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Was ich während meiner Alkoholabstinenz gelernt habe

„Ich machte Wetttrinken gegen meine männlichen Barkeeper-Kollegen und erntete für meinen Sieg als Hauptpreis die Ehre und eine Alkoholvergiftung."
Foto: Southern Foodways Alliance | Flickr | CC BY 2.0

Ich war schon immer ein großer Freund von Alkohol. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie meine beste Freundin und ich im Alter von ungefähr sieben Jahren die Fernsehwerbung für Jim Beam nachspielten, wobei wir ein mit Apfelsaft gefülltes Schnapsglas nach dem anderen runterkippten und uns dabei königlich amüsierten.

Als Kinder mochten wir Betrunkene im Allgemeinen sehr gern, weil sie lustiger waren als normale Erwachsene. Ich erinnere mich ebenfalls daran, wie wir unsere Puppen, die sich im Gegensatz zu uns schon im Teenageralter befanden, wilde Partys mit winzigen Bierdosen feiern ließen, und wie sehr wir uns darauf freuten, das irgendwann auch zu tun.

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Mit 15 war ich das erste Mal so betrunken, dass ich mich am nächsten Tag nicht mehr daran erinnern konnte, auf was für einer Party ich am Vorabend gewesen war—was sich im Nachhinein als Glücksfall herausstellte, denn es war eine dörfliche Scheunenparty—, doch im Allgemeinen beschränkten sich meine jugendlichen Exzesse auf gelegentliche Abstürze und die Folgeerscheinungen hielten sich in Grenzen. Als ich mit Anfang 20 anfing, viel auszugehen und in Bars zu arbeiten, schnellte mein Alkoholkonsum extrem in die Höhe. Ich trank mindestens ein- bis zweimal die Woche so viel, dass ich am nächsten Tag nicht mehr in der Lage war, das Bett zu verlassen, wobei ich den Kater meist großzügig in Kauf nahm, wenn ich zuvor einen großartigen Abend gehabt hatte. Und ich hatte eine Menge großartiger Abende. Der Suff als mein treuer Begleiter bescherte mir als sonst eher zurückhaltendem Menschen eine Reihe neuer Bekanntschaften. Er machte mein Leben bunter und interessanter, so als hätte ein guter Geist flaschenweise Erdbeerlikör und Blue Curacao über der Leinwand meines sonst farblosen Alltags ausgeleert. Ich traute mich, meinem Ex-Freund das erste Mal meine Liebe zu gestehen, als ich nach übertriebenem Wodkagenuss von seinem Bett in einen Eimer kotzte. Ich machte Wetttrinken gegen meine männlichen Barkeeper-Kollegen und erntete für meinen Sieg als Hauptpreis die Ehre und eine Alkoholvergiftung.

Mit den Jahren stellte ich allerdings fest, wie sehr mich all das zu langweilen begann, und dass ich irgendwann nicht mehr bereit war, für eine durchzechte Nacht wie jede andere die grausamen Katererscheinungen des nächsten Tages in Kauf zu nehmen. Was nicht bedeutet, dass ich nicht manchmal doch zu viel trank, obwohl es mich langweilte, und obwohl ich mit der Zeit feststellten musste, dass das Trinken in weiten Teilen meines Bekanntenkreises unangenehme Dimensionen angenommen hatte. Alkohol genießt in unserer Gesellschaft einen so hohen Stellenwert, dass viele Menschen ihren Konsum überhaupt nicht mehr in Frage stellen. Und dieser Konsum wird entgegen der landläufigen Überzeugung nicht erst dann zum Problem, wenn du anfängst, zum Frühstück eine Dose Oettinger zu exen und Underberg-Fläschchen im Badezimmerschrank versteckst.

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Ich hätte mich zu keinem Zeitpunkt als Alkoholikerin bezeichnet, war mir aber schon bewusst, dass mein Verhalten als riskanter Konsum eingeordnet werden konnte. Ich habe noch nie jeden Tag getrunken und kaum jemals allein und trotzdem wurde mir etwas mulmig, als ich feststellte, dass ich seit ungefähr meinem 20. Lebensjahr nie länger als zwei Wochen durchgehend nüchtern gewesen war. Da ich neben Alkohol auch ein großer Freund von Selbstexperimenten bin, beschloss ich also, das erste Mal in meinem Erwachsenenleben für die Dauer von zwei Monaten nichts zu trinken.

Ich erinnere mich daran, dass mir ein geschätzter Kollege in nicht mehr ganz nüchternem Zustand von diesem Vorhaben abriet, weil die gesamte deutsche Gesellschaft „auf Alkohol aufgebaut" sei. Und daran, wie ich nur ein paar Wochen zuvor auf einer Party einen Bekannten, der niemals trinkt oder Drogen nimmt, gefragt hatte, ob er masochistisch veranlagt sei oder „von Natur aus betrunken".

Um die Challenge noch etwas schwieriger zu gestalten, nahm ich mir vor, mit dem abstinenten Leben nicht erst im neuen Jahr, sondern bereits vor Silvester anzufangen.

So verbrachte ich den letzten Abend des Jahres Mate trinkend zwischen betrunkenen Freunden, die mir aufmunternd zuprosteten und mich mitleidig an ihren Weingläsern riechen ließen. Dabei wurde mir klar, dass Dinner for One, wenn der eigene Alkoholpegel nicht ungefähr dem von Butler James entspricht, einen großen Teil seiner Komik einbüßt, und dass sich besoffene Menschenmassen, die sich gegenseitig mit Böllern bewerfen, nüchtern betrachtet ziemlich beängstigend sein können. Als ich erleichtert um ein Uhr nachts ins Bett fiel, stellte ich allerdings fest, dass dieses Silvester auch nicht schlimmer gewesen war als die meisten anderen, und dass ein ganzer S-Bahn-Wagon, der besoffen Helene Fischer grölt, wahrscheinlich auch unter Alkoholeinfluss nicht leichter zu ertragen gewesen wäre.

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Die meiste Zeit versuchte ich mich von Partys, Geburtstagen und anderen potentiellen Gelegenheiten, sich grundlos die Kante zu geben, fernzuhalten. Auch weil ich Angst davor hatte, dass einige meiner Bekannten nicht sonderlich tolerant auf meine Abstinenz reagieren würden. Mit trinkfreudigen Freunden traf ich mich vornehmlich sonntags, wenn sie verkatert waren und den obligatorischen Wochenendrausch bereits hinter sich hatten. Ich machte die Entdeckung, dass alkoholfreies Bier gar nicht so schlimm schmeckt, nur nicht nach Bier, während Tonic Water mit viel Eis und Zitrone im Gegensatz dazu fast so gut schmeckt wie Gin Tonic und zu dem viel billiger ist. Ich gab auch dadurch weniger aus, dass ich mir das Geld für Clubeintritte und überflüssige nächtliche Taxifahrten sparte. Ich hörte auf, durch alkoholbedingten Kontrollverlust Kette zu rauchen und fing an, Sport zu machen. Dabei stellte ich völlig unerwartet fest, dass sonntagmorgens durch den Park zu joggen, fast so schön sein kann, wie nach einer durchfeierten Nacht restalkoholisiert nach Hause zu torkeln.

Als ich ein paar Wochen später schließlich doch einmal wieder mit Freunden feiern ging, musste ich feststellen, dass es niemand bemerkte, dass ich nichts trank. Sie waren selbst viel zu betrunken, um sich dafür zu interessieren, und das erleichterte mich sehr. Manchmal reicht die ansteckend gute Stimmung der Menschen um dich herum, um einen guten Abend zu haben. Betrunkene sind wie kleine Kinder, die einfach zu begeistern sind und mit denen du leicht ins Gespräch kommst, egal ob du dich über Germany's Next Topmodel, Computerspiele oder den Nah-Ost-Konflikt unterhalten willst. Du kannst auch nüchtern mit ihnen eine Menge Spaß haben, bis der Rausch sie irgendwann mit sich fortträgt an einen Ort, an den du ihnen nicht mehr folgen kannst. Bis du müde wirst, dir immer wieder dieselben Geschichten anzuhören, sie dir betrunken ihre Liebe gestehen oder vor die Füße kotzen.

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Foto: York Berlin | Flickr | CC BY-ND 2.0

Alles in allem war ich erstaunt darüber, wie leicht es mir fiel, nichts zu trinken. Manchmal träumte ich von Bier oder starrte minutenlang die Wodkaflasche in meinem Küchenregal an, die dort treuherzig auf schwere Stunden wartete, aber ich rührte sie nicht an. Der Sonntag wurde zum ersten Mal seit Jahren zu einem ernstzunehmenden Wochentag, der Raum für größere Unternehmungen bot, als in Jogginghose den beklagenswerten Weg zum nächsten Kiosk anzutreten. Früher hatte ich nicht viel übrig gehabt für Menschen, die am Sonntag ins Museum, ins Kino oder einfach nur spazieren gingen, und mit einem Mal gehörte ich selbst dazu. Mir kam der schockierende Gedanke, dass das wahrscheinlich damit zusammenhängen müsse, dass ich langsam aber sich alt würde. Und in diesem Moment hätte ich sehr gerne etwas zu trinken gehabt.

Zwei Monate nach Beginn meines Experiments feierte ich meinen Erfolg in einer Bar. Nach der für mich ungewohnt langen Abstinenz reichten ein Bier und zwei Gläser meines traditionellen Gute-Laune-Getränks Rum Cola, um mich angenehm betrunken zu fühlen und anschließend zufrieden ins Bett zu gehen. Während der zwei Monate, die seitdem vergangen sind, habe ich ungefähr einmal die Woche getrunken, allerdings nie exzessiv. Mittlerweile habe ich gelernt, dass man—um ein ausgedroschenes Klischee zu bedienen—auch nüchtern seinen Spaß haben kann, genauso wie man einen schlechten Abend auch dadurch nicht besser macht, dass man aus Verzweiflung von Bier auf Long Island Iced Tea umschwenkt.

Auf die Gefahr hin, wie ein geläuterter alternder Rockstar zu klingen, der behauptet ayurvedische Kräuterteemischungen würden ihm mittlerweile mehr Spaß machen als Koks, muss ich an dieser Stelle zugeben, dass ein Leben ohne Alkohol seine Vorteile hat. Trotzdem will ich nicht abstinent leben. Ich mag es zu trinken, und ab und zu erfreut mich der Gedanke, dass, wenn ich nach einem langen Tag nach Hause komme, dort zwar keine warme Umarmung, aber wenigstens ein kühles Bier auf mich wartet. Ich mag es, betrunken zu sein, doch inzwischen bin ich nur noch für eine wirklich vielversprechende Party bereit, ein bis zwei Tage körperlichen und seelischen Leidens auf mich zu nehmen.

Ich denke, dass ein echtes Alkoholproblem dort beginnt, wo du weiter trinkst, obwohl du längst weißt, dass es dir keinen Spaß mehr macht. Wenn du, statt deine Freunde in lustigen Partybildern zu markieren, einsame Fotos von dir und einer Flasche Bourbon bei Facebook postest. Oder dann, wenn du vor dem Fernseher mit erhobenem Glas den Helden deiner Lieblingsserien zuprostest, weil sie genauso emotional beeinträchtigte Wracks sind wie du selbst. Wenn du also nicht in absehbarer Zeit in einem 12-Schritte-Programm landen oder jeden weiteren Feierabend deines Lebens in der Eckkneipe deines Vertrauens verbringen willst, denk lieber jetzt darüber nach, deiner Leber und deinem Hirn eine Auszeit zu gönnen. Es ist gar nicht so schwer.


Foto: Southern Foodways Alliance | Flickr | CC BY 2.0