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Der Fight Club für englische Banker

Beim sogenannten „White Collar Boxing" geht es ein bisschen zu wie bei Fight Club, nur dass dabei noch Tausende Zuschauer anwesend sind, die sich gegenseitig ebenfalls die Fresse polieren wollen.

Alle Bilder: bereitgestellt vom Autoren

Beim sogenannten „White Collar Boxing" trainieren junge Büroarbeiter acht Wochen lang, steigen dann in einen Ring und hauen sich gegenseitig ordentlich den Frack voll. Laut der Facebook-Event-Seite hatten Tausende Menschen vor, sich zu diesem Anlass in die Purbeck Hall von Bournemouth zu quetschen, um den über 40 Teilnehmern beim Boxen zuzusehen. Deshalb entschloss ich mich, dort ebenfalls mal vorbeizuschauen, um mir selbst ein Bild zu machen.

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Die Idee für diese Bewegung wird größtenteils dem Gleason's Gym in New York zugeschrieben, wo schon echte Boxlegenden wie Muhammad Ali oder Mike Tyson trainiert haben. Der Besitzer Bruce Silverglade fing damit an, Kämpfe für Wall Street-Mitarbeiter zu veranstalten, und um die Jahrtausendwende herum wurden diese Veranstaltungen immer beliebter.

Das Event im südenglischen Bournemouth wurde von Ultra White Collar Boxing Ltd., dem größten WCB-Veranstaltunsgunternehmen im Vereinigten Königreich, auf die Beine gestellt. In der Gegend wohnen über 4000 Angestellte von JP Morgan und davon nahmen auch viele an der Boxveranstaltung teil. Wenn man also schon immer mal einem Banker auf die Fresse hauen wollte, ohne dafür verhaftet zu werden, dann bot sich einem hier die perfekte Gelegenheit. Trotzdem schien es so, als seien die Leute dort hingegangen, um die gemeinnützige Organisation Cancer Research UK (für die das Ganze auch veranstaltet wurde) zu unterstützen, und nicht nur um dabei zuzusehen, wie sich die Verantwortlichen hinter der Wirtschaftskrise öffentlich die Nasen blutig schlagen.

Der Abend begann früh und endete um Mitternacht. Dabei wurden alle zehn Minuten vier neue Kämpfer in die zwei nebeneinander liegenden Ringe gebracht—das Ganze mutete wie eine Art Fließband für blaue Augen an. Jeder Teilnehmer war angewiesen worden, 20 Eintrittskarten an Freunde zu verkaufen, wodurch eine Atmosphäre geschaffen wurde, die mit der Atmosphäre dieser Firmenläufe vergleichbar ist: Jeder ist da, um seinen Kumpel anzufeuern, wenn der zu sehen ist, und danach geht es für den Rest des Tages quasi sofort in die Kneipe.

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Für den Eröffnungskampf in Ring Eins standen sich zwei Männer mit extra weichen Boxhandschuhen, Kopfschutz und kleinen Bierwampen gegenüber. Es folgten sechs Minuten voller schludriger Haken, Geraden auf wackligen Beinen und kaum vorhandener Ausdauer. Ab und an landete sogar einer von ihnen mal einen Treffer, was den Gegner dann nach hinten taumeln und den Kopfschutz verrutschen ließ.

Im Laufe des Abends wurden die Boxer immer besser und das Publikum immer aggressiver. Eine Flasche flog in hohem Bogen in Richtung eines zehn Meter entfernten Tisches, an dem die Fans irgendeines Konkurrenten saßen. Die Angegriffenen machten sich natürlich sofort auf die Jagd nach dem Übeltäter. Andere gingen auf die Toilette und kamen mit weißen Pulverresten um die Nasenlöcher herum wieder an ihre Plätze zurück.

Im Foyer bewegte sich eine Massenschlägerei von der Arena bis zu den Toiletten, dann wieder zurück und schließlich raus in den Raucherbereich. Das Resultat des ganzen Chaos waren blutüberströmtes Sicherheitspersonal und kreischende Frauen, während sich beide Seiten weiterhin durch das Gebäude traten und dabei wild um sich schlugen sowie Kopfnüsse verteilten.

Draußen hatte sich ein Mann eine schwer blutende Wunde am Kopf zugezogen und stand trotzdem weiterhin mit hasserfüllten Augen da und fluchte vor sich hin. Als ein Freund versuchte, ihn zu beruhigen, wollte er besagtem Freund ebenfalls die Scheiße aus dem Leib prügeln und besprenkelte ihn dabei mit seinem Blut.

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Wer auch immer diesem Typen im Smoking die Wunde verpasst hat, verdient den Titel für den besten Schlag außerhalb des Rings. Beim eigentlichen Wettkampf wäre diese Auszeichnung wohl an Charlie Malyon gegangen. Charlie (auf dem oberen Bild in Blau) stellte sich als der fähigste Boxer heraus: Seine Reaktionen waren wirklich beeindruckend, als er seine Geraden auf den Gegner niederprasseln ließ und ihn mit schnellen, stichelnden Schlägen desorientierte.

Kurz danach standen sich der JP-Morgan-Mitarbeiter Matt und ein Typ namens David gegenüber. Wegen seiner Größenvorteile setzte das Publikum auf Matt—und während der ersten Runde schien es damit auch richtig zu liegen. In der zweiten Runde kämpfte sich David jedoch zurück und sammelte mit seinen Geraden- und Haken-Gewittern Punkte bei den Kampfrichtern. In der dritten Runde hielten dann Vorsicht und Ermüdung Einzug und das Tempo nahm ab—die Folge waren schließlich Grappling und leichtere Schläge anstelle der Alles-oder-nichts-Mentalität der vorherigen Runden. Der Kampf ging schließlich 28-29 für David aus und Matt war deswegen sichtlich enttäuscht.

Schließlich traf ich mich später mit einem wieder bemerkenswert gut aufgelegten Matt und einigen anderen Boxern im Foyer, um mit ihnen über die Veranstaltung zu plaudern.

Matt direkt nach seinem Kampf

VICE: Warum gerade White Collar Boxing?
Matt Elcock, JP Morgan: Ich habe schon immer Kampfsport betrieben und halte mich gerne fit. Vor sechs Monaten habe ich dann mit dem Boxen angefangen—als eine Art persönliche Herausforderung. Als sich mir dann diese Gelegenheit hier bot, dachte ich mir: „Ich könnte das, was ich gelernt haben, doch auch mal wirklich umsetzen."

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Wie hast du dich heute gefühlt?
Ich hatte gemischte Gefühle. Man ist erst voll drauf, dann wieder nicht, dann total erschöpft und schließlich kackt man sich vor Angst fast ein. Nicht ist damit vergleichbar, wenn man darauf wartet, durch diese Tür zu gehen. Furchteinflößender Scheiß!

Du hast mit einen Punkt Rückstand verloren. Was denkst du über das Ergebnis?
Natürlich will hier jeder gewinnen und ich bin auch richtig enttäuscht, dass ich es nicht geschafft habe, aber ich kann hier auf jeden Fall mit erhobenen Hauptes rausgehen. Wir waren auf Augenhöhe, haben uns gegenseitig ordentlich vermöbelt … Das Ganze hätte auch genauso gut andersrum ausgehen können. Die erste Runde gehörte mir, die zweite ihm und die dritte war dann ausgeglichen. Meiner Meinung nach waren meine Technik und meine Fitness besser, aber seine Haken saßen eben genau richtig. Die haben mir ordentlich zugesetzt. Selbst mit Deckung tut das verdammt weh, mein Freund. Richtige Schmerzen! Ich ziehe meinen Hut vor ihm.

Warum gerade White Collar Boxing?
Aran „The AK-47" Kennedy, Deep Motion UK House Events: Ich habe mich angemeldet, nachdem ich durch Twitter von der Veranstaltung erfahren hatte. Ich habe nur „Acht Wochen kostenloses Training" und „Geld für die Krebsforschung sammeln" gelesen und mir gedacht: „Da mache ich doch gerne mit."

Du betrittst in wenigen Minuten den Ring. Wie fühlst du dich?
Nun, ich habe schon immer gesagt: „Es gibt nichts Besseres, als auf die Fresse zu bekommen und dabei Geld für die Krebsforschung zu sammeln."

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Wie wichtig ist dir dabei der Sieg?
Wir haben schon gewonnen, bevor wir überhaupt in den Ring steigen. Aber ja, der Sieg wäre dann natürlich das I-Tüpfelchen. Die 2000 Zuschauer sind jedoch nur aus einem Grund hier, und das ist Cancer Research UK—ein Anlass, der uns alle persönlich betrifft.

Hey Calvin. Was hat dich dazu bewegt, heute hier in den Ring zu steigen?
Calvin Brandon, selbstständiger Hausverwaltungsexperte: Ich wollte schon immer mal Boxen ausprobieren, habe das Ganze aber ständig auf die lange Bank geschoben. Inzwischen bin ich 37 Jahre alt und dachte mir deshalb: „Wenn ich diese Gelegenheit jetzt nicht nutze, dann war's das." Ich habe über 1000 Pfund für die Krebsforschung gesammelt und das fühlt sich echt gut an.

Du hast ja sogar geblutet. Bereust du deine Teilnahme?
Nein, nichts tut weh—das kommt wahrscheinlich erst morgen. Es war ein guter Kampf. Er hat mich zwar vor allem in der ersten Runde oft im Gesicht erwischt, aber ich habe auch ein paar gute Körpertreffer gelandet und am Ende war es dann ein Unentschieden.

Warum gerade White Collar Boxing?
Adam Miyanji, Health-On-Line-Kundenberater: Mein Kollege meinte, dass ich mich anmelde sollte—er hat hier ebenfalls mitgemacht. Ich dachte mir: „Warum eigentlich nicht? Scheiß drauf!" Das hier ist gut für meine Fitness und die beste Sache, die ich je für mich gemacht habe.

Wie erging es dir im Ring?
Ich habe zwar nicht gewonnen, aber immerhin ein Unentschieden herausgeholt und mich an meine Taktik gehalten. Hauptsache mein Adrenalinspiegel ging durch die Decke.

Bist du eher ein Fight Club- oder eher ein Rocky-Typ?
Ich habe versucht, wie ein richtiger Boxer zu kämpfen, aber letztendlich war es dann doch eher wie bei Fight Club. Man kann nichts dagegen machen: Einerseits will man sich zwar an seine Taktik halten, aber wenn sich jemand prügeln will, dann prügelst du dich eben. Wenn dich jemand ins Gesicht schlägt, dann kommt in dir der natürliche Drang hoch, dieser Person ebenfalls ins Gesicht zu schlagen. Das war übrigens mein erster Kampf überhaupt.