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Wie ein Stück Pizza nach 25 Jahren einen Serienmörder überführte

Lonnie David Franklin Jr. wurde 2010 für den mutmaßlichen Mord an 10 schwarzen Frauen in South Los Angeles verhaftet. Mehr als 30 Jahre nach Beginn der „Grim Sleeper"-Morde steht er endlich vor Gericht.
Menschen sehen bei LAPD-Ermittlungen am 7. 7. 2010 in Los Angeles über die Polizeiabsperrung | Foto: AP Photo/Chris Carlson

Diane Ware wartet seit fast drei Jahrzehnten auf Gerechtigkeit für ihre Stieftochter Barbara, deren Leiche 1987 in einer Gasse in South Los Angeles gefunden wurde, begraben unter Müll und einem Gastank. Seit Lonnie David Franklin Jr., besser bekannt als der „Grim Sleeper", 2010 verhaftet wurde, hat Ware nach eigener Aussage Hunderte Busfahrten von West Covina nach Downtown Los Angeles gemacht, um bei den Voruntersuchungen zugegen zu sein.

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„Es fängt an, mich ein bisschen mitzunehmen", sagt Ware mir gegenüber.

Ihre Beine und Knie gehen langsam kaputt, doch Ware schleppt sich in Barbaras Namen weiter—und auch im Namen ihres Mannes, der starb, bevor er erfahren konnte, dass seine Tochter zum Opfer eines Serienmörders geworden war. „Er hielt es für nichts als einen weiteren Mord in [dem für Kriminalität berüchtigten Viertel] South Central", erklärt sie.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten, in denen er mutmaßlich die Bewohner von South Los Angeles in Angst und Schrecken versetzt hat, steht Franklin—der damit der am längsten aktive Serienmörder in der Geschichte Kaliforniens wäre—diesen Monat vor Gericht. Der lange Weg, der bis an diesen Punkt geführt hat, war für Polizei und Anwohner gleichermaßen frustrierend. Kritiker des Los Angeles Police Department sagen, sie seien in ihren Ermittlungen faul gewesen, hätten Hinweise nicht verfolgt und die Opfer als unbedeutend abgetan, weil es sich um schwarze Frauen handle, von denen manche Prostituierte waren. Die Polizei selbst erzählt eine andere Geschichte, in der eine komplizierte Reihe von Faktoren die Suche nach dem Grim Sleeper erschwerte, darunter der Höhepunkt der Crack-Epidemie, ein Anstieg der Gewaltkriminalität und sogar die Aktivitäten weiterer Serienmörder.

Tatsächlich wurde Franklin 2010 nur verhaftet, nachdem bahnbrechende Gentechnologie—und eine halbwegs verschwiegene Taskforce der Polizei—ihn mit mindestens zehn Morden zwischen 1985 und 2007 in Verbindung brachte, so das LAPD. Der makabre Spitzname des Killers kommt daher, dass die Polizei ursprünglich annahm, dass Franklin in den 1990ern eine „Auszeit" vom Töten nahm—es kann jedoch auch gut sein, dass man ihn einfach noch nicht mit Morden aus diesem Zeitraum in Verbindung gebracht hat.

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Alle mutmaßlichen Opfer Franklins waren schwarze Mädchen und Frauen im Alter von 15 bis 35. Alle wurden erschossen, erdrosselt oder beides. Die meisten wurden achtlos in Gebüschen, Gassen oder Müllcontainern liegen lassen, in unterschiedlichem Maße unbekleidet. Ein Opfer, die 22-jährige Lachrica Jefferson, wurde laut Gerichtsdokumenten im Januar 1988 mit einer Serviette über dem Gesicht gefunden, auf der „AIDS" geschrieben stand.

Bilder der Opfer des Grim Sleeper an der Bürowand der Aktivistin Margaret Prescod in Los Angeles | Foto von David Austin

Obwohl eine Anklage durch eine Grand Jury 2011 den Mordprozess, bei dem der mutmaßliche Täter die Todesstrafe bekommen könnte, beschleunigen sollte, zieht sich das Vorverfahren bereits seit mehr als fünf Jahren in die Länge, weil es immer wieder Aufschiebungen und bizarres Verhalten im Gerichtssaal gegeben hat. Zeugen sind in den Ruhestand gegangen oder verstorben, und neue Sachkundige mussten gefunden werden, die das Beweismaterial erneut analysieren konnten, so die stellvertretende Bezirksstaatsanwältin Beth Silverman. In der Zwischenzeit warten die Familien der Opfer auf eine Art Schlussstrich, und einige sind bereits verstorben, während sie auf dieses Verfahren gewartet haben.

„Das bedeutet, dass manche dieser Opfer niemanden mehr haben, der für oder über sie sprechen kann, wenn es um die Festlegung der Strafe geht, niemanden, der am Ende dieses Verfahrens in dem Wissen leben kann, dass der Gerechtigkeit genüge getan wurde", schreibt Silverman in einer E-Mail an VICE. „Aus meiner Sicht ist das eine Schande."

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Außer Ware und Jefferson soll Franklin die 18-jährige Alicia Alexander, die 35-jährige Valerie McCorvey, die 34-jährige Henrietta Wright, die 29-jährige Debra Jackson, die 26-jährige Bernita Sparks, die 26-jährige Mary Lowe, die 25-jährige Janecia Peters, und die 15-jährige Princess Berthomieux ermordet haben. Franklin wird außerdem der versuchte Mord an der 30-jährigen Enietra Washington vorgeworfen. Er nahm sie mutmaßlich in seinem Auto mit, schoss ihr in die Brust, vergewaltigte sie und warf sie auf die Straße.

Nach Franklins Festnahme durchsuchte die Polizei sein Haus und fand eine große Sammlung von Nacktfotos, Pornovideos und selbstgedrehter Pornografie, was Spekulationen darüber auslöste, dass er womöglich sehr viel mehr Opfer haben könnte. In der Hoffnung, sie zu identifizieren und heute ausfindig zu machen, veröffentlichte das LAPD eine Online-Galerie mit Porträts von fast 200 Frauen, die in dem Material zu sehen waren. Heute sind noch mindestens 35 Fotos online und die Polizei bittet noch immer um die Unterstützung der Öffentlichkeit.

Franklin bekannte sich 2010 in allen Anklagepunkten nicht schuldig.

Es ist natürlich schrecklich, dass ein Serienmörder so lange auf freiem Fuß bleiben konnte, doch Detective Daryn Dupree vom LAPD sagt, es habe zur damaligen Zeit unzählige Probleme gegeben, welche die Ermittlungen erschwerten. Ab Ende der 1970er bis weit in die 80er hinein herrschte auf den Straßen von South L.A. eine Crack-Epidemie, welche laut Dupree zu einem Anstieg der Drogenkriminalität sowie mehr Drive-by-Shootings und Morden führte. Dass weitere Serienmörder in der Gegend ihr Unwesen trieben, machte die Sache auch nicht leichter.

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„Es sind dort so viele Leute gestorben", sagt mir Dupree. „Es war schwierig für die Polizei, die verschiedenen Vorgehensweisen der Täter zu entschlüsseln."

Während dieser Ära gab es eine besonders hohe Anzahl von Morden in Los Angeles. Zwischen 1970 und 1979 stieg die Mordrate im Stadtgebiet von L.A. um 84 Prozent an, so die Centers of Disease Control and Prevention (CDC). Damals war die Gentechnik noch nicht sehr weit entwickelt, also musste die Polizei sich auf Dinge wie Zeugenaussagen und ballistische Beweise verlassen. Und selbst als das Genmaterial, das an verschiedenen Tatorten sichergestellt wurde, mit der landesweiten FBI-Datenbank verglichen wurde, gab es keine Übereinstimmungen.

2008 führte Kalifornien eine neue (und kontroverse) DNA-Praktik ein, die den Ermittlern schließlich das letzte Beweisstück lieferte, das sie zur Festnahme Franklins brauchten. Der Bundesstaat implementierte als erster ein Familien-Suchprogramm, das „einzigartige Software und strenge Protokolle" einsetzt, um „ein Familienmitglied eines verurteilten Straftäters mit DNA-Spuren aus Mord- oder Vergewaltigungsfällen in Verbindung zu bringen", erklärte Generalstaatsanwalt Edmund Brown Jr. nach Franklins Verhaftung in einer Mitteilung.

Als Franklins Sohn 2009 aufgrund eines Waffenvergehens auf Bundesebene festgenommen wurde, schickte man seine DNA-Probe an die kalifornische Datenbank. Das Labor entdeckte eine Verbindung zwischen Franklins Sohn und dem Genmaterial, das an den Tatorten des Grim Sleeper sichergestellt worden war, und schloss auf Franklin selbst. (Franklins Sohn hat laut polizeilichen Aussagen nie als Verdächtiger gegolten.)

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Lonnie Franklin Jr. (rechts), der mutmaßliche Serienmörder, der als „Grim Sleeper" bekannt ist, bei einer Vorverhandlung im August 2015 | Foto von Al Seib/Los Angeles Times via Getty Images

Am 5. Juli 2010 sahen zwei Detectives des LAPD, die ein Auge auf Franklin hatten, wie er ihn zu einem Kindergeburtstag in einem Restaurant namens John's Incredible Pizza in Buena Park ging, so Gerichtsdokumente. Einer der Detectives zog sich eine Restaurantuniform an, gab sich als Angestellter aus und sammelte Servietten, Gläser, eine Gabel sowie ein angebissenes Pizzastück von Franklin ein. Genmaterial von diesen Gegenständen besiegelte den Fall und zwei Tage später wurde Franklin festgenommen.

Natürlich kommt die Lösung dieses Falls für viele Menschen in South L.A. und Umgebung zu spät. Kritiker behaupten, das LAPD habe zu lange damit gewartet, die Bevölkerung vor dem Serienmörder zu warnen. Manche sagen, die Information sei erst öffentlich gemacht worden, nachdem die Journalistin Christine Pelisek von LA Weekly diese Tatsache den Familien der Opfer mitgeteilt hatte.

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Margaret Prescod, Gründerin von Black Coalition Fighting Back Serial Murders, argumentiert, die Leben der ermordeten Frauen hätten zu lange in den Augen des LAPD (und großen Teilen der Mainstream-Medien) „weniger Wert" gehabt.

„Die Frauen waren arm, sie waren schwarz, und sie waren Frauen", sagt Prescod. „Wir wussten sofort, dass es anders gewesen wäre, wenn diese Frauen in einem wohlhabenderen Teil von Los Angeles ermordet worden wären."

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Mit ihrer Koalition hat Prescod laut eigener Aussage ein Team um sich versammelt, das mehr als 100.000 Flugblätter in South Los Angeles verteilt hat, unter anderem an „prostituierte Frauen … auf der Straße". Diese Gruppe organisierte außerdem auch wöchentliche Trauerwachen vor dem Hauptquartier des LAPD und veröffentlichte Pressemitteilungen, um die Polizei, die restlichen Behörden der Stadt und die Medien zu zwingen, den Morden Aufmerksamkeit zu schenken.

Bei einem von Prescods ersten (und noch andauernden) Disputen mit dem LAPD ging es um die Einstufung und Beschreibung der Taten als „die Prostituiertenmorde". Auch wenn einige von Franklins Opfern Prostituierte waren, von denen manche womöglich durch Crack-Abhängigkeit in diese Industrie geraten waren, so fand Prescod diese Bezeichnung durch das LAPD herabwürdigend und falsch, da einige der Opfer nichts mit Prostitution zu tun hatten.

„Dieses ganze Bild, das es von den Frauen gab, war auch problematisch, weil es anderen Frauen ein falsches Gefühl der Sicherheit gegeben hat", sagt Prescod mir gegenüber. „Sie sagen sich: ‚OK, wenn ich keine Sexarbeiterin bin, muss ich mir keine Sorgen machen.' Dabei wissen sie nicht, dass da draußen jemand ist, der Jagd auf [alle] Frauen macht und sie ermordet."

Margaret Prescod in ihrem Büro in Los Angeles | Foto von David Austin

Prescod hält weiterhin Treffen ihrer Koalition ab, setzt sich dafür ein, dass den Opfern ein Denkmal errichtet wird, und hält bis heute Kontakt zu den Angehörigen. Darunter ist auch Porter Alexander Jr., dessen Tochter Alicia eines der jüngsten Opfer war. Die 18-Jährige wurde nackt unter einer Schaummatratze in einer Gasse aufgefunden, ein Hemd um ihre Kehle geknotet, so die Gerichtsdokumente.

„Er hat mir das Wertvollste genommen, das mir jemals geschenkt wurde", sagt Alexander in einem Interview. „Er hat mir mein Kind genommen."

Seit Franklins Festnahme hat es eine HBO-Doku namens Tales of the Grim Sleeper sowie einen Lifetime-Film namens The Grim Sleeper gegeben. Die Berichterstattung über den Fall war bisher eher lückenhaft, doch das Interesse an dem Prozess ist nun so groß, dass es für den Termin am 16.02. eine Warteliste für Presseplätze im Gerichtssaal gibt.

„Für ihn kann es keine Wiedereingliederung in die Gesellschaft geben. Er ist zu wahnsinnig", sagt Alexander über Franklin. „Entweder kriegt er lebenslänglich ohne Bewährung, oder er sollte die Todesstrafe kriegen."