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Wie Rechtsextreme und Populisten in Europa auf das Paris-Massaker reagieren

Kann Hass wirklich nur zu noch mehr Hass führen?

Lest hier alles rund um den Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris: #JeSuisCharlie

Mittwochvormittag haben Extremisten das Bürodes französischen Satire-Magazins Charlie Hebdo überfallen und dabei 12 Menschen getötet sowie viele weitere schwer verletzt. Laut Augenzeugen riefen die bewaffneten Männer beim Verlassen des Tatorts „Allah ist groß!" und „Wir haben den Propheten gerächt!"

Wie Pegida & Co. damit umgegangen sind und das Attentat instrumentalisieren, haben wir schon aufgezeigt. Doch wir wollten auch wissen, wie es im Rest Europas aussieht und haben unsere internationalen Büros gefragt, wie die rechten und konservativen Parteien des jeweiligen Landes auf das Attentat in Paris reagiert haben.

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FRANKREICH

Marine Le Pen. Foto: blandinelc | Flickr | CC BY 2.0

In ganz Frankreich haben sich insgesamt ungefähr 100.000 Menschen spontan versammelt, um den ermordeten Journalisten und Polizisten zu gedenken. Das tragische Ereignis—man spricht inzwischen vom „dunkelsten Tag in der Geschichte der französischen Presse"—rief bei Charlie Hebdos Schreibern und Lesern, aber auch bei den Trauernden und bei französischen Politikern, viele emotionale Reaktionen hervor.

Die Zentrale der rechtsextremen Gruppierung Bloc Identitaire veröffentlichte auf ihrer Website einen Artikel, in dem Folgendes gesagt wird: „Es ist nicht möglich, Dschihadismus zu bekämpfen, ohne die massiven Einwanderungszahlen und die Islamisierung in Frage zu stellen." Als wir um eine Stellungnahme baten, gab man uns keine Antwort. Das Gleiche war auch bei Égalité et Réconciliation der Fall—die rechtsradikale Gruppierung, die vom stark antisemitisch eingestellten Polemiker Alain Soral angeführt wird.

Bis jetzt hat sich die Front National—Frankreichs größte rechtsextreme Partei—zu den Zwischenfällen noch ziemlich bedeckt gehalten. Damit bleibt sie weiter ihrer politisch korrekten Schiene treu, der sie sich verschrieben hat, als Marine Le Pen ihren Hardliner-Vater als Parteivorsitz ablöste.

In ihrer gestrigen Ansprache redete sie von einem „schrecklichen Anschlag." In einem am Abend veröffentlichten dreiminütigen Video hieß es: „Dieses Attentat basiert auf einer mörderischen Ideologie, die derzeit weltweit Tausende Menschen auf dem Gewissen hat […] Ich sehe mich in der Pflicht zu sagen, dass wir uns aufgrund dieses Attentats gegen islamischen Fundamentalismus aussprechen müssen. Jeder, der das Leben und die Freiheit zu seinen kostbarsten Werten zählt, muss sich mit lauter Stimme gegen islamischen Fundamentalismus erheben."

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Ganz strategisch betonte sie dazu auch noch die Tatsache, dass „hier niemand unsere muslimischen Landsleute mit denen gleichstellen will, die denken, im Namen des Islams töten zu können. Aber auch wenn hier nichts in einen Topf geworfen wird, sollte man trotzdem eine Reaktion zeigen." Während einem Auftritt im französischen Fernsehen sprach sich Le Pen für eine „ Volksabstimmung zur Wiedereinführung der Todesstrafe" aus und fügte hinzu, dass ihrer Meinung nach „eine solche Möglichkeit bestehen sollte." Daraufhin hagelte es wütende Twitter-Nachrichten und die Franzosen bezichtigten sie eines geschmacklosen Versuches, aus den tragischen Ereignissen politisches Kapital zu schlagen. Kurz darauf äußerte sich Le Pen auf Facebook wütend über die Tatsache, dass ihre Partei bei einem „republikanischen Marsch" nicht dabei sein darf, der nächsten Sonntag in Paris stattfinden wird. In ihrer Aussage heißt es, dass die anderen Parteien „es geschafft haben, einen Moment der nationalen Einheit in ein Symbol der Trennung und des religiösen Sektenwesens zu verwandeln."

§

VEREINIGTES KÖNIGREICH

Nigel Farage. Foto von James Turner

Die wichtigste politische Story im gesamten letzten Jahr war der Aufstieg der UKIP (Partei für die Unabhängigkeit Großbritanniens). Ihr Masche ist Hass gegen die EU, hauptsächlich weil unsere Mitgliedschaft Immigranten erlaubt, sich in Großbritannien niederzulassen und Arbeit zu suchen. Sie vertreten noch eine Reihe weiterer reaktionärer Meinungen; ihre Mitglieder sind generell gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, Frauen mit Jobs und Menschenrechte und sie glauben, der Klimawandel wäre ein großer Schwindel.

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Sie sind zwar nicht offenkundig rassistisch, scheinen aber permanent die Notwendigkeit zu verspüren, ihre eigenen Mitglieder wegen rassistischer Bemerkungen aus der Partei zu verbannen, so wie die Rätin, die sagte, sie habe ein „Problem" mit „Negern", weil „mit ihren Gesichtern etwas nicht stimmt". Scheinbar haben sie sich aber noch nie gefragt, weshalb sich solche Leute überhaupt zu dieser Partei hingezogen fühlen.

Nach dem Anschlag war es nur eine Frage der Zeit, bevor Nigel Farage, der zigaretten-und ale-liebende Hey-Ich-bin-nur-ein-ganz-normaler-Typ-Parteichef der UKIP, einen aufhetzerischen Kommentar abgibt.

Am Mittwochabend ist er dann auf Channel 4 News aufgetreten und erklärte sich den Anschlag damit, dass es „in diesen Ländern eine fünfte Kolonne gibt … die unsere Pässe haben und uns hassen". Und vielleicht ist auch ein Funken Wahrheit dran, wenn es um diese Extremisten geht. Die Typen hassen offensichtlich den Westen. Weniger überzeugend ist aber Nigels Theorie, woher dieser Hass kommt: „Man kann [durch diesen Anschlag] diesen riesigen, widerlichen Versuch der Teilung der Gesellschaft im Namen des Multikulturalismus in Frage stellen, den wir in den letzten paar Jahrzehnten beobachtet haben."

Schon klar: All die Nicht-Weißen, Nicht-Christen, die versucht haben, hier zu leben und gleichzeitig eine Verbindung zu ihrer Kultur aufrecht zu erhalten und all die Briten, die das toleriert haben, sollten mal in sich gehen und darüber nachdenken, was sie angestellt haben. Seht euch an, was passiert ist—all diese religionsübergreifenden Gebetsräume an Flughäfen und diese Feierlichkeiten um Ramadan auf Manchesters „Curry Mile" sind irgendwie daran schuld. Mit jedem bewilligten Bauantrag für eine neue Moschee wurde der Anschlag auf Charlie Hebdo immer unvermeidlicher.

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Mit Ausnahme des äußeren rechten Rands wurde Farages Kommentar von allen Seiten schnell verurteilt. In den Augen seiner Anhänger wird das vermutlich aber nur sein Image als einzige öffentliche Figur stärken, die mutig genug ist, „auszusprechen, wie es wirklich ist."

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ITALIEN

Matteo Salvini bei einer Demo in Mailand. Auf seinem T-Shirt steht „Stoppt die Invasion". Foto: Marco Valli.

Kaum hörte man in den Nachrichten vom Überfall auf Charlie Hebdo, begannen Italiens Rechtsextreme damit, ihren Unmut gegenüber der gesamten islamischen Welt zum Ausdruck zu bringen. Matteo Salvini ist dabei der Politiker, der aus der jetzigen Situation die meisten Vorteile schlagen will. Er ist ein Abgeordneter des Europäischen Parlaments, Parteisekretär der fremdenfeindlichen Partei Lega Nord und einer der wichtigsten Partner von Marine Le Pen und der Front National. Nichtmal 24 Stunden nach dem Attentat war Salvini überall im italienischen Fernsehen zu sehen und postete in den sozialen Netzwerken Äußerungen wie „Wir nehmen unsere eigenen Feinde auf". Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, ließ er dazu noch Folgendes verlauten: „Stoppt die Invasion der illegalen Einwanderer, und zwar JETZT!"

Salvinis Behauptung, dass wir unsere eigenen Feinde aufnehmen würden, wurde auch von den rechtsgerichteten Zeitungen aufgegriffen. Libero zeigte zum Beispiel auf der Titelseite einen Screenshot der Hinrichtung des Polizisten—„Das ist der Islam" lautete die dazugehörige Überschrift. Ein weiterer Politiker, der plötzlich auf jedem TV-Sender und in jeder Nachrichtensendung auftauchte, war der in Ägypten geborene Journalist Magdi Cristiano Allam. Er gehörte einst selbst dem Islam an, konvertierte dann aber zum fundamentalistischen Katholizismus. Er hatte Folgendes zu sagen: „Wir müssen gegen das Kernstück der terroristischen Versorgungskette vorgehen: Moscheen, Websites und islamische Schulen."

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Das Massaker wurde von offen faschistischen Bewegungen ebenfalls ausgenutzt. Roberto Fiore, der Anführer von Forza Nova, sagte, dass „das Pariser Attentat ein Teil des Krieges gegen Europa ist. Wir müssen eine adäquate Reaktion folgen lassen." Zu dieser Reaktion gehört laut Fiore „die Schließung der saudi-arabischen und katarischen Botschaften in Europa", denn diese Länder gehören zu den „wichtigsten finanziellen Unterstützern des Islamischen Staates." Wenn es nach Fiore geht, dann sollen auch alle in Europa lebenden Muslime gezählt werden. Abschließend äußerte er den Wunsch, dass auf dem ganzen Kontinent Pegida-ähnliche Bewegungen entstehen sollen. Er fügte noch hinzu, dass „die Tage des nachsichtigen Geredes vorbei sind."

Während ein großflächig angelegtes, gewaltsames Vorgehen gegen Muslime als unwahrscheinlich gilt, könnte diese zunehmende Stimmungsmache trotzdem zu einer Art kollektiver „kultureller" Bestrafung der in Italien lebenden Anhänger des Islam führen. Und das ist offensichtlich das Letzte, was diese Minderheit jetzt braucht—denn sie wird in diesem Land sowieso schon an den Rand gedrängt.

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GRIECHENLAND

Antonis Samaras. Foto: European People's Party | Flickr | CC BY 2.0

Das Blut in der Charlie Hebdo-Redaktion war noch frisch, als eine neue Welle der Xenophobie über Griechenland hinwegrollte. Und weil in drei Wochen die nächsten Wahlen stattfinden, haben viele hiesige Politiker das Massaker als Chance gesehen, ein paar Stimmen abzusahnen.

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Antonis Samaras, Premierminister und Chef der rechtspopulistischen Nea Dimokratia-Partei, hat seine erste öffentliche Rede nach dem Anschlag so begonnen: „Sie sehen, was in Europa passiert: Alles verändert sich drastisch. In Frankreich hat der Sozialist Hollande seine Armee auf die Straßen geschickt […] heute ist in Paris ein Massaker geschehen und manche Menschen [seine Gegner, die linken SYRIZA] laden illegale Einwanderer in unser Land ein und verschenken Staatsbürgerschaften."

Der ehemalige Gesundheitsminister und Abgeordneter der Nea Dimokratia-Partei, Adonis Georgiadis, hat getwittert: „Manche wollten nicht einmal den Zaun zu Eyros." Er bezieht sich auf einen Zaun an der griechisch-türkischen Grenze, der illegale Einwanderer daran hindern soll, nach Europa zu kommen. Ein paar Minuten später hat er noch etwas getwittert: „Der Anschlag auf Paris könnte das Ende der Treuherzigkeit Europas gegenüber dem Islam bedeuten. SYRIZA will die Grenzen öffnen." Viele User waren der Meinung, es sei eine Schande, so ein tragisches Ereignis für politische Zwecke zu nutzen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Islamophobie und Xenpophobie in Griechenland vorherrschen. Griechenland ist für Millionen Immigranten das Tor nach Europa, erlebt gerade einen wirtschaftlichen Zusammenbruch und ist politisch instabil. Es ist offensichtlich, dass gewisse konservative politische Kräfte versuchen, den Ärger und die Angst in der Bevölkerung auszunutzen, um Wählerstimmen zu gewinnen. Beispielsweise hat es die neonazistische Goldene Morgenröte-Partei in nur wenigen Jahren geschafft, ihren Stimmenanteil auf sieben Prozent zu erhöhen.

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Am 25. Januar wird in Griechenland eine der wichtigsten Wahlen in der Geschichte des Landes stattfinden. In den Umfragen ist momentan SYRIZA vorne—umso mehr Grund für konservative und rechtspopulistische Politiker, alle Möglichkeiten zu nutzen, um mehr Stimmen zu bekommen. Selbst vor einem so tragischen Ereignis wird nicht Halt gemacht.

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ÖSTERREICH

Foto: Identitäre Bewegung Österreich

Am Mittwochabend versammelten sich rund 300 Menschen vor der französischen Botschaft am Wiener Schwarzenbergplatz, nur 900 Meter entfernt von unserer Redaktion, um den Familien der Opfer ihr Beileid auszudrücken. Die Menge hatte keine Angst vor islamischen Übergriffen auf heimischem Boden—stattdessen waren die Menschen besorgter um die mögliche Gefahr, die die Anschläge für muslimische Mitbürger in Zukunft bedeuten könnten. Wir sahen eine Frau in Hijab, die von jungen Männern über die Straße geführt wurde, als ob diese sie vor möglichen Angreifern schützen wollten. Eine gewisse Anspannung lag in der Luft.

Obwohl die Menge mit ihren „Je suis Charlie"-Bekundungen vereint war, hätte kaum weniger Konsens darüber herrschen können, was das Massaker nun zu bedeuten hatte und was dagegen getan werden sollte. Neben Sympathiebekundungen von Journalisten und anderen großteils unpolitischen Trauernden hatte sich vor allem auch ein Block aus Mitgliedern der Identitären Bewegung Österreich vor Ort formiert. Einerseits nahmen sie an der stillen Respektkundgebung teil, andererseits wurde daraus ihr ganz eigener Protest gegen die „Islamisierung des Kontinents".

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„Wir sind tief bestürzt über das islamistische Attentat in Paris und erklären unsere Solidarität mit den Angehörigen der Opfer", erzählte uns der Obmann der Bewegung für Österreich, Alexander Markovics. „Gleichzeitig verurteilen wir diesen feigen Anschlag, der 12 Menschen das Leben kostete. Dieses Attentat richtete sich gegen alle Europäer, die sich mit Satire, kritischer Berichterstattung oder politischem Aktivismus gegen die Islamisierung ihrer Heimat wehren. Diese fürchterliche Tat ist die Konsequenz der ‚Vogel-Strauß-Politik' Europas. Während die Anschläge radikaler Islamisten 2014 in Australien und Frankreich noch als Taten verrückter Einzeltäter dargestellt wurden, ist spätestens bei dieser mit militärischer Präzision durchgeführten Operation klar, dass der Islamische Staat in Europa angekommen ist." Seiner Ansicht nach ist es an der Zeit, eine Politik der „Mitmenschlichkeit und Willkommenskultur" abzusagen. „Wenn Islamisten mit Kalaschnikows 12 Menschen kaltblütig hinrichten, ist etwas anderes angebracht—die Verteidigung des Eigenen, eine Politik des Selbsterhalts." Was genau das in Bezug auf Maßnahmen bedeutet, ist unklar. Genau wie der „Krieg gegen den Terror" bleibt auch die „Politik des Selbsterhalts" vor allem ein Slogan.

Währenddessen hielt sich Heinz-Christian Strache von der rechtsextremen Freiheitlichen Partei mit Aussagen zurück und postete auf Facebook nur einen Artikel zum Thema (interessanterweise aus dem eher linken Standard) gemeinsam mit der Botschaft „Aufwachen!", als ob es ihm darum gehen würde, alle Seiten zufriedenzustellen. Leider sagt uns das einiges über den politischen Diskurs in Österreich: Solange man sich nur vorsichtig islamkritisch und latent fremdenfeindlich äußert, ist man damit auf der sicheren Seite. Während Europas Rechte immer mehr Zuspruch erhalten, kommt auch ihre Ideologie zunehmend in der politischen Mitte an.

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In einem anderen Posting äußerte Strache: „Die PEGIDA-Bewegung stößt auf enorme Zustimmung in der Bevölkerung. Immer mehr Menschen verlangen eine klare Trennlinie zum radikalen Islamismus!" In Wahrheit existiert eine solche Trennlinie längst—aber dasselbe gilt leider für das unbestimmte Gefühl von Frustration und Trauer in der Bevölkerung angesichts eines solchen Massakers, das man als Angriff auf unsere Freiheit versteht; von unbekannten Gruppen mit unverstandenen Zielen und noch viel weniger begreiflichen Ideologien. Natürlich gibt es keine einzige Partei in Europa, die Toleranz gegenüber dem radikalen Islam oder islamistischem Terror fordert. Aber die Fakten spielen hier keine Rolle. Es braucht nicht mehr als einen Heinz-Christian Strache und eine Handvoll desillusionierter Identitärer, die nach einer Trennlinie zum Islamismus schreien, um den Menschen einzureden, dass eine solche noch nicht existiert.

DEUTSCHLAND

Deutschland ist bezüglich des Islam-Themas schon seit einigen Jahren gespalten. Eine heute veröffentlichte Studie gibt an, dass 57 Prozent der deutschen Bevölkerung eine skeptische Haltung gegenüber dem Islam einnimmt, und ihn entweder als „gefährlich" oder „sehr gefährlich" einstuft. Diese xenophobe Stimmung war auch der Grund für die Entstehung der Pegida-Bewegung, welche vergangenen Montag 18.000 Demonstranten zu einem Marsch gegen den Islam animierte. Glücklicherweise scheint der Rest Deutschlands unglaublich beschämt über diese Fremdenfeindlichkeit zu sein und verleiht dieser Scham im Rahmen von Gegenprotesten Ausdruck, um Solidarität mit den Muslimen kundzutun. Abgesehen von Dresden sind in allen anderen deutschen Städten die Pegida-Gegner den Anhängern zahlenmäßig überlegen und ziehen somit deren Devise „Wir sind das Volk" ins Lächerliche.

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Wenig überraschend ist, dass Pegida bereits damit begonnen hat, die Hebdo-Attacken in Paris zur Vergrößerung ihrer Anhängerschaft zu nutzen. Genauso wie Erika Steinbach, das armselige Pendant zu Marine Le Pen, die auf Twitter mit zwinkerndem Smiley und schlechtem Humor schreibt, dass es nur erlaubt sei, die katholische Kirche zu kritisieren. Selbstverständlich springen die NPD und andere rechte Extremisten auf denselben Zug auf. Sie verurteilen zwar die Attacken, aber behaupten gleichzeitig auch, sie vorausgesehen zu haben. Frank Franz, Vorsitzender der NPD, meint in diesem Video: „Das, liebe Freunde, ist genau der Zustand, vor dem die NPD seit Jahren und Jahrzehnten warnt. Schluss mit der Islamisierung, Schluss mit der Überfremdung unserer Heimat!".

Der wohl zynischste Aspekt der Reaktionen zu den Hebdo-Attacken ist der Umstand, dass die extremen Rechten bisher keine Gelegenheit ausließen, die Medien als einen Haufen korrupter Propagandisten zu bezeichnen. Diesmal aber nutzen sie eine Attacke gegen die für gewöhnlich als „Lügenpresse" bezeichneten Medien, um ihre rassistischen Absichten zu rechtfertigen.

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DÄNEMARK

Pia Kjærsgaard und ein Gemälde von sich selbst.Mit freundlicher Genehmigung der Dänischen Volkspartei.

Die Attacke auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo hat Dänemark ins Mark getroffen. Schon immer wird das Thema Einwanderung in Dänemark kontrovers diskutiert und vor Kurzem erreichte die rechtspopulistische Dänische Volkspartei in Umfragen ein historisches Hoch. Vor nicht einmal zehn Jahren veröffentlichte die dänische Zeitung Jyllands Posten die 12 Mohammed-Karikaturen, angeblich als Diskussionsbeitrag in der Debatte um Islamkritik und mediale Selbstzensur. Diese Karikaturen haben zu Anschlagsversuchen in Dänemark und zu blutigen Protesten im Nahen Osten geführt.

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Die Ereignisse vom Mittwoch lösten Trauer unter den Dänen aus und führten wenig überraschend zu neuen Debatten darüber, ob es angebracht ist, solche Karikaturen zu veröffentlichen oder nicht. Bei der Debatte um die Karikaturen geht es im Kern um die Frage, ob es sich dabei um Meinungsfreiheit handelt oder um eine Provokation der Provokation willen.

Die Mitbegründerin und frühere Parteivorsitzende der Dänischen Volkspartei, Pia Kjærsgaard, sagte dem dänischen Fernsehsender TV2, dass sie es angesichts der Tragödie in Frankreich für angemessen halte, die Karikaturen neu zu veröffentlichen, um „zu zeigen, wer wir sind" und „dass sich die Dänen nicht einschüchtern lassen." Der Chefredakteur der dänischen Boulevardzeitung BT Olav Skaaning Andersen widersprach dem entschieden und sieht „keine journalistische Notwendigkeit", die Karikaturen noch einmal zu veröffentlichen.

Die Rechten haben die Vorfälle schnell in Verbindung mit religiösen Fanatikern gebracht und behauptet, dass es eine Attacke auf die Meinungsfreiheit war. Der aktuelle Parteivorsitzende der Dänischen Volkspartei, Kristian Thuelsen Dahl, war für eine Stellungnahme nicht erreichbar, aber sein Facebook-Post hinterlässt keine Zweifel:

„Die Attacke auf das Magazin ist zweifellos ein Akt gegen die Meinungsfreiheit und geschieht aus religiösen Gründen. Sie zeigt, dass wir es mit Terroristen zu tun haben, die in ihrem Krieg gegen die Freiheit und gegen die Meinungsfreiheit vor Nichts zurückschrecken […]

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Aber für den Rest von uns bedeutet das, dass die Meinungsfreiheit wieder einmal eingeschränkt wird und dass die Angreifer in ihren Bemühungen erfolgreich sein werden. Dazu darf es niemals kommen! Wir müssen neu darüber nachdenken, wie wir unser Recht auf Freiheit verteidigen können!"

Diese Stimmung fand in den Worten von Pia Kjærsgaard in einem Interview mit der dänischen Boulevardzeitung Ekstra Bladetihren Widerhall. Danach gefragt, ob die momentanen Gesetze solche Grausamkeiten verhindern könnten, antwortete sie: „Es ist möglich, dass wir damit anfangen müssen, andere Methoden zu wählen. Vielleicht müssen wir bei Bedarf auf etwas Anderes zurückgreifen. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass Dänen in Dänemark unter Polizeischutz leben müssen. Wir sind diejenigen, die eingesperrt sind, als ob wir im Gefängnis sitzen."

Das ist alles beunruhigend vage und schwer umsetzbar, wenn man von Selbstjustiz absieht, die nicht gerade bekannt dafür ist, soziale Integration zu fördern. Die Einwanderungsdebatte hier in Dänemark wird für den enormen Aufstieg der Dänischen Volkspartei verantwortlich gemacht und es ist durchaus vorstellbar, dass durch die Tragödie die Agenda der Partei nur noch weiter an Auftrieb gewinnt.

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SPANIEN

Spaniens rechtsextreme Parteien haben (bisher) keinen ernstzunehmenden Einfluss im Land, aber natürlich fühlen sie sich durch den Anschlag auf Charlie Hebdo bestätigt. „Gesellschaften mit vielen Kulturen haben viele Probleme", verkündete Robert Hernando von der Katalanischen Plattform, einer katalanischen rechtsextremen Partei. „Das ist allen klar, außer den Leuten, die an der Macht sind." Hernando sprach gestern Abend bei einer Solidaritätsdemo in Barcelona, bei der auch Vertreter linker Parteien anwesend waren. „Ich schäme mich, auf dieser Demonstration mit Leuten anwesend zu sein, die Komplizen dieser schändlichen Kolonisierung sind, die wir in Europa ertragen müssen. Ich bin es nicht gewohnt, von solcher Heuchelei und solchem Opportunismus umgeben zu sein."

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Manuel Candela, Präsident der Demokratie National, verkündete: „Was gestern in Frankreich passierte, stärkt unsere These nur. Multikulturelle Gesellschaften sind gescheitert. Eine Gesellschaft kann nicht mit ihren Feinden leben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Konflikt zwischen Europa und dem Islam in einem blutigen Krieg endet. Dafür gibt es nur eine Lösung: Die Muslime müssen in ihre Herkunftsländer zurückkehren. EUROPA FÜR EUROPÄER!"

In Spanien gleichen diese rechtsextremen Gruppierungen verrückten Predigern in der Wüste. Die größten politischen Parteien—sogar die gemäßigte rechte Volkspartei, die in der Regierung ist und Millionen in die Verstärkung der Grenze zwischen Spanien und Afrika investiert hat—haben das Massaker nicht öffentlich zu ihrem politischen Vorteil ausgeschlachtet.

Spanien hat eine lange und traurige Tradition, was Terroranschläge betrifft: Im März 2004 starben 191 Menschen bei einem islamistischen Anschlag in Madrid und auf regionaler Ebene streiten wir seit vielen Jahren mit der ETA. Die Antwort auf das Massaker im Büro von Charlie Hebdo war die gleiche wie immer—verurteilen und zusammenstehen.

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POLEN

Demonstration des Ruch Narodowy, April 2014. Foto mit freundlicher Genehmigung von Fisty Photography

Die Karikaturen von Charlie Hebdo haben uns sehr genau vor Augen geführt, in was für einer Welt wir leben, nur eben mit einer zusätzlichen Pointe. Niemand ist unschuldig genug. Niemand ist sicher. Zwölf Menschen mussten wegen der Art und Weise, wie sie ihre Meinung geäußert haben, sterben. Es ist eine Tragödie und wir betrauern die Toten.

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Doch in Polen war der Angriff für einige rechte Parteien wie den Ruch Narodowy nur ein weiterer Grund dafür, die westeuropäischen Staaten anzuklagen, weil sie „tolerieren, dass salafistische Bewegungen entstehen und wahhabitische Moscheen überall auf dem Kontinent gebaut werden". Eine weitere konservative Partei, Kongres Nowej Prawicy, hat allerdings ihre eigenen Probleme: vor zwei Tagen wurde ihr Vorsitzender beschuldigt, zwei uneheliche Kinder zu haben, weshalb sie nicht viel zur Diskussion beizutragen hatten.

Das Leben in Polen geht weiter und die politischen Parteien haben sich nicht wirklich mit dem Angriff in Paris auseinander gesetzt. Nichts hat sich verändert, außer vielleicht meiner eigenen Angst.

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SCHWEDEN

Richard Jomshof. Foto: Riksdagsförvaltningen / The Swedish Parliament Administration

Zum Hintergrund: Bei den letzten Parlamentswahlen in Schweden im September letzten Jahres wurden die rechtsgerichteten SD (Schwedendemokraten) zur drittstärksten Kraft des Landes gewählt und konnten 13 Prozent der Stimmen holen. Die Partei wird meist ausschließlich als einwanderungsfeindlich beschrieben. Doch in Wahrheit vertritt sie mehr als nur diese eine Position. Journalisten wie Niklas Orrenius von der Tageszeitung Dagens Nyheter betonen, dass die SD eine nationalistische Partei auf der Grundlage einer nationalistischen Ideologie ist.

Auf einer Pressekonferenz im Dezember 2014 meinte Richard Jomshof—SD-Abgeordneter und Herausgeber des Parteiorgans SD Kuriren—zu den anwesenden Journalisten: „Wir von der SD sehen sowohl den Islam als auch den Islamismus als eine Gefahr an. Wir halten den Islam für eine äußerst problematische Angelegenheit."

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Über die Weihnachts- und Neujahrsfeiertage kam es in Schweden zu einer Reihe von Brandanschlägen auf Moscheen in Eskilstuna, Eslöv und Uppsala. Auch wenn man über die Motive noch nichts Genaues weiß, sieht es momentan nicht so aus, als wären die Anschläge koordiniert gewesen—mit anderen Worten steckt also mehr als nur ein Täter bzw. eine Tätergruppe dahinter. So oder so sollten sie extrem ernst genommen werden. Während immer mehr Schweden durch den Slogan „Je Suis Charlie" ihre Solidarität zum Ausdruck bringen, wird gleichzeitig deutlich, dass die schwedische Gesellschaft zunehmend auseinanderdriftet. Die steigende Beliebtheit der Schwedendemokraten geht dabei Hand in Hand mit einer Bagatellisierung von islamophobem Gedankengut, das Schweden auf verheerende Weise spalten könnte.

Besonders oft liest man auf der offiziellen Facebook-Seite der Schwedendemokraten folgenden Kommentar: inte förvånad (nicht überrascht). Denn wenn es nach den Schwedendemokraten und ihren Befürwortern geht, war ein solcher Angriff von muslimischer Seite nur eine Frage der Zeit. Grund dafür seien die im Allgemeinen zu laxen Einwanderungsgesetze in Europa. Als eine muslimische Facebook-Userin schrieb, dass ihr die Anschläge so leid tun würden und sie jetzt befürchte, dass man alle Muslime über einen Kamm scheren könnte, waren gleich mehrere SD-Anhänger so frei, ihr folgenden Tipp zu geben: Konvertera till kristendomen—„Tritt zum Christentum über!"

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Und auf der rechtsgerichteten Nachrichtenseite nationell.nu war man geschmacklos genug, darauf hinzuweisen, dass sich der schwedische Regierungschef Stefan Lövfen erdreiste, erst gegen 17 Uhr öffentlich zu dem Anschlag Stellung zu beziehen. Schließlich habe er sich nach dem Brandanschlag auf die Moschee in Eskilstuna fast umgehend zu Wort gemeldet hat. Außerdem bemängelte der Autor auf nationell.nu, dass Lövfens Stellungnahme nicht einmal von muslimischen Tätern sprach und viel kürzer ausfiel als seine öffentliche Verurteilung des Anschlags in Eskilstuna.

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RUMÄNIEN

Die französische Botschaft in Bukarest am Donnerstagmorgen. Foto von Alex Mihăileanu.

Rumänen stellten letzte Nacht und heute früh Kerzen in Gedenken an die Ermordeten bei der Attacke auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo vor dem Gebäude der französischen Botschaft auf.

Eine der ersten politischen Reaktionen auf die Attacke war ein Facebook-Post des rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis, in dem er betonte, dass „demokratische Prinzipien, wie religiöse und ethnische Toleranz sowie Meinungsfreiheit, das Fundament moderner Gesellschaften bilden." Danach verurteilten mehrere Vertreter aus der muslimischen Gemeinde im Fernsehen die Attacke. Glücklicherweise sind Muslime in Rumänien ziemlich gut integriert und es gab seit über 100 Jahren keine Konflikte mit ihnen. Es gibt viele muslimische Geschäftsleute, daneben leitet ein Palästinenser die medizinische Notfallversorgung in Rumänien und einer unserer Gesundheitsminister war palästinensisch.

Unsere extreme Rechte ist sehr unklar. Muslime sind kein Thema, die Rechte ist zu beschäftigt mit den Roma und der LGBT-Community. Dennoch gab es rechtsgerichtete Journalisten, die die Attacke für rassistische Kommentare nutzten. Der libertäre Journalist Lucian Mîndruță postete: „Es grenzt an Selbstmord, Kulturen zu tolerieren, die Kirchen zerstören und Christen umbringen, um in unserem Land Moscheen zu bauen und uns ihre Gesetze aufzuzwingen." Diese Thesen wurden vom rechten Journalisten Dan Tapalagă geteilt: „Mit Todesdrohungen von Kopftuch- oder Turbanträgern oder Zitaten aus dem Koran können sie uns nicht zwingen, anders zu denken."

Es gab überraschenderweise mehr rassistische Reaktionen von christlichen Politikern gegen den französischen Säkularismus, den sie als Grund für die Attacke sehen, als gegen Muslime. Der rumänische Politiker Adrian Papahagi, dessen Partei Mitglied der Europäischen Volkspartei ist, äußerte: „Im säkularen [anti-christlichen] Frankreich ist es populär, sich über heilige Sachen lustig zu machen. Ein Vorwand für das, was bei Charlie Hebdo passiert ist." In dieselbe Kerbe schlug ein weiterer konservativ-christlicher Politiker, Iulian Capsali, auf Facebook: „In Frankreich werden die Christen vom Staat verfolgt, nicht von den Muslimen." Viele Rumänen unterstützen diese Reaktionen, sind sie doch der Meinung, dass die Journalisten bei Charlie Hebdo die französisch-muslimische Community provoziert hätten.

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SERBIEN

Die gestrige Mahnwache vor der französischen Botschaft in Belgrad. Foto von VICE Serbia

Eine Gruppe von Belgradern versammelte sich am Mittwoch vor der französischen Botschaft im Stadtzentrum, um mit Blumen und Kerzen den Opfern des Anschlags zu gedenken. Eine weitere Mahnwache war für gestern Abend geplant, zu der die Organisation der unabhängigen Journalisten aufruft.

Nach mehr als zehn Jahren Krieg am Balkan hat sich die serbische Gesellschaft grundlegend verändert. Die ehemals rechten Extremisten, die schworen, das benachbarte Bosnien ethnisch von Muslimen zu reinigen, sind heute als moderate Pro-Europa-Politiker an der Macht und predigen Toleranz und westliche Demokratie. Die, die dem Nationalismus loyal geblieben sind, werden weitgehend ignoriert und nur dann beachtet, wenn der gemäßigte konservative Premierminister Aleksandar Vucic einen Sündenbock braucht, um unbeliebte Entscheidungen zu rechtfertigen.

Die Wenigen, die das Massaker in Paris auf Social Media oder ihren Websites erwähnten, beschuldigten meist den Westen und den „ungerechten und gnadenlosen" Bombenangriff der NATO auf Serbien im Jahr 1999, mit dem Slobodan Milosevics Durchgreifen gegen die für die Unabhängigkeit kämpfenden Albaner im Kosovo ein Ende gesetzt werden sollte.

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NIEDERLANDE

Geert Wilders und Katze. Foto via Nufoto.nl

In diesen Tagen denkt in den Niederlanden jeder an den Kleinkrieg zwischen Meinungsfreiheit und islamischem Fundamentalismus zurück, der schon zehn Jahre zurückliegt. 2004 wurde der Filmemacher Theo van Gogh von einem muslimischen Extremisten getötet—ein Ereignis, das der Anstoß für eine jahrelange Diskussion über den radikalen Islam war.

In den vergangenen Jahren hat Politiker Geert Wilders, der Chef der Partei für die Freiheit (PVV), den Ton in dieser Diskussion über den Islam angegeben. Er verpackt seine Aussagen in witzige Phrasen und Zitate, die einem in Erinnerung bleiben—so hat er es geschafft, seine islamophoben und Anti-EU-Aussagen in die politische Debatte einzubringen. Wegen seiner extrem populistischen Politik und Strategie kommen seine politischen Gegner nur schwer mit ihm klar.

Seinen Medienauftritt zum Anschlag in Paris hat Wilders mit folgendem Tweet gestartet: „Wann werden es Rutte und andere westliche Regierungschefs endlich verstehen: Das ist Krieg." Während Wilders also den Krieg erklärt, treten seine Gegner für Mäßigung und Frieden ein. Auch lokale muslimische Organisationen wie beispielsweise „Dialog zwischen Muslimen und Regierungen" und die „Kooperation marokkanischer Niederländer" haben den Angriff auf die Charlie Hebdo-Redaktion sofort verurteilt. Sprecher Farid Arzakan hat die Attacke als „schrecklich" bezeichnet und hat um eine vorsichtige Wortwahl gebeten, wenn über die Ereignisse gesprochen wird. „Wir sollten keine Worte wie ‚Krieg' verwenden, das wirkt sehr unpassend."

Nach dem Mord an Van Gogh wurde von Amsterdams Bürgermeister eine Demonstration auf dem Dam-Platz organisiert, bei der die Demonstranten ihre Wut in die Welt schrien. Am Mittwoch haben die Menschen auf dem selben Platz aber ganz ruhig „Je suis Charlie" skandiert und betont, dass sie hier sind, um zu gedenken, nicht um zu demonstrieren. Und dass sie ganz bestimmt nicht gegen Muslime sind.