Ich: [Rationale Argumentation.]
Er: Geh sterben.
Ich: [Noch rationalere Argumentation.]
Er: Ich glaube, du solltest jetzt gehen.
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So war es zum Beispiel bei einem Streit mit meiner Freundin Kathi vor einigen Jahren, der ziemlich lächerlich und gleichzeitig genauso klassisch war. Eigentlich handelte sich um einen typischen Konflikt: Die beste Freundin hat einen neuen Freund und deshalb plötzlich weniger Zeit. Ich war in dem Fall die mit dem neuen Freund und ja, es stimmt schon, ich bin damals wirklich ein bisschen im Pärchen-Loch versumpft. Dort war es halt schön aufregend und gleichzeitig extrem kuschelig. Und weil wir alle wissen, wie lange so etwas anhält, wollte ich die Situation eben auszunutzen.Ein Jahr lang war es nicht möglich, mich alleine und ohne den Schutz einer Gruppe mit ihr zu treffen.
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Ein weiterer Grund für die Vermeidung von Streit (der vermutlich auch sie und mich so lange von einer Aussprache abgehalten hat) ist—neben dem vorhandenen Frustrationspotenzial—die genauso existierende Chance, dass man sich und anderen Fehler eingestehen muss. Und dass man vielleicht Dinge über sich selbst zu hören bekommt, die nicht unbedingt angenehm sind. Wer will das schon? Es ist natürlich viel feiner, in seinen Ansichten und Taten bestätigt zu werden, anstatt sie kritisch zu hinterfragen.Darum rennen wir bei einem Konflikt auch lieber zuerst einmal zu allen Freunden, und hören uns im Idealfall an, dass der Andere völlig im Unrecht ist und man selbst natürlich nichts falsch gemacht hat.
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"He just can't handle how amazing you are."
Aber was nützt uns das? Können wir irgendeine Erkenntnis daraus ziehen? Außer, dass wir klarerweise "amazing" sind? Und wird die Konfliktursache dadurch geklärt und behoben?Der US-amerikanischer Psychologe Bruce Tuckman erstellte bereits in den 1960ern ein Modell über die Entwicklungsschritte von Arbeitsgruppen in Organisationen. Er war der Ansicht, dass es zuerst eine Konfliktphase gibt (Storming), bevor die Gruppe produktiv wird (Performing). Sein Modell beschreibt den gruppendynamischen Prozess in der Arbeitswelt und kann natürlich nicht 1:1 übernommen werden. Aber wenn man den Gedanken frei interpretiert, sagt er nichts anderes als: Löst euren Scheiß, damit es weitergehen kann.Klingt logisch. Wie soll es sonst zu einer echten Entwicklung kommen, wenn man immer noch mit Altlasten beschäftigt ist? Den Nordwall erklimmt man auch nicht, indem man einfach vor ihm stehen bleibt—man wird schon irgendwann mal mit dem Klettern beginnen müssen. Hätten Kathi und ich unseren Konflikt nicht ausgetragen, würden wir vermutlich noch heute befangen in einer Gruppe von Menschen nebeneinander sitzen, so tun als wäre nichts und die verlorene Nähe akzeptieren, anstatt unsere lange Freundschaft zu feiern, wie wir es inzwischen machen.
Dann weiß man aber zumindest, dass die Beziehung nicht funktioniert und muss sich nicht mehr Sisyphus-ähnlich mit etwas plagen, das nie besser wird und nie endet.
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Das soll nicht bedeuten, dass jeder Streit ausgetragen werden muss, oder dass jeder jedem seine aktuellen Befindlichkeiten zu jedem Zeitpunkt um die Ohren hauen sollte. Kleinigkeiten können verschwiegen und sogar vergessen werden. Sinn macht streiten vor allem dann, wenn der unterschwellige Konflikt die Beziehung zu der jeweiligen Person ernsthaft beeinflusst.So unangenehm es ist: Einen Streit wirklich direkt zu führen, bringt einen dazu, sich selbst zu hinterfragen, wegzugehen von der Suche nach ständiger Bestätigung der eigenen Ansichten und sich stattdessen anderen Meinungen auszusetzen. Dafür lernt man sich selbst besser kennen und beginnt Dinge zu sehen, die sich sonst im toten Winkel der eigenen Wahrnehmung befinden. Im besten Fall macht uns das zu reflektierten und kritischen Individuen. Wenn man Bestätigung haben will, kann man danach ja noch immer das besonders vorteilhafte Foto vom letzten Strandurlaub auf Instagram posten.Broadly: Vor allem Narzissten und Psychopathen wollen mit ihren Ex-Partnern befreundet bleiben.