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Wer trägt die Schuld am Attentat auf Henriette Reker?

„Asylgegner", Pegida und AfD sind sich einig: sie nicht. Und überhaupt: Cui bono?
Foto: Imago/xcitepress​

Am Samstag morgen wurde in Köln die parteilose Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker von einem Neonazi schwer mit einem Messer verletzt. Reker wird weiterhin auf der Intensivstation behandelt und lag noch im künstlichen Koma, als sie mit 52,66% der Stimmen die Wahl gewann. Ihre Ärzte sind optimistisch, dass sie die Folgen des Attentats überleben und sich zumindest körperlich komplett davon erholen wird.

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Den ersten Medienberichten zufolge handelte es sich um einen „geistig Verwirrten" Täter. Bis man hierzulande Neonazis hinter einer Tat vermutet, kann es, wie der NSU bewiesen hat, auch mal zehn Jahre dauern. Am Sonntag wurde gemeldet, dass die Polizei wegen einer Hakenkreuz-Schmiererei auf dem Auto einer türkischen Familie keinesfalls einen ausländerfeindlichen Hintergrund sieht und stattdessen dazu rät, die Schmiererei möglichst schnell zu entfernen, damit die Familie nicht wegen Volksverhetzung belangt wird. Recherchen der Antifa Bonn/Rhein Sieg wurden aber schnell bekannt und belegten, dass der Attentäter Mitglied in der mittlerweile verbotenen rechtsextremen Partei FAP war. Während der Tat soll er „Ich tue es für eure Kinder" gerufen haben und in seiner Vernehmung sagte er: „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg." Mittlerweile schätzt ihn ein Gutachter als voll schuldfähig ein.

Eigentlich ist die Sache also ziemlich klar. Die Galgen werden jetzt zum Einsatz gebracht und der AfD-Politiker, der fordert, dass Politiker „an die Wand gestellt werden" sollen, dürfte sich gehört fühlen.

Martin Niewendick schrieb in etwa genau das in einem Kommentar auf Tagesspiegel.de, was viele der Leser ziemlich empörte und auch die Kommentatoren von PI-News, einem rechtsextremen Blog, der über das Attentat berichtet hatte, waren nicht gerade traurig oder schockiert über das Attentat. Aber ganz wichtig: Die eigene geistige Brandstiftung hat nichts mit irgendwas zu tun! Die Kommentare zeichnen (wie immer) ein extrem unangenehmes Bild Deutschlands.

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Henriette Reker ist selbst schuld

In der Welt von „nicht die mama" wird Deutschland von einer „Welle" marodierender Vergewaltiger und Mörder überrollt. Das stimmt zwar nicht, aber trotzdem sind eben alle Politiker am Ende doch nur „Volksverräter", die daran arbeiten, „das Volk" abzuschaffen. Alleine dadurch, dass Henriette Reker sich entschieden hat, politisch zu arbeiten, ist sie bereits mitverantwortlich. Und hat demzufolge auch nichts anderes verdient.

Die Politik ist schuld

Also wenn Leute sich bemüßigt fühlen, anderen Leuten auf dem Wochenmarkt die Kehle durchzuschneiden, dann sind sie unter gar keinen Umständen selbst dafür verantwortlich zu machen (außer sie sind Muslime, dann schon). Immerhin gibt „Leser_" nicht Reker selbst die Schuld für das Attentat; stattdessen der „irrsinnigen Politik". Man könnte jetzt vielleicht fragen, ob Menschen, die sich offenbar in einem dystopischen rechtsradikalen Roman wähnen, tatsächlich ernst zu nehmen sind. Das Attentat beweist allerdings die Gefahr, die von solchen Sichtweisen ausgeht. Wie tief Rassismus in solchen Menschen verwurzelt ist, zeigt auch der bizarre Motorvergleich, in dem der gute deutsche Otto-Motor von ausländischem Diesel zerstört wird.

Also Pegida hat damit ja überhaupt nichts zu tun und überhaupt muss man sich mit diesen Leuten auch auseinandersetzen

„2010ff" erklärt leider nicht, warum er es nicht akzeptabel findet, Pegida in die Verantwortung für das Attentat zu nehmen. Eine Demo, bei der personalisierte Galgen ohne Beanstandung durch Dresden getragen und bei der „Lügenpresse auf die Fresse" skandiert wird, wirkt dann doch irgendwie gewaltbereit, oder nicht? Und dann ist da die Frage nach der Auseinandersetzung. Es wird nicht ganz klar, inwieweit ein Artikel zum Thema dieser Auseinandersetzung widerspricht. Sind Kritik und die Zusammenführung von Fakten (gewaltverherrlichende Slogans, rassistische Ideologien, ein Attentat von einem Neonazi) konträr zu dieser Auseinandersetzung?

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False Flag! Und überhaupt, Cui Bono?

Der Attentäter kommt natürlich nicht aus den eigenen Reihen. Denn die „besorgten Bürger" werden ja nur von der Politik (aka Volksverräter) und den Medien (aka Lügenpresse) als Rechtsradikale bezeichnet. Das heißt eine „interessierte Seite" muss die Person, die selbstverständlich ein „Irrer" ist, angestachelt haben. „Cui Bono" wird ja in verschwörungsideologischen Kreisen ohnehin immer gerne gefragt. Die Dinge sind ja nie, wie sie scheinen, sondern immer steckt dahinter eine dunkle Macht, die die Weltregierung oder in diesem Fall die Oberbürgermeisterwahl von Köln lenkt. (Spoiler: wahrscheinlich Juden).

Die AfD und Pegida sind doch die eigentlichen Opfer

Nah verwandt mit den Cui-Bono- und False-Flag-Schreiern: der Täter war ohnehin ein „Verrückter". Wenn jetzt ein Zusammenhang zwischen dem geistigen Klima, das von Pegida und AfD mitgeschaffen wurde und einem tatsächlichen Attentat „entdeckt" wird, geht der „Propaganda-Orkan" nieder. Das eigentliche Opfer ist dann nicht mehr Henriette Reker, sondern vielmehr AfD und Pegida. Und überhaupt, zu behaupten, dass Pegida und AfD geistige Brandstifter sind und dass der Attentäter nur das verwirklicht hat, wonach in Kommentarspalten, auf Demos und Pegida-Veranstaltungen seit mindestens einem Jahr gegrölt wird, ist reine Propaganda.

Stefan ist auf Twitter.


Titelfoto: Imago/xcitepress