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Warum Werner Faymanns Putzwagerl-Foto ziemlich erstaunlich ist und was es über Österreich aussagt

Am 175. Geburtstag der Fotografie hat unser Bundeskanzler ein Foto auf Facebook gepostet, das uns gleich auf mehrere Arten verblüfft.

Foto via Werner Faymanns offizieller Facebook-Seite

Heute auf den Tag genau feiert die Fotografie ihren 175. Geburtstag. Um der Entwicklung von Silberplatten-Positiven mit mehrstündiger Belichtungszeit bis zu Tinder-Selfies vorm Holocaust-Mahnmal gebührend Rechnung zu tragen—und zugleich die Schnelllebigkeit und Vergnügungssucht unserer Zeit zu kommentieren—, hat Bundeskanzler Werner Faymann jetzt seinen besten Social Media-Praktikanten durch die ereignisbefreiten SPÖ-Gänge geschickt und ein Foto für die Ewigkeit (oder für den Facebook-Feed der nächsten 10 Minuten) schießen lassen.

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So lautet der Begleittext: „Ein Bild, das man sonst nicht sieht. Vor genau 175 Jahren kam die Fotografie offiziell auf die Welt. Sie stammt aus bürgerlichen Verhältnissen—und sie dient bis heute dazu, Haben und Nichthaben, Privates und Öffentliches voneinander zu unterscheiden—oder zunehmend auch, um sie zu vermengen.“ Und in der editierten Fassung findet man den Zusatz: „Lesenswert dazu der Artikel in der SZ.“, wenn auch ohne Link (derartige Next-Gen-Spielereien folgen beim nächsten Praktikanten-Update).

Das ist auf relativ viele Arten ziemlich erstaunlich.

Erstens

Weil die „Partei der Arbeit“, wie sich die SPÖ in einem gewagten Selbstbeschreibungs-Spin immer noch nennt, anscheinend Regierungsräumlichkeiten und Putz-Utensilien als die beiden Extrembeispiele für „Haben und Nichthaben“ sieht und damit, eher unfreiwillig, die Think Tanks der Kritiker mit neuem Treibstoff versorgt. Um es in der Sprache heutiger Social Media-Praktikanten zu sagen: #Arroganz #VolksverbundenheitNOT #Volksdiener? #Machtmenschen #Haves&Havenots

Zweitens

Weil unser Bundeskanzler (besonders nach seinem legendärem Pflanzen-Posting) mit so ziemlich jedem anderen, auch nur geringfügig mobileren Motiv ein besseres Zeichen setzen hätte können, um sich und seine Regierung nicht wie einen Haufen Demerol-abhängiger Nervenpatienten wirken zu lassen, die sich statt Zukunftsorientierung und Problemlösung lieber dem Ablichten toter und unpolitischer Dinge verschreiben. Stattdessen höre ich: „Da schau her, ein Putz-Wagerl, wie schön! Grüß Gott!“ Dass man dasselbe Bild auch mit den stundenlangen Belichtungszeiten vor 1839 schießen hätte können, es aber bereits damals niemand gemacht hat, ist selbst schon Zeichen genug.

Drittens

Weil der Posting-Text eine exakte Kopie aus dem Feuilleton der heutigen Süddeutschen Zeitung ist und dieser Umstand in Kombination mit dem Slogan „Die Partei der Arbeit“ und der Motivwahl so viel Ideenlosigkeit ausstrahlt, wie man sie sonst nur von Guttenbergs Doktorarbeit oder einem neuen Song von Macklemore kennt. Faymann-Fans könnten natürlich dagegenargumentieren, dass in der politische Landschaft nicht dieselben Kriterien wie in der Kreativbranche gelten. Und manche Politiker haben die Einfältigkeit von manchen Politikern auch schon damit zu rechtfertigen versucht, dass das Parlament schließlich die Bevölkerung bestmöglich repräsentieren soll—und in der Bim, am Hochofen oder vor dem Caféhaus auch nicht jedes Gehirn vor Einfällen übersprüht. Ich behaupte, das sind dieselben Leute, die sich auch Slogans wie „Die Partei der Arbeit“ einfallen lassen. Im Ernst.

Viertens

Das Äquivalent zu „Rich Kids of Instagram“: Selfie von 1914, Foto via news.com.au

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Weil ein einfaches Selfie von Werner Faymann genauso einfach zu machen gewesen wäre, aber auf einer symbolischen Ebene tausend Mal so viel Selbstreflexion und Aktualitätsbezug ausgedrückt hätte und damit Österreich—wenn auch mit gewohnter Trend-Verzögerung nach Ellens Oscar- und dem Biden/Obama-Selfie—zumindest ein bisschen in die Nähe der sozialmedialen Gegenwart gerückt hätte. Nicht dass Selfies eine völlig neue Sache wären; das älteste stammt sogar noch aus dem Geburtsjahr der Fotografie (wo es allerdings eher zufällig beim Überprüfen des Auslösers geschossen wurde). Das einzige noch ältere sind, wie schon gesagt, Fotos von unbewegten Objekten und Architektur.

Fünftens

Weil das abgebildete Putzwagerl selbst ein Anachronismus ist, wie auch ein „Gebäudereinigungsmeister“ unter dem Faymann-Posting anmerkt, wenn er sagt: „Der heutige Stand der Technik erlaubt ein viel moderneres Aufrüsten der Wägen. Der Wagen schaut trostlos und unmotivierend aus. Das arme Reinigungspersonal!“ Vermutlich liegt irgendwo in dem Umstand, dass eine Arbeiterpartei, der immer wieder schwindende Volksnähe vorgeworfen wird, ausgerechnet ein komplett veraltetes Symbol für Arbeit als vermeintlich volksnahes Fotomotiv auswählt, ein ordentlicher Brocken Ironie begraben. Wer ihn findet, kann gerne versuchen, ihn im Internet gegen Kanyecoins (oder Coinyes) einzutauschen.

Apropos zeitgemäße Fotografie. Foto von Ryan McGinley, via VICE Media

Und damit findet das, was offiziell am 19. August 1839 mit Louis Daguerre begonnen hat, mit Faymanns Praktikant vorerst sein Ende. Wie immer im Fall von historischen Ereignissen sind beide Daten natürlich völlig willkürlich gesetzt und sagen mehr über unser Bedürfnis nach Einschnitten als über sonst was aus—wobei im direkten Vergleich das Putzwagerl eher einen Schnitt mit der Papierkante in der Fingerspalte darstellt.

Aber auch, wenn es wahrscheinlich eher keinen ästhetischen oder entwicklungstechnischen Einschlag nach sich zieht—was ja auch wieder ganz gut zu Faymann selbst passt—, sagt das Facebook-Foto zumindest einiges über fehlende Volksnähe, Ideenlosigkeit und komplette Schockstarre in unserer aktuellen politischen Landschaft aus.

Vielleicht kann man es außerdem sogar irgendwie als Meta-Kommentar zum Zustand unserer sozialen Medien und der Entwicklung der Fotografie insgesamt lesen: Denn das Erstaunlichste daran ist ja im Grunde genommen, dass Faymanns Facility-Management-Foto immer noch nicht das Langweiligste in unserem Facebook-Feed ist.

Markus auf Twitter: @wurstzombie