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Popkultur

Was ich in 8 Stunden Steven Seagal über die USA gelernt habe

Der murmelnde, viertklassige Actionfilm-Held der 90er Jahre wirkt beinahe wie eine Metapher für die Vereinigten Staaten und ihre Bürger.
Foto: via 'Steven Seagal: Lawman'

Hier in Amerika leben wir in einer Welt, in der die Gewalt von allen Seiten durchzusickern scheint—Terroristen, Drohnenangriffe, Hassverbrechen und der tägliche Rassismus aus den Mündern der Trump-Unterstützer. Hemmungslose Grausamkeit hämmert an die Türen unserer zivilisierten Welt. Wie lässt sich diese Gewalt verstehen? Wenn es nach mir geht, gibt es nur einen Mann, auf den man blicken muss, um das alles zu begreifen: den König der gebrochenen Handgelenke, Steven Seagal.

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Zu meinen schönsten Erinnerungen gehört dieser eine Tag, den ich krank zu Hause bleiben durfte. Mein Vater war ebenfalls krank und nicht zur Arbeit gegangen. Schnell kamen wir beide zu dem Schluss, dass die beste Art, gemeinsam abzuhängen und dabei so wenig wie möglich miteinander reden zu müssen, ein Film-Marathon war.

Da wir zwei schlechtgelaunte Kerle waren, bedeutete das zwangsweise Action-Filme. Und für uns gab es keinen besseren Action-Helden als Seagal. Warum? Er ist kein guter Schauspieler, er ist nicht lustig und er ist kein guter Geschichtenerzähler. Nein, das einzige, was er wirklich gut kann, ist Ohrfeigen austeilen. Er befriedigt unseren Durst nach Gewalt. Er ist der Champion der männlichen Rache an einer Welt, die unfair und ungerecht ist.

Vielleicht würde mir ja eine eingehende Auseinandersetzung mit Seagals Filmen dabei helfen zu verstehen, warum diese Gewalt mich und Millionen Männer auf dieser Welt so anspricht. Ich entschied mich also dazu, krank einen weiteren Filmmarathon durchzuziehen und mir vier Seagal-Filme anzuschauen. Ich wollte wissen, was danach klar und deutlich hervorsticht wie ein gebrochener Oberschenkelknochen nach einem brutalen Side-Kick. Die vier ausgewählten Filme sind Fixpunkte in Stevens Oeuvre, sie passen aber gleichzeitig auch perfekt zum aktuell unruhigen politischen Klima.

Hard to Kill (1990)

Der Anfang. Seagal spielt den Polizisten Mason Storm, der aus einem siebenjährigen Koma aufwacht und sich auf eine Rachemission begibt. Sein Ziel ist dabei, einen korrupten Senator umzubringen, der sowohl für den Tod seiner Frau als auch für das besagte Koma verantwortlich ist. Es handelt sich hier um einen von Seagals frühen Filmen und das bedeutet, dass seine ohnehin niemals gut gewesenen Schauspielkünste auf verschieden stark zusammengekniffene Augen beschränkt sind (weniger zusammengekniffene Augen bedeuten gute Laune, stärker zusammengekniffene Augen bedeuten Wut).

Außerdem sieht der Streifen aus wie ein Softporno—und fühlt sich auch so an. Er kann außerdem mit dem besten schlechten Action-Film-Spruch in Seagals ganzer Filmografie aufwarten. Als Antwort auf den Kampagnen-Slogan seines Widersachers "You can take that to the bank" antwortet Seagal: "I'm going to take you the bank … the blood bank." Außerdem sagt er den Spruch zu einer Werbung im Fernsehen, alleine. Es ist ein überwältigender cineastischer Augenblick, quasi Seagals Rosebud.

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Alarmstufe: Rot (1992)

Das Meisterwerk. Seagal ist Casey Ryback, ein ehemaliger Navy Seal, der als Koch auf dem Kriegsschiff USS Missouri arbeitet, nachdem er einen Vorgesetzten niedergeschlagen hat—denn niemand befiehlt Seagal, was er zu tun hat! Als Terroristen das Schiff in ihre Gewalt bekommen, ist Ryback der einzige, der zwischen ihnen und einem nuklearen Armageddon steht.

Das ist der Blockbuster, der absolute Höhepunkt, der einzige handwerklich kompetent gemachte und "gute" Film im ganzen Seagal-Kanon. Das verdankt der Film Auf der Flucht-Regisseur Andrew Davis und Tommy Lee Jones als Bösewicht, der hier quasi den durchgeknallten Anarchoschurken-Archetypen kreiert—und das 16 Jahre bevor Heath Ledger einen großen Berg Geld in Brand steckte.

Auf brennendem Eis (1994)

Der kreative Rohrkrepierer. Seagal führte bei diesem Kassenflop selbst Regie. Anstatt seinem Publikum das zu geben, was es wollte, philosophierte er moralisierend über die Umwelt, Gewalt und das Wesen der Menschheit (ernsthaft!).

Seagal spielt den Feuerwehrmann Forest Shaw, der hinter die illegalen Praktiken des Ölkonzerns kommt, bei dem er angestellt ist. Ihm wird von einem Inuit-Älteren mitgeteilt, dass er ein Bären-Geist ist. Anschließend geht er auf Visionssuche und beendet den Film mit einem Monolog und einer Montage, die die Umweltzerstörung durch Konzerne anprangert und den Verbrennungsmotor als veraltet bezeichnet. Dieser Film ist absolut bizarr—wie Eine unbequeme Wahrheit, wenn Al Gore wissen würde, wie man eine Pistole auseinandernimmt.

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The Patriot – Kampf ums Überleben (1998)

Der Anfang vom Ende. Seagal spielt einen Arzt (nicht irgendeinen Arzt, sondern natürlich den besten Spezialisten für Infektionskrankheiten auf der ganzen verdammten Welt), der ein Gegenmittel für einen Virus finden muss, den eine Neonazigruppierung ausgesetzt hat. Dieser Streifen schaffte es noch nicht einmal in die Kinos und ist ein Vorgeschmack auf die nächsten zwei Jahrzehnte der Karriere Seagals: direkt fürs VHS-Format produzierte, schäbig inszenierte Filme—lethargisch in ihrer Geschwindigkeit und Seagal aufgeschwemmt wie eine überreife Traube mit Ziegenbart. Dieser Film begeht das schlimmste Verbrechen, das ein Seagal-Film überhaupt begehen kann: Er ist langweilig.

Das erste, was mir an den Seagal-Filmen auffiel, war die unfassbare Menge an Ego, die zur Schau gestellt wird. Seine Werke sind allesamt Denkmäler für Seagals Herrlichkeit, seine unfehlbare Kompetenz. Niemand sagt in diesen Filmen jemals etwas Abfälliges über Seagal. Nein, ganz im Gegenteil. In jedem seiner Streifen weisen diverse Nebencharaktere immer wieder auf die transzendentale Brillanz von Seagal hin.

In Hard To Kill macht zum Beispiel Seagals Kumpel einen anderen Polizisten an, der es gewagt hatte, den pferdeschwänzigen Großmeister zu kritisieren. Feucht brüllt er ihm ins Gesicht: "Mason Storm war einer der ehrenhaftesten, einer der besten Polizisten in der Truppe." In Alarmstufe: Rot sind ständig alle wegen Seagals Vergangenheit als Navy Seal aus dem Häuschen. Wie hoch ausgebildet, wie gefährlich er doch sei.

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Mein Lieblingsbeispiel stammt aus Seagals Eigenkreation Auf brennendem Eis. Als Seagal, a.k.a. Forest Shaw, am Anfang des Films auftaucht, um ein Feuer auf einer Ölplattform zu löschen, bricht Jubel aus und aus dem Off erklingt eine Stimme: "Forest ist da! Das Feuer ist so gut wie gelöscht!" Ich male mir gerne in meinem Kopf aus, wie Seagal während der Postproduktion sagt: "Es gibt noch nicht genug Hinweise darauf, wie gut ich wirklich im Feuerlöschen bin. Wo kann ich noch einen unterbringen?"

Das Coolste an seinem Kampfstil ist eigentlich immer noch dieses wirbelnde Arme-Ding, das er immer macht, wenn er gegen einen Schurken mit einem Messer kämpft.

Das Ego hat er aber auch nötig, es ist nämlich das, was ihn überhaupt erst zu einem glaubwürdigen Actionhelden macht. Seagal verfügt nicht über die offensichtlichen körperlichen Vorzüge eines Arnold oder eines Van Damme. Zu Beginn seiner Karriere zeichnet sich Seagals Körper eher durch einen dünnen, undefinierten Bibliothekars-Look aus.

Kurz vor der Jahrtausendwende sieht er dann zunehmend aufgeschwemmter und dekadenter aus, bis er endlich seinen aktuellen Look erreicht: bärtiger Walross-Gangsterboss. Selbst seine Kampfszenen sehen nie wirklich beeindruckend aus. Während Van Damme den Eindruck erweckt, er könnte eine Wassermelone mit einem Round-Kick durch ein ganzes Gebäude befördern, sehen Seagals Tritte eher so aus, als würde er versuchen, mit seinem Fuß eine Tür zu öffnen.

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Das Coolste an seinem Kampfstil ist eigentlich immer noch dieses wirbelnde Arme-Ding, das er immer macht, wenn er gegen einen Schurken mit einem Messer kämpft. Andererseits finde ich aber auch die fingerschnalzenden Gangmitglieder in West Side Story ziemlich angsteinflößend. Trotz allem kaufst du ihm ab, dass er einen ganzen Raum voller Typen zerlegen kann—weil er und alle anderen im Film das auch glauben.

(An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass, wie viele seiner Fans mir mitgeteilt haben, Seagal von all den erwähnten Actionhelden noch am ehesten einen echten Kampf gewinnen würde. Er war der erste Nicht-Asiate, der ein Dojo in Japan geleitet hat und er hat UFC-Kämpfer wie Anderson Silva bei der Perfektionieren ihres Front-Kicks trainiert. Ich schreibe hier aber über Filme, nicht über das echte Leben. Und vor der Kamera scheint Seagal die Agilität deines Stiefvaters zu haben, der eine Leiter hochklettert, um die Regenrinne zu säubern.)

Egal, wen er darstellt, alle Seagal-Charaktere haben eine Sache gemein: sie sind unausstehliche Arschlöcher. In jedem seiner Filme trägt er seine Zeilen voller Abscheu vor. Als wäre er ständig von der Kamera genervt, dass sie überhaupt versucht, die Herrlichkeit seiner Erscheinung einzufangen. In diesen Filmen ist er ein zwischenmenschlicher Albtraum. Er ist sarkastisch und gemein—egal, ob gegenüber Freund oder Feind. Und wenn er das mal gerade nicht ist, kommandiert er Leute herum. Sein Techtelmechtel in Alarmstufe: Rot behandelt er wie eine Idiotin, weil sie nicht so gut im Bombenbauen ist wie er.

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Woher kommt die Wut gegen andere nur (angenommen, es liegt nicht einfach nur daran, dass er tatsächlich ein unausstehliches Arschloch ist, was zweifellos der Fall ist, aber gleichzeitig auch uninteressant)? Seagals Kampfsport ist Aikidō. An zentraler Stelle in der Philosophie des Aikidō steht Harmonie. Es geht dabei darum, die Bewegung des Angreifers gegen ihn zu verwenden. Damit wird der Angriff abgewehrt, der Angreifer bleibt gleichzeitig unversehrt.

Wie frustrierend muss es sein, wie Seagal Meister dieser Kampfkunst zu sein und sich ständig mit einer total unharmonischen Welt herumschlagen zu müssen; zu sehen, wie es eigentlich laufen sollte, aber ständig von korrupten Senatoren, unfähigen Generälen, Konzernen, Bauerntrampeln und Trotteln angegriffen und sabotiert zu werden. Er hält sich diese Welt also fern und ist genervt, wenn immer sie in seine persönliche Schutzzonen einfällt.

Seit Alarmstufe: Rot weigern sich Seagals Rollen eigentlich immer, sich in das Geschehen einzumischen. Die Gewalt gehört zu seiner Vergangenheit, er kennt ihren Preis und ihre Begrenztheit und will sich jetzt nur noch darauf konzentrieren, Koch, Ölplattform-Feuerwehrmann oder Spezialist für Infektionskrankheiten zu sein.

Seine Mission ist immer eine Form der Rache, die auf der gleichen Klaviatur spielt wie Donald Trump.

Im Grunde basiert der Spannungsbogen in diesen Filmen immer darauf, den Widerstand gegen die Gewalt zu überwinden. Als Protagonist ist Seagal niemals verletzlich. Du hast nie das Gefühl, dass irgendeiner seiner Feinde auch nur die geringste Chance gegen ihn hat. Es gibt keinen T-1000 oder Tong Po weit und breit, lediglich einen Haufen Idioten und Feiglinge, die dumm genug waren, den griesgrämigen Rächer zu ärgern.

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Unweit des Höhepunkts von Auf brennendem Eis ermahnt er eine junge Inuk-Frau, dass Gebete an die Götter und Protest niemals genug sind, um das räuberische Verhalten eines Erdölunternehmens auf ihrem Land aufzuhalten—dass Gewalt die einzige Antwort ist, immer schon gewesen ist. Das ist das eigentliche Hindernis, das dem Publikum Sorgen bereitet: Wird Seagal seine Ideale des Pazifismus und der Reue überkommen, und endlich die Gewalttaten verüben, nach denen wir lechzen? Werden alle ihre gerechte Strafe bekommen?

Das ist es, was Seagal ausmacht. Er ist der Actionheld des Ressentiments. Seine Mission ist immer eine Form der Rache, die auf der gleichen Klaviatur spielt wie Donald Trump. Es ist die Ablehnung und Abscheu gegenüber einer Welt, die einfach nicht hören will, die sich nicht meinem Willen beugen will, obwohl ich schlau bin und so hart dafür gearbeitet habe und definitiv den Weg zur absoluten Harmonie kenne.

Jeder Handkantenschlag und jeder elegante Handgelenkbrecher ist die Rache eines erzürnten Egos. Die Moral, der Umweltschutz und das Interesse für die Philosophien der First Nations—mit denen er seine strunzdummen Filme schmückt wie andere Menschen ihren Kopf mit Federschmuck bei Musikfestivals—ist bloß ein Feigenblatt für das lange existentialistische Aufheulen der männlichen Wirkmächtigkeit, die der Mythos der Maskulinität uns für die Ewigkeit versprochen hatte—die uns aber jetzt durch die Komplexität der Koexistenz mit unseren Mitmenschen verneint wird.

Meine absolute Lieblingsszene stammt aus Auf brennendem Eis. Seagal gerät in einer Kneipenschlägerei mit ein paar Arbeitern der Bohranlage aneinander, die eine betrunkenen Mann der First Nations drangsaliert hatten (treuer Verbündeter, dieser Seagal-Typ). Nachdem er die Crew zerlegt hat, legt Seagal beim Malträtieren des Anführers eine Pause ein und fragt ihn: "Was ist noch alles nötig, um einen Mann von Grund auf zu ändern?"

Der blutende und betrunkene Gegner antwortet: "Zeit … I .. ich brauche Zeit, um mich zu ändern."

Seagal darauf: "Ja, ich auch."

Ich liebe diese Szene. Erstens, weil sie unfassbar absurd ist. Zweitens aber weil es eine Frage ist, die ich mir selbst ständig stelle. Was brauche ich, um mich zu ändern? Während ich mir Steves Filme anschaue, merke ich, wie viel Verbitterung ich in mein eigenes Leben habe sickern lassen; wie oft ich Freunden ihren eigenen Erfolg vorgeworfen habe; wie oft ich ganze Tage damit verschwendet habe, mich in Selbstmitleid zu baden, nur weil ich etwas nicht bekommen hatte, das ich meiner Meinung nach verdient hatte, weil ich so gutmütig und schlau bin—und die Welt so dumm, weil sie das nicht erkennt.

Und ich erschaudere beim Gedanken an die Rachegelüste, die mit dieser Verbitterung einhergingen; dem unbedingten Willen den Zweiflern und Hatern zu zeigen, wie falsch sie lagen; der Hoffnung, dass sie bekommen, was sie verdient haben. Deswegen sind unsere Egos so gefährlich. Selbst wenn du im Recht, talentiert oder heilig bist, gibt es keine Garantie dafür, dass die Dinge nach deinem Plan laufen.

Wie du auf diesen Umstand reagierst, ist der wahre Test. Wirst du auf dein Ego hören und dir einen Hauch pferdeschwänziger Rache wünschen oder übst du dich stattdessen in Geduld und Akzeptanz? Basierend auf dem Schrecken, der sowohl von der echten Welt, als auch Seagals später Karriere ausgeht, ist definitiv Letzteres die richtige Wahl. Um einen Mann von Grund auf zu ändern braucht es mehr Zeit. Und genau wie beim Aikidō ist die einzige Möglichkeit dafür, sich selbst nicht im Weg zu stehen.