FYI.

This story is over 5 years old.

Popkultur

Warum ‚Orange is the New Black‘ eigentlich nur eine Knastversion von ‚Hanni & Nanni‘ ist

Frauengefängnis oder Mädcheninternat—was ist schöner? Wir haben uns die Parallelen zwischen dem Serienhit und der Jugendbuchreihe genauer angeguckt.
Foto: Linus Volkmann

Eine behütete Braut aus der gehobenen Mittelschicht muss in den Frauenknast. Verliebt, verblendet, Drogen geschmuggelt. Piper Chapman sieht sich in die feindliche Realität des amerikanischen Strafvollzugs geworfen und der Zuschauer fährt gleich mit ein. Und erlebt Gangs, Anfeindungen und Mitinsassinnen, die einem aus Bock vors Bett pissen. Die hochgelobte Netflix-Serie Orange is the New Black ist krass. Doch je mehr man sich gemeinsam mit Piper die fremde Welt erschließt, desto mehr meint man, das alles doch schon von irgendwoher zu kennen. Die böse Hausmutter, heimliche Mitternachtspartys und Strafarbeiten? Genau, das hier ist Hanni und Nanni—bloß mit mehr Tattoos!

Anzeige

Anmerkung der Redaktion: Ganz ohne Spoiler kommen wir hier nicht aus. Falls ihr Hanni und Nanni also unbeleckt lesen wollt—kommt später wieder.

Die Welt

Hanni und Nanni vs. OITNB. Was auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben mag, geht doch in Wahrheit von der gleichen Fragestellung aus: Wie verhalten sich Frauen, die auf engem Raum zusammenleben. Wie empfinden sie Konkurrenz, Solidarität, Nähe, wie verlaufen Konflikte, wie haben sie Spaß? Macht man sich diese gemeinsame Prämisse erst einmal klar, verwundert es viel weniger, wie viele Motive und Ereignisse sich die Knastfrauen mit den Internatsschülerinnen der bekannten Enid-Blyton-Serie teilen. Mitunter unterscheiden sich nur die Begrifflichkeiten: „Petzen" heißt es beispielsweise bei Hanni und Nanni, bei OITNB fungiert dasselbe Delikt unter „snitchen". Verpönt ist beides und muss auf jeden Fall sanktioniert werden von der Community. Und „Litchfield" klingt auch ziemlich verdächtig nach „Burg Lindenhof".

Die Zelle

Foto: JoJo Whilden für Netflix

„Es ist hier Brauch, dass eure Koffer erstmal von mir durchgesehen werden!" Nein, falsch. Kein Zitat aus dem Knast. Viel mehr führt die Hausmutter im Internat Inspektionen durch, bevor es dann endlich in die Zellen, äh, Zimmer geht. Die räumliche Situation liefert weitere Parallelen: Die Strafvollzugsanstalt bringt die Frauen in flächigen Hallen unter, die sich durch hüfthohe Mäuerchen in sogenannte „Bunks" für immer zwei Insassinnen abgeteilt sehen. Die Aufhebung der Intimsphäre spielt aber auch für die Gruppendynamik im Internat eine große Rolle. „Jetzt müssen wir nach Lindenhof—wo jeder hinkann, es ist gar nicht vornehm dort! Stellt euch vor: Sechs bis acht Mädchen pro Schlafraum!"

Anzeige

Von den scheiß Betten gar nicht zu reden! Nanni: „Wenn wir wenigstens unsere schönen Überdecken aufs Bett legen dürften. Aber alles muss hier gleich sein!" ( Hanni und Nanni #1 … sind immer dagegen)

Ein Blick auf die Mode hinter den Gitterstäben von Târgșor, dem einzigen Frauenknast Rumäniens, in dem die Insassen tragen dürfen, was sie wollen.

Die Hierarchie

Ein wesentlicher Bestandteil im Ständesystem Gefängnis stellt die Hierarchie dar. Wer hat Status, Einfluss, Macht? Eins ist in jedem Fall klar: Als Neuer fängt man in dieser archaischen Welt ganz unten an. Piper begegnet diese Lektion folgerichtig auch gleich in der Pilotfolge, dort findet sie sich in grell orangener Uniform wieder—das weithin sichtbare Stigma des Rookies. Privilegien, die sich die anderen Insassinnen über die Zeit erobert haben, gelten für sie nicht, selbst ein offenes Wort steht der Neuen nicht zu. Als sie ein solches dennoch gegen das Küchen-Regiment des Alphatiers Galina „Red" Reznikov richtet, wird sie erstmal ausgehungert.

Im Sehnsuchtsort Internat hat eine solche Hackordnung ebenfalls Bestand. Linda, eine der alteingesessenen Schülerinnen, freut sich über die Neuen als nützliche Lakaien: „Also hört zu, diese Schuhe sind zu putzen und wenn wir nachher wiederkommen, würden wir gern Kaffee trinken." Wie Piper fordern auch die Zwillinge diese Hierarchien offensiv heraus: „Ich bin nicht nach Lindenhof gekommen, um Euch zu bedienen und Euch die Schuhe zu putzen!" Dass dieser Machtkampf nicht auch mit Fäusten ausgetragen wird, dürfte wohl nur dem Format Jugendbuch geschuldet sein. Autorin Enid Blyton verzichtet aber nicht darauf, etwas Deratiges anzudeuten. Und so schließt der Streit mit dem unmissverständlichen Satz von Linda: „Ihr braucht wohl was aufs Dach!" ( Hanni und Nanni #1 … sind immer dagegen)

Anzeige

Die Verwandten

Der Verwandtschaft kann man nicht entkommen. Und so mag es kaum verwundern, dass in beiden Serien auch jeweils gleich in der ersten Folge Familienzusammenführungen stattfinden. Daya Diaz, die selbst bald schwanger werden wird, trifft auf ihre Mutter, deren oberflächliche, materialistische Grundhaltung sie im Laufe der Serie mehr als einmal zur Verzweiflung treiben wird. In Lindenhof begegnen Hanni und Nanni in der ersten Szene ihrer Cousine Elli, deren oberflächliche, materialistische Grundhaltung sie im Laufe der Serie mehr als einmal zur Verzweiflung treiben wird. Wer allerdings glaubt, dass Familienangehörige gar keine Vorteile haben, könnte falscher nicht liegen.

„Stellt euch vor, meine Brüder, diese Lausbuben, haben mir ein Päckchen mit Knallfröschen und Wunderkerzen geschickt, wenn man ein Dutzend auf einmal wirft, gibt's schon einen ganz schönen Knall", konstatiert Carlotta. Wer diese Zeilen (und diese Lausbuben) nach Litchfield und ins Gangmilieu verortet, liegt komplett falsch, stammen sie doch aus Hanni und Nanni #11 … Lustige Streiche. Ein paar nicht zimperliche Verwandte (Stichwort: „Ich hol' meine Brüder!") in der Hinterhand zu haben, die zu allem bereit sind, ist offensichtlich auch im muckeligen Internatsleben ein Trumpf. In Litchfield übernimmt diese Rolle unter anderem der kleine Bruder von Piper, Cal Chapman. Ein hängengebliebener Post-Slacker, der kiffend in einem Wohnmobil haust und für seine Schwester deren illegale Slip-Geschäfte in Freiheit regelt.

Anzeige

Deutschland ist einfach zu langweilig, um gute Serien zu produzieren.

Der Diebstahl

In Litchfield wie aber auch auf Burg Lindenhof werden die kriminellen Skills zu neuen Meisterschaften geführt. Die Beispiele bei OITNB dürften dabei auf der Hand liegen. Heroin, Handys, Maiskolben oder Pipers Geld aus dem heimlichen Online-Geschäft mit getragenen Unterhosen—im Knast bleibt kaum etwas von Wert unangetastet. Und im Internat geht es kaum besser zu: „Stell dir vor, der 20-Mark-Schein, den Hilda von ihrer Großmutter hatte, war aus ihrer Tasche verschwunden!" (Hanni und Nanni #5 … geben nicht auf)

Die Aufseher

Foto: JoJo Whilden für Netflix

Dass das Gefängnis von Litchfield von einem externen Unternehmen übernommen wird, nutzt die Serie, um zu zeigen, was es bedeutet, wenn wirtschaftliche Interessen und Quartalszahlen sich in (ehemals) öffentliche Einrichtungen drängen. Pointiert sichtbar wird dies im Anheuern von Wärtern, die aus Budgetgründen weder qualifiziert sind, noch ausgebildet werden können. Mit fast Police Academy-mäßigem Slapstick besprüht ein neuer Guard erst zwei Insassinnen unangekündigt mit Pfefferspray, weil sie sich beim Kartenspiel stritten, und dann versehentlich sich selbst und seinen Kollegen.

Doch selbst die heile Welt des Internats kann (auch ohne Börsengang) mit heillos überfordertem Personal aufwarten. „Mademoiselle", die Französischlehrerin mit den großen Füßen, steht allzu oft im Zentrum der Streiche der Insassinnen, pardon, Schülerinnen. Stinkbomben sind dabei noch das Harmloseste, was ihr um die Ohren fliegt. Der Stress des Personals ist hüben wie drüben fester Bestandteil der Serie. Oder um es mit der Geschichtslehrerin Frau Kennedy zu sagen [namenlose Verzweiflung in der erstickten Stimme vorstellen]: „Bitte macht weniger Lärm!" ( Hanni und Nanni #2 … schmieden neue Pläne)

Anzeige

Wir haben uns mit einem Alkoholiker und einem Suchtexperten über die Darstellung von Alkoholismus in ‚Mad Men' unterhalten.

Die Mitternachtspartys

Um mal out of the blue das Autoren-Ich einzubringen: Was hat mich eigentlich auf einen Vergleich von OITNB und Hanni und Nanni gebracht? Es waren erstmal gar nicht diese Parallelen in den negativen Auswüchsen beider Kasernen: Also eben nicht Fights, Struggle und Knallfrösche. Nein, nachdem ich mich viel eher parallel zur Figur Pipers in der Knastwelt zurechtzufinden begann, erschien mir dieses abgeschottete Szenario gar nicht mehr so feindlich. Im Gegenteil: Schön Handarbeiten mit Freundinnen (Unterwäsche!) machen, Lebensweisheiten von den Älteren (die kahlköpfige Rosa Cisneros) und Stummen (die Gurumörderin Norma Romano) abkriegen, Kameradschaft, Solidarität und … gute Laune! Und so scheint eine der stärksten Parallelen etwas, das auf Burg Lindenhof „Mitternachtsparty" heißt (und unlängst erst sogar eine eigene Folge bekam).

Dort treffen sich—unbehelligt und vor der Aufsicht verborgen—die Girls, planen neue Streiche und lassen sich dazu eingeschmuggelte Köstlichkeiten schmecken. Ganz hoch im Kurs stehen dabei Knackwürstchen, Ölsardinen und Dosenmilch(!). Litchfield erlebt einen ähnlich rituellen Gruppenmoment, wenn Küchenchefin Red zu ihrer Dinner-Party lädt, die dabei mit ihrer Mais-Basis geschmacklich weit weniger wunderlich wirkt. Immerhin gibt es Pruno, diesen heimlich angesetzten Knastwein aus der Toilette. So unterschiedlich die Tische gedeckt sind, so vergleichbar sind diese geheimen Feste in dem, was sie den Beteiligten bedeuten.

Anzeige

Lesbische Moves

Foto: JoJo Whilden für Netflix

Da es sich bei Hanni und Nanni um eine Jugendreihe handelt, verzichten wir hier natürlich weiträumig darauf, erotische Handlungen auszustellen. Denn wir haben anderslautender Gerüchte zum Trotz nämlich viel Ehre! Und sind im Gegenteil selbst vom vielen „zusammen lesbisch sein" (Tiffany „Pensatucky" Doggett in der Episode „Fucksgiving") schon völlig wuschig durch OITNB. Gute Güte, was wird da bloß dauernd gebumst?! So etwas ist zum Glück bei Hanni und Nanni völlig ausgeschlossen: „In Lindenhof angekommen trafen Hanni und Nanni in der großen Halle auf ihre Cousine Elli. Arm in Arm mit einem Mädchen" (Hanni und Nanni #22 … Gute Zeiten). Oops!

Motherboard: Nach dem psychotischen Anwalt in ‚Better Call Saul'—eine kleine Geschichte des Aluhuts.

Das Theaterstück

Den Glaube, dass Kunst dem „Wahren, Schönen, Guten" (Inschrift des Frankfurt Opernhauses) im Menschen zum Sieg verhilft, teilen sowohl Internat wie Knast. So dürfen sich Hanni und Nanni auch zu Dichterinnen aufschwingen. Ihre Lehrerin Frau Adams postuliert in Hanni und Nanni #22 … Gute Zeiten Folgendes: „In diesem Schuljahr studiert eure Klasse ein Theaterstück ein, das Ende des Jahres vor der ganzen Schule aufgeführt werden soll. Es soll ein Stück von euch sein. Vom Text bis zu den Kostümen und Kulissen. Wir Lehrerinnen stehen mit Rat und Tat zur Seite."

In Litchfield dasselbe Bild: In der Theatergruppe („drama class") kommen Rat und Tat von der Therapeutin Berdie Rogers und es geht ebenfalls munter zu. Lediglich dort, wo bei Hanni und Nanni am Ende ein erfolgreiches Stück und eine beklatschte Aufführung stehen, bleibt bei OITNB das schönste Werk der Bühne fern. Suzanne „Crazy Eyes" Warren schreibt Fick-Fiction im All—über Edwinas Beziehung zu Admiral Rockcocker mit den zwei Penissen. Doch auch wenn innerhalb des Internats, pardon, des Knasts ihr Text ein Hit ist, fliegt sie aus der Gruppe. Immerhin, und damit schließt sich der Kreis endgültig: Bei einem solchen spermatriefenden Machwerk wäre wahrscheinlich auch für die allseits beliebten Internatszwillinge Schicht im Schacht gewesen.