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Sex

Wie es ist, mit dem politischen Feind zu vögeln

Er war Mitglied einer rechtsradikalen Freien Kameradschaft, aber der Sex war großartig.

Illustration: Sarah Schmitt

Es ist nicht einfach, mit seinem Feind unter einer Decke zu stecken. Also wortwörtlich: mit dem Menschen ein Bett (bzw. sein Herz) zu teilen, der diametral andere politische Ansichten hat. Fünf Geschichten, in denen die Liebe—oder die hormonelle Verwirrung—größer war als der politische Graben.

Tatiana: verliebt in einen Neonazi

Ich zog im Grundschulalter mit meiner Familie von Russland nach Deutschland. Mit 15 konnte ich akzentfrei Deutsch. Bis ich aber alle Feinheiten meines neuen Landes kennengelernt hatte, sollte es dauern. Ich wusste zum Beispiel, dass Neonazis grauenhafte politische Ansichten hatten und ich als Ausländerin einen Bogen um sie machen sollte. Aber woran man sie äußerlich erkennt, war mir nicht klar.

Als mich ein Kerl mit schweren Stiefeln an der Haltestelle nach meiner Handynummer fragte, dachte ich, er sei Punk. Trugen nicht beide Springerstiefel, bloß mit unterschiedlichen Schnürsenkeln, aber wer hatte nochmal welche? Und warum sollte mich auch ein Neonazi anbaggern? Ich war zwar blond(iert) und blauäugig, hatte mich aber mit meinem—recht migrantischen—Namen vorgestellt.

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Drei Wochen hat es gedauert, bis ich seine politischen Einstellungen gerafft habe. Vielleicht lag es daran, dass unsere Münder meist nicht mit großen Worten beschäftigt waren. Überhaupt haben wir nicht besonders viel zueinander gesagt: Ich war eine schüchterne 15-Jährige, er ein schüchterner Neonazi mit Oberlippenflaum. Nur einmal, als wir an einem Heim für Spätaussiedler und Asylbewerber vorbei gingen, schimpfte er über das "faule Pack". In diesem Heim hatte meine Familie noch vor zwei Jahren gewohnt. Faul waren wir definitiv nicht, aber seine Beleidigung schluckte ich runter.

Erst als ich das erste Mal in seinem Kinderzimmer war, machte es Klick. Das Hakenkreuz, das als großes Poster an seiner Wand hing, hatte ich oft genug in russischen Filmen über den Zweiten Weltkrieg gesehen. Der übrigens die Hälfte meiner Urgroßeltern dahingerafft hat. An dieser Stelle würde ich gerne erzählen, dass ich entrüstet aus seinem Zimmer gestürmt bin. Stattdessen sagte ich: "Du weißt schon, dass ich Russin bin?" Er wusste es nicht—schließlich hatten viele Mädchen im Osten russische Namen. Er fand dennoch, dass unsere Liebe bestehen bleiben kann. Ich sei ja eine Art "Beutegermanin", sagte er. Wir sahen uns danach noch zwei Mal. Ich würde gern sagen, dass es der politische Graben war, der uns schlussendlich trennte, aber ich fürchte, es war eher der Sommerferienanfang und der Basti aus der 10a.

Raul: die apolitische Affäre

Wir stritten uns eigentlich schon beim ersten Date laut über unsere politischen Einstellungen. Beziehungsweise über deren Abwesenheit bei ihr. Sie war sehr spirituell, machte Yoga und glaubte daran, dass die Antwort auf alle Probleme der Welt bei einem selbst liegt. Ich war links-aktivistisch, ging mindestens einmal die Woche auf Demos oder politische Versammlungen. So gut wie alles, was ich zu der Zeit gelesen habe, drehte sich um linke Themen. Mit der Einstellung, dass die Welt nicht zu ändern ist, und man deshalb erstmal nach Frieden mit sich selbst sucht, konnte ich nichts anfangen. Aber wir fanden uns heiß und beschlossen einfach, nicht mehr über Politik zu reden. Die Affäre ging ein halbes Jahr und plätscherte dann irgendwann aus—teilweise auch genau deshalb. Von überaus spirituellen Leuten halte ich mich bis heute fern. Das riecht mir zu sehr nach Selbstoptimierung: den Fehler bei sich zu suchen, anstatt sich Gedanken darüber zu machen, was in der Gesellschaft falsch läuft.

Christian: Penisbruch mit einer CDU-Konvertitin

Es war eine laue Sommernacht anno 2009. Es war eine Zeit, in der Mephedron noch als verkehrsfähiger Badezusatz durchging. Hätte ich Mephedron gehabt, genommen oder auch nur gewusst, was das ist, hätte es meine Ausrede sein können. Dafür, dass ich mir in jeder Nacht von einer rechtskonservativen Konvertitin (Ex-Jungliberale, frisch in die Junge Union eingetreten) den Penis habe rupturieren lassen.

Ich wusste tatsächlich nicht viel in jener Nacht, als ich in einer Kölner Kneipengegend auf diese Frau traf und sie mich schlicht angesprochen hatte: optisch wie tatsächlich. Fünf Kölsch später begannen wir, über die Unvereinbarkeit unserer politischen Ansichten heftig zu streiten, über die Drogenpolitik in München (ihrer Heimat) und die Sexualerziehung im Kindergarten. Ich plädierte als Rauschmittelabstinenzler aus Gründen, über die Menschen Bücher schreiben, für die Legalisierung von Badezusätzen. Sie plädierte dafür, dass ich nicht alles glauben solle, was in der taz steht. Anders gesagt: Mir war sehr daran gelegen, die Unterhaltung zu beenden, auch wenn das mit der taz so dumm nicht war.

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Ich küsste ihren Hals, nachdem sie mich dazu aufgefordert hatte. Er schmeckte. Ich ignorierte die politische Korrektheit, weil die Nacht alt war, ich nähebedürftig und sie ja doch kein plattes Pro-NRW-Plakat.

Wir sind zu ihr. Heute weiß ich, dass es mindestens sechs Orgamustypen gibt, die eine Frau erleben kann, damals wusste ich nur, dass ich nicht der Typ sein möchte, der von der sicher auch schwarz angeschraubten Hochbettleiter ihrer Mitbewohnerin (FDP) fällt, während sie (CDU) wohlmeinend meine Schoßraum-Prozessarbeit (googeln) abnimmt. Zur Vermeidung dessen—ich kann das weder architektonisch noch artistisch hinreichend beschreiben—kletterte ich, Mund von ihr ablassend, auf die Hochbettkante, um sie seitlich weiter auf die Matratze und mich in einem Atemzug über ihr in Stellung zu schieben. Im Ansatz nicht unelegant—doch stieß ich mir in der Bewegung nach oben den Kopf an einer völlig deplatzierten Regalleiste, rutsche zeitgleich auf der Bettkante ab und landete in jeder Hinsicht ungeschützt nicht einfach auf, sondern in der Frau.

Es hätte ein feuchter Traum bleiben können, hätte sie sich nicht so sehr erschrocken und sich in einer Schrecksekunde in eine Position hineingezuckt, die meiner Stoßbewegung schmerzlich entgegenstand. Es gab ein Geräusch, das etwas vom Durchbrechen dieser Einweg-Essstäbchen aus Holz hatte. An dieses Geräusch erinnere ich mich noch heute gut. Und dann nur noch daran, dass ich in jener Ruptursekunde klappmesserartig aus ihr heraus-, ja: sprang, bevor mir schwarz vor Augen wurde.

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Als ich Millisekunden später wieder zu mir kam, beugte sich eine besorgte Konservative seitlich über mich—allesokayallesokayallesokay? Sie war wirklich schön. Ich hätte Nein angekreuzt, war aber zu sehr damit beschäftigt, mir den Penis zu halten, zu wimmern und zu schreien. Taxi statt Krankenwagen, es folgten erst liebe, dann lachende Krankenschwestern, Mitgefühl für Dieter Bohlen und ein stillgelegter Lendenbereich. Im Internet gibt es Fotos von so was.

Wir haben nie wieder über Politik gesprochen. Ein Bekannter hat mir erzählt, sie wählt heute Grün. Ob es am Penis gelegen hat, kann ich ohne Wahl-O-Mat nicht sagen.

Laura: verknallt in einen Nichtwähler

Ich habe Politikwissenschaft studiert. Nicht wählen zu gehen, hielt ich (und halte ich nach wie vor) für bescheuert. Mir war klar, wenn ich mich verliebe, muss der Typ jeden Tag Zeitung lesen, bei Wein mit mir darüber reden, wie Hartz IV die Gesellschaft verändert, und definitiv muss er wählen gehen, wählbar sind aber eigentlich nur SPD und Grüne. Und dann war Sommer, dieser unfassbar perfekte Sommermärchensommer 2006. Und auf einer Party in meiner Studentenstadt lernte ich einen Typen kennen: Elektrotechniker, gutaussehend, fantastisch riechend, toller Musikgeschmack—und völlig unpolitisch. Und dann war er auch noch Nicht-Wähler. Ich war Vegetarierin. Sein Lieblingsgericht war gebratene Leber.

Nachdem wir ein paar Wochen gedatet hatten, fanden Kommunalwahlen statt. Irgendwie konnte ich ihn überzeugen, dass wir uns beide als Wahlhelfer registrieren lassen, obwohl er nicht mal selbst seine Stimme abgeben wollte. Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, wie ich das geschafft habe.

Die Affäre endete, als ich im Herbst für Erasmus ins Ausland zog. Aber Jahre später schrieb er mir mal, dass ihn die Stadt immer noch als Wahlhelfer einbestellt, weil er sich damals registriert hat. Das war mein nachhaltiger sexueller Beitrag zur Erhaltung der Demokratie.

Katja: super Sex mit einem Rechtsradikalen

Er war Mitglied eines Verbands von militanten rechtsradikalen Freien Kameradschaften. Die stehen noch weiter rechts als die NPD. Aber das wusste ich nicht, als ich ihn kennenlernte. Ich war Anfang 20 und er war der klügste und charmanteste Typ, den ich je getroffen hatte. Ich lernte ihn in einem Gothic-Club kennen. Mein damaliger Freund stellte uns einander vor. Und als mein Freund dann beruflich nach Frankreich ziehen musste und unsere Beziehung zerbrach, starteten der Typ und ich eine Affäre. Ich merkte, dass er rechter ist als ich. Wie rechts ließ er sich anfangs aber nicht anmerken. Wenn wir unterschiedlicher Meinung waren, dachte ich ganz naiv: Wenn wir nur oft genug diskutieren, werde ich ihn noch bekehren. Ich war da nicht richtig bei Sinnen. Das mag auch damit zusammenhängen, dass unser Sex so großartig war. Wir haben uns vier Monate lang getroffen. Eines Tages lagen wir nach dem Sex nebeneinander und diskutierten über Politik. Ich frage ihn: "Sind für dich manche Menschen weniger wert als andere?" Er antwortete: "Ja." Da wusste ich: Es ist Zeit, diese Wohnung mit wehenden Fahnen zu verlassen. Wir haben uns nie wieder gesehen. Ich bin danach in die SPD eingetreten. Ich hatte etwas gutzumachen.