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Was ich an der SVP liebe

Selbst in der kompliziertesten Beziehung steckt ein Fünkchen Liebe.

Screenshot von YouTube

Der Rechtspopulismus in Europa ist so stark wie noch nie. In fast allen Ländern punkten beim kleinen Mann Politiker, indem sie von der EU über die Regierung bis hin zu Ausländern alles verteufeln, was man eben mal so als Sündenbock missbrauchen kann—die eigene Nation gehört selbstverständlich nicht dazu. Auch in der Schweiz kletterte in den 90er Jahren mit der SVP eine solche Partei die politische Karriereleiter hoch—und hat sich seither auf den oberen Sprossen festgeklammert.

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Mit Parteien habe ich grundsätzlich so meine Probleme. Ich finde es ziemlich lächerlich, wenn sich Menschen im Jahr 2015 noch ohne irgendein Anzeichen von Ironie mit „Genossen und Genossinnen" ansprechen. Wenn Menschen zu Corporate Design werden, indem sie die Farbe ihrer Krawatte der Farbe ihrer Partei anpassen. Oder wenn Menschen frenetisch die Reden ihrer geistigen Führer bejubeln.

Meine Beziehung zur SVP ist aber eine besondere. Seit ich mich in meiner gefühlt hundertsten pubertären Wachstumsphase zum ersten Mal mit der Politik der Schweiz beschäftigt habe, habe ich in ihr meinen politischen Gegenspieler gefunden. Keine andere Partei schafft es, mich—als sonst ruhigen Menschen—wütend werden zu lassen. Doch wir alle wissen: Selbst in der schlimmsten Beziehung mit dem grössten Arschloch der Welt gibt es Dinge, die dich am Gegenüber faszinieren. Ob aus purer Verzweiflung, einem heranwachsenden Stockholm-Syndrom oder aus wirklicher Liebe—die Begeisterung, sie ist da.

Sie macht dich zum Politiker

SVP hier, SVP dort, SVP da—scrollst du durch eine x-beliebige News-Seite der Schweiz springen dich aus jedem dritten Politik-Artikel die Herrchen und Frauchen des SVP-Wahlhundes Willy an. Mal administrieren sie Facebook-Pages mit rassistischen Inhalten, mal posten sie selbst hetzerische Bildchen, mal wollen sie gleich ganze Kantone damit zukleistern. Niemand, der seinen Lebenssinn nicht im Dasein als Medien-Straight-Edger gefunden hat, kommt um die Partei der aufgehenden Sonne und des untergehenden Abendlandes herum.

Das führt dazu, dass du—egal wie unausstehlich oder langweilig du Politik findest—zur SVP eine Meinung hast. Die SVP ist die Attention Whore unter den Parteien—und richtig gut in ihrer Rolle. Sie schafft es, dass nicht nur politische Menschen ständig über sie reden, sondern auch Menschen, die in der Stimmkarte vorwiegend gutes Filterpapier sehen, wenigstens eine Meinung über sie haben. Sie alle haben eine Antwort auf die fundamentalen Fragen der SVP: Keine Flüchtlinge mehr in der Schweiz? Ist der Islam böse oder nicht? Ist Christoph Blocher der Mensch gewordene Gott?

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Foto: Metro Centric | Flickr | CC BY 2.0

Und auch ich komme wohl oder übel nicht an der SVP vorbei. Das beweist nicht nur dieser Text selbst, sondern auch dieser, dieser, dieser, dieser, dieser, dieser, dieser und dieser. Wer wie ich der Überzeugung ist, dass Bullshit—egal wie gut inszeniert er daherkommt—auch als Bullshit enttarnt werden muss, stolpert früher oder später über die SVP.

Sie unterhält besser als ein Sonntag auf RTL

Politik ist grundsätzlich ja ein sehr, sehr ernstes Business. Egal ob das existentielle Asylgesetz oder die fast so existentielle Änderung der Fussgängerstreifenfarbe von gelb auf orange diskutiert wird—gelacht werden darf nicht. Die Politiker sollen ihre biedersten Anzüge aus der hintersten Ecke des Estrichs hervorkramen und ihre Köpfe mit Frisuren schmücken, die in den 50er Jahren schon nach vorgestern geschrien haben. So sind sie perfekt gestylt, um neben mindestens so erlösenden wie nichtssagenden Worten wie „Zukunft", „Sicherheit" oder „Vertrauen" von APG-Plakaten zu grinsen.

Die SVP und ihre PR-Menschen brechen—bewusst oder unbewusst—aus diesem Bild aus. Die SVP befindet sich im ständigen Wettkampf gegen sich selbst, wenn es um die Goldmedaille im Rennen der Absurditäten und Schenkelklopfer geht. Am einen Tag kürt sie einen Berner Sennenhund zu ihrem Wahl-Maskottchen und schenkt ihm eine eigene Facebook-Page, auf der sich Wachhund Willy mal über das angebliche „Asylchaos" aufregt, mal die Bundesverwaltung anpisst—oder einfach nur so, so, so süss schweizerisch daherkommt.

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Foto: NAC | Wikimedia | CC BY-SA 4.0

Am nächsten Tag macht sie sich im sehr, sehr schlechten Song „Welcome to SVP" bewusst selbst zum Affen. Ihr Übervater Christoph Blocher stutzt mit der Nagelschere seinen Milliardärs-Rasen, der Neu-SVPler und Alt-Hetzer Roger Köppel findet die neusten Infos in der linken WOZ und Präsident Toni Brunner findet seine grosse Liebe bei einem romantischen Picknick mit einer Kuh. Der Song ist ihr nicht—wie so ziemlich allen anderen auf Facebook und Twitter—peinlich. Sie hievt ihn für eine Viertelmillion Franken eben mal stolz auf Seite 1 der meistgelesenen Zeitung der Schweiz und sagt damit: „This is how we roll!"

Neben diesen grösseren Ausfällen brüllt sie zudem als Punk der Schweizer Politik ständig ihre hysterischen Forderungen durch die Eidgenossenschaft. Wenn mal ein paar Flüchtlinge mehr in die Schweiz kommen als üblich, soll die Armee sofort jeden Zentimeter der Grenze besetzen. Wenn sich die natürliche Entwicklung der Schweizer Bevölkerung auch im Militär niederschlägt, sollen auf einmal alle Secondos aus diesem verschwinden.

Doch egal, wie dumm diese Forderungen und PR-Moves auch sind. Sie bringen endlich mal ein bisschen Action in die verstaubte Politik.

Sie ist Weltmeisterin im Heucheln

Erfolgreiche Politiker müssen grundsätzlich in drei Dingen gut sein: Labern, labern und labern. Das ist im Grunde ja nicht schlimm, so funktioniert Politik eben. Die allesentscheidende Frage aber ist: Was steckt hinter dem Gelaber? Vielfach eröffnet sich dort ein sinnfreier Raum aus leeren Worthülsen, seltener mal tatsächlich fundierte Positionen—und bei der SVP oft ein Megaphon, das das Gelaber zum Stammtischgebrülle heranwachsen lässt: EU, Flüchtlinge, Bundesrat—alles scheisse!

Sie brüllt gegen alles an, was man dem kleinen Mann als Übeltäter verkaufen kann. So inszeniert sie sich als eine, die eben noch am Stammtisch neben den kleinen Männern sass und jetzt denen da oben mal die Meinung sagt.

Dabei trinkt sich Blocher abends nicht mit denen da unten unter den Tisch, sondern kuschelt sich mit Gedanken an das Familienvermögen von 4.5 Milliarden Dollar in den Schlaf. Und Christoph Mörgeli debattiert lieber stundenlang über seine Dissertation zum Europäischen Totentanz—ob sich der kleine Mann wohl für die Bedeutung mittelalterlicher Gemäldezyklen auf Friedhofsmauern interessiert? Ich weiss es nicht. Doch wahrscheinlich ist das auch egal. Denn in der Fantasie des Stammtisches, bleiben die SVPler das, was sie immer schon waren: Ehrliche, aufrechte Eidgenossen.

Sebastian hat auch auf Twitter nur Liebe zu vergeben: @nitesabes

VICE Schweiz ebenso: @ViceSwitzerland