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Wer ist die Nonne, die Russland im Syrien-Konflikt die Argumente liefert?

Der russische Außenminister beruft sich auf Verschwörungstheorien einer syrischen Ordensmutter, um die Rebellen zu beschuldigen.

Das Tauziehen um die UN-Resolution, die die Übergabe der Chemiewaffen der syrischen Regierung regeln soll, wird immer skurriler.

Der russische Außenminister Lawrow weigert sich stur, einen Text zu akzeptieren, der Assad mit militärischen Konsequenzen droht, sollte er nicht kooperieren. Entgegen der Schlussfolgerung der UN-Inspekteure, dass nur die Regierung die Giftgasangriffe vom 21. August durchgeführt haben kann, behauptet Moskau steif und fest, die Rebellen seien schuld.

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Dabei scheinen sie sich vor allem auf die Aussage einer syrischen Nonne zu stützen, die den Angriff weder miterlebt, noch sonst irgendeine Qualifikation hat—außer dass sie schon seit Beginn des Konflikts schamlos Propaganda für Baschar al-Assad macht.

Mutter Agnes Mariam de la Croix lebt als karmelitische Nonne im Kloster vom Heiligen Jakob, dem Verstümmelten, circa 80 Kilometer nördlich von Damaskus. Geboren in einem libanesischen Flüchtlingslager, kam sie 1994 nach Syrien, um in dem verlassenen Kloster eine neue Gemeinschaft zu gründen. Zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs hatte Mutter Agnes einmal einen offenen Brief an Assad geschrieben, in dem sie ihn zur Aufklärung einiger Diskriminierungsfälle in syrischen Krankenhäusern aufrief.

Tatsächlich steht sie seitdem treu an der Seite des Präsidenten und tut ihr Möglichstes, um Nachrichten von den Gräueltaten der Rebellen zu verbreiten. Dabei benutzt sie ihre Position als Ordensschwester, um bei christlichen Gruppen im Westen Ängste vor den islamistischen Rebellen zu schüren und schaffte es im Dezember 2012 mit ihren Schauergeschichten von Enthauptungen durch Assad-Gegner sogar in die Daily Mail. Für das Massaker in Hula im Mai 2012, bei dem mehr als hundert Zivilisten—mehr als die Hälfte davon Kinder—getötet wurden, machte sie ebenfalls Rebellen verantwortlich.

Es besteht natürlich kein Zweifel daran, dass es im syrischen Bürgerkrieg tatsächlich immer wieder zu Gräueltaten durch die Rebellen kommt, und dass die meist neutrale christliche Minderheit darunter leidet. Nur instrumentalisiert Mutter Agnes das Leid ihrer Glaubensgenossen, um Regierungspropaganda zu verbreiten und die westliche Berichterstattung als „Atlantik-Goebbels“-Propaganda zu beschimpfen. Der Jesuit Paolo Dall'Oglio, der ebenfalls bis zu seiner Verbannung in Syrien ein Kloster leitete, bezeichnete ihre Äußerungen als „Irrsinn“.

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Wirklich mulmig wird einem, wenn man ihre Rolle beim Tod des französischen Journalisten Gilles Jacquier betrachtet. Jacquier kam im Januar 2012 in Homs unter mysteriösen Umständen ums Leben. Die mitreisenden Journalisten Sid Ahmed Hammouche und Patrick Vallélian veröffentlichten einen langen Bericht, in dem sie die Regierung implizit beschuldigen, sie in eine „tödliche Falle“ gelockt zu haben—um durch Jacquiers Tod andere ausländische Journalisten abzuschrecken. Mutter Agnes war die Organisatorin und Hauptkontaktperson der Journalisten in Syrien. Sie hatte die Reise initiiert, besorgte den Journalisten Visa und sorgte auch für Begleiter, die sie nie aus den Augen ließen und ständig Loblieder auf Assad sangen. Nur für die Reise nach Homs, auf der Jacquier seinen Tod fand, ließ sie sich entschuldigen—tauchte aber bald nach dem Unglück im Krankenhaus auf.

Hammouche und Vallélian beschuldigen die Nonne als „Teil der Inszenierung dieser machiavellistischen Operation“—vielleicht etwas paranoid. Aber ihre Rolle zeigt zumindest, wie eng die Ordensfrau mit der syrischen Regierung zusammenarbeitet, wenn es um die Beeinflussung der internationalen Berichterstattung geht.

Jetzt scheint es, als hätte die emsige Mutter Agnes in Lawrow einen weiteren dankbaren Abnehmer für ihre ‚Analysen’ gefunden. Kurz nach dem Treffen mit seinem französischen Kollegen Fabius am Dienstag mahnte Lawrow, man müsse auch „Online-Quellen“ zur Beurteilung der Schuldfrage in Betracht ziehen—und die Aussage der „Nonnen in einem nahe gelegenen Kloster“.

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Damit bezog er sich auf einen Bericht des Kreml-Organs Russia Today, das ein langes Interview mit Mutter Agnes veröffentlicht hat, in dem sie ihre Sicht auf die Gasangriffe in Ghouta darlegte. Darin erklärt sie, dass sie nach „sorgfältigem Studium“ der Videoaufnahmen zu dem Schluss gekommen ist, dass „die ganze Sache eine abgekartetes Spiel ist. Es wurde im Vorfeld inszeniert und vorbereitet, um die syrische Regierung als Täter darzustellen.“

„Der wichtigste Beweis [dafür] ist, dass Reuters diese Bilder um 6.05 veröffentlicht hat“, sagt sie in dem Interview. „Der Gasangriff soll zwischen 3 und 5 Uhr morgens in Ghouta stattgefunden haben. Wie kann man denn all diese Videos sammeln, mehr als 200 Kinder und 300 Jugendliche an einem Ort versammeln, sie verarzten und vor der Kamera interviewen, und das alles in weniger als drei Stunden? Ist das irgendwie realistisch?“

Wahrscheinlich nicht. Allerdings ist der ursprüngliche Reuters-Bericht auf 6.05 EDT, die New Yorker Eastern Daylight Time, datiert. New York ist sieben Stunden hinter Syrien, damit sind die Bilder zehn Stunden nach dem Angriff entstanden. Aber Mutter Agnes hat noch andere Argumente: In einem Interview mit der 9/11-Verschörungsseite Global Research erklärt sie, sie sei zum Zeitpunkt der Angriffe in Damaskus gewesen—und habe nichts gerochen. Außerdem seien die beschossenen Gebiete sowieso menschenleer gewesen, weil sie von der Regierung schon wochenlang unter heftigen Beschuss genommen worden waren.

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Auf der einen Seite haben wir also den UN-Bericht, der akribisch Munitionsüberreste, Einfallwinkel und Raketenteile untersucht und zu dem Schluss kommt, dass die Rebellen den Angriff nicht verübt haben können.

Auf der anderen haben wir die gütig lächelnde Mutter Agnes Mariam, die ihre 50-seitige Analyse der Angriffe bald auch an die UN schicken will. Dass Lawrow sich ausgerechnet auf sie als Zeugin beruft, macht nicht gerade Hoffnung, dass die Russen ernsthaft bemüht sind, in Syrien eine konstruktive Rolle zu spielen.

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