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Was passiert, wenn die USA Syrien angreifen?

Diese Woche wird entschieden, ob die USA und Frankreich in den Syrien-Konflikt eingreifen. Das Traurige daran: ein amerikanischer Eingriff wird das Leid der syrischen Zivilbevölkerung keinen Deut erleichtern, eher im Gegenteil.
Ein syrischer Soldat zielt mit eine AK-47 und trägt dabei eine Gasmaske. (Foto von Unbekannt | Wikimedia | CC BY-SA 3.0)

Ein Syrischer Soldat zielt mit eine AK-47 und trägt dabei eine Gasmaske. (Foto via)

Heute soll der amerikanische Kongress darüber entscheiden, ob Obama einen Militärschlag gegen den syrischen Diktator Baschar al-Assad führen darf oder nicht. Anlass dazu bot ein Giftgasangriff in einem Vorort von Damaskus, an dem die amerikanische Führung der syrischen Armee die Schuld gibt. Vor ein paar Monaten hatte Obama den Einsatz von chemischen Waffen als „rote Linie“ bezeichnet, die nicht überschritten werden dürfe. Irgendjemand hat aber entschieden, trotzdem Giftgas einzusetzen, und jetzt muss eben etwas passieren. Das Traurige daran: ein amerikanischer Eingriff wird das Leid der syrischen Zivilbevölkerung keinen Deut mildern, eher im Gegenteil. Als jemand, der über ein halbes Jahr in Damaskus gelebt und den Konflikt von Anfang an mitverfolgt hat, liegen mir die Syrer natürlich am Herzen. Deshalb werde ich hier versuchen, diese ziemlich verfahrene Situation zu erklären.

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Was Obama vorhat, kann man sich aus den Aussagen seines Vizes Kerry und des Generals Dempsey mittlerweile relativ einfach zusammenreimen. Irgendwann in den nächsten Tagen werden sich im Mittelmeer ein paar Flugzeugträger in Bewegung setzen, die dann über ein oder zwei Tage vor allem Tomahawk-Missiles auf mehr als 50 Ziele in Syrien abschießen werden. Bei den Zielen handelt es sich vor allem um Anlagen, von denen die amerikanische Armee glaubt, dass sie irgendwas mit chemischen Waffen zu tun haben. Dass es sich wirklich nur um eine derart kleine Operation handeln soll, kann man schon daran sehen, dass die Regierung die Kosten nur im zweistelligen Millionenbereich schätzt—selbst die internationale Bombardierungskampagne 2011 in Libyen, das deutlich schlechtere Flugabwehrsysteme besaß als Assad, hat damals über eine Milliarde Dollar gekostet.

Blutverschmierte Fotos von Bashar al-Assad. (Foto von Sunil Patel)

Die USA würden damit in einen Bürgerkrieg eingreifen, der in seiner Brutalität, aber auch in seiner Komplexität, seinesgleichen sucht. Angefangen hatte es mit Demonstrationen im März 2011, die von den Truppen des Präsidenten Baschar al-Assad brutal niedergeschlagen wurden. Assad und die meisten hohen syrischen Funktionäre gehören zur Minderheit der Alawiten, die seit der Machtergreifung seines Vaters Hafez al-Assad 1970 die sunnitische Mehrheit dominiert und unterdrückt. Die Aufstände vor zwei Jahren haben sich also schnell zu einem blutigen Kampf zwischen diesen beiden Konfessionen entwickelt: die Sunniten versuchen als unorganisierte, aber hochmotivierte Rebellen, sich vom Joch der Diktatur zu befreien, während die Alawiten (aus dem schiitischen Spektrum) um Assad die Armee einsetzen, um ihre Macht, im Endeffekt aber auch ihr Überleben zu verteidigen.

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Zusätzlich haben sich auch noch eine ganze Menge anderer Akteure in den Konflikt eingemischt: Assad bekommt Schützenhilfe vom Iran und der libanesischen Hisbollah, die Sunniten von einer stetig wachsenden Zahl von Dschihadisten und al-Qaida-Kämpfern, die aus dem ganzen Nahen und Mittleren Osten zusammenlaufen, um in Syrien teilweise auch ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Der Konflikt hat sich mittlerweile mit über zwei Millionen Flüchtlingen zur größten humanitären Katastrophe des 21. Jahrhunderts entwickelt, und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass er sich in naher Zukunft ändern beruhigen könnte.

Der jetzt von Obama gewollte Einsatz wird diesen Kampf allerdings kaum beeinflussen. Tatsächlich werden diese Bombardierungen, sollten sie wie geplant ablaufen, die Kampfkraft von Assads Armee nur wenig beeinträchtigen. Wenn die syrische Regierung dem heute gestellten Ultimatum der USA nicht Folge leistet—und derzeit sieht es nicht danach aus—wird sie wohl nicht einmal das Arsenal an chemischen Waffen vernichten, wie Dempsey schon jetzt zugibt. Sie werden im Zweifel gar nichts erreichen, außer dass eben ein paar Syrer mehr sterben (ironischerweise sind die Missiles, mit denen die Amerikaner den Einsatz von Giftgas bestrafen werden—um einiges tödlicher als das Giftgas). Und natürlich wird Assad es sich vielleicht überlegen, ob er zukünftig (wieder) Giftgas einsetzen will. Den Preis dafür hätte er ja dann schon bezahlt. Oder er kann sich die Warnung zu Herzen nehmen und seine Armee dazu anhalten, die Sunniten einfach weiter mit konventionellen Waffen zu massakrieren—mit Scuds, Panzern, Artillerie, Kalaschnikows und Äxten—eine Ende der Kämpfe steht nicht in Aussicht.

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Wird die Bombardierung der syrischen Bevölkerung irgendwie helfen? Nein. Zum Ersten weiß man, dass solche Angriffe auf Seiten der Rebellen die Regierung oft zu noch größerer Brutalität gegenüber den Zivilisten provoziert—eine Studie spricht von einem Gewaltanstieg von bis zu 40 Prozent. Zum Zweiten wird die Kampagne höchstens dazu beitragen, dass sich der Bürgerkrieg länger hinzieht, da sie den in Bedrängnis geratenen Rebellen Mut machen und wieder etwas Luft zum Atmen verschaffen wird. Obama und seine Leute haben wiederholt und ausdrücklich gesagt, dass die Absetzung Assads nicht das Ziel dieser Kampagne sein wird.

Warum also überhaupt eingreifen? It’s the credibility, stupid. Obama hat nun mal dummerweise von den „roten Linien“ angefangen. Wenn er jetzt nicht auch draufhaut, nimmt ihn am Ende überhaupt niemand mehr ernst, vor allem die gefürchteten Iraner nicht. Den Druck erhöhen auch die Medien hierzulande und in den USA, die Obama öffentlich in die bescheuerte Situation bringen, den starken Mann spielen zu müssen.

Es sind vor allem die Interessen der Israelis und der Saudis (die in diesem Konflikt übrigens fröhlich an einem Strang ziehen), die die Amerikaner zu diesem Schritt drängen.

Die Israelis sind überzeugt, dass den Iranern gezeigt werden muss, dass sie amerikanische Drohungen besser ernst nehmen, und die ultra-sunnitischen Saudis finden sowieso alles großartig, was den schiitischen Iranern schadet (eine Schwächung Assads gehört dazu).

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An einem entscheidenden Schlag gegen Assad, der ihn vielleicht stürzen könnte, haben aber tatsächlich weder Israelis noch Amerikaner wirklich Interesse. Im Moment leisten die Feinde Israels nämlich selbst ganze Arbeit, sich in Syrien gegenseitig aufzureiben: Assads Alawiten, unterstützt von der libanesischen Schiiten-Guerilla Hisbollah (von irgendjemandem mal als das „A-Team des Terrors“ bezeichnet), liefern sich einen blutigen Krieg mit aus der ganzen Welt zusammengelaufenen, sunnitischen al-Qaida-Batallionen. Mit den Worten eines ehemaligen israelischen Generalkonsuls: „Sollen sie sich ausbluten, einfach verbluten: Das ist der strategische Gedanke. Solange das andauert, kommt keine echte Bedrohung aus Syrien.“ Auch aus den USA hört man immer wieder Stimmen, die empfehlen, durch Waffenlieferungen und -entzug dafür zu sorgen, dass weder die Rebellen noch die Alawiten die Oberhand gewinnen können.

Das klingt zynisch, deutet aber auf ein Grundproblem des Westens in diesem Konflikt hin: Bei einem hohen Anteil der Rebellen handelt es sich mittlerweile um islamistische al-Qaida-Spinner, sodass man ihnen auf keinen Fall helfen will, in die großen Städte einzudringen, wo sie blutige Rache an den Alawiten und anderen Minderheiten nehmen würden. Also spielen die Amerikaner lieber auf Zeit, um irgendwie eine schlagkräftige Rebellentruppe aufzubauen, der sie vertrauen. Ob das jemals funktionieren wird, steht in den Sternen. Bis jetzt sind die al-Qaida-Leute ziemlich viel erfolgreicher als alle anderen, weil sie erstens disziplinierter sind und zweitens meistens Ausländer, denen die Zerstörung syrischer Städte überhaupt nichts ausmacht.

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Allerdings gäbe es vielleicht noch einen anderen Weg, die Situation in Syrien etwas zu entschärfen: echte Verhandlungen. Leider hat der Westen bis jetzt immer einen Rücktritt Assads zur Grundbedingung für Verhandlungen gemacht. Das geht leider ziemlich an den realen Kräfteverhältnissen in Syrien vorbei—Assad ist noch lange nicht schwach genug, um sich auf etwas einzulassen, von dem er und viele seiner Anhänger glauben, dass es den kollektiven Suizid der alawitischen Minderheit bedeuten würde. Wenn man tatsächlich irgendwann Frieden erreichen wollte, müsste man also zuallererst mit ihm reden—und dann auch mit den Iranern.

Die Iraner glauben, dass sie Assad um jeden Preis an der Macht halten müssen, wenn sie nicht ein von fanatischen Schiiten-Hassern regiertes Syrien in ihrer Nachbarschaft haben wollen. Trotzdem sieht es so aus, als seien sie zunehmend bereit, über eine konstruktivere Rolle in dem Konflikt zu verhandeln. Das würde allerdings bedeuten, dass man sie als regionale Macht anerkennt—und dazu scheint Obama, mit Israel und Saudi-Arabien im Nacken, noch nicht bereit zu sein. Stattdessen scheint er zu glauben, dass eine Bombenkampagne in Syrien die einzige Sprache ist, die in Teheran verstanden wird.

Solange das so ist, wird der Welt nichts übrig bleiben, als dem zunehmend grausamen Konflikt weiter zuzusehen. Es ist noch gar nicht sicher, dass der Kongress Obamas Wunsch nach einer Intervention stattgibt. In jedem Fall aber ist der Friedensnobelpreisträger noch ziemlich weit davon entfernt, irgendwas zu tun, was dem Schlachten in Syrien wirklich ein Ende setzen könnte.

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