Europas polnischer Abgang: Wie sich nordkoreanische Zwangsarbeiter in Polen erklären lassen
Eine der ATAL-Baustellen in Breslau, auf denen Nordkoreaner arbeiten. Ausschnitt aus ,Cash for Kim‘

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Europas polnischer Abgang: Wie sich nordkoreanische Zwangsarbeiter in Polen erklären lassen

Organisierte Ausbeutung, bürokratisches Chaos und politische Ignoranz bis hoch zur EU-Kommission—die Hintergründe zur VICE-Reportage ‚Cash for Kim‘.

Als deutscher Journalist nordkoreanische Zwangsarbeiter zu treffen, ist nicht einfach, aber billig. Die Tankfüllung von Berlin bis zu einer der polnischen Großbaustellen, auf denen Schweißer und Trockenbauer aus Pjöngjang beschäftigt sind, macht keine 40 Euro.

Nordkoreanische Arbeiter—in Polen? Dem in der EU? Die wenigen Berichte, die sich mit der Frage beschäftigen, leiten gern im Brustton der Verblüffung mit dem vordergründig Unglaublichen ein. Tatsächlich kaum zu glauben ist, dass niemand recht zu wissen scheint, wie viele genau es derzeit sind. Das polnische Arbeitsministerium weiß auf Anfrage von VICE lediglich, wie viele Arbeitserlaubnisse ausgestellt wurden. In den Jahren 2010 bis 2015 seien es 1972 gewesen.

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Die jüngst veröffentlichte VICE-Reportage führt über die Wiedergabe polnischer Behörden hinaus. Ausgehend von einem VICE vorliegenden Unfallbericht zum Tod eines nordkoreanischen Schweißers, der 2014 in einer Werft im polnischen Gdingen ums Leben gekommen ist, haben VICE-Filmemacher Sebastian Weis und Manuel Freundt herausgefunden, für welche Unternehmen Nordkoreaner in Polen arbeiten, wie hoch die Löhne sind, die die Arbeiter augenscheinlich zum größten Teil nicht behalten können, und wer bewusst oder unwissentlich—von Nordkorea über norwegische, dänische und britische Auftraggeber—von deren Arbeits- und Lohnsituation profitiert.

Weis und Freundt haben zudem mit nordkoreanischen Arbeitern sprechen können, die abgeschirmt, überwacht und wohl aus Angst vor Strafe eigentlich niemandem Auskunft darüber geben, unter welchen Bedingungen sie in Polen leben und arbeiten—Bedingungen, die 2015 dazu geführt haben dürften, dass dem Asylantrag eines in Polen geflohenen Nordkoreaners stattgegeben wurde. Die Asylbewilligung hat die polnische Ausländerbehörde gegenüber VICE telefonisch mit dem Hinweis bestätigt, den Fall darüber hinaus nicht weiter kommentieren zu wollen, um Nachahmer zu vermeiden.

Im Abgleich mit vertraulichen Unterlagen, die VICE vorliegen, darunter Werkverträge, Auszahlungsbelege, Personenverzeichnisse, Passkopien und Auszüge eines aus Nordkorea herausgeschmuggelten Melderegisters, das die Leitung eines polnischen Unternehmens durch ein hochrangiges Mitglied des nordkoreanischen Militär nahelegt, entwirrt der Film ein Geflecht aus organisierter Ausbeutung, bürokratischem Chaos, behördlichem Desinteresse, politischer Ignoranz bis hin zur EU-Kommission und Arbeitskonditionen, die nicht zuletzt nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Internationalen Arbeitsorganisation Zwangsarbeit genannt werden müssen.

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Die Dokumentation nötigt einem die Frage auf, ab wann man die Existenz nordkoreanischer Zwangsarbeiter in Polen nicht einfach für einen bürokratischen Systemfehler, sondern für Wirtschaftspolitik durch unterlassene Hilfeleistung halten kann—die nicht nur europäischen Unternehmen zu Gute kommt, sondern der Kim-Diktatur an den internationalen Sanktionen vorbei ermöglichen, Devisen nach Nordkorea zu schaffen.

Was konnten wir herausfinden, was wissen wir über Nordkoreaner in Polen und Europa? Hier eine Übersicht.


Warum nordkoreanische Zwangsarbeiter sich in Polen zu Tode schuften können—unsere Reportage ,Cash for Kim':


Nordkoreanische Zwangsarbeiter in Polen: Was wir aus der Recherche wissen

Glaubt man einem ehemaligen nordkoreanischen Gulag-Aufseher wie Ahn Muyng Chul, den VICE für die Dokumentation in Berlin getroffen hat, hat sich die Zahl der Zwangsarbeiter im Ausland seit Kim Jong-uns Machtübernahme im Dezember 2011 mehr als verdoppelt. Laut des jüngsten UN-Berichts sollen es heute weltweit mindestens 50.000 sein, die dem Regime an den internationalen Sanktionen vorbei bis zu 2 Milliarden US-Dollar einbringen.

Seit der polnische Journalist Mikołaj Chrzan 2006 aufgedeckt hat, dass Nordkoreaner in der als Geburtsstätte der Gewerkschaft Solidarność symbolträchtigen Danziger Werft Schiffe gebaut und repariert und auch auf mindestens einer Obstplantage unter Bedingungen geschuftet haben, die an Sklaverei erinnern, scheint zumindest die Zahl der Unternehmen, für die Nordkoreaner in Polen arbeiten, ebenfalls mehr gestiegen als gesunken zu sein.

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Die polnische Nationale Arbeitsinspektion PIP hat VICE gegenüber bestätigt, dass sie im Zeitraum von 2010 bis 2016 insgesamt 14 Unternehmen kontrolliert hat, für die Nordkoreaner zum Kontrollzeitpunkt über Werkverträge oder als Leiharbeiter beschäftigt waren. Wie sich der Aufstellung entnehmen lässt, wurden Nordkoreaner bei den Kontrollen unter anderem im Wohnungs-, Schiffs-, und Möbelbau, in Landwirtschaftsbetrieben, in der Metallverarbeitung sowie im Medizin- und Finanzsektor angetroffen.

Im Kontext: Nordkoreanische Zwangsarbeiter weltweit: Was über Europa hinaus bekannt ist

Bei der Bandbreite an Nachrichten und bunten Meldungen, die das Regime in Pjöngjang seit Jahrzehnten provoziert, kommen einem Zwangsarbeiter aus Nordkorea wie eine Anekdote vor, von der man gefühlt nur schwer sagen kann, ob man sie schon gehört hat oder ob man nur von ihrer Aktualität nicht mehr überrascht wird. Tatsächlich ist nicht neu, dass man Männer und Frauen von Kim Jong-uns Gnaden an vielen Orten außerhalb Europas finden kann. Nordkoreaner gibt es in China, Kuwait, Oman, Libyen, Angola, in russischen Forstbetrieben, auf den Baustellen der FIFA-Fußballtempel in Katar und in mindestens zehn weiteren Ländern in Asien, Afrika und dem Nahen Osten. Laut The Asan Institute for Policy Studies handelt es sich dabei um den Austausch menschlicher Ressourcen, die noch aus Comecon-Zeiten herrührt und Nordkoreaner vermutlich 1967 zum ersten Mal zur Arbeit ins Ausland geführt hat.

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Zu den Einsatzorten der Arbeiter, auf die sich unsere Recherche konzentriert hat, gehören die CRIST- und der NAUTA-Werft in Gdingen und Danzig und die Baustellen des börsennotierten Bauunternehmens ATAL in Breslau und Warschau. Bei den Arbeitsvermittlern sind der polnische Bau-Subunternehmer JP Construct und die Firmen Armex und Alson, die im Zusammenhang mit der polnischen Geschäftsfrau Cecylia Kowalska stehen, in den Fokus geraten. Außerdem das nordkoreanische Staatsunternehmen Korea Rungrado General Trading Corporation, dem von der UN unter anderem der Schmuggel von Scud-Raketenteilen nach Ägypten vorgeworfen wird.

VICE-Host Sebastian Weis und PIP-Arbeitsinspektor Tomasz Rutkowski vor der CRIST-Werft in Gdingen.

Was sind das für Unternehmen, wer sind die Arbeiter und wie kommen sie legal an Arbeit, obwohl polnische Behörden selbst davon ausgehen, dass diese unter ausbeuterischen Bedingungen im Land leben und arbeiten? Auf keine dieser Fragen gibt es befriedigende Antworten. Das fängt bereits in den Geschäftszimmern polnischer Regierungsstellen an.

Die Bürokratie: Wie Nordkoreaner legal an Arbeit in Polen kommen

Im ersten Schritt festhalten kann man, dass nordkoreanische Arbeiter es gar nicht immer legal tun. Laut des Koordinators der rechtmäßigen Beschäftigung von Ausländern der Nationalen Arbeitsinspektion, Jaroslaw Cichon, wurde das Beschäftigungsverhältnis nordkoreanischer Staatsbürger in den letzten 7 Jahren in 377 Fällen überprüft. In 77 hat die Behörde illegale Beschäftigung festgestellt. Nach Cichon sind Arbeiter im Bezug auf die Arbeitsbedingungen in die Irre geführt worden, haben ohne Vertrag gearbeitet, Arbeit verrichtet, die vertraglich nicht vereinbart war, und ihren Anspruch auf Ruhe- und Urlaubszeiten nicht wahrnehmen können.

Davon unberührt ist es in Polen einfach, Nordkoreaner legal für sich arbeiten zu lassen. Nach Recherchen von Newsweek Polska, die in einem Artikel vom November 2015 einen Vermittler für nordkoreanischer Arbeitskräfte zitiert (nicht online verfügbar), folgt die Vergabepraxis einer abstrusen Logik: Könne ein Unternehmen oder privater Arbeitsvermittler belegen, dass auf dem Arbeitsmarkt etwa keine Schweißer mit Koreanisch-Kenntnissen zu finden seien, können Arbeitserlaubnisse für Ausländer beantragt werden, die diese Anforderung erfüllen. Warum Schweißer in Polen Koreanisch können müssen, scheint bei der Erlaubnisvergabe weder geprüft noch hinterfragt zu werden.

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Im Kontext: Warum in Malta von sklavenartigen Zuständen die Rede ist

Dass es in einem EU-Mitgliedstaat nordkoreanische Arbeiter gibt, ist für sich genommen keine Sondermeldung mehr. Wenig beachtet, aber hinreichend belegt ist, dass Polen mit seinen Nordkoreanern in Europa nicht alleine ist. Maltas Regierung hat durch die Blume bestätigt, dass im Inselstaat sowohl auf dem Bau als auch in mindestens einer Textilfabrik Nordkoreaner arbeiten. Weiter ins Detail gehen wollte der zuständige Minister für Inneres und Nationale Sicherheit Carmelo Abela weder im Europamagazin-Interview noch zu einem anderen Zeitpunkt. Maltesischen Zeitungen zufolge könnte das unter anderem mit verhafteten Fabrikgeschäftsführern und Katrine Camillieri zu tun haben. Die Anwältin vertritt einen Mann aus China und neun Vietnamesen, die in besagter Textilfabrik unter Extrembedingungen 14 Stunden täglich, 14 Tage am Stück gearbeitet haben sollen, es im Gegensatz zu den nordkoreanischen Kollegen aber aus der Fabrik heraus in ein Anwaltsbüro geschafft haben.

Jacqueline Sánchez-Pyrc, stellvertretende Büroleiterin des Woiwodschaftsamts Masowien, der Behörde, die für ausländische Arbeiter in der Region um Warschau zuständig ist, wusste VICE gegenüber nicht zu beantworten, warum polnische Behörden in Anbetracht der Berichtslage überhaupt Arbeitserlaubnisse an Nordkoreaner ausstellt. Hingegen bestätigen konnte sie, dass die Behörde ebenfalls nicht wisse, seit wann und wie viele Arbeitserlaubnisse überhaupt an Nordkoreaner ausgestellt werden, da die entsprechende Datenbank erlaube, Nord- und Südkoreaner schlicht als Koreaner zu erfassen.

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Wie bei derlei Trennschärfe die für 2015 ans Arbeitsministerium gemeldeten 346 Arbeitserlaubnisse zustande gekommen sind, weiß das Woiwodschaftsamt allein. Die Gesamtsumme der 1972 Arbeitserlaubnisse, die polenweit an Nordkoreaner vergeben worden sein sollen, kann allein mit der Zahl aus Masowien nur noch das Ergebnis einer Milchmädchenrechnung sein.

Die Zwangsarbeiter: Wie Nordkoreaner in Polen arbeiten

Im Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit von 1930 ist Zwangsarbeit als Arbeit oder Dienstleistung definiert, „die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat." Als weitere Hinweise auf Zwangsarbeit sieht die Internationale Arbeitsorganisation exzessive Überstunden, Lohnbetrug und die Unterbringung in isolierter Umgebung an.

Was unter dem Regime in Pjöngjang Freiwilligkeit bedeutet, ist eine überwältigend ambivalente Frage. Mit welcher kapitalen Strafe Arbeiter womöglich zu rechnen haben, die dem Regime nicht weiter zur Hand gehen wollen, hat Polen, oder zumindest die polnische Ausländerbehörde, 2014 über die Gewährung politischen Asyls für einen der Arbeit entkommenen Nordkoreaner allerdings indirekt anerkannt. Es scheint sich um eine weitere bürokratische Logik zu handeln, dass der Fall ohne Konsequenzen für die Vergabe von Arbeitserlaubnissen geblieben ist.

Im Kontext: Warum Tschechien seit 2006 keine Visa mehr ausstellt
Was mit der Prager Regierung ein EU-Land indes faktisch anerkennt, ist, dass nordkoreanischen Tomatenpflückerinnen, Schweißern und Dachdeckern in Europa mehr als Bußgeldbescheide aus Nordkorea drohen, sollten sie aus der Reihe tanzen. Nach Anhörung des ehemaligen nordkoreanischen Diplomaten Kim Tae San, der mit der Vermittlung seiner Landsleute betraut gewesen war, hat Tschechien 2006 offiziell die Vergabe von Arbeitsvisa an Nordkoreaner eingestellt.

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Laut Kim Seung Cheol, einem der ganz wenigen Nordkoreaner, denen es überhaupt gelungen ist, während des Arbeitseinsatzes im Ausland zu fliehen, steht der Familie eines ungehorsamen Arbeiters die Staatssicherheit ins Haus.Sippenhaft ist in Nordkorea kein Einzelfall. Im Gespräch mit VICE berichtete Kim Seung Cheol, dass sein Sohn und seine Mutter deportiert worden und kurze Zeit später verstorben wären.

Remco Breuker, Professor für Koreastudien an der Universität Leiden und Leiter einer interdisziplinären Forschungsgruppe, die zu nordkoreanischen Zwangsarbeitern in der EU forscht, stellt nüchtern das Bitterstmögliche fest. „Von freiwilliger Arbeit kann nicht wirklich die Rede sein. Alle wollen raus aus Nordkorea. Wie viel schlimmer kann es schon im Ausland sein? Meiner Meinung nach kann es hier keine freiwilligen Handlungen geben. Man versucht zu überleben und meldet sich zum Einsatz im Ausland. Ist das Zwangsarbeit? Ja, ich denke, dafür könnte man bei den meisten Nordkoreanern argumentieren."

„Die freiwilligsten Zwangsarbeiter der Welt": Remco Breuker im VICE-Interview über den Staat, der eine Firma ist

Was Breuker sagt, bestätigen die mündlichen Berichte der Arbeiter, mit denen VICE in Polen sprechen konnte. Mehreren nordkoreanischen Werftarbeitern zu Folge liege die Regelarbeitszeit bei 62 Stunden die Woche. Urlaub, genauer: ein Heimatbesuch sei frühestens nach zwei Jahren möglich, und die Arbeiter würden für 40 Tage nach Nordkorea zu ihren Familien zurückkehren, die sie von Polen aus weder sehen noch sprechen könnten. Danach werde drei weitere Jahre am Stück gearbeitet. Ein Arbeiter, mit dem wir gesprochen haben, ist nach eigener Aussage seit fünf Jahren in Polen.

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Im Wohnungsbau zeigt sich ein ähnliches Bild. Unsere Beobachtungen von Baustellen in Breslau und Warschau legen nahe, dass die Arbeiter dort unter der Woche durchgehend 12 Stunden arbeiten. Das wäre erlaubt, wenn die Arbeiter ihre Überstunden ausgleichen können.

Wie Nordkoreaner in Polen leben

Dass die Arbeiter isoliert, von sogenannten Betreuern mit mutmaßlichem nordkoreanischen Geheimdiensthintergrund überwacht in Gruppenunterkünften leben, hat sich VICE ebenfalls vor der Kamera gezeigt. Nach Aussage eines Arbeiters, mit dem VICE gesprochen hat, teilen sich vier bis fünf Arbeiter ein Zimmer mit jeweils eigenem Bett. Da auch Nachtschichten gearbeitet werden, würden immer zwei bis drei von ihnen im Zimmer schlafen.

Dass die Arbeiter nicht wie ihre polnischen Kollegen wohnen und leben, bestätigt eine weitere polnische Behörde. Der Grenzschutz hat es derNewsweek Polska im November 2015 gegenüber so beschrieben:

„Es handelt sich [bei den Nordkoreanern]um eine abgeschottete Gruppe, die keinen Gebrauch macht von ihrem Recht, sich frei im Land zu bewegen, und alle Aktivitäten […] können ausschließlich unternommen werden […] in der Gegenwart eines Bevollmächtigten, der permanent in Polen lebt und die Rolle eines Betreuers erfüllt."

Ein Interview mit VICE hat der Grenzschutz abgelehnt.

Die Unterkunft nordkoreanischer Bauarbeiter im Nirgendwo Warschaus.

Wie Nordkoreaner in Polen verdienen

Wie Nordkoreaner über alle Branchen, Tätigkeitsfelder und Anstellungsverhältnisse hinweg entlohnt werden, lässt sich nur erahnen. Nach polnischem Recht müssen Ausländer mindestens 70 Prozent dessen verdienen, was Inländer in vergleichbarer Position bezahlt bekommen. Aus VICE vorliegenden Auszahlungsbelegen der Firma Armex geht beispielsweise hervor, dass nordkoreanische Schweißer auf dem Papier 2800 Zloty (rund 630 Euro) brutto und davon 2397 Zloty (rund 540 Euro) bar gegen Unterschrift erhalten haben.

Die Auszahlung erfolgt laut Armex-Geschäftsführerin Kowalska deshalb in bar, weil es für Ausländer in Polen schwierig sei, ein Konto zu eröffnen. Eine der größten polnischen Universalbanken, Bank Pekao, konnte das auf Anfrage nicht bestätigen. Nicht-EU-Ausländer könnten in Polen mit den entsprechenden Papieren ein Konto führen.

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Einer der nordkoreanischen Arbeiter, mit denen VICE sprechen konnte, war sich indes nicht sicher, wie viel er verdient. Wie hoch der Stundensatz sei und wie viel ihm genau zustehe, sei ihm nicht bekannt, unter anderem, weil noch Kosten für Kleidung und Unterhaltskosten abgezogen würden, deren Höhe ihm ebenfalls unbekannt sei. Seinen Lohn erhalte er nicht direkt auf die Hand, sondern lasse ihn „bei meiner Firma" hinterlegen. Vor der Rückkehr nach Nordkorea bekäme er das Geld ausgehändigt. Wenn er es selber hätte, wäre es möglich, dass er es verliere. Auf die Frage, ob er überhaupt kein Bargeld besitzt, antwortete der Mann, dass er auf dem Weg zur Arbeit und zurück keines brauche. Essen werde gestellt. Der Name „meiner Firma"? Ein Geheimnis. Ob er seinen Lohn später abgeben müsse, dürfe er nicht beantworten.

Wie Nordkorea an seinen Arbeitern in Polen verdient

Unabhängig davon, ob in bar gezahlt oder Lohn auf ein Konto überwiesen wird—nach VICE-Recherchen kann von polnischen Banken problemlos Geld auf nordkoreanische Konten transferiert werden—die UN und Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass nordkoreanische Arbeiter im Ausland bis zu 90 Prozent ihres Lohns nicht behalten können.

Die European Alliance for Human Rights in North Korea (EAHRNK) hat für einen entsprechenden Bericht mit Nordkoreanern gesprochen, die dem Regime entkommen sind. Aus deren Erzählungen geht hervor, dass Bauarbeiter mit der längsten Dienstzeit 250 bis 370 US-Dollar (rund 220 bis 330 Euro) monatlich verdienen. Neulinge bekämen die Hälfte. In der Landwirtschaft, in Apfelgärten etwa, wären es 70 US-Dollar (60 Euro). Gearbeitet werde 6 Tage die Woche, 12 Stunden am Tag. Obwohl europäische Unternehmen pünktlich zahlen würden, käme es vor, dass Arbeiter erst mit einem Jahr Verzögerung Geld erhielten, da die nordkoreanischen Arbeitsvermittler zunächst einen Tribut an Pjöngjang zu entrichten hätten und erst dann einen Rest an die Betreuer der Arbeiter weitergeben, die diesen dann verteilen würden. Die Arbeiter würden im Gegensatz dazu den Erhalt von rund 1200 US-Dollar (1060 Euro) quittieren.

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Urlaub sei erstmals nach dreieinhalb Jahren möglich. (Einer der nordkoreanischen Arbeiter, mit dem VICE sprechen konnte, hatte von mindestens zwei Jahren gesprochen) Wer nicht fahre, bekäme den Urlaub mit 500 bis 600 US-Dollar (440 bis 530 Euro) bar ausbezahlt. Sollte etwas Unvorhergesehenes passieren, einen Todesfall in der Familie etwa, sei keine Heimfahrt möglich.

Welche Nordkoreaner sich in Polen ausbeuten lassen dürfen—und wollen

Nordkoreaner stellen unter den geschätzt 880.000 Zwangsarbeitern in Europa eine besondere Gruppe da. Nicht, weil sie es der Arbeiterlandverschickung sei Dank aus dem totalitären Einparteienstaat rüber in eine der europäischen Parlamentsdemokratien geschafft haben, um sich dort ausbeuten zu lassen. Sondern weil Ausbeutung im Ausland die beste Chance auf ein besseres Leben ist, die sie und ihre Familien haben. Laut CIA World Factbook liegt die Lebenserwartung nordkoreanischer Männer bei 66,26 Jahren, fast 11 Jahre niedriger als bei den südlichen Nachbarn. Drei Viertel aller Nordkoreaner gelten nach wie vor als unterernährt. Im Ausland gibt es drei Mahlzeiten am Tag.

VICE Video: Nordkoreanische Zwangsarbeiter, die nicht mal wissen, dass sie in Russland sind

Rim Il, ein Nordkoreaner, der 1996 nach Kuwait geschickt wurde, fliehen konnte und heute für NK Watch über die Situation weltweit aufmerksam macht, ist nicht nur wegen der Arbeitsumstände geflohen, sondern auch, weil er nie wieder nach Nordkorea zurückkehren will. Seiner Aussage nach ist das Auswahlverfahren für potenzielle Auslandsarbeiter streng: Man dürfe fünf Jahre lang kein Parteitreffen verpasst haben, müsse linientreu und nicht vorbestraft sein, zwei Kinder haben, Männer verheiratet sein, die Ehe nachweislich stabil. Von hundert Bewerbern schaffe es einer über die Zwangsarbeit im Ausland raus aus Nordkorea.

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Die Unternehmen: Für welche Art Firmen Nordkoreaner in Polen arbeiten

Neben Firmen wie Armex, die Gruppen nordkoreanische Arbeiter auf Grundlage eines Dienstleistungsvertrags an die CRIST-Werft verleiht, in der 2014 der Schweißer auf tragische Weise ums Leben gekommen war, Alson, deren Nordkoreaner für die NAUTA-Werft arbeiten, in der ein Versorgungsschiff gebaut wurde, das für einen britischen Offshore-Windpark gedacht ist, und in deren Gdingener Dockanlage ebenfalls 2015 das französische Minenjagdboot Éridan repariert und für das NATO-Übungsmanöver BALTOPS 2015 vorbereitet wurde, können in Polen Arbeiter direkt über nordkoreanische Staatskonzerne gemietet werden.

VICE liegen Dokumente der Arbeitsinspektion von 2013 bis 2016 vor, die belegen, dass etwa die Korea Rungrado General Trading CorporationSchweißer an Cecylia Kowalskas Firma Armex entsendet hat, die in der CRIST-Werft arbeiten.

Ich weiß, wie es in [Nord-] Korea ist. Aber ich mische mich nicht in die Politik ein. Das ist die Aufgabe des Staates

Das nach dem größten Stadion der Welt benannte Unternehmen untersteht direkt der nordkoreanischen Arbeiterpartei unter Kim Jong-un und existiert nach VICE vorliegenden Unternehmensbroschüren seit 1973. In einem umfassenden Bericht vom Februar verdächtigt die Sachverständigengruppe der UN den Mischkonzern („Mineralwasser, Fischereiprodukte, Perlmuttknöpfe"), neben dem Verleih von Arbeitern weltweit in den Schmuggel von Luxusgütern nach Nordkorea und von Scud-Raketenteilen nach Ägypten verwickelt zu sein.

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Auch auf Baustellen von ATAL, einem der führenden polnischen Bauunternehmen und spezialisiert auf Luxus-Apartmenthäuser, sind nach VICE-Recherchen Bauarbeiter beschäftigt, die über Rungrado entliehen wurden. ATAL war für eine Stellungnahme vor der Kamera nicht verfügbar, teilte aber schriftlich mit, dass nicht ATAL, sondern das Subunternehmen JP Construct die Nordkoreaner beschäftigen würde. Der Geschäftsführer von JP Construct, Mateusz Zbigniew Juroszek, ist der Sohn des ATAL-Vorstandsvorsitzenden Zbigniew Juroszek.

Neben rein polnischen und rein nordkoreanischen Unternehmen, gibt es noch einen dritten Typus von Firmen, über die Nordkoreaner nach Polen kommen. Rechtlich eine polnische GmbH mit Sitz in Danzig, hat Armex- und Alson-Chefin Kowalska zusammen mit zwei Nordkoreanern 2015 eine Firma namens Wonye („Gartenbau") gegründet.

Kang Hong Gu, einer der beiden nordkoreanischen Geschäftsführer, ist nach unseren Recherchen nicht nur rund 25 Kilometer südöstlich von Warschau in einer Tankstelle wohnhaft gemeldet, in der man von dem Mann noch nie etwas gehört hat und die nur wenige Kilometer von den bewachten Feldern und hochummauerten Gewächshäusern des Tomatenzüchters Tomasz Kociszewski entfernt liegt, über deren Nordkoreaner im August 2013 Newsweek Polskaerstmals berichtet hat. Er könnte noch 2004 Kommandeur einer nordkoreanischen Brigade gewesen sein. Ein aus Nordkorea herausgeschmuggeltes Melderegister, das VICE in Auszügen vorliegt, führt nur einen Kang Hong Gu mit dem gleichen Geburtsjahr auf.

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Insgesamt scheint sich Cecylia Kowalska von kritischen Nachfragen nicht sonderlich angesprochen zu fühlen. Im Gespräch mit VICE hält sie für legitim, was auf dem Papier legal ist. „Ich weiß, wie es in [Nord-] Korea ist. Aber ich mische mich nicht in die Politik ein. Das ist die Aufgabe des Staates."

Die nordkoreanisch-polnische Win-Win-Win-Win-Win-Situation

Neben dem UN-Bericht wird Polen in zwei weiteren umfangreichen Studien der Menschenrechtsorganisation EAHRNK und des südkoreanischen ThinktanksThe Asan Institute for Policy Studies vorgeworfen, Nordkorea indirekt dabei zu helfen, sich über die entsandten Arbeiter an den Sanktionen vorbei Devisen zu beschaffen. Für das laut The Economist undemokratischste Land der Welt(2015: Platz 167 von 167) ist die Entsendung von Arbeitern ins Ausland in er Tat ein vierfacher Gewinn.

Erstens: Die Diktatur nimmt geschätzt bis zu 2 Milliarden Dollar jährlich ein.

Zweitens: Sie unterläuft die UN-Sanktionen nicht nur mit der Geldbeschaffung durch Lohnpfändung, die als freiwillige Beiträge für die Partei, Geschenke an den Führer oder Versicherungsabgaben getarnt wird. Sondern auch dadurch, dass sich mit diesen Einnahmen Raketenprogramme, Schmuggeloperationenund Luxuswaren für einen Staat organisieren lassen, der unter Kim Jong-un noch mehr zum Luxus-Ressort für die Hauptstadtelite geworden ist, als er es unter dessen Vater war.

„In meinen Augen ist Nordkorea die weltgrößte illegale Arbeitsagentur", sagt Remco Breuker. „Nordkorea ist nicht wirklich ein Staat. Es gibt nur die Nordkorea- oder Pjöngjang GmbH." Polen ist dabei wohl auch deshalb ein sehr attraktives Geschäftsgebiet für die Kim-Kaste, weil in der EU im internationalen Vergleich die mitunter höchsten Löhne gezahlt werden.

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Drittens: Kim Jong-un kann mit dem Geld die Familien der Arbeiter ernähren—deren Wohlbefinden wiederum ein Druckmittel ist, mit dem sich Arbeiter hervorragend motivieren lassen.

Viertens: Er muss geschätzte 50.000 Männer und Frauen weniger durch Sommer und Winter bringen. Im Ausland ist es weitaus schwieriger, die eigenen Bürger an Hunger sterben zu lassen.

Fünftens gewinnt Polen: über das gesunde Maß hinaus fleißige Arbeitskräfte für Unternehmen und Betriebe und niedrige Lohnstückkosten. Die NAUTA-Werftwirbt entsprechend damit, bei Preisen und Fertigstellungszeiten erwähnenswert konkurrenzfähig und durch die geringen Arbeitskosten der ideale Ort für Reparaturen von NATO-Schiffen zu sein.

Europas polnischer Abgang

Bei allem, was Europa reich macht: Ein Teil dieses Reichtums gründet sich auf die Peripherie, die uns zuarbeitet. Denkt man an Rumänen auf deutschen Baustellen oder an Nordkoreaner auf polnischen, denkt man, dass Menschenrechte und der Schutz vor Ausbeutung ziemlich substanzielle Errungenschaften sind, sollte man annehmen können, dass die mächtigsten Institutionen der Europäischen Union ein natives Interesse daran haben, sich zur dokumentierten Ausbeutung ungewöhnlich weit gereister Männer und Frauen in der Europäischen Union zu verhalten. Zumal im Fall von CRIST und NAUTA das europapolitische Bonbon hinzukommt, dass beide Werften in den letzten Jahren über den EU-Regionalfonds mit insgesamt mehr als 70 Millionen Euro gefördert wurden. Mitunter nicht immer ganz sauber, wie die EU-Kommission festgestellt hat.

Tatsächlich ist es nicht so, dass es auf europäischer Ebene gar kein Interesse an nordkoreanischen Zwangsarbeitern gibt. Abgeordnete im Europaparlament sehen durchaus Handlungsbedarf. Thomas Händel, Mitglied der Fraktion der Linken im Europaparlament und Vorsitzender des Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, reagierte auf die VICE-Recherchen entsprechend ungehalten. „Wir haben klare UN-Konventionen und ILO-Konventionen gegen Sklaverei, die hat meines Wissens auch Polen ratifiziert. Und in sofern ist das ein absoluter Skandal, wenn ein Mitgliedsstaat in der Europäischen Union sich so verhalten würde."

Händel ist nicht der Erste, der mehr zu nordkoreanischen Arbeitern in Polen wissen will. Im Januar 2015 stellte die Europaparlaments-Abgeordnete Kati Piri der Kommission die Frage, ob diese von Vereinbarungen zwischen einem EU-Mitglied und Nordkorea wisse, die die Entsendung von Arbeitern beinhalte—und ob Maßnahmen getroffen wären, die Situation nordkoreanischer Zwangsarbeiter zu verbessern. Die Kommission gab zurück, dass Nordkoreaner in der EU tätig seien und den jeweiligen Gesetzen des Gastlandes unterlägen. Zwangsarbeit sei in allen EU-Mitgliedsstaaten verboten. Eine zweite Anfrage Piris acht Monate später, bei der die Abgeordnete wissen wollte, ob Daten zu Firmen vorlägen, für die nach Piris Informationen 800 Nordkoreaner in Polen tätig seien, beschied die Kommission ebenfalls nüchtern: Man führe keine Aufzeichnungen zu Unternehmen in der EU, die Bürger von Drittstaaten beschäftigen würden.

Genau solche Aufzeichnungen fordert etwa der ehemalige maltesische Botschafter Noel Buttigieg Scicluna. In einem Kommentar vom Januar zu Nordkoreanern auf Malta, die kaserniert 14 Stunden täglich, 14 Tage am Stück gearbeitet haben sollen, weiß Scicluna, was diese Form der Ausbeutung flächendeckend verhindern könnte: unangekündigte Kontrollen auf Grundlage einer Erfassung von Arbeitsvisa und Arbeitserlaubnissen.

Bis dahin hat die EU mit nordkoreanischen Zwangsarbeitern herzlich wenig zu tun. Formal korrektes Verantwortungsoutsourcing wie in Polen.

Mehr zu Nordkorea:

Video: Der VICE Guide to North Korea

Video: Nordkoreanische Arbeitslager in Russland

Video: Mit dem Motorrad durch die DMZ—North Korean Motorcycle Diaries

Christian Petersen-Clausens Fotos vom Alltag in Nordkorea

Und alles andere zu Nordkorea auf VICE