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Warum niemand eine Smartwatch braucht

Schöne neue Welt? Asus' Zenwatch, Samsungs Gear S und die Apple Watch machen uns zu Social-Media-Cyborgs mit ADHS.

Screenshot: Youtube

Anfang der Woche lüftete Apple den Schleier darüber, welche Gadgets zukünftig die feuchten Träume technikaffiner Menschen weltweit bestimmen sollen und einmal mehr mutete das ganze mehr wie ein Gottesdienst als eine Produktpräsentation an. Neben dem iPhone 6 gab es dabei auch atemlose Jubelrufe für die neueste Kreation des Technikriesen: die Apple Watch. Obwohl das Konzept der Smartwatch als solcher nichts Neues ist—erste Armbanduhren mit Rechen- oder Kalenderfunktion gab es bereits in den 80ern—und andere Hersteller wie Samsung (Gear S) oder Asus (Zenwatch) ihre Modelle ebenfalls vergleichsweise zeitnah vorgestellt haben, ist das Smartphone fürs Handgelenk erst jetzt zum Top-Nachrichtenthema aufgestiegen.

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Spiegel Online widmete der Sache in seinem Digital-Ressort gleich sechs Artikel am Stück, bei Twitter und Facebook reichen die Reaktionen wie gewohnt von arroganter Häme bis hin zu frenetischem Fanboytum. Technikblogs imaginieren schon jetzt, welches der noch nicht erschienenen Modelle die Nase vorn haben könnte. Den wichtigsten und offensichtlichsten Grund scheint bei all dem Hype aber kaum jemand anzusprechen: Smartwatches gehören zu den nutzlosesten und überhyptesten Gadgets seit dem Nicolas-Cage-Ganzkörperanzug.

Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, erst einmal zu erklären, wovon zur Hölle ich überhaupt rede. Smartwatches sind grob gesagt das uneheliche Kind zwischen einer Breitling und einem modernen Smartphone eurer Wahl. Statt euch einfach nur mitzuteilen, wie viel Uhr es gerade hat, checken sie eure Mails, messen euren Puls und zählen mit, wie lange ihr geschlafen habt. Mittlerweile gibt es verschiedene Apps, die konkret für diese Devices entwickelt werden. Grundlegend könnt ihr euch—durch Koppelung via Bluetooth—sämtliche Benachrichtigungen, die auf eurem Handy eingehen, auf dem Handgelenk anzeigen lassen. Preislich bewegt man sich bei den Modellen namhafter Hersteller ungefähr zwischen 100 (Sony) und 350 Euro (Apple) und kommt damit deutlich günstiger weg als beim Erwerb einer Rolex Daytona (um die 40.000 Euro). Super, oder?

Es ist auch nicht so, als gäbe es gar keine Argumente, die irgendwie für die Investition mehrerer hundert Euro in ein Gerät sprechen, das in aller Regel aussieht wie ein iPod Nano, der auf einen Gürtel in Meerschweingröße geklebt wurde. Man hat noch etwas, womit man ständig und überall online sein kann, und die Wahrscheinlichkeit, im stark alkoholisierten Zustand seine einzige Kommunikationsmöglichkeit zur Außenwelt zu verlieren, ist deutlich minimiert wurden. Außer man würde sich dazu entscheiden, die Uhr irgendwann mal wieder abzunehmen—aber warum sollte man das wollen? Schließlich pulsiert und stupst sie einen doch so schön an, wenn Mutti das neue Facebook-Profilfoto geteilt hat.

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Nun, zum einen wird man Smartwatches, so lange sie sich noch nicht von Körperenergie ernähren, in regelmäßigen Abständen aufladen müssen. Während Samsung die Batterieleistung seiner Gear S mit zwei Tagen angibt, muss die Apple Watch jeden Abend an die Steckdose. Der Akku der italienischen I’m Watch scheint bei regelmäßiger Nutzung noch schneller in die Knie zu gehen und ganz im Allgemeinen darf davon ausgegangen werden, dass die (für Push-Mitteilungen und die meisten Apps notwendige) Bluetooth-Verbindung zwischen Uhr und Smartphone auf beiden Seiten ordentlich Strom zieht. Solange die Hersteller keine stärkeren Akkus einbauen oder den Leistungsverbrauch ihrer Modelle deutlich ökonomischer gestalten, bleibt der Traum von der absoluten mobilen Vernetzung und Erreichbarkeit wohl auf die Zeit beschränkt, die man von der Steckdose im Büro zu der im heimischen Wohnzimmer braucht.

Wenn wir schon über die Synchronisierung zwischen Smartphone und Smartwatch sprechen, stellt sich natürlich auch die Frage danach, wozu wir diese verdammte Uhr überhaupt brauchen, wenn das Handy trotzdem immer in Reichweite bleiben muss. Spart man wirklich elementar viel Zeit, wenn man auf sein Handgelenk starrt, anstatt einfach kurz das Telefon aus der Hosentasche zu holen? Und verliert man diese Sekunden nicht genau dann wieder, wenn man fremde Leute nach der Uhrzeit fragen muss, weil dem Touchscreen-Zeitmesser der Saft ausgegangen ist? Samsung wirbt bei seinem Gear S damit, dass die Uhr auch über größere Entfernungen mit dem Handy verbunden sein kann, aber was bedeutet das für mich als Nutzer? Dass ich mein Smartphone gegen ein Device mit kleinerem Bildschirm, weniger Funktionen und extrem eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten (es gibt einen Grund, weshalb Nachrichtenschreiben bei der Entwicklung von handlichen Zeitmessern bisher keine große Rolle gespielt hat) tausche? Warum sollte ich?

Jetzt gibt es natürlich Dinge, die dein iPhone nicht kann. Zum Beispiel deinen Puls messen und berechnen, wie viele Kalorien du gerade verbrauchst. Oder dir von deiner neuesten Tinder-Eroberung ihren Herzschlag schicken lassen. Sich nah sein, ohne mit einem echten Menschen Hautkontakt haben zu müssen? Das klingt doch alles so richtig nach Zukunft. Wenn es eine klare Innovation bei Smartwatches gibt, dann ist es wohl der: Sie lassen Fleisch und Metall verschmelzen und machen uns alle zu Social-Media-Cyborgs. Die Frage, die sich stellt, ist: Wollen wir wirklich permanent mit der digitalen Welt in Kontakt sein? Bis zu dem Punkt, dass ein Gerät direkt an unserem Körper ständig aktiv um Aufmerksamkeit bettelt und im allgemeinen das technische Äquivalent zu einem Kleinkind mit nicht diagnostiziertem ADHS ist?

Zum aktuellen Stand sind Produkte wie die Apple Watch nichts anderes als overhypte Gadgets ohne klaren Mehrwert. Eine akkuschwache Verlängerung unseres Telefons. Solange Handy-Hersteller es nicht weiterhin als ihre erklärten Aufgabe sehen, Smartphones von Generation zu Generation immer unhandlicher und größer zu machen, braucht das doch kein Schwein.

Ihr könnt Lisa auch ohne Smartwatch bei Twitter folgen: @antialleslisa