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Was wir von Jenkes LSD-Trip über das deutsche Fernsehen gelernt haben

"Das ist echt irre. Alter, ist das irre. Das sind so Momente, da entstehen auch ganz schnell Religionen draus."
Foto: Screenshot aus der Sendung

"Das ist echt irre", stöhnt Erlebnis-Reporter Jenke von Wilmsdorff, als sein LSD-Trip anfängt zu wirken. "Alter, ist das irre." Als nächstes schießt er ein paar tiefe philosophische Betrachtungen aus der Hüfte: "Nichts, was starr aussieht, ist starr! Das sind so Momente, da entstehen auch ganz schnell Religionen draus." Den Rest seiner "tiefschürfenden Erkenntnisse" (O-Ton von Wilmsdorff) erspart uns ein gnädiger Schnitt zur nächsten Szene—Gott sei Dank, möchte man sagen.

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Das LSD hat von Wilmsdorff für die neue Staffel der RTL-Sendung Das Jenke-Experiment genommen. In früheren Staffeln hat er sich schon mal einen Monat lang jeden Tag betrunken oder fünf Tage Cannabis geraucht, beide Folgen schauten sich sehr viele Zuschauer an. Danach gab es noch ein paar andere Experimente, aber die kamen nicht mehr so wahnsinnig gut an. Was macht man also? Man lässt den Reporter einfach wieder richtig viele Drogen nehmen.

Foto von der 'Das Jenke-Experiment'-Facebook-Seite

"Noch riskanter! Noch extremer! Noch gewaltiger! Noch intensiver!" soll es werden, schreit uns RTL auf einer Werbetafel für die Sendung entgegen. "Ich nehme echt heftiges Zeug", verspricht der Reporter auf einer anderen. Der Sender weckt also gar nicht erst die Erwartung, dass der Zuschauer aus der Sendung irgendwas lernen kann. Das ist aber falsch. Am Ende haben wir nämlich eine ganze Menge gelernt. Nicht über Drogen—dafür aber umso mehr über die Mechanismen des deutschen Privatfernsehens:

1. Das Drogenbild steckt noch in 80ern

Wenn man sich vor der Sendung noch nie mit Drogen beschäftigt hätte, würde man danach folgenden Eindruck haben: Drogen sind einfach mega-extrem. Sie versetzen einen in eine Ekstase, wie sie Menschen eigentlich nie erleben dürften, sie sind einfach total irre, das reine Erlebnis.

Aber gleichzeitig sind sie auch mega-gefährlich! Sie machen dich komplett verrückt oder grauenhaft abhängig. In einem anderen Teil der Sendung besucht der Reporter geflissentlich eine Suchtklinik, wo er die Leidensgeschichte mehrerer drogenabhängiger Frauen betroffen mit "Das ist Psychoscheiß, mal ganz im Ernst!" zusammenfasst. Zur Sicherheit hat von Wilsmdorff deshalb für seinen LSD-Trip auch gleich zwei Fachärzte mitgebracht.

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Totale Ekstase, die man höchstwahrscheinlich mit totaler Zerstörung bezahlt—genau dieses schwachsinnige Bild von Drogen, das die Gesellschaft sich immer noch viel zu oft ausmalt, hat schon sehr viel Unheil angerichtet. Sobald Jugendliche nämlich das erste Mal Drogen nehmen und dann merken, dass sie am nächsten Tag bis auf einen leichten Chemie-Kater immer noch völlig normal weiterleben, laufen sie Gefahr, sich zu überschätzen.

2. Wissen ist nicht geil

So ziemlich alles, was Jenke von Wilsmdorff über LSD zu sagen hat, ist auf dem Niveau von Schulhofgerüchten. Der "Trip" ist eine "Reise", Horrortrips, die Gefahr, "in der Klapse" zu landen—mehr scheint der Reporter tatsächlich nicht über die Substanz zu wissen, über die er selbst mal einwirft, dass sie eine ganze Zeit geprägt habe. Wie genau, fand er dann doch nicht so spannend. Dabei gibt es ja von der zufälligen Erfindung über die geheimen CIA-Experimente bis zu Ken Keseys Mission, die ganzen USA permanent auf LSD zu setzen, so einiges über das Zeug zu erzählen. Aber nicht bei RTL.

3. Ein bisschen Fake muss immer sein

Das LSD, das Jenke von Wilmsdorff nimmt, ist auf jeden Fall echt, und das meiste an seinem Trip ist es auch. (Die Szene, wo er den Arzt mit seinem Sohn verwechselt, löst so heftiges Fremdschämen aus, dass sie nicht gestellt sein kann.) Aber die ganze "Horrortrip-Episode", bei der von Wilmsdorff plötzlich Angst vor den beiden Ärzten bekommt und wegrennt, wirkt arg gestellt.

"Die reden doch über mich!" - "Nochmal lauter, mit mehr Paranoia in der Stimme!"

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Gut möglich, dass einfach irgendein Produzent entschieden hat, dass man eben die ganze Bandbreite abdecken und auch was "Wahnsinniges" zeigen müsse, es dem Reporter aber einfach zu gut ging. Deshalb mussten sich die Ärzte plötzlich mal eben 30 Meter weiter (aber genau im richtigen Winkel zur Kamera) hinstellen und sich über etwas betont harmloses (Mimosen) unterhalten, und von Wilmsdorff musste vorne so tun, als würde er sie plötzlich verdächtigen, über ihn zu sprechen. Kann sein, dass er sich dann wirklich reingesteigert hat, aber insgesamt sieht das irgendwie sehr, sehr fake aus.

4. RTL hat viel zu viel Geld

Was da alles aufgefahren wurde, nur damit der Typ sich mal ein Ticket schmeißen kann! RTL hat außer ihm noch zwei Ärzte und ein mindestens vierköpfiges Dreh-Team nach Portugal geflogen und sie da in irgendeinem Haus mit sehr üppigem Büffet einquartiert. Vielleicht spricht hier nur der nagende Neid des Online-Journalisten, aber hätte man die ganze Kohle nicht besser einsetzen können? Zum Beispiel für eine wirklich gute Dokumentation über Drogen?

5. Aufklärung ist langweilig

Weil jetzt bestimmt eh schon alle schreien: Ja, das ist hier VICE, und ja, wir haben auch schon sehr viele eigenartige Experimente mit Drogen gemacht. Wir hatten mal eine ganze Zeit, wo wir es großartig fanden, Reporter auf LSD irgendwohin zu schicken. Ich habe eben entdeckt, dass wir dafür sogar mal eine eigene Rubrik hatten, die "Auf LSD" heißt. Und natürlich dienten diese Aktionen der Unterhaltung.

Aber wenn wir ernst über Drogen berichten, dann versuchen wir, sie weder zu verherrlichen noch zu verteufeln. Wir geben uns Mühe, ein ehrliches Bild davon zu vermitteln, wie sich verschiedene Drogen auf das Leben von Menschen auswirken. Und manchmal ist es eben auch nur Unterhaltung. Wenn eine Frau bei uns darüber schreibt, wie sie mal ihre Vagina mit THC-Gleitgel stoned gemacht hat, dann wisst ihr wahrscheinlich ziemlich genau, worum es dabei gehen wird.

Das Problem beim "Jenke-Experiment" ist, dass es reine Unterhaltung ist, aber gleichzeitig so tut, als sei es mehr. Von Wilmsdorff nehme "eine journalistisch ungewöhnliche Perspektive ein", prahlt RTL, "um gesellschaftlich relevanten Reizthemen auf den Grund zu gehen". In der ganzen Sendung passiert aber nichts anderes, als dass wir einem ergrauten Tatort-Schauspieler beim Schwitzen, Brabbeln und auf dem Boden Herumkriechen zuschauen, während aus dem Off genau die gleichen müden Drogen-Klischees wiederholt werden, die schon so viel Schaden in der Gesellschaft angerichtet haben. "Man hat schon das Gefühl, jetzt mehr Wissen zu haben als vorher", fasst von Wilmsdorff seinen Trip zusammen. Was Drogen angeht, stimmt das leider nicht.

Danke dir trotzdem, Jenke