FYI.

This story is over 5 years old.

Sex

„Ich bin immer noch richtig abgefuckt“: Die traurige Welt der YouTube-Beziehungen

Ist Liebeskummer weniger schlimm, wenn man damit ordentlich Klicks generiert? Für Leute wie Dagi Bee und Bibis Beauty Palace scheint die Antwort „Ja" zu lauten.

Foto: imago | Future Image

BibisBeautyPalace ist einer der erfolgreichsten YouTube-Channels im deutschsprachigen Raum. Rund 2,8 Millionen Abonnenten verfolgen regelmäßig, wie sich die Lifestyle-Vloggerin Bianca Heinicke vor laufender Kamera schminkt, mal mehr, mal weniger interessante Dinge aus ihrem Leben erzählt oder sich an Social-Media-Challenges beteiligt. Oft dabei: Ihr Lebensabschnittspartner Julian, den sie seit der fünften Klasse kennt. Die beiden führen eine Beziehung, wie sie sich wahrscheinlich der Großteil der jugendlichen Zielgruppe wünscht: Süß, manchmal ein bisschen awkward und, zumindest nach außen hin, ganz unsexuell. Beste Freunde mit Knutschen fürs Instagram-Selfie quasi. Da schadet es auch nicht, dass die YouTube-Stars rein optisch an Barbie und Ken erinnern.

Anzeige

Weil dieses instagramoptimierte Paradies der Harmonie keinen Raum hat für Streit oder die ganz alltäglichen Probleme, die in jeder Partnerschaft auftreten, und weil das selbst für Die-Hard-Fans irgendwann ziemlich langweilig wird, hat sich Bibi diese Woche etwas ganz Besonderes ausgedacht: Sie wird ihren Freund mal so richtig auf die Palme bringen. Mit nölend-enervierender Stimme stellt sie ihm schwachsinnige Aufgaben, macht ihm haltlose Vorwürfe und guckt währenddessen immer wieder neckisch in die heimlich aufgestellte Handykamera. Atemlos können wir verfolgen, wie der zunehmend verzweifelter werdende Julian versucht, die Fassung zu wahren und sich der Situation zu entziehen, und dann schließlich aus der Wohnung flüchtet.

Schockierend! Und die Rechnung geht auf. 300.000 Views hat das „Prank"-Video nur eine Stunde nach seinem Upload (einen Tag später sind es 1,2 Millionen). Dafür kann man schon mal in Kauf nehmen, die eigene Beziehung aufs Spiel zu setzen.

Dass eine öffentlich ausgelebte Partnerschaft ein richtiggehendes Geschäftsmodell sein kann, zeigte bereits das wohl bekannteste Pärchen der deutschsprachigen YouTube-Szene: Dagi Bee und Liont. Ebenfalls mit Followerzahlen im Millionenbereich gesegnet wurden die beiden zu einer Art Blaupause dafür, wie man seine vermeintliche Liebe zueinander möglichst öffentlichkeitswirksam ausschlachtet und vermarktet. Wenn der Hobby-Rapper seine Fans aufforderte, sein erstes Album zu kaufen, saß seine deutlich prominentere Freundin im Hintergrund und winkte ab und an in die Kamera. Statt gegen Geld einfach nur Klamotten in die Kamera zu halten, kauften sie sich Gegenseitig „Outfits" und unterhielten sich anschließend darüber, wie süß und cool sie die ausgewählten Stücke fänden. Dagi Bee spielte die Hauptrolle in den Musikvideos ihres Freundes und verhalf ihm somit zu Aufrufzahlen, von denen manch professioneller Musiker nur träumen kann. Und vor allem dann, wenn die Beiden vermeintlich intime Informationen über ihre ersten Dates und ihre Beziehung auspackten, lief das ganze im Schnitt deutlich besser als irgendein Schminkvideo oder Selfie-Tutorial.

Anzeige

Es ergibt ja auch irgendwie Sinn. Wenn man sein Leben in allen Facetten sowieso schon mit der Internetcommunity teilt, warum sollte man dann vor der eigenen Beziehung Halt machen? Dann taucht der Lebensabschnittspartner eben mal im Hintergrund auf, darf dann unangenehm berührt lächelnd Teil eines „Boyfriend Tag"-Videos werden, macht sich schließlich auch einen eigenen Instagram-Account, einen eigenen YouTube-Kanal, wird zum festen Bestandteil des Internet-Powerpärchen-Narrativs und plötzlich hat man zwei perfekt ineinandergreifende Einnahmequellen und profitiert von der stetig steigenden, gegenseitigen Reichweite. Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage danach, wie authentisch das Ganze bei all der offensichtlichen Inszenierung noch sein kann.

Dabei vergisst man allerdings schnell: Egal wie viel Geld sie mit ihren Internetvideos und Sponsored Content machen, im Grunde sind diese YouTube-Stars junge Menschen, die noch nicht so richtig viel im Leben mitgemacht haben. Und eben aufgrund ihres Alters ist der social-media-affine Vorzeigepartner schnell mal die erste richtige Beziehung, die Bibi und Co. überhaupt hatten. Und wenn das in die Brüche geht, zeigt sich, wie verletzlich dieses ganze Imagegebilde eigentlich ist.

Ein gutes Beispiel dafür, wie so was aussehen kann, sind dann tatsächlich auch Dagi Bee und Liont. Das Ende ihrer vermeintlich perfekten Beziehung verkündeten sie zwei Monate nach der tatsächlichen Trennung in einem YouTube-Video, das mittlerweile 3,5 Millionen Views hat. Wer sich öffentlich liebt, muss sich dann eben auch öffentlich trennen. Das ist man den Fans ja schuldig. Da sitzt das ehemalige Paar, das sich kurz zuvor noch im Rahmen einer „Gang-Tour" vor hysterisch kreischendem Publikum auf der Bühne geküsst hat, unsicher lächelnd nebeneinander und versucht irgendwie zu erklären, warum man sich doch nicht mehr ganz so doll lieb hat, wie man das noch wochenlang suggeriert hatte. Da ist kein Raum für die Gefühle, die man als Person in sich trägt, wenn eine jahrelange Partnerschaft plötzlich beendet ist. Man ist eben nur noch befreundet, wird aber trotzdem noch Videos miteinander drehen. Als müsste man sich bei den Abonnenten dafür rechtfertigen und entschuldigen, dass man sich in Zukunft nicht mehr vor laufender Kamera kindliche Liebesbekundungen zuflüstert. Man muss kein Hardcore-Fan des Webvideo-Pärchens gewesen sein, um das irgendwie traurig zu finden.

Anzeige

Auch in Bibis Prank-Video gibt es einen Moment, an dem alles nicht mehr so harmonisch und lustig ist. An dem es wirkt, als würde die Inszenierung des unzerstörbaren Power-Couples Risse bekommen. Der Moment, in dem der kichernden Protagonistin kurz aufzugehen scheint, dass sie gerade vielleicht wirklich ein bisschen zu weit gegangen ist, ihr Freund endgültig genug hat und tatsächlich für ein paar Tage zu seinem Vater zieht. Hektisch stolpert sie das Treppenhaus nach unten und versucht, ihn noch rechtzeitig abzufangen. Wenn sie es übers Herz bringen würde, die Handykamera beiseite zu legen, wäre sie vielleicht schneller. Aber wer hält das Ganze dann für die Nachwelt fest?

Wie Musik machende YouTuber ihre Fans verarschen.

„OK, Scheiße, Leute. Das war nicht geplant, dass der jetzt einfach abhaut", keucht Bibi in die Kamera und hetzt gerade noch rechtzeitig zum sich öffnenden Fahrstuhl. Vielleicht fragt sie sich in diesem Moment, ob es das jetzt wirklich wert war. Vielleicht denkt sie darüber nach, wie oft das Video auf Twitter geteilt werden könnte. „Veraaaaarscht!", schreit sie ihm (leicht panisch) ins komplett versteinerte Gesicht, um ihm dann wieder den Rücken zuzuwenden und in ihr Handy zu sprechen. Der ganz große Prank muss schließlich angemessen abmoderiert werden. Jetzt, wo alles wieder gut ist. „Ich bin immer noch richtig abgefuckt", darf Julian aus dem Hintergrund noch mal einwerfen, bevor sich halbherzig umarmt wird und das Ganze nach quälend langen zehn Minuten ein Ende findet. Sollten sich die beiden irgendwann vor laufender Kamera trennen, kann man sich zumindest sicher sein, dass sie dafür gerne „einen Daumen hoch" von uns hätten.

Dagi Bee und Liont haben übrigens recht schnell einen Ersatz füreinander gefunden. Erfahren konnten das Fans und Interessierte über romantisch inszenierte Fotos auf Instagram. Wo auch sonst.

Wenn ihr eine YouTube-Beziehung mit Lisa anfangen wollt, schreibt ihr doch mal auf Twitter.