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Hinrichtung

Wie es ist, um ein Haar hingerichtet zu werden

Ein Insasse des kalifornischen Gefängnisses San Quentin erzählt, wie sich die letzten Minuten vor einer Hinrichtung anfühlen.

Ein Hinrichtungsraum in einem Staatsgefängnis in Ohio; der Autor war hier nicht inhaftiert | Foto von Mike Simons/Getty Images

Eine Minute nach Mitternacht am 10. Februar 2004 hätte ich hingerichtet werden sollen.

Im Vorfeld wurde ich in eine neue Zelle verlegt, wo Wärter ungefähr einmal die Stunde hereinschauten, um sich zu vergewissern, dass mit mir „alles in Ordnung" war. Das Gefängnis fing auch an, einen Psychiater zu schicken. Es war klar, dass sie versuchen wollten zu verhindern, dass ich Selbstmord beging.

Das ging einige Tage so, und dann wurde alles langsam immer heftiger. Ich wurde mitten in der Nacht geweckt, in Handschellen gelegt, aus der Zelle geholt und an eine Wand gestellt. Einer der Wärter fing an, Fotos von mir zu schießen und sagte, dies würden die letzten Bilder sein, die die Welt jemals von mir sehen würde.

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Eines Tages wurde ich ins Büro der Lieutenant gebracht, wo sie und ein Gefängnisarzt auf mich warteten. Die Lieutenant sagte, ich soll einen Ärmel hochziehen, sodass sie meine Venen sehen konnte. Anfangs habe ich mich geweigert, also ging die Lieutenant raus und kam mit einer Abschnürbinde zurück. Sie band sie um meinen Arm und all meine Venen traten hervor. Dann dokumentierten sie und der Arzt, wo die guten Venen in meinem Arm verlaufen. Dasselbe machte sie dann nochmal mit der linken Seite.

Etwa eine Woche darauf wurde ich zu einem weiteren Arzt gebracht. Der Arzt maß meinen Blutdruck.

Er war erhöht.

Während dieser ganzen Qual wurde ich immer wieder gefragt, was ich mir als letzte Mahlzeit wünsche. Jemand fragte mich, ob ich eine Tiefkühlpizza von der Marke Tombstone [Grabstein] wolle.

Meine Freunde besuchten mich, und außerdem noch Anwälte. Sie hatten meinen Berufungsanwalt ersetzt, der fast dafür gesorgt hat, dass ich hingerichtet werde, indem er nicht die Informationen zum Einsatz brachte, die zeigten, dass in meinem Fall Beweise verfälscht wurden. Die Anwälte kamen immer wieder, um mir mitzuteilen, was sie alles taten, um mein Leben zu retten, aber ich habe ehrlich nicht daran geglaubt, dass sie den Staat davon abhalten können würden, mich hinzurichten.

Ich hörte auf, fernzusehen und Radio zu hören. Stattdessen las ich, womöglich zum letzten Mal, mein Lieblingsbuch noch einmal: Eine Geschichte des amerikanischen Volkes von Howard Zinn.

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Da ich mich selbst von den Medien isoliert hatte, wusste ich anfangs nicht, dass sich neue Zeugen zu meiner Verteidigung gemeldet hatten, deren Aussagen potentiell beweisen konnten, dass der Staat wichtige Beweismittel unterschlagen hatte. Ich erfuhr nichts von den Leuten, die sagten, sie hätten drei weiße Männer—einen davon mit blutiger Kleidung—in der Mordnacht in einer Bar in der Nähe des Tatorts gesehen.

Dann kam der 9. Februar, mein letzter Tag.

Ich hatte einige Besucher, darunter Jesse Jackson, Angehörige und Freunde.

Gegen 11 Uhr vormittags kam Jeannie R. Sternberg, damals Anwältin beim Habeas Corpus Resource Center in San Francisco, in den Besuchsraum. In der Hand hatte sie die Anordnung zur Aussetzung meiner Hinrichtung. Sie nahm sich die Zeit, mir zu erklären, warum und wie es dazu gekommen war, und sagte mir, der Staat könne die Entscheidung vor dem Obersten Gerichtshof anfechten.

Demonstranten protestieren gegen die bevorstehende Exekution von Kevin Cooper in der San Quentin State Penitentiary, 2004 | Foto: AP Photo/Marcio Jose Sanchez

Um 18 Uhr sagten sie uns, die Besuchszeit sei vorbei. Ich wurde an ein Ende des Besuchszimmers gebracht, in eine kleine Zelle gesteckt und musste mich nackt ausziehen. Sie haben mir eine Leibesvisitation verpasst, mir neue Kleidung und Schuhe gegeben und Ketten um die Taille angelegt. Wärter haben ein Spalier gebildet und sind mit mir in der Mitte aus dem Durchsuchungsbereich des Besuchsraums zur Tür des Hinrichtungswartezimmers gegangen.

Da wurde mir klar, dass ich bereits seit einer Woche zweimal täglich an dieser Tür vorbeiging, ohne zu wissen, dass es sich dabei um den Eingang zur Todeskammer handelte.

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Als die Tür sich öffnete, gingen wir alle hinein und man befahl mir, mich mit dem Rücken an die Wand zu stellen. Die Wärter verließen den Raum im Gänsemarsch. Es war kurz nach 18:30 Uhr. Ich sah auf die große Wanduhr und wusste, dass mit jeder verstreichenden Minute mein Leben davontickte. Mehrere Henker betraten den Raum. Einer von ihnen ging direkt auf mich zu, stellte sich etwa 15 Zentimeter vor mein Gesicht und fragte mich, ob ich Ärger machen würde, wenn sie mir die Handschellen abnahmen. Ich sagte leise, dass es von mir keinen Ärger geben würde.

Ich sollte langsam meine Kleidung ausziehen und mich in die Mitte des Raums stellen. Es war so kalt, dass ich anfing zu zittern.

Dann fing er an, meinen Körper zu untersuchen. Er klickte eine Taschenlampe an, um in meinen Mund zu sehen. Er suchte in meinem Haar, und befahl mir, meine Genitalien anzuheben, um auch dort zu suchen. Ich musste meine Füße nacheinander vom Boden heben und mit den Zehen wackeln—erst der rechte Fuß, dann der linke. Ich musste meine Pobacken spreizen und mich vorbeugen, und dann leuchtete er mir mit der Taschenlampe in den After.

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, war die Leibesvisitation vorbei. Ich bekam neue Kleidung. Ich sah wieder auf die Uhr und es war kurz nach Sieben.

Sie steckten mich wieder in eine Zelle, wo ich bis zu meiner Hinrichtung warten sollte.

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Meine Anwältin, Jeannie Sternberg, rief mich übers Gefängnistelefon an und sagte mir, dass der Staat die Aussetzung tatsächlich angefochten habe, und sie würde mich anrufen und informieren, sobald sie etwas vom Obersten Gerichtshof gehört hätte.

Während ich wartete, durfte mein Pastor kommen und in der Nachbarzelle sitzen.

Gegen 20:17 Uhr klingelte plötzlich das Telefon. Der Wärter, der auf das Telefon aufpasste, reichte es mir, und Jeannie war dran. Sie sagte, dass der Oberste Gerichtshof einstimmig entschieden hatte, die Aussetzung wirklich zu gewähren.

Ich reichte dem Wärter das Telefon zurück und sagte den Henkern, dass sie an jenem Abend ihrer Arbeit nicht nachgehen würden.

Kevin Cooper ist ein 58-jähriger Insasse des San Quentin State Prison in San Quentin, Kalifornien. Er wurde 1983 des vierfachen Mordes im kalifornischen Chino Hills verurteilt und hat seither seine Unschuld beteuert und sich um eine Begnadigung bemüht. Laut seinem Anwalt Norman Hile von Orrick, Herrington & Sutcliffe LLP, wurden sämtliche Anträge Coopers abgelehnt und seine einzige verbleibende Option ist es, Gouverneur Jerry Brown um eine Begnadigung zu bitten.