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„Wer für die Ferien Lehrer wird, tut mir leid”

Wir haben uns mit einer jungen Frau getroffen, die vermutlich den Rest ihres Lebens mit den Produkten eurer sexuellen Unfälle zurecht kommen muss. Dementsprechend ist sie auf Streik eingestellt.

Verständlicherweise wollte Julia weder, dass sie am Foto erkennbar ist, noch, dass ihr richtiger Name im Interview genannt wird. Fotos von VICE

Aktuell vermitteln uns Medienberichte das Gefühl, dass im Beliebtheits-Ranking Österreichs Politiker, Kinderschänder und Lehrer die Verteilung der letzten Plätze unter sich ausmachen. Und noch etwas weiter unten, zwischen prähistorischen Dinosaurierskeletten und Investmentbankern befinden sich die Lehrergewerkschafter, die das unlängst von der Regierung beschlossene, neue Dienstrecht bekämpfen wollen.

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Oberflächlich betrachtet ist die Sachlage recht eindeutig: Auf der einen Seite stehen die Lehrer, die 12 Wochen Urlaub pro Jahr haben und bei denen als AHS Lehrer eine volle Lehrverpflichtung gleichbedeutend mit 20 Mal 50 Minuten pro Woche unterrichten ist, wofür ein Einstiegsgehalt von 2120 Euro Brutto oder noch mehr winkt. Und auf der anderen Seite werden wir seit 2007 von einer Bankenkrise heimgesucht, die sich durch geschicktes Taktieren zur globalen Wirtschaftskrise ausgewachsen und halb Europa an den Rande des Ruins getrieben hat. Als Folge stehen Einsparungen an allen Ecken und Enden an der Tagesordnung und zurecht fragen wir uns, warum neben Investmentbankern und Managern ausgerechnet auch die Lehrer von Kürzungen ausgenommen werden sollen.

Natürlich ist es ganz offensichtlich eine Frage des Neides, die uns nach 12-Stunden-Tagen, den Blick aufs eigene Konto und vor allem in den schönen Sommermonaten, wenn man traurig feststellt, dass auch heuer wieder Resturlaub übrigbleiben und einfach verfallen wird, auf das Hans-im-Glück-Leben der Lehrer blicken lässt. Aber warum haben wir dann noch nicht schon längst unsere McJobs hinter uns gelassen und leben selbst das High-Life zwischen 25 desinteressierten, pickeligen Teenagern, auf deren Todesliste wir gleich hinter Mama und Papa auf Platz 3 stehen könnten?

Ganz einfach! Weil wir uns in solchen Momenten immer daran erinnern, dass der Großteil der Volksschüler begriffsstützige, nervige Zappelphilipps und ausnahmslos alle pubertierenen Jugendlichen die letzten Menschen auf der Erde sind. Bedenkt man dann noch das Ansehen, das Lehrer in der Öffentlichkeit genießen, ist es eigentlich ganz logisch, dass in Österreich ein Lehrermangel herrscht und nur die idealistischsten, gutmütigsten und motiviertesten Menschen sich dazu entscheiden, den Rest ihres Lebens hinterm Katheder zu verbringen. Mit genau so einer Person hab ich mich am Dienstag getroffen. Eigentlich hätte das Interview schon am Montag stattfinden sollen, aber da war der Nachmittag und Abend schon vom Elternsprechtag belegt. Und wenn du die Einleitung bis hierhin gelesen hast, wirst du auch gut verstehen, dass mein Interviewpartner anonym bleiben wollte und Julia nicht ihr richtiger Name ist.

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Julias Bücherschrank.

VICE: Hallo Julia. Du wirst übermorgen gegen das neue Lehrerdienstrecht demonstrieren. „Auf dem Rücken der Schüler”, wie es unlängst sogar auf Ö1 ziemlich polemisch formuliert wurde. Warum bist du dagegen und was würde sich für dich ändern?
Julia: Ich bin Unterrichtspraktikantin, unterrichte zwei Sprachen und hätte momentan mit 17 Unterrichtsstunden eine volle Lehrverpflichtung, weil in einer Fremdsprache jede einzelne Stunde, die ich halte, einen Wert von 1,167 hat. Im neuen Lehrerdienstrecht müsste ich dann aber 24 Stunden unterrichten, ganz unabhängig vom Fach.

Das heißt, es wird nicht mehr zwischen den unterschiedlichen Fächern unterschieden?
Genau. Für eine Turnlehrerin wären das dann wirklich nur die zwei Stunden mehr, von denen geredet wird, weil eine Turnstunde aktuell nur 0,955 wert ist. Ein Drittel mehr Stunden in der Schule zu verbringen, wären für mich auch nicht das größte Problem. Aber damit verbunden sind Vorbereitungsarbeit und Korrekturen. Ich habe aktuell zwei Englischklassen. Wenn ich eine Hausübung gebe, dann habe ich 45 Seiten Hausübung, die ich mit nach Hause nehme. Das ist eine Nachmittagsbeschäftigung. Aber das sind nur zwei Klassen. Ich hätte dann aber bis zu acht.

Also das Problem ist, dass das neue Lehrerdienstrecht nicht zwischen den Fächern unterscheidet, sondern jedes Fach, egal was man macht, gleichwertig ist.
Man muss 24 Stunden unterrichten, ganz unabhängig vom Fach. Natürlich gäbe es dann Zulagen, aber das Ausmaß an Unterrichtsstunden wäre für alle gleich.

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Stimmt es, dass du dann vielleicht auch ein anderes Fach unterrichten müsstest, zum Beispiel Turnen?
Ja, ganz abgesehen davon, dass ich keine Ausbildung dafür habe und nicht die Geschickteste bin, wär das nicht einmal das schlimmste, was mir passieren könnte. Stell dir vor, ich müsste plötzlich eine Mathematik Stunde halten oder Geschichte unterrichten.

Aber das heißt, manche profitieren auch vom neuen Lehrerdienstrecht.
Ich kann nur aus meiner Perspektive sagen, dass ich verlieren würde. Für mich wäre es ganz schlecht. Nicht so sehr wegen dem Geld, sondern weil ich so viel mehr Arbeitsaufwand hätte. Das wird dann logischerweise zu einer Qualitätsminderung führen und das ist der springende Punkt.

Wie viel arbeitest du jetzt zusätzlich zu deinen 9 Stunden Unterricht?
Wenn ich zum Beispiel nicht so viel korrigieren muss und hauptsächlich Vorbereitungszeit habe, kommt auf jede Unterrichtsstunde eine Vorbereitungsstunde. Also insgesamt circa 20 Stunden. Anstrengend wird es dann, wenn Schularbeitenzeit ist. Da reichen schon jetzt 30 Stunden nicht.

Hausübungen, Schularbeiten, Stundenwiederholungen: Julias Schüler werden ordentlich gequält … oder gefördert.

Du arbeitest dann also mehr als 30 Stunden, obwohl du nur 9 Einheiten unterrichtest?
Natürlich bin ich dann manchmal auch im Internet oder checke meine Emails, aber im Endeffekt arbeite ich bis auf einen Tag die ganze Woche und zusätzlich geht ein Tag meines Wochenendes drauf. Am Samstag mache ich nichts, aber am Sonntag muss ich mich vorbereiten. Wenn Schularbeiten anstehen, kann ich das ganze Wochenende vergessen. Während meiner Studienzeit war ich oft unter der Woche fort, aber seit ich unterrichte, ist das komplett unmöglich geworden.

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Wie verbringst du eigentlich deine Ferien?
Jetzt über Weihnachten werde ich drei Schularbeiten korrigieren. Im Sommer mach ich Urlaub, im Idealfall in Spanien oder Großbritannien, weil ich die zwei Sprachen unterrichte. Fortbildungen stehen an. Und ich hab natürlich viel frei. Aber ich brauch das auch um runterzukommen. Als Lehrer ist der Unterricht echt anstrengend! Man muss 50 Minuten durchgehend hochkonzentriert sein. Dann hast du fünf Minuten Pause und du stehst wieder in der Klasse. Freinehmen kann man sich auch nicht.

Macht diese Fortbildung tatsächlich jemand?
Natürlich. Es gibt auch sehr viele positive und motivierte Lehrer, die sich für Fortbildungen interessieren. Viele machen zum Beispiel gerade Fortbildungen im Zusammenhang mit der neuen Matura.

Warum bist du Lehrerin geworden?
Das ist eher passiert, als dass es ein Lebensziel gewesen wäre. Ich wollte eigentlich nie unbedingt Lehrerin werden. Ich war an Sprachen interessiert und das Lehramtstudium hat es mir erlaubt, beide Sprachen miteinander zu kombinieren. Dann habe ich sehr viel Nachhilfe gegeben, habe im Nachhilfeinstitut gearbeitet. Erst in den letzten Jahren meines Studiums habe ich konkret angefangen mit dem Gedanken zu spielen, Lehrerin zu werden.

 Julias Lehr- und Lernlektüre, inklusive The Naked Teacher. Nackt ist man ja vor den Schülern immer.

Woran misst du deinen Erfolg?
Das hört sich fast zu klischeehaft an, aber manche Erfahrungen mit den Kindern sind total gut. Die sind zwar hochpubertär, aber gleichzeitig sehr witzig und manchmal sind sie auch total herzig. Erfolg hab ich dann, wenn sie echt etwas lernen.

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Hast du Problemschüler?
Es gibt einige, die unsichere Vierer haben, aber in meinen Klassen sind keine Schüler, die verhaltensauffällig sind. Klar sind sie manchmal müde und unmotiviert. Aber das versteh ich eigentlich ganz gut, weil ich ja selbst faul und desinteressiert war. Und genau das ist die Herausforderung.

Unterrichtest du anders als die Lehrer, die du damals hattest?
Auf jeden Fall. Ich versuche meinen Unterricht kommunikativer zu gestalten. Die Zeiten, in denen man starr irgendwelche Grammatikübungen ausfüllen musste, sind vorbei. Meine Schüler sollen die Sprache benutzen. Außerdem sind die Lehrer anders. Ich halte mich nicht für die große Professorin, die ihre kleinen Schüler vor sich sitzen hat und ihnen starre Regeln vorgibt.

Warum haben Lehrer so einen beschissenen Ruf?
Viele Leute glauben, als Lehrerin hat man einen Halbtagsjob und das war's. Aber die Wahrheit schaut ganz anders aus. Natürlich gibt es immer noch Lehrer, die sich nicht anstrengen, aber es gibt auch sehr viele motivierte Lehrer.

Auch an deiner Schule?
Also, ich bekomme als Unterrichtspraktikantin nicht so viel mit, aber ich bin mir sicher, dass es welche gibt. Es gibt aber auch das Gegenteil und die Lehrer, die sich engagieren, sind eindeutig in der Mehrzahl.

Kannst du nachvollziehen, dass seit der Witschaftskrise alle—vor allem die Beamte, die immer sehr gut verhandelt haben—im Dienste der Gemeinschaft nachgeben müssen?
Ja, aber dann soll das nicht so verkauft werden, als sei das neue Dienstrecht eine Qualitätssteigerung.

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Dich ärgert, wie es kommuniziert wird, aber weniger Gehalt wäre ok?
Was mir am meisten Bauchschmerzen bereitet, ist, dass ich weitaus mehr und sogar fachfremd unterrichten müsste. Ich glaube einfach, dass die Qualität meines Unterrichts darunter leiden würde, wenn ich ein Drittel mehr arbeiten müsste. Was das Geld betrifft, so ist das nicht so schlimm. Ich komme ja gerade erst aus dem Studium und für meine Verhältnisse ist das viel Geld. Das Gehalt wäre für mich persönlich jetzt nicht so ein großes Ding, aber natürlich wehren sich Berufsgruppen, wenn sie signifikant weniger verdienen.

Bist du selbst Mitglied bei einer Gewerkschaft?
Nein, aber es gibt natürlich eine Gewerkschaft bei uns an der Schule.

Was sagst du eigentlich zur neuen Mittelschule?
Ich habe letztes Jahr in einem Schulversuch unterrichtet. Es war ein Gymnasium mit einer Wiener Mittelschule. Ich finde, dass die Gesamtschule ein gutes Konzept ist. Ich selbst war in einer Hauptschule und nie in einem Gymnasium. Ich bin der Meinung, dass alle Kinder die gleichen Chancen haben und nicht bürgerlichen Kinder auf Grund ihrer Herkunft bevorzugt werden sollten. Es ist immer noch so, dass diese eher Matura machen, als Kinder von Arbeitern, die vielleicht genauso talentiert sind. Deshalb finde ich die Gesamtschule grundsätzlich total unterstützenswert.

Aber?
Aber nur unter Bedingungen, die einen qualitätsvollen Unterricht ermöglichen. Aber das hat jetzt mit dem Lehrerdienstrecht nichts zu tun.

Glaubst du, dass du dein ganzes Leben lang Lehrerin sein wirst?
Ja, wenn ich kein Burnout bekomme. Hahaha. Nein, ich weiß es nicht. In bin sehr gerne Lehrerin. Es war zwar nie meine Vorstellung, aber ich mag diesen Beruf jetzt voll gerne. Anstrengend, aber klasse.

Das hast du jetzt sagen müssen?
Genau.

Ok, letzte Frage: Hast du A Dangerous Mind gesehen?
Nein, aber ich weiß, dass da eine sehr coole Lehrerin dabei war.