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Popkultur

Was die Beliebtheit der Prank-Kultur über uns aussagt

Warum sind wir so begeistert von der Vorstellung, anderen Angst einzujagen?

Screenshot von YouTube, aus dem Video "Zombie Axe Murder Prank!" von Moroni Matteo

Die Prank-Kultur ist verbreiteter denn je. Es gab mal Zeiten, da wurden Männer namens Tom Green oder Ashton Kutcher dafür bezahlt, nichts ahnenden Opfern Streiche zu spielen. Heutzutage kann hingegen jeder, der einen Internetzugang besitzt, sich einen Namen machen, indem er anderen etwas Gemeines antut.

Wie zum Beispiel der Typ auf YouTube, der seiner Partnerin weismacht, der kleine Sohn der beiden sei mit einem Quad in die Luft geflogen, und der auch mal gern so tut, als würde er den Jungen über ein Geländer ein Stockwerk in die Tiefe schleudern. Oder dieser australische Prankster-Typ, der regelmäßig seine Freundin terrorisiert. Auch in der deutschsprachigen YouTube-Welt wimmelt es vor Videos mit Titeln wie "Fremdgehen Prank an Freundin!!!" und "Bombe in Kuchen Prank mit meiner Freundin". Und außerhalb des Internets begegnet uns die Streich-Kultur inzwischen auch: Die sogenannten Horror-Clowns begannen als Prank, führten aber schnell dazu, dass Leute in Clownsmasken Anderen mit Messern nachjagten. Das ist YouTube-Kultur, die zum Mainstream geworden ist.

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Wissenschaftler wissen, was Angst auslöst: das Gefühl des Kontrollverlusts oder der Hilflosigkeit. Wir haben es alle schon erlebt, und manchmal liefern wir uns auch freiwillig diesem Gefühl aus. Wir schauen Horrorfilme, verkleiden uns zu Halloween und setzen uns in Freizeitparks in haarsträubende Fahrgeschäfte. Es gefällt uns, andere zum Zusammenzucken zu bringen. Es hat schon etwas geradezu Erotisches, eine besonders unheimliche oder verstörende Geschichte zu teilen. Aber warum ist daraus inzwischen eine gesellschaftliche Obsession geworden?

"Es hat einen Wert, wenn man in der Lage ist zu schocken", sagt

Tony Blockley

, Kriminologe an der englischen University of Derby. Er sagt, der Wunsch, jemandem Angst einzujagen, rühre aus der Sensationsgier in unserer Kultur. Schock sei eine Art Währung geworden, eine Mittel, mit dem sich imponieren lasse.

"Wer 'Shock Value' erlangt, nährt damit sein Ego. Damit gehen Status und Bewunderung einher", sagt er. "Wir erschrecken oder verängstigen Andere nicht als Selbstzweck. Wir tun es, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen."

Wer sich die ganzen Prank-Videos ansieht, wird schnell feststellen, dass es sich bei allen Tätern um Männer handelt und die Opfer zumeist weiblich sind. Blockley meint, dieses Muster sei so ausgeprägt, weil Pranks eine Methode seien, wie Männer ihre Vormachtstellung erhalten können, in einer Gesellschaft, die aggressives und dominantes Verhalten bei Männern belohnt—was Blockley als "hegemonische Maskulinität" zusammenfasst.

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"Wenn man jemandem Angst macht", sagt Blockley, "demonstriert man seine Macht und Kontrolle über die Person. Der intensive psychische Drang, dominant zu sein, basiert auf einem Umfeld, das diese Werte verherrlicht. Warum tun sie es? Weil sie es können. Sie können jemanden erschrecken. Sie können jemanden kontrollieren. Diese Männer sehen die Menschen, die sie erschrecken, nie als 'Opfer'. Sie denken nicht an diese Person. Sie versuchen es erst gar nicht. Sie sehen diese Person als Objekt, das es für den eigenen Erfolg zu nutzen gilt, und nicht als Menschen."

"Alltagssadismus" nennt man sadistische Akte, die beiläufig an Mitmenschen verübt werden. Solche Taten decken ein breites Spektrum ab, von vordergründig freundschaftlichem Ehrgeiz bei Videospielen bis hin zu versteckteren Methoden wie Diebstahl oder Manipulation. Der rote Faden dabei ist, dass der Sadist angesichts des Leids eines anderen Wesens Befriedigung oder Freude empfindet. Ich frage mich, ob diese Online-Pranks ein sadistisches Element haben. "Es gibt da einen gewissen Grad an Narzissmus und auch mangelndes Mitgefühl", sagt Blockley.

2012 untersuchte die Psychologin Erin Buckels, ob "normale, durchschnittliche Menschen" zu sadistischen Taten fähig sind. Achtundsiebzig Studierende nahmen als Freiwillige teil, wobei sie glaubten, bei der Studie gehe es um ihre Toleranz für schwierige und unangenehme Aufgaben. Dabei sollten sie wählen, ob sie lieber Insekten töten, beim Insektentöten helfen, Toiletten putzen oder ihre Hände in eiskaltes Wasser tunken wollten. Mehr als 53 Prozent der Testpersonen wollten am liebsten Insekten töten oder beim Töten helfen.

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Das "Insektentöten" war nur Schein; die Maschine, welche die Studienteilnehmer bedienten, imitierte das Knacken der Exoskelette, sodass es so wirkte, als würden die Insekten zerquetscht. Die sadistischeren Testpersonen empfanden Freude beim Töten der Insekten, und je mehr Insekten sie vermeintlich töteten, desto mehr Freude zogen sie daraus. "Die angenehmen Erfahrungen verstärken die sadistische Tendenz", folgerte Buckels in ihrer Studie.

Vielleicht erklärt das die Eskalation des Horror-Clown-Hypes, der mit einfachen Schreckmomenten begann, aber schnell Gewaltverbrechen nach sich zog.

Moroni Matteos Axtmörder-Prank

Moroni Matteo betreibt einen Prank-Kanal auf YouTube namens DM Pranks Productions. In frühen Videos gibt es noch so milde Späße wie den "Riesen-Nieser" oder "Leute verwirren", aber in einigen der neuesten Videos jagt ein Mann in Militäruniform Fremden mit einem Flammenwerfer hinterher, ein blutiger "Zombie" simuliert eine Enthauptung und natürlich gibt es auch einen Killer-Clown.

Auf die Frage, was ihn dazu bewege, Menschen zu erschrecken, antwortet er mit einer seltsamen Ernsthaftigkeit und beschreibt einen seiner Pranks als "einen wahr gewordenen Kindheitstraum".

Wie fühlt er sich, wenn er einen Streich abzieht? "Ich fühle mich dabei sehr gut", sagt er. "Hinter meinen Videos stecken harte, teils monatelange Arbeit und Tausende Dollar. Ich habe meinen Kanal 2013 gestartet, nachdem ich Leute beim Pranken gesehen hatte und mir dachte, dass ich es besser kann. Ich wollte die hochwertigsten Videos der Prank-Szene haben."

"Hinter diesen Dingen steckt oft der einfache Wunsch, gemocht zu werden", sagt Dr. Jeremy Philips, Dozent für forensische Psychologie an der University of Chester in Nordengland.

Wie Tony Blockley erkennt auch er die Rolle, die Macht und Kontrolle hier spielen. "Das menschliche Verhalten ist unberechenbar. Wir können größtenteils nicht kontrollieren, wie Andere auf uns reagieren. Wenn jemand nicht die Reaktion erhält, die er für sein Selbstwertgefühl benötigt, wie zum Beispiel Respekt oder Anerkennung, dann geht die Person zu extremeren Verhaltensweisen über", sagt er.

Dr. Philipps meint, die sozialen Netzwerke würden diesem Phänomen Vorschub leisten. Anonyme Rückmeldungen auf Pranks verstärken nur den Drang, Streiche zu spielen. "Die Leute sehen, wie Andere für diese Handlungen gelobt werden, und wollen dieselbe Reaktion auslösen", erklärt er. "Niemand stellt sich grundlos im Clownskostüm an den Straßenrand. Dieser Mensch erwartet eine Reaktion. Er rechnet damit, gefilmt zu werden."

Es ist leicht, mit dem Finger zu deuten und den Urhebern die alleinige Schuld am Erfolg der sadistischen Prank-Videos zu geben, doch im Grunde sind wir alle mitschuldig. Wir haben es hier mit einer Form der Schadenfreude zu tun. In einer Kultur, in der alles und jeder Content ist, haben wir es mit unseren Klicks zu einer lohnenswerten Beschäftigung gemacht, unsere Mitmenschen zu verängstigen.