Kundgebung in Graz soll es dann zu einem regelrechten Überfall auf eine Gruppe von GegendemonstrantInnen gekommen sein, die gerade am Weg zu ihren Autos waren. Einer der Betroffenen schildert mir die Situation: „Bereits während des rechten Aufzugs sind immer wieder einzelne Rechte sehr nah an unsere Kundgebung herangerückt, teilweise hatten sie Kameras dabei. Es war ziemlich offensichtlich, dass sie uns ausgecheckt haben. Am Ende der Kundgebung bemerkte ich, dass sich die Rechten in Gruppen versammelten. Meine Freunde und ich wollten dann zur Sicherheit einen anderen Weg zu unserem Auto nehmen, aber wir wurden offensichtlich verfolgt."

Der 29-Jährige schildert dann einen regelrechten Überfall: „Die Kundgebung war vorbei und die Anspannung vorüber. Auf einmal hörten wir von hinten den Schrei „Génération Identitaire", also den Slogan der französischen Kameraden der Identitären. Ich habe über die Schulter geschaut und gesehen, wie einige Männer bereits auf einen Mann und eine Frau einschlugen, die mit uns unterwegs waren. Diese Typen waren klar für eine Attacke ausgerüstet. Einer hatte einen Totschläger, einer griff mit dem Gürtel an, zumindest einer hatte einen Zahnschutz. Der Großteil hatte sich vermummt."

Bilder der Attacke, die eine der angegriffenen Antifaschistinnen gemacht hat, bestätigen diese Aussagen. Beim Teleskopschlagstock, dem sogenannten Totschläger, den einer der Täter mitführte, handelt es sich möglicherweise auch um eine illegale Waffe.

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Anschließend an die erste Attacke soll es dann zu einer längeren Auseinandersetzung gekommen sein: „Es war klar, wir können da jetzt nicht weg. Die Gruppe war geteilt, zumindest zwei Leute waren hinter den Rechten. Wir hätten die auf keinen Fall zurücklassen können. Es ging dann mehrere Minuten hin und her. Wir konnten die Attacken halbwegs abwehren und die Täter auch fotografieren, während sie uns angriffen."

Angreifer mit Gürtel.

Der Antifaschist schildert die Rechten auch als extrem aggressiv: „Ich hatte wirklich das Gefühl, die schlagen uns tot, wenn wir jetzt weglaufen und sie jemanden erwischen." Dennoch meint er, dass die Attacke für die Rechten ein überraschendes Ende nahm: „Ich denke, sie hatten nicht damit gerechnet, dass Leute in der Lage sind, sich zur Wehr zu setzen."

Die mutmaßlichen Täter sind allerdings nicht irgendwelche Schlägernazis. Es handelt sich bei den Angreifern um bekannte Kader der Identitären. Mehrere AugenzeugInnen haben unter den Angreifern übereinstimmend Fabian R., Dominik H. und Philipp H. identifiziert. Fabian R. und Dominik H. sollen auch die beiden Täter sein, die bereits angezeigt wurden (es gilt die Unschuldsvermutung). Leo Josefus von der Landespolizeidirektion Steiermark bestätigt, dass zwei Männer wegen schwerer Körperverletzung angezeigt wurden und nach weiteren Tätern gefahndet wird. Zu konkreten Namen will er sich nicht äußern.

Angreifer mit Totschläger.

Alle drei mutmaßlichen Täter sind regelmäßig bei Aktionen der Identitären anzutreffen und haben offensichtlich wichtige Funktionen in der Gruppe. Die antifaschistische Page „Recherche Wien" hat bereits in der Vergangenheit über alle drei berichtet.

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Philipp H. war der Redner der Identitären bei der rechtsextremen Kundgebung am Ballhausplatz im vergangenen November. Er ist bei Aktionen der Gruppe fast immer in führender Funktion und der ersten Reihe zu sehen, etwa am 28. Februar 2015 in Wien Kagran oder am 21.06.2015 in Wiener Neustadt. Dominik H. war beim Aufmarsch der Gruppe am 6. Juni 2015 als Ordner eingesetzt und ist auch sonst regelmäßig bei Aktionen der Gruppe anwesend. Gemeinsam mit Philipp H. übernimmt er dabei Ordneraufgaben.

Fabian R. ist ebenfalls bei fast allen Aktionen dabei. Er ist meist mit Kamera anzutreffen, auch am Sonntag in Graz dokumentierte er für die Rechten. Es handelt sich hier also nicht um zufällige Angreifer, sondern um Personen aus dem inneren Kern der Identitären, die auch nach außen für die Gruppe auftreten.

Die Identitären selbst schildern in einer Presseaussendung die Ereignisse übrigens ganz anders: „Weiters kam es am Heimweg von der friedlichen Kundgebung zu einem Zusammenstoß mit linksextremen Provokateuren. Die schwarz gekleideten und vermummten Extremisten standen rund fünf Identitären gegenüber und verletzten einen der Aktivisten mit Stockschlägen. Er erlitt dabei eine Platzwunde am Hinterkopf und Prellungen. In beiden Vorfällen wurde Anzeige erstattet." Die Presseaussendung wurde am Montag nachmittag veröffentlicht, Polizeisprecher Josefus sagt am Dienstag, dass am Montag keine Anzeigen eingelangt wären.

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Das ist nicht das erste Mal, dass es rund um Aktionen der Identitären zu Angriffen auf politische GegnerInnen kommt. Anlässlich der Pegida-Aufmärsche im Februar 2015 in Wien und Linz wurden zahlreiche AntifaschistInnen angegriffen. Sprecher von Pegida Wien war zu diesem Zeitpunkt Georg Immanuel Nagel, der zumindest in einem Naheverhältnis zu den Identitären stand. Laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) war Nagel auch beim Aufmarsch der Identitären am 17. Mai 2014 in Wien präsent und hatte dort sogar eine Fahne der Gruppe getragen.

Auch in der Nacht vor dem Angriff am Sonntag in Graz kam es zu einer Provokation, die potentiell gewaltsam enden hätte können. Eine Gruppe von Rechtsextremen aus dem Milieu der Identitären drang in das linke Kulturzentrums Sub ein. Das Sub schreibt dazu in einer Stellungnahme, die VICE vorliegt: „In der Nacht von Samstag, dem 16. Januar auf Sonntag, dem 17. Januar 2016 verschafften sich 15 Identitäre Zugang zu unseren Vereinsräumen und entfernten mehrere antisexistische und antirassistische Poster von den Wänden. (…) Die Aktion fand im Anschluss an die Identitäre Konferenz statt und war offensichtlich geplant und koordiniert. So waren die Nazis teilweise mit Zahnschutz passiv bewaffnet. Da sie die gesuchte physische Konfrontation nicht fanden, zogen sie weiter und posierten mit ihrer ,Beute' wenige Meter neben dem Sub. Wie wir im Nachhinein erfahren konnten, fand die Gruppe in einem naheliegenden Lokal zu ihrer gesuchten Schlägerei."

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Dass die Aktion stattgefunden hat, bestätigt ein Tweet von Martin Sellner, einem der öffentlichen Sprecher der Identitären. Auf diesem Bild ist übrigens auch [Luca Kerbl](http://www.vice.com/alps/read/warum-die-stadt-graz-den-congress-an-burschenschaften-vermietet-263 ) zu erkennen, ein bekannter burschenschaftlicher Rechtsextremer und FPÖ-Gemeinderat in Fohnsdorf.

Zur Einschätzung der Identitären gibt es verschiedene Stellungnahmen. Der jüngst verstorbene Rechtsextremismus-Experte Wolfgang Purtscheller bezeichnete die Identitären Anfang 2015 als „verkleidete Neonazis" und als Teil der „neonationalsozialistischen Szene". Er sagt, dass der Kern der Gruppe vor allem aus Burschenschaftern bestünde, die ein sehr elitäres Gehabe an den Tag legen würden.

Als zentrales Problem für die Identitären sah Purtscheller, dass die Gruppe das gleiche Spektrum wie die FPÖ mit den gleichen Themen ansprechen möchte. Purtscheller erwähnte in diesem Zusammenhang auch den großen Unterschied in der Entwicklung der rechten Szene zwischen Österreich und Deutschland. In Österreich gibt es mit der FPÖ eine große rechtsextreme Wahlpartei, die große Teile der NS-Szene aufsaugt. Aufgrund der legalen Möglichkeiten, die die FPÖ bietet, formierte sich im Gegensatz zu Deutschland nie eine starke offene NS-Szene. Auch die Identitären haben vielfältige und enge Verbindungen zur FPÖ.

Das DÖW sagt, dass hinsichtlich der Identitären eine „Zuordnung zum Neofaschismus zulässig" sei. Natascha Strobl, eine der Autorinnen des Standardwerks über die Identitären, betont vor allem den breiten ideologischen Einfluss von sogenannten „Neurechten" wie den Identitären, der bis tief in die bürgerliche Mitte reicht: „Hier haben wir es mit einer Gruppe zu tun, die versucht, politisch breit anschlussfähig zu sein, von Neonazis über die FPÖ bis zur konservativen Rechten." Strobl selbst wird rund um Aktionen der Identitären immer wieder bedroht.

Im Mai 2014 postete ein Jens E. auf der Facebook-Seite der Gruppe den Vorschlag, Strobl und anderen solle mit einer Axt der Schädel eingeschlagen werden. Jüngst tauchten in Wien sogar Sticker auf, die Strobl persönlich ins Visier nehmen. Am vergangenen Wochenende wurden diese dann auch in Graz gesehen.

Rund um den Akademikerball 2015 hat die Polizei alle Kundgebungen des Bündnisses NoWKR pauschal verboten. Nach dem Ball wurde NoWKR von der Polizei dann sogar wegen Bildung einer kriminellen Organisation angezeigt. Gleichzeitig können die Identitären weiterhin ihre Kundgebungen abhalten. Die Frage, warum das so ist, sollte diskutiert werden.

Folgt Michael auf Facebook und Twitter: @MichaelBonvalot.